Ukraine-Krieg: Reaktionen der russischen Bevölkerung

Putins verlorene Generation: Junge Russen verlassen ihr Land | auslandsjournal

105.740 Aufrufe – 12.03.2022 – ZDFheute Nachrichten – 

Wer zurzeit in Russland von Invasion oder Krieg spricht, muss mit härtesten Strafen rechnen. Die Willkür unter Putin nimmt immer weiter zu. Immer mehr jungen Russen reicht es. Gegen Putin auf die Straße zu gehen, kann als Straftat gelten. Slawo, Artiom und Alex tun es trotzdem: „Ich schäme mich für das, was in meinem Land passiert, in dem Land, das ich liebe, und ich schäme mich dafür, dass nun Ukrainer in Bomben-Bunkern Schutz suchen müssen“, so Alex, der wie die anderen beiden nach Georgien geflohen ist. Artiom hat nur noch das, was er am Leib trägt, er floh, weil vor seinem Haus Polizei wartete. Einschüchtern lassen will er sich nicht: „Wir reden nicht mehr über ein freies Russland. Es ist eine voll entwickelte Diktatur. Militär Zensur ist eingeführt, du darfst den Krieg nicht mehr ‚Krieg‘ nennen. Du darfst nicht mehr gegen diese Regierung sein.“ Auf seiner Website und auf Telegram zeigt er rund 50.000 Followern Unbequemes: Russische Bürger*innen, die abgeführt werden, weil sie für den Frieden demonstrieren, oder die grundlos geschlagen werden.


Ukrainer und Russen in Deutschland: Seite an Seite gegen den Krieg

31.445 Aufrufe – 13.03.2022 –ZDFheute Nachrichten – 

Im Verbündungshaus fforst in Frankfurt (Oder), einem Wohnprojekt mit internationalen Studierenden, gibt es das, wovon die ganze Welt derzeit träumt: ein friedliches Miteinander von Russen und Ukrainern. Das fforst-Projekt lebt von den Ideen seiner Bewohner und Besucher. In diesen Tagen dreht sich alles um die Hilfe für die Ukraine. Rita aus St. Petersburg hat Spenden gesammelt, um sie in die Ukraine zu schicken. „Es tut mir so leid, es tut mir so leid“, sagt Rita immer wieder und meint damit Putins Krieg. Rita studiert in Frankfurt/Oder – ihre Familie aber lebt in Russland.

„Es fehlen mir die Worte, das kann man nicht beschreiben – das ist so unmenschlich, was da passiert“. Für Wowa und Katja aus der Ukraine ist die Spendenaktion Hilfe und Ablenkung von den unfassbaren Ereignissen in ihrer Heimat. „Bis zum letzten Moment habe ich gedacht, dass es nicht zu einem Krieg kommt, weil wir waren immer Brüder und Schwestern. Russland und Ukraine hält immer zusammen und ich dachte es kommt zu keinem Krieg“, sagt Katja. Und Wowa denkt darüber nach, selbst in die Ukraine zu gehen , um dort zu kämpfen. Die Jungen Leute hoffen, dass sich die Protest gegen den Krieg in Russland ausweiten. Doch nicht alle wollen dort etwas davon wissen. Sasha aus dem russischen Kasan etwa erzählt von Telefonaten mit ihrer Mutter: „Sie hat ihr normales Leben gelebt, ohne irgendwie Hintergedanken zu haben, was jetzt überhaupt passiert. Ich will das nicht rechtfertigen, weil es genug Medien gibt, über die man sich informieren kann. Aber das Ding ist, die Menschen versuchen, das absichtlich auszublenden.“

Schon 2014 hat sie wegen der Annexion der Krim mit ihrem Vater gebrochen – sie wollte unbedingt in die Ukraine zu einem studentischen Austauschprojekt: „Er hat versucht, auf mich Druck auszuüben, ich bin dahin gefahren, obwohl er das nicht wollte. Seitdem haben wir keinen Kontakt mehr.“ Ortswechsel nach Potsdam, in die die Alexandrowka, einer Siedlung aus Blockhäusern im russischen Stil, die vor vor 200 Jahren errichtet wurde. In einem russischen Restaurant arbeiten Russen und Ukrainer ganz selbstverständlich weiter friedlich zusammen. „Wir sind Freunde und Arbeitskollegen – wir haben nie Schwierigkeiten gehabt, nie!“ sagt Sergej Jentiakow, Mitarbeiter des Restaurants. Natürlich schäme er sich für den Krieg.

