Querdenker-Demo in Stuttgart – Welle machen

Kontext Ausgabe 489 (Auszug)

Von Minh Schredle  12.08.2020

Es gibt durchaus gute Gründe, mit der derzeitigen Corona-Politik uneins zu sein. Was auf der Querdenker-Demo in Stuttgart verbreitet wird, sind keine. Der Initiator spricht eine Einladung an Donald Trump aus. Ein esoterischer Polizist verneint die Existenz der Verfassung, und ein Oberleutnant a.D. stellt dem Militär die Gewissensfrage.

Michael Ballweg strahlt wie ein Honigkuchenpferd. Die Galionsfigur der Stuttgarter Querdenker hat einmal durchgezählt und kommt auf 53 Menschen, die bei seiner Demo mitmachen, „das ist auch die offizielle Zahl für die Presse“. Kleiner Scherz.

Tatsächlich haben sich am vergangenen Samstag um die 2000 Personen zum Corona-Protest im Schlossgarten der Landeshauptstadt eingefunden, angesichts der drückenden Temperaturen größtenteils dicht gedrängt um die heißbegehrten Schattenflächen.

Ballweg spielt auf die Berichterstattung zum Berliner „Tag der Freiheit“ an, bei dem er eine Woche zuvor mitmischte,  und über den viele Medien Teilnehmerzahlen verbreiteten, die ihm zu niedrig vorkommen. Der „Demokratische Widerstand“, das Blatt, das auf Querdenker-Demos gratis verteilt wird, berichtet hingegen, die „größte Demonstration Deutschlands im 21. Jahrhundert am 1. August 2020 rief Erinnerungen an den Mauerfall wach“, bei diesem historischen Ereignis „versammelten sich nach Polizeiangaben vom Sonnabend 1,3 Millionen Menschen in der Bundeshauptstadt gegen das Corona-Regime“. Rückfrage bei der Berliner Polizei: Diese Angabe stamme nicht von ihr, sie bleibt bei ihrer Schätzung von circa 20.000 Teilnehmenden in der Spitze.

„Von Monat zu Monat lernt man mehr von der DDR“, leitet Ballweg seine Rede in Stuttgart ein. „Die dreiste Kleinrechnung der Teilnehmerzahlen der Demo vom 1. August durch die Berliner Polizei entspricht in etwa dem Geschwätz von der Zusammenrottung einiger weniger Rowdys, mit der die DDR-Medien anfangs die Demonstrationen im Herbst 1989 kleinrechneten.“ Der Querdenken-Initator, der im November Stuttgarts nächster Oberbürgermeister werden möchte, zitiert damit Arnold Vaatz, den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, der diese historischen Parallelen in einem Gastbeitrag für das rechtspopulistische Onlineportal „Tichys Einblick“ zog.

„Lieber ein Spinner sein“

Insgesamt fällt es schwer, sich ein Szenario auszumalen, bei dem ein vergleichbares Personenspektrum zusammenfinden könnte. Ein paar sind mit Friedens- und Regenbogenflaggen unterwegs, ein anderer hält ein Schild hoch: „Mainstream-Media = wieder Holokaustkomplizen“. Da sind ältere Damen, die einen Impfzwang ablehnen; Jesus-Fans und Mönche; Menschen, die sich mehr Spiritualität in der Politik wünschen; Menschen, die sich in der veröffentlichten Meinung mehr abweichende Standpunkte unter Experten erhoffen; der Querdenken-Pressesprecher Stephan Bergmann, der im Netz vor einer „Vermischung der Rassen“ warnte, weil das den Intelligenzquotienten der weißen Bevölkerung gefährde, dies dann leugnete, aber vom „Tagesspiegel“ widerlegt wurde; ein Punk mit Anti-AfD-Shirt geht nicht mehr einkaufen und zum Fußball und fährt nicht mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weil er dann eine Maske tragen müsste; Hippies; Leute, die anfingen, sich für Politik zu interessieren, als sie nicht mehr feiern gehen durften. Es ist kaum möglich, unter den gemeinsam Demonstrierenden eine Art Konsens auszumachen, abgesehen vielleicht von dem Verlangen: Gebt uns unser altes Leben zurück!

