In Putins Kopf – Putins Welt: Wer sind die Vordenker von Wladimir Putin?

Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur

 66.146 Aufrufe – 28.02.2022 –SRF Kultur – 

Seit 22 Jahren regiert Wladimir Putin Russland. Der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine alarmiert den Westen, einmal mehr. Wer ist der Mann, der die Welt in Schrecken versetzt? Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches «In Putins Kopf».

Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Wladimir Putin seinen wichtigsten Beamten drei philosophische Werke zur Pflichtlektüre. Zudem zitiert der ehemalige KGB-Spion in seinen politischen Reden gerne russische Intellektuelle, konservative Vordenker und anti-westliche Philosophen. Manche dieser Visionäre träumen von einem russischen Grossreich, andere gar von einem eurasischen Imperium. Wer sind diese Vordenker von Wladimir Putin?

Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen «Philosophie Magazine», aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Sternstunde Philosophie vom 27.02.2022


PutinsWelt – die Prophezeiung601 Aufrufe – Premiere am 09.03.2022 –

Als ich in dem Interview zu der Passage mit der Prophezeiung von Iwan Alexandrowitsch Iljin (1983 – 1954) kam, war mir klar, was Wladimir Wladimirowitsch Putin antreibt: Eine Prophezeiung, des Vordenkers des Konservatismus. Warum ist er für Putin so wichtig. Es enthält eine russische Prophezeiung, die Putin verkörpere.

 Wladimir Putin hat Iljin mehrmals bei sehr wichtigen Reden zitiert: Sein Werk enthält die Prophezeiung eines siegreichen antiwestlichen Russlands, allerdings um den Preis einer Konfrontation mit dem Rest der Welt. Putin ließ sich von ihm stark inspirieren. Er sagte noch 2021, dass Iwan Iljins Buch auf seinem Nachttisch liegt und er es oft konsultiere für einen Entwurf eines Russlands frei von westlicher Einflussnahme.


Iljin, Dugin, Putin 2.009 Aufrufe  Live übertragen am 04.04.2022 Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit – 

Mit seinem Angriff auf die Ukraine hat Putin sich bewusst gegen die Idee des modernen Europas gestellt. Auf welcher Gedankenwelt beruht der Sonderweg, den Russland unter Putin nun eingeschlagen hat, welche Kontinuität alter Ideen und welche Elemente der „Neuen Rechten“ lassen sich finden? Am häufigsten wird auf Iwan Iljin und Alexander Dugin verwiesen. Während Iljin als Begründer eines „christlichen Faschismus“ gilt und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche metaphysische und moralische Rechtfertigungen für den Totalitarismus publizierte, knüpft der Neurechte Dugin mit einer eurasischen Geopolitik an das imperiale und koloniale Selbstverständnis Russlands an. Doch auch diese Geopolitik ist mit esoterischen und okkulten Versatzstücken aufgeladen und wird als Gegensatz zum Westen, vor allem der USA, definiert. Prof. Dr. Rainer Goldt entwirrt und erklärt diese eklektizistischen Gedankenwelten im Gespräch mit Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard.


Der russische Faschist Alexander Dugin: Der Philosoph hinter Putin

Der Vordenker des Feldherrn. Alexander Dugin ist der ideologische Großmeister der russischen Neuen Rechten. Er findet seine Anhänger auch im Westen.

Porträt Dugins mit langem Bart

Propagandist der „eurasischen Idee“: Alexander Dugin 2014 in Helsinki Foto: Heikki Saukkomaa / Lehtikuva

Um Wladimir Putin ranken sich derzeit viele Fragen: Ist er am Ende nur ein durchgeknallter Monoman, dem es bloß noch um sein Bild in der Geschichte geht? Oder ein russischer Politiker, der andere angreift, weil er sich tatsächlich vor der Macht der Nato fürchtet? Oder vor allem ein völkischer Nationalist, wie nicht wenige ost- und mitteleuropäische Politiker? Wahrscheinlich könnte hier irgendwo die Wahrheit liegen.

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass Putin einer ausgeklügelten politischen Theorie – vielleicht sollte man besser von „Ideologie“ sprechen – folgt.