Sergej berichtet von pauschalen Vorwürfen: „Ich habe Bekannte, die mir leichte Vorwürfe machen, dass ich Russe bin – aber ich habe damit nichts zu tun. Ich lebe seit 30 Jahren in Deutschland.“ In dem Restaurant hoffen sie nun, dass nicht mehr länger alle Russen unter Generalverdacht gestellt werden – Sergej jedenfalls hat entschieden, sich auch in der Öffentlichkeit klar zur Solidarität mit der Ukraine zu bekennen.


#auslandsjournal #Russland #Ukraine – 

Widerstand in Russland gegen Putins Krieg gegen die Ukraine I auslandsjournal

100.477 Aufrufe – 03.03.2022 – ZDFheute Nachrichten – 

Anna protestiert zum ersten Mal in ihrem Leben – und das gegen den Krieg des Präsidenten. Offen auf der Straße riskiert sie damit harte Strafen. Die 18-Jährige träumt von einem Linguistik-Studium, wollte mit den Eltern in die USA auswandern.

Vor zwei Jahren haben sie eine Greencard gewonnen. Dann kam Corona, nun der Krieg. Ihre Eltern haben sie liberal erzogen, ihre Bisexualität kein Problem. Zuhause gibt es eine Regel: Kein Fernsehen, denn das sei alles Propaganda: „Ich liebe mein Land, die Menschen, die Kultur, aber ich verabscheue die Regierung. Was mich so sauer macht, ist, dass sie erzählen, es gäbe keinen Krieg, nur eine Militäroperation. Aber was soll der Unterschied sein?“

Annas Vater ist stolz auf seine Tochter, aber er hat auch Angst vor den Repressionen. Sein eigener Protest ist daher verdeckter: Er klebt nachts Plakate: „Dass Putin ein Bösewicht ist, ist uns schon lange klar. Doch das nun liegt außerhalb von Gut und Böse. In Putin ist der Teufel zum Vorschein gekommen und in Russland zum Präsidenten geworden.“ Anders sieht das der Leiter des russischen Schriftstellerverbandes, Nikolai Iwanow. Er übernimmt die Kreml-Propaganda und nennt den russischen Angriff gegen die Ukraine eine „Sonderoperation“. Von Krieg könne dort keine Rede sein. Und Denis Ganitsch von der „Nationalen Freiheitsbewegung“ stützt das Narrativ der „Denazifizierung“ der Ukraine. Die Bevölkerung werde von der russischen Armee „befreit“.


#Russland #Putin #Zensur

Krieg in der Ukraine: Weltweite Anerkennung für russische Journalistin | DW Nachrichten

2.140 Aufrufe – 15.03.2022 DW Deutsch – 

Sie wurde in wenigen Minuten zum Medienstar: Marina Owsjannikowa, 42 Jahre alt, Redakteurin beim staatlichen russischen Fernsehsender „Erster Kanal“. Am Montagabend sprengte sie die Nachrichtensendung zur Prime Time, als sie sich vor laufender Kamera hinter die prominente russische Moderatorin Ekaterina Andrejewa stellte und ein handgeschriebenen Plakat hochhielt auf dem auf Englisch und Russisch stand: „No War. Stoppt den Krieg. Glaubt nicht an Propaganda. Sie werden hier betrogen. Russen gegen den Krieg“. Der Auftritt einer bisher kaum bekannten Journalistin dauerte wenige Sekunden und löste vor allem im Westen ein mediales Erdbeben aus. Ausschnitte der Sendung wurden auf diversen YouTube-Kanälen innerhalb weniger Stunden hunderttausende Male aufgerufen.

Auch Nachrichtensendungen haben mit diesem Thema aufgemacht. Der Hintergrund: Es war das erste Mal – nicht nur seit dem offenen Überfall Russlands auf die Ukraine, sondern seit Jahrzehnten – dass in streng staatlich kontrollierten russischen Medien ein Protest gegen den Kreml auf diese Weise sichtbar gemacht wurde. Viele haben das bis dahin für unmöglich gehalten. Owsjannikowa soll noch am Montagabend festgenommen worden sein, am Dienstag musste sich sich dann wegen der „Organisation einer nicht erlaubten öffentlichen Aktion“ vor Gericht verantworten.