Auf der Rednerbühne sorgt die einfache Nennung der Vokabeln „Friede“, „Freiheit“ und vor allem „die Wahrheit“ mit Erfolgsgarantie für euphorischen Beifall. „Merkel“, „Spahn“, „Lauterbach“, „Bill Gates“ und „die Presse“ sichern dem Auftritt hingegen ausgiebige Pfeifkonzerte, angeekelte Buh-Rufe und bisweilen eigenartige Grunzlaute.

Für große mediale Resonanz hat der Auftritt des Satirikers Florian Schroeder gesorgt, der ausprobieren wollte, wie viel Meinungsfreiheit die Stuttgarter Querdenker aushalten. Die Gelegenheit, von der Bühne aus zu sprechen, nutzte er, um dem Publikum klarzumachen, dass er Corona für eine reale und gefährliche Krankheit hält und das Maskentragen als sinnvolle Gegenmaßnahme anerkennt (aus dem Publikum kontert einer: „Buh! Bist du für die Diktatur?!“). In einem Beitrag für die NDR-Satiresendung „Extra 3“ erläutert der Kabarettist, wie es dazu kam, dass er von den Querdenkern eingeladen worden ist. Offenbar haben die Aneinanderreihung einiger Standardphrasen aus dem Coronagegner-Wortschatz und eine positive Bezugnahme auf  Wolfgang Wodarg ausgereicht, die kritischen Köpfe davon zu überzeugen, auf der selben Seite zu stehen.

Während Schroeders Rede bereits viral gegangen ist, lohnt sich auch ein Blick auf die anderen Bühnenbeiträge vom vergangenen Samstag. Da ist etwa Thomas Bauer, Oberleutnant a.D., der 600 Kilometer angereist ist, um zu berichten, dass ihm „Mitte März vieles deutlich und klar geworden ist“, nämlich: „Hier stimmt was nicht“. Die Herleitung: „Wenn jede Zelle in meinem Körper und jede Synapse in meinem Hirn Alarm ruft, dann kann und muss was nicht stimmen.“ Deswegen präsentiert er nun ein, wie er selbst sagt, „verstörendes“ Gedankenspiel, und zwar die „Aufgabe: Stellen Sie sich vor, Sie wären Bundeskanzler und wollten Deutschland und seine Bevölkerung entgegen ihrem geleisteten Eid schaden und zerstören, ohne kriegerische Auseinandersetzung.“

Deutschlands Untergang: ein 14-Punkte-Plan

Bauer hat sich in diesem Zusammenhang einen 14-Punkte-Plan überlegt, von der mutwilligen Vernichtung der Autoindustrie über die gewollte Destabilisierung der Inneren Sicherheit bis hin zur „massenhaften Zuwanderung von schlecht bis gar nicht ausgebildeten Fachkräften, die die Sozialkassen und den Mittelstand, der die ganze Party finanziert, weiter belasten“. Dann formt er in seiner Rolle als Diktator-Kanzler noch die Medien so um, dass „jeder, der Kritik übt und nicht mir huldigt, gebrandmarkt wird: Nazi, Verschwörungstheoretiker, Aluhut-Träger, Covidleugner!“ – an dieser Stelle ist der Applaus am lautesten. Wahlen mit unpassenden Ergebnissen macht der fiktive Autokrat kurzerhand rückgängig, aber weil es „den Mittelstand ja immer noch gibt“, reicht es ihm jetzt: „Also flieg ich selber nach China und potzblitz: Mitarbeiter einer Firma, die ich besuche, kommen nach Deutschland zurück mit einem Virus, (…), und durch geschickte Medienmanipulation kann ich jetzt endlich Reiche noch reicher machen (…), den Rest kann ich in der Tat unterjochen.“ Nachdem er sich sein Szenario in den düstersten Tönen ausgemalt hat, stellt Bauer fest, dass das ja quasi unserer gegenwärtigen Realität entspräche.