Nur dem geringsten Teil der hiesigen Öffentlichkeit dürfte der Name eines russischen Philosophen, der an der Moskauer Lomonossow-Universität lehrt, bekannt sein. Dieser 1962 geborene politische Philosoph war von 1994 bis 1998 Vorsitzender der dann verbotenen nationalbolschewistischen Partei Russlands, aber eben auch beziehungsweise gleichwohl ein Freund von Wladimir Putin.

Kein Zufall ist es, dass dieser Mann zu einem Vordenker der auch deutschen Neuen Rechten wurde: plädiert dieser Alexander Dugin doch für eine radikale Umkehr des politischen Denkens, für eine „Kehre“, weswegen er immer wieder auf den – auch hier von der Neuen Rechten hochgeschätzten – Philosophen Martin Heidegger verweist.

Tatsächlich publizierte Dugin 2011 auf Russisch das Buch „Heidegger: Die Möglichkeit der russischen Philosophie“. Über Dugin hat Heideggers Denken Eingang in die Ideologie der deutschen Identitären gefunden. Etwa bei Publizisten wie Jürgen Elsässer, der früher einmal Redakteur der linken Zeitschrift konkret war. Elsässer, seit 2010 Chefredakteur des rechtsextremen Monatsmagazins Compact, veröffentlichte bereits 2013 ein Interview mit Dugin. Auf die Frage Elsässers, warum er die sogenannte „Eurasische Idee“ propagiere, gab Dugin zu Protokoll:

„Weil es sich dabei um ein Konzept handelt, welches den Herausforderungen Russlands und der russischen Gesellschaft begegnet. Was sind die Alternativen? Es gibt den westlich-liberalen Kosmopolitismus, doch die russische Gesellschaft wird diese Idee niemals akzeptieren. Dann gibt es den Nationalismus, der sich für das multiethnische Russland ebenfalls nicht eignet. Auch der Sozialismus eignet sich nicht als tragendes Ideal für Russland, im Prinzip hat er auch in der Vergangenheit dort nie wirklich funktioniert. Die eurasische Idee ist daher ein realistisches und idealistisches Konzept. Es ist nicht nur irgendeine romantische Idee, es ist ein technisches, geopolitisches und strategisches Konzept, welches von all jenen Russen unterstützt wird, die verantwortungsbewusst denken.“

„Eurasische Idee“

Damit hat sich Dugin als ein herausragender Vertreter geopolitischen Denkens sowie als Vordenker eines „eurasischen“ – im Gegensatz zum „atlantischen“ – Kulturraums positioniert.

Dem entspricht die von ihm postulierte „Vierte politische Theorie“, die nach Liberalismus, Faschismus und Kommunismus am ehesten geeignet sei, das Überleben der Menschheit im Zeitalter der Globalisierung zu sichern. Dugins theoretische Gewährsleute sind neben Heidegger der französische Begründer der „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist, sowie der sehr viel weniger bekannte italienische Philosoph Julius Evola (1898–1974).

Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord der menschlichen Gattung

Der faschistische Theoretiker Evola vertrat – kurz gesagt – Folgendes:

Nur in Rangordnungen erweist sich die Rückbindung einer Gesellschaft an die Sphäre des Heiligen. Sowie: Die Entwicklung westlicher Gesellschaften zu mehr Freiheit und Gleichheit hat sich seit Sokrates und dem Christentum als Verfallsgeschichte des Heiligen, der Ehrfurcht und der Sitten erwiesen.

Gefordert sei eine „Revolte gegen die moderne Welt“, die auf dem Konzept der Rasse beruht – wobei aber „Rasse“ eine geistige, keine biologische Kategorie darstelle. Aus all dem folgt gleichwohl ein „geistiger“ Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie die Forderung nach der esoterischen Initiation einer neuen Aristokratie.

Bei alledem tritt Dugin mit seiner Übernahme der Gedanken Evolas nicht etwa für einen völkischen Ethnopluralismus ein, sondern für ein antiliberales, autoritäres sowie neoimperiales Großraumdenken, das seiner Überzeugung nach alleine die Menschheit noch retten könne.