Ein Gericht im Moskau hat sie am Dienstagabend zu einer Geldstrafe in Höhe von umgerechnet 230 Euro verurteilt und vorerst auf freien Fuß gesetzt. Sie wurde zunächst nicht nach dem neuen russischen Mediengesetz angeklagt, das bis zu 15 Jahre Haft für die Verbreitung von „Falschnachrichten“ über das Militär vorsieht. Ihr Anwalt Daniil Berman hatte eine Anklage auf Grundlage des neuen Mediengesetzes befürchtet, wie er der Nachrichtenagentur AFP sagte. „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die Behörden daran ein Exempel statuieren, um andere Protestierende zum Schweigen zu bringen.“ Er beklagte zudem, dass er zu seiner Mandantin keinen Zugang habe und nicht wisse, wo genau sie festgehalten wurde.

Ukraine-Krieg: Wirtschaftliche Sanktionen

Sanktionen gegen russische Oligarchen

Londongrad: Großbritanniens Jagd auf reiche Russen I auslandsjournal

. 142.436 Aufrufe –  12.03.2022 ZDFheute Nachrichten – 

Jahrelang haben russische Oligarchen in London ihr Geld geparkt. Mit den Sanktionen gegen Russland wird das jetzt schwerer. „Londongrad“ gerät ins Fadenkreuz britischer Ermittler.


Sanktionen gegen Russlands Oligarchen | DW Nachrichten

29.146 Aufrufe – 08.03.2022 –DW Deutsch – 

Die Sanktionen des Westens sollen auch die Oligarchen treffen. Die Machtmenschen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Milliarden angehäuft haben – und von denen viele als Unterstützer Putins gelten. Nun heißt es für sie: Keine Luxustrips mehr an die Côte d’Azur oder in die Alpen: Die EU, Großbritannien und sogar die sonst so neutrale Schweiz haben Einreiseverbote für Kreml-treue Oligarchen verhängt und Vermögenswerte eingefroren. Auch die USA gehen ähnliche Schritte.


Sanktionen gegen Russland: Ex-Oligarch Michail Chodorkowski fordert mehr Härte | WDR Aktuelle Stunde

80.093 Aufrufe – 05.03.2022 – WDR aktuell – 

Michail Chodorkowski war einer der Putin-treuen Tycoons. Zeitweise war er der reichste Mann Russlands. Dann legte er sich mit dem russischen Präsidenten Putin an und ging dafür sogar ins Gefängnis. Mittlerweile gibt es eine transatlantische Task Force, die daran arbeitet, Vermögenswerte wie Immobilien, Privatjets oder Yachten der russischen Oligarchen einzufrieren. Deutschland beteiligt sich an der Arbeitsgruppe, steht aber noch ganz am Anfang. In Hamburg wurde die Super-Yacht eines Oligarchen festgesetzt. Ob sie aber tatsächlich beschlagnahmt werden kann, ist bisher noch nicht klar.

Chodorkowski kritisiert, dass die Sanktionen des Westens Russland nicht hart genug träfen. Man müsse das komplette Vermögen der Oligarchen einfrieren: „Den Krieg kann man nicht mit Beschlagnahmungen stoppen, sondern nur mit der totalen finanziellen Blockade. Bis der Krieg vorbei ist, müssen alle russischen Zahlungen gestoppt werden. Jegliche Geldbewegungen. Zu 100 Prozent.“

 

„Querdenker“ unterstützen Putin

Quelle: taz, 13.3.2022 – Autor: Christian Jakob

„Querdenker“ unterstützen Putin: Das reaktionäre „Bauchgefühl“

Erst machten sie Stimmung gegen eine angebliche „Coronadiktatur“, nun folgen sie Wladimir Putins Kriegsgeheul. Wie Rechte um ihr Publikum buhlen.

Als der Kreml-Propagandasender RT Deutsch wegen des Angriffs auf die Ukraine hierzulande verboten wurde, bekam er Asyl: Der Arzt Bodo Schiffmann, eine der bekanntesten Figuren der deutschen Coronaproteste, speiste den Sender auf seinem Telegram-Kanal ein. Dort kommentierte der Ober-„Querdenker“ den Angriff auf die Ukraine so: „Putin hat 1.000 Angebote gemacht und nur darum gebeten, dass man Verträge einhält.“

Für die Gegner der Coronapolitik war früh klar, wo sie im Ukraine-Konflikt zu stehen haben: an der Seite Russlands. Der Querfront-Publizist Jürgen Elsässer, der mit seinem extrem rechten Compact-Magazin zuletzt vor allem im Kampf gegen die angebliche „Coronadiktatur“ aktiv war, hegt viel Sympathie für den Kreml. Der bekämpfe nämlich den „Neo-Kommunismus“ Brüssels – eine „EUdSSR“ mit „ökosozialistischer Planwirtschaft, politischer Korrektheit, Zerstörung der traditionellen Werte von Christentum und Familie“, so Elsässer.