Weiterlesen hier!

Friedliche Revolution 1989 – 4. November 1989 – Kundgebung am Alexanderplatz

Die Demonstration am 4. November ’89 auf dem Alexanderplatz mutete an wie ein Happening. Diesen Charakter unterstrichen auch die unzähligen phantasievollen Transparente und Plakate der Teilnehmer.

„Die Fülle der Transparente, die hier zu sehen sind, ist wirklich erschlagend. Ich finde es sehr gut, wenn wir diese Transparente sammeln und einer Art neuen Kunstausstellung zur Verfügung stellen“, rief der Bühnenbildner Henning Schaller, der die Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz moderierte, am Schluss in die Menge.

In der Tat war es beeindruckend, wie viele Transparente, Plakate oder Fahnen von den Demonstranten während der Kundgebung in die Höhe gereckt wurden, samt und sonders in mühevoller Heimarbeit hergestellt. Es waren sowohl ernsthafte Forderungen zu lesen, aber auch humorvolle, hintergründige, zuweilen gar skurrile. „Radwege auch in Ostberlin“, stand auf einem, auf einem anderen „Stasi in die Volkswirtschaft“, auf einem nächsten „Gegen Monopolsozialismus. Für demokratischen Sozialismus“. Auf einem Plakat war der neue SED-Chef Egon Krenz mit riesigen Zähnen abgebildet, darunter stand geschrieben: „Großmutter, warum hast du so große Zähne?“

Die Staatssicherheit versucht Einfluss zu nehmen

Im Vorfeld der Großkundgebung hatte die Staatssicherheit in alter Manier versucht, Einfluss auf die Plakate und Losungen zu nehmen. In einem „streng geheimen“ Informationspapier „über die für den 4. November 1989 in der Hauptstadt der DDR, Berlin, initiierte Demonstration von Kunst- und Kulturschaffenden“ heißt es beispielsweise: „Die Leitung des Verbandes Bildender Künstler soll Einfluss darauf nehmen, dass die beabsichtigte Anfertigung von mitzuführenden Losungen und Transparenten durch Angehörige des Verbandes kontrolliert und damit möglichen Provokationen vorgebeugt wird.“ Einige Losungen wurden der Staatssicherheit vom „Verband Bildender Künstler“ tatsächlich auch vorgelegt und – wenn auch zuweilen zähneknirschend – genehmigt. Die aufmüpfigste der genehmigten Forderungen lautete: „Rehabilitierung von Opfern stalinistischer Schauprozesse in der DDR“.

Keine Festnahme in Sichtweite von Kameras

Dass sie am Ende aber wohl keinerlei Einfluss auf die Transparente und Losungen der Demonstranten haben würde, deren Zahl bereits im Vorfeld auf mehr als eine halbe Million geschätzt wurde, dass ahnte auch die Staatssicherheit. Und ihre Vermutung erwies sich als durchaus realistisch. Festnahmen sollte es, so beschloss die Einsatzleitung, jedoch auch bei offensichtlichen „Provokationen“ keine geben, jedenfalls nicht in Sichtweite von Fotoapparaten und Kameras. Aber nicht einmal dazu kam es, wie die Veranstalter der Kundgebung verlautbarten.

Deutsche Einheit ist kein Thema

Bei aller Unterschiedlichkeit der Symbole, Losungen und Slogans auf den Plakaten – in einer trafen sich die Forderungen sämtlicher Teilnehmer: Die SED soll den Staat herausrücken, den sie ohnehin an den Rand des Abgrunds manövriert hatte. Was jedoch nicht als Bestandteil der Willensbekundungen auf den Plakaten und Spruchbändern der Demonstranten zu lesen war, nur wenige Wochen später aber allerorten zum Forderungskatalog von Demonstranten gehörte, war die Frage nach der deutschen Einheit. Diese stellte sich am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz überhaupt nicht.