So stellt er in seinem 2017 verfassten „Manifesto for a global revolutionary Alliance“ fest, dass die Phase des Kapitalismus an ihre natürliche Grenze gestoßen, die natürlichen Ressourcen erschöpft seien und dass der westlich-liberale, kosmopolitische Lebensstil sowie die Kälte des Internets zum Zerbrechen aller gesellschaftlichen Bindungen geführt haben – womit auch das herkömmliche Verständnis von Individualität und Individuen zerstört sei:

„Nie zuvor wurde der Individualismus so verherrlicht, während gleichzeitig die Menschen auf der ganzen Welt sich in ihrem Verhalten, ihren Gewohnheiten, ihrem Aussehen, ihren Techniken und ihrem Geschmack so ähnlich waren. Im Streben nach individualistischen ‚Menschenrechten‘ hat sich die Menschheit selbst verloren. Bald wird der Mensch durch das Posthumane ersetzt: ein mutierter, geklonter Android.“

Im Geiste Evolas

Zudem führten Globalisierung und „Global Governance“ zum Ende von Völkern und Nationen, zur angeblichen Zerstörung eines gehaltvollen Wissens zugunsten einer von den Medien erschaffenen „Realität“, sowie zum Ende eines jeden Fortschritts, der seinen Namen verdiene. Daher sei bei Weiterentwicklung der jetzigen Zustände nichts anderes als eine apokalyptische Katastrophe zu erwarten.

Alle Phänomene deuten nach Dugin auf das Ende eines langen historischen Zyklus, eines Zyklus, der im Geiste Evolas durch Aufstieg und Niedergang der westlichen Welt seit der Antike, spätestens seit der Renaissance gekennzeichnet sei. Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord der menschlichen Gattung.

Eine Rettung sei möglich, aber nur durch eine radikale Umkehr, eine grundlegende Neubesinnung auf andere Kategorien des Denkens, durch eine Besinnung, die schließlich zur Bildung politischer Formationen führe, die den Niedergang des Westens und der USA so beschleunigen könne, dass wenigstens deren Völker ihren Niedergang überleben würden: als raumgebundene Völker ohne wechselseitigen Führungsanspruch.

Was nicht zuletzt für den asiatischen Kontinent bedeutsam sei. Über all das hinaus ist Dugin der Theoretiker – oder man sollte besser sagen: der Ideologe – einer neuen imperialen Weltordnung, zumal mit Blick auf China. Gegen das seiner Auffassung nach „unipolare“ Weltsystem nach Ende der Sowjetunion wirbt er für ein multipolares Weltsystem mit mindestens vier Pfeilern: des (nordamerikanischen) Westens, Europas, Chinas und eben Eurasiens. Konsequent übernimmt er dazu das chinesische Konzept des „Tianxia“, das so viel wie eine planetarische Gemeinschaft unter dem Himmel, aber auch – in gegebenen Grenzen – unter chinesischer Vorherrschaft bezeichnet.

Russen und Chinesen

Dugins Konzept läuft darauf hinaus, den asiatischen Kontinent in zwei Einflusssphären – eine im weitesten Sinne russische und eine chinesische – aufzuteilen. Fragt man mit Blick auf Asien zudem, wie Dugin die indische Union beurteilt, so sticht hervor, dass er die indische Kultur als eine dem westlichen, liberalen Modell strikt entgegengesetzte Kultur und Zivilisation ansieht.

Gehe es doch Indien seit Gandhi um eine Modernisierung ohne Verwestlichung. Was das indes stark verwestlichte Japan betrifft, so votiert Dugin für engere Beziehungen zwischen Russland und Japan, mit dem möglichen Lockmittel, Japan die zu Russland gehörende nordostasiatische Inselgruppe der Kurilen zu überlassen.

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit, Wladimir Putin als einen Revolutionär im Geiste des rechtsextremen Dugin zu begreifen. Auf den letzten Seiten seines Buches „Eurasian Mission – An Introduction to Neo-Eurasianism“ antwortet Dugin 2014 auf die Frage nach seiner Haltung zu Wladimir Putin, dem er wegen zeitweiliger liberaler Anwandlungen durchaus kritisch gegenüber stand:

„Wenn er an die Macht zurückkehrt, wird er gezwungen sein, zu seiner früheren anti-westlichen Politik zurückzukehren, weil unsere Gesellschaft von Natur aus anti-westlich ist. Russland hat eine lange Tradition der Rebellion gegen ausländische Invasoren und der Hilfe für andere, die sich gegen Ungerechtigkeit wehren, und das russische Volk sieht die Welt durch diese Brille. Es wird sich nicht mit einem Herrscher zufrieden geben, der nicht im Einklang mit dieser Tradition regiert.“

Diese vor acht Jahren abgegebene Prognose hat sich mit Blick auf Putin und nun dem Krieg gegen die Ukraine bis zum heutigen Tage bewahrheitet.