Der Compact-Macher erklärte es gar zum „Skandal“, dass einige AfD-Bundestagsabgeordnete sich kürzlich bei der Rede des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk – für Elsässer ein „Kriegshetzer“ – im Bundestag zum Applaus erhoben hatten. Am selben Tag trat er mit dem Berliner AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann bei einer Veranstaltung in Hönow bei Berlin auf. In dieser Woche erscheint sein Magazin in Form einer Spezialausgabe unter dem Titel „Feindbild Russland“, mit dem Versprechen, die „Hintergründe der aktuellen Stimmungsmache“ gegen Moskau aufzudecken.

Maulige Männer machen „Mimimi“

Ähnlich sieht man die Dinge bei den „Freien Thüringern“, einer extrem rechten Gruppe, die sich bisher ebenfalls mit Coronaprotesten bemerkbar gemacht hat: „Wenn Putin durchmarschiert, fällt das Gendern weg, sind Männer Männer und keine Frauen, wird Strom und Sprit billiger, wird die Islamisierung beendet, wird linksgrün eingesperrt,“ lässt die Gruppe auf Telegram verlauten.

Ihre Freunde, die „Freien Sachsen“, sehen nun strategische Vorteile für sich. Vor einem Jahr war jene aus dem Umfeld der NPD hervorgegangene Gruppe noch so gut wie unbekannt, mittlerweile folgen ihr rund 150.000 Menschen bei Telegram. In mehr als 200 Orten bringt sie wöchentlich „Corona-Spaziergänge“ auf die Straße. Doch zuletzt stagnierten sowohl die „Spaziergänger“- als auch die Follower-Zahlen. Ein neues Thema musste her: „Wir sollten auf den Spaziergängen Amerika- und Nato-Flaggen verbrennen“, regte ein Follower der „Freien Sachsen“ auf deren Telegram-Kanal an.

Der Angriff auf die Ukraine bietet dem „Querdenker“- und dem extrem rechten Milieu ein strategisches Feld, die eigene Basis auszuweiten. „Reaktionäre und rechtsextreme Bewegungen im gesamten Westen stellen sich auf die Seite Putins“, schreibt etwa der Historiker Thomas Zimmer – denn: „Sie sehen in ihm die Art von autoritärem starkem Mann, der das Blatt gegen die Kräfte des woken Pluralismus wenden kann.“

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Das gilt auch für die AfD. So übernahm der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Jörg Dornau eine von Putins Formulierungen auf Facebook: „Die Ukraine wird entnazifiziert!“ schrieb Dornau. Auf dem Telegram-Profil von Marco Grabe, dem Referenten für „Grundsatz und Programmatik“ von AfD-Chef Tino Chrupalla, prangte das „Z“, Russlands Symbol für den angestrebten Sieg gegen die Ukraine. Derweil rief die AfD im brandenburgischen Finsterwalde für Freitag zu einer Demonstration „gegen Impfpflicht und Kriegsgefahr“ auf.

Doch es sind nicht nur extrem Rechte, die sich nun mit Putin gegen den Westen stellen. Schon im vergangenen November hatte sich angedeutet, dass Teile der Friedensbewegung die staatliche Coronapolitik als eine Form der Kriegsvorbereitung deuten. „Immer offensichtlicher wird das Treiben derer, die das Leben auf unserem Planeten gefährden“, stand unlängst etwa im „Neuen Krefelder Appell“, einer Neuauflage des Aufrufs gegen atomares Wettrüsten aus dem Jahr 1980. Die Rede war von „gegen Russland und China gerichteten Manövern“, die „immer aggressiver“ würden.

Dabei ist die Verbindung zur Pandemie für die Ver­fas­se­r*in­nen klar: „Die Machthaber dieser Welt führen Kriege auch an neuen, andersartigen Fronten. Unter dem Deckmantel der Pandemiebekämpfung wird das Leben von Milliarden Menschen gefährdet.“ Dahinter stehe die „Strategie des ‚Great Reset‘ des Forums der Superreichen“, mit dem der