Sozialismus und Demokratie

An diesem Tag ging es nicht um die Abschaffung des Sozialismus oder gar das Hinwegfegen eines ganzen Landes, sondern vielmehr um die späte Verwirklichung der Ideale des Prager Frühlings: es ging um einen demokratischen Sozialismus, um einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“. „Der Sozialismus – nicht der Stalinsche, der richtige -, den wir endlich erbauen wollen zu unserem Nutzen und zum Nutzen von ganz Deutschland, dieser Sozialismus ist nicht denkbar ohne Demokratie“, sagte der Schriftsteller Stefan Heym in seiner begeistert aufgenommenen Ansprache. „Demokratie aber heißt Herrschaft des Volkes.“

Größte DDR-Demo 04.11.1989 Alexanderplatz Berlin, DDR

ca. 800.000 Teilnehmer bei der angemeldeten Demonstration

Hasskrieger – der neue globale Rechtsextremismus

„Christchurch, El Paso, Halle, Hanau – an diesen und anderen Orten haben 2019 und 2020 rechtsextremistische Terrorakte mit zahlreichen Todesopfern stattgefunden. Ein Blick auf die Taten und das Umfeld der Terroristen verdeutlicht, dass der digitale Raum in der medialen Lebenswelt der Täter, aber auch für die von ihnen erwünschte Resonanz eine zentrale Rolle spielt.

Auf Imageboards wie 8chan oder anderen der Öffentlichkeit kaum bekannten Foren werden Morde angekündigt und die Täter gefeiert, in sozialen Netzwerken die Taten bisweilen live gestreamt. Diese menschenverachtende Kommunikation innerhalb extrem rechter Subkulturen stellt jedoch kein isoliertes Phänomen dar, sondern erweist sich als anschlussfähig an Strategien einer größeren digitalen Parallelöffentlichkeit, wie sie zahlreiche Akteure aus dem rechtsextremen Spektrum verfolgen und in der ebenso Verschwörungstheorien, Fake News und Hetze verbreitet werden.

Karolin Schwarz blickt in die verstörende Welt rechtsextremer Onlinekommunikation und beschreibt Entwicklungen, Strategien, Erscheinungsformen, aber auch mögliche Gegenstrategien.“


Hasskrieger – der neue globale Rechtsextremismus. Bundeszentrale für Politische Bildung. Autorin: Karolin Schwarz, Seiten: 224, Erscheinungsdatum: 07.08.2020, Erscheinungsort: Bonn, Bestellnummer: 10545

Florian Schröder am 8. August bei der „Corona“-Demo von „Querdenken 711“: Wahrheit – Freiheit – Satire

Florian Schröder bei der „Corona“-Demo von „Querdenken 711“ am Samstag, 8. 8.2020: „Nach meinem Soloprogramm im NDR haben mich die Querdenker 711 eingeladen. Ich bin hingegangen und habe in Stuttgart gesprochen. Über das Grundgesetz, Meinungsfreiheit und den Unterschied zwischen Freiheit und Verantwortungslosigkeit.“
Das Video seines Auftritts wurde seit dem 8.8.2020 (Stand 11.8.2020) 584.709 mal aufgerufen.
Florian Schröder gebraucht den Begriff der Dialektik und bezieht sich dabei auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dazu gibt es interessante Gespräche, z.B.:

Hiroshima und Nagasaki mahnen: atomare Bedrohung ist aktueller denn je – 45 Gedenkminuten am 6.8.2020

Vor dem Hintergrund der ganz aktuellen unvorstellbaren Bedrohung durch 13.000  Nuklearwaffen haben wiram 6. August 2020 um 10.30 Uhr  im Vogthausgarten (hinter der Famileinbildungsstätte). 45 Gedenkminuten an den verbrecherischen Abwurf der r ersten Atombombe über Hiroshima abgehalten.

Oberbürgermeister Dr. Pascal Bader hat im Rahmen der Veranstaltung seinen persönlichen Beitritt ur weltweiten Initiative „Mayors for Peace“ (Bürgermeister*innen für den Frieden) erklärt.