Micha Brumlik

Schwerpunkt Krieg in der Ukraine – Kultur – Künste   Russland  Faschismus  Sowjetunion 

Ukraine –Wladimir Putin – Neue Rechte


Iwan Iljin – der russische Philosoph aus Zollikon, der die Politik des Kremls mitbestimmt | NZZ – 618 Aufrufe – 22.05.2018 –

Der russische Philosoph aus Zollikon, der die Politik des Kremls mitbestimmt | NZZ «Ich lebe nur für Russland», so fasste der konservative Religionsphilosoph Iwan Iljin (1883–1954) den Sinn seiner entbehrungsreichen und abenteuerlichen Biografie zusammen. Nach einem Studium der Rech…

Neue Aufrüstungsspirale – gegen 100 Milliarden für neue Waffen regt sich Widerstand

Sondersitzung des Bundestags am Sonntag, 27. Februar 2022

Regierungserklärung Bundeskanzler Olaf Scholz mit anschließender Aussprache.


Quelle: Stuttgarter Zeitung – 01.03.2022

Jessica Rosenthal Juso-Chefin warnt vor „schwarzen Loch“ bei Aufrüstung

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Doch selbst in der Regierungspartei SPD gibt es Zweifel an dem Vorhaben.

Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal will die Pläne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht unterstützen, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auszustatten. „Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst“, sagte Rosenthal der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag). „Es bringt nichts, weitere Milliarden Euro in einem schwarzen Loch zu versenken“. Sie glaube, dass Gelder für die Bundeswehr bisher ineffektiv eingesetzt wurden.

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Die 100 Milliarden Euro werden mit dem Bundeshaushalt 2022 bereitgestellt, hatte Scholz angekündigt. Regierungserklärung Bundeskanzler Scholz 27.2.22

Außerdem solle Deutschland künftig jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Scholz forderte alle Fraktionen des Bundestags auf, das Sondervermögen im Grundgesetz abzusichern. Rosenthal kündigte an, gegen die Regierungspläne stimmen zu wollen. Das Grundgesetz sei ihrer Ansicht nach nicht der Ort, an dem auf alle Zeiten Militärausgaben festgeschrieben werden sollten.

Derweil geht SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert davon aus, dass seine Fraktion den Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Aufrüstung der Bundeswehr geschlossen unterstützt. Er sei zwar selbst überzeugt, dass es zu viele Waffen auf der Welt gebe und in vielen Konflikten nicht alles auf diplomatischem Weg versucht werde, sagte Kühnert am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Aber ausgerechnet den Menschen im schwer umkämpften Charkiw zu sagen: „Bei euch fangen wir mit der Abrüstung an“, das sei falsch. Es gebe Situationen, in denen „die Logik des Militärischen“ als letzte Instanz genutzt werden müsse.


Quelle: der Freitag, 1.3.2022 – Sebastian Puschner 69

Der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit (gekürzte Fassung)

Ukraine Hunderttausende demonstrieren für den Frieden, während Olaf Scholz eine neue Aufrüstungsspirale in Gang setzt. Gegen die 100 Milliarden Euro für neue Waffen und mehr Soldaten regt sich Widerstand – gut so.

Für den Frieden machen sich am Sonntag in Berlin viele Menschen stark, eine halbe Million laut Angaben der Veranstalter, das wäre auf dem Niveau der bislang größten friedenspolitischen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg 2003; doch auch die „mindestens 100.000“, von denen andernorts die Rede ist, wären eindrucksvoller Ausdruck großer Sorge und Entschlossenheit.

Doch die Entschlossenheit nur wenige Meter weiter ist anderer Gestalt an diesem Sonntag: Während die Demonstrantinnen zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule den russischen Präsidenten Wladimir Putin wie seinen Überfall auf die Ukraine verdammen, laut Aufruf „für ein Europa der Abrüstung, der Entspannung und der Verständigung“ eintreten und sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine verwahren, kündigt nur wenige Meter weiter, im Deutschen Bundestag, Kanzler Olaf Scholz (SPD) neben Waffenlieferungen an die Ukraine 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an, 100 Milliarden Euro für „bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal“. Es ist der Startschuss für eine gewaltige Aufrüstung Deutschlands.