Die Veranstaltung lief so ab:

  • Gedichte: „Bitten der Kinder“, Bert Brecht – „Wettrüsten“, Bertha von Suttner (Cora Kannenberg)
  • Lied 1: „Das weiche Wasser bricht den Stein“ (Rainer Arnold, MdB SPD, i. Ruhestand)
  • Gedichte: „Das tote Mädchen“, Nazim Hikmet (in türkischer Sprache: Kübra Kaskan/deutsch: Martin Lempp)
  • Begrüßung: Hans Dörr, GEW
  • Gedicht: Hiroshima, Marie-Luise Kaschnitz (angefragt: Heinrich Brinker, attac Kirchheim) – Gedicht: Das Gedächtnis der Menschheit, Bert Brecht (angefragt: Heinz Pötzl, attac Kirchheim)
  • Ansprache OB Bader – Erklärung zur Initiative Mayors for Peace
  • Lied 2 „Traum vom Frieden“  (Rainer Arnold)
  • Kampagne Hiroshima und Nagasaki mahnen: Beitritt zum UN-Atomwaffenverbot jetzt! (Karl-Heinz Wiest, Pax Christi)
  • Hinweis auf den Friedensgottesdienst am 27.9.20 und den Vortrag „Sicherheit neu denken“ am 12. 10.20 (Willi Kamphausen)
  • Lied 3: „We shall overcome“. Musikalischer Ausklang – gemeinsam mit Rainer Arnold.

ICAN: Informationen zum Atomwaffenverbotsvertrag

Atomwaffenverbotsvertrag

Beschlüsse der Bundesländer

Vier Bundesländer haben bereits beschlossen, den Vertrag zum Verbot von Atomwaffen zu unterstützen bzw. die Bundesregierung aufzufordern, ihn beizutreten:

  1. Bremen, Bremische Bürgerschaft, 5. Dezember 2017
  2. Berlin, Berliner Abgeordnetenhaus, 10. Mai 2019
  3. Rheinland-Pfalz, Landtag, 22. August 2019
  4. Hamburg, Hamburgische Bürgerschaft, 12. Februar 2020

#ICANSave – der Städteappell

Zahlreiche Städte, Gemeinde und Landkreise in Deutschland und aller Welt haben sich bereits dem ICAN-Städteappell angeschlossen. Ist Ihre Stadt die nächste?

Warum sollten sich Städte dem Appell anschließen?

Atomwaffen stellen eine besondere Bedrohung für Städte dar. Sie sind im Ernstfall die primären Ziele eines atomaren Angriffs. Damit sind Städte direkt betroffen und sollten sich deshalb in die Diskussion zu dieser Frage einmischen. Atomwaffen sind konzipiert, um Menschen und Infrastruktur gigantischen Schaden zuzufügen. Die sogenannte nukleare Abschreckung basiert auf der Drohung, die wichtigsten Orte eines Landes anzugreifen.

Alle Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner nehmen diese Bedrohung im Kauf und sehen den Einsatz mit Atomwaffen als legitime Verteidigungsstrategie. Damit setzen diese Staaten ihre Bürger*innen der Vernichtungsgefahr aus. Immer wieder sind wir in der Vergangenheit an einem Atomkrieg vorbeigeschrammt. Städte tragen eine besondere Verantwortung für den Schutz ihrer Bewohner*innen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie sich gegen Atomwaffen aussprechen.

Das Engagement von Städten ist wichtig, um Druck auf die Bundesregierung auszuüben, damit diese auf den Willen der Bevölkerung achtet. Wenn Städte die Regierung dazu auffordern, dem Vertrag zum Verbot von Atomwaffen beizutreten, ist dies eine spürbare Mahnung, dass die hier in Deutschland lebende Menschen Massenvernichtungswaffen ablehnen. Die Bundesregierung ignoriert diese Sicht bisher.

Ein neues Bündnis von Städten weltweit stärkt die Stimmen der Menschen überall und setzt alle Regierungen dieser Welt unter Druck, jegliche Beteiligung an der atomaren Abschreckung und jegliche Verstrickung in Atombombengeschäften zu unterlassen.