Das Wort „Sondervermögen“ schwingt dabei nur im Subtext mit. Als Sondervermögen des Bundes wollen Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und die Koalition die 100 Milliarden Euro aufnehmen, über ein Vehikel also, dessen Machart für die hiesige Finanzpolitik zuletzt immer bedeutender geworden ist: Schön außerhalb des Haushalts verbucht, verbürgt sich der Staat für eine immense Summe, ohne dass die Regierung von ihrer Rhetorik der Bewahrung der Schuldenbremse in eben diesem Haushalt abweichen muss und setzt sich dabei nur einer vermindert starken Kontrollfunktion des Parlaments aus.

Wenn sich der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit infolge des russischen Angriffskrieges eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages gelegt haben wird, welche Rolle wird dabei dann Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ vom 27. Februar 2022 gespielt haben? Sind Kreditermächtigungen für den auf Jahre und Jahrzehnte angelegten Bau von Kampfflugzeugen, den Kauf von bewaffneten Drohnen und die Rekrutierung heranwachsender Generationen als Soldatinnen und Soldaten eine Lösung für akute Kriegshandlungen? „Nicht noch mehr fürs Militär!“ – ist jene friedenspolitisch motivierte Postkarte in diesen Tagen wirklich nur noch ein Fall für den Altpapier-Container?

Mehr Kampfflugzeuge und Soldaten

Zweifel sind angebracht. Der Journalist Holger Stark hat darauf hingewiesen, dass Deutschlands Ausgaben für Militärisches schon in den vergangenen Jahren rapide gestiegen sind: „Die Erzählung, die Bundeswehr sei zu Tode gehungert worden, ist eine schöne Geschichte – aber schon seit Jahren falsch. In welchen Taschen sind all die Milliarden versickert? Welche Rüstungskonzerne haben davon profitiert?“

Und während am Sonntag bei der Friedensdemo Luisa Neubauer von Fridays for Future verantwortliche Politiker für die fossile Abhängigkeit Deutschlands von Russland geißelt, verkündet Olaf Scholz im Bundestag den schnellen Bau zweier Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven, verbunden mit ausdrücklichem Dank an den Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck für seine konstruktive Rolle bei der Entscheidung, sich nun in fossile Abhängigkeit von unter anderem den USA zu begeben.

„Wir brauchen dringend eine europäische Friedensordnung, in der Grenzen nicht gewaltsam verschoben werden und die Sicherheit von allen geachtet wird“, mit diesen Worten hatten der BUND, der NABU, Campact, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi, IPPNW, die Evangelische Kirche, das Netzwerk Friedenskooperative, Pax Christi und viele weitere Organisationen zur Demonstration am Sonntag aufgerufen. Doch für den Blick auf die jahrzehntelang von Russland empfundene Missachtung seiner Sicherheit durch die NATO bleibt im Moment der nackten Gewalt Wladimir Putins gegen die Ukraine kaum mehr Raum. Überflüssig wird dieser Blick aber nur werden, sollte es zu einer Niederlage Russlands kommen, zu einem Regime Change in Moskau, zum Scheitern Wladimir Putins. So sehr wir uns das wünschen, wahrscheinlich erscheint dies im Augenblick nicht.


Wettrüsten hilft der Ukraine nicht – Interview mit Gesine Lötzsch

(Bundestagsfraktion Die LINKE – Phoenix)

150 Aufrufe – 01.03.2022 – Gesine Lötzsch: „Die große Frage ist, ist die Ankurblung des Wettrüstens ein wirklicher Beitrag, der Ukraine zu helfen, oder wäre nicht unsere Aufgabe als Bundesrepublik Deutschland vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass es friedlich wird. Der Etat der Bundeswehr hat sich in den letzten 16 Jahren verdoppelt, er beträgt schon zehn Prozent des Bundeshaushaltes und da muss man sich doch mal die Frage stellen, wo ist das viele Geld geblieben? Warum konnten es sich die Rüstungskonzerne leisten, die Bundeswehr mit Material zu beliefern, was nicht funktioniert? Es kann jetzt nicht nur darum gehen, mehr Geld bereitzustellen, sondern man muss schauen, was ist mit dem Geld passiert, wer hat daran verdient und wer hat es verbraten.“