Folgende deutschen 96 Städte/Gemeinden und 5 Landkreise haben sich dem #ICANSave–Städteappell  angeschlossen:


Hintergrund:  Vor 75 Jahren, am 6. und 9. August 1945, wurden die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen. 65.000 Menschen verdampften und verbrannten auf der Stelle, bis zum Ende des Jahres starben mehr als 200.000. Diese Opfer mahnen uns, die katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen zu erkennen und für eine Welt ohne Atomwaffen einzustehen!

Heute bedrohen uns weltweit noch immer mehr als 13.000 Nuklearwaffen! Die Atommächte planen, Milliardensummen in die Aufrüstung ihrer Arsenale zu investieren – alleine 2019 gaben sie 73 Milliarden US-Dollar für Atomwaffen aus. Auch in Deutschland sollen neue Trägerflugzeuge für die Atombomben in Büchel angeschafft werden. Damit würde die nukleare Teilhabe für die kommenden Jahrzehnte festgeschrieben.

Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf:

  • keine neuen Kampfflugzeuge für einen Atomwaffeneinsatz zu beschaffen
  • Atomwaffen aufgrund der katastrophalen humanitären Folgen ihres Einsatzes zu ächten
  • den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen zu unterzeichnen und zu ratifizieren

Gedenken Sie mit uns der Atombombenopfer!


Atomwaffen ächten noch im Jahr 2020 – pax christi fordert den Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen –

Erklärung des pax christi-Präsidenten, Bischof Peter Kohlgraf, anlässlich des 75. Gedenkens der Atombombenangriffe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 2020

Vor 75 Jahren, am 6. und 9. August 1945 fielen die amerikanischen Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Sie rissen mehr als 200.000 Menschen in einen unvorstellbar grausamen Tod, die Überlebenden litten ihr Leben lang unter der nuklearen Verseuchung wie unter den psychischen Folgen, beide Städte wurden fast vollständig ausgelöscht.

Wir gedenken der unzähligen Opfer dieses furchtbaren Angriffs vor 75 Jahren. Und zugleich müssen wir uns vor Augen führen: Die Bedrohung der Menschheit durch Atomwaffen ist auch heute grausame Realität. Jede der heute existierenden Atomwaffen hat das mehrfache Vernichtungspotential der Hiroshima-Bombe und bedroht alles Leben auf der Erde. Die Menschen, die im August 1945 in Hiroshima und Nagasaki ihr Leben verloren, mahnen uns alle eindringlich, für Abrüstung und für eine Welt ohne Atomwaffen einzutreten.

Die katholische Friedensbewegung pax christi Deutschland fordert – gemeinsam mit einem breiten Bündnis christlicher Kirchen, Religionsgemeinschaften und Friedensvereinigungen – Atomwaffen international zu ächten. An die Bundesregierung ergeht unsere Aufforderung, den Atomwaffenverbotsvertrags der Vereinten Nationen zu unterzeichnen.

Bis zum Jahr 2020, noch zu Lebzeiten wenigstens einiger Überlebender der Angriffe von 1945, eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen – das war das Ziel einer breiten internationalen Kampagne, die der Zusammenschluss „Mayors for peace“ („Bürgermeister für den Frieden“) im Jahr 2003 in Hiroshima angestoßen hat und in der die internationale pax christi-Bewegung aktiv mitarbeitet.

Eine atomwaffenfreie Welt im Jahr 2020 haben wir nicht erreicht. Doch vor drei Jahren mündete die Initiative in den Atomwaffenverbotsvertrag der Vereinten Nationen, der die Ächtung aller Atomwaffen mit dem Verbot der Herstellung und des Besitzes in kurzer Frist festschreibt. Wir setzen jetzt die Hoffnung darauf, dass im Jahr 2020 die Zahl von 50 Staaten erreicht wird, die den Verbotsvertrag ratifizieren, damit Verbot und die Ächtung von Atomwaffen als Internationales Recht in Kraft treten.

 Mit unserem Bemühen stehen wir an der Seite von Papst Franziskus, der im vergangenen Jahr die Gedenkstätten in Hiroshima und Nagasaki aufgesucht hat.

Vor den Augen der Weltöffentlichkeit hat er mit bewegenden Worten der Opfer gedacht und unmissverständlich die Existenz und den Besitz von Atomwaffen für unmoralisch erklärt: „Aus tiefer Überzeugung möchte ich bekräftigen, dass der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken heute mehr denn je ein Verbrechen ist nicht nur gegen den Menschen und seine Würde, sondern auch gegen jede Zukunftsmöglichkeit in unserem gemeinsamen Haus. Der Einsatz von Atomenergie zu Kriegszwecken ist unmoralisch, wie ebenso der Besitz von Atomwaffen unmoralisch ist“.

Weiter mahnt Papst Franziskus: „Wenn wir tatsächlich eine gerechtere und sicherere Gesellschaft aufbauen wollen, müssen wir die Waffen aus unseren Händen legen“. (…) Wenn wir der Logik der Waffen nachgeben und uns von der Praxis des Dialogs entfernen, vergessen wir tragischerweise, dass die Waffen, noch bevor sie Opfer fordern und Zerstörung bewirken, böse Szenarien hervorrufen können (…). Wie können wir Frieden anbieten, wenn wir beständig die Drohung eines Atomkrieges als legitimes Mittel zur Konfliktlösung einsetzen? (…) Der wahre Friede kann nur ein waffenloser Friede sein“.

Die Realität ist eine andere: De facto setzen die deutsche Bundesregierung und das NATO-Bündnis weiter auf Abschreckung und halten an der Überzeugung fest, durch die Drohung mit den Massenvernichtungswaffen den Frieden erhalten zu können. Deutschland ist in die nukleare Teilhabe eingebunden, die die Mitarbeit am Einsatz von Atombomben durch die deutsche Bundeswehr bedeutet. Geplant ist die Erneuerung der in Deutschland stationierten amerikanischen Atomwaffen und die Anschaffung neuer Kampfjets für den Abwurf dieser Atombomben.

Dem stehen jedoch auch völkerrechtliche Vereinbarungen entgegen: Der Atomwaffensperrvertrag von 1968, in dem sich die fünf offiziellen Atommächte zur vollständigen nuklearen Abrüstung unter internationaler Kontrolle verpflichten und die anderen Unterzeichnerstaaten auf den Erwerb von Atomwaffen verzichten. Das Gutachten des Internationale Gerichtshof von Den Haag (IGH) von 1996, das feststellt: „Die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen verstoßen generell gegen die Prinzipien und Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts.“ (Ziff. 105 (2) D).

 Als pax christi-Bewegung stellen wir uns der Politik der atomaren Abschreckung, der Aufrüstung und der nuklearen Teilhabe entgegen. Wir bauen dabei auf den Friedenswillen und die Sehnsucht der Menschheitsfamilie nach Friede: „Einer der tiefsten Wünsche des menschlichen Herzens ist der nach Frieden und Stabilität“, sagt Papst Franziskus vor dem Friedensdenkmal in Nagasaki im November 2019. Zugleich deutet der Papst den Weg an, der zu diesem Frieden führt: „Der Frieden und die internationale Stabilität (…) sind nur möglich im Anschluss an eine globale Ethik der Solidarität und Zusammenarbeit im Dienst an einer Zukunft, die von der Interdependenz und Mitverantwortlichkeit innerhalb der ganzen Menschheitsfamilie von heute und morgen gestaltet wird. “

Am 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki gedenken wir der Opfer dieses Grauens. Und wir mahnen: Die Drohung mit der Vernichtung des Lebens durch Atomwaffen kann kein Synonym für Frieden sein. Der Verzicht auf die Abschreckungslogik der Atomwaffen und der Wille zu Vertrauensbildung und Abrüstung sind die Orientierungspunkte einer Friedenslogik der Zukunft.

Atomwaffen ächten noch in diesem Jahr Pax Christi Erklärung zum 6. und 9. August 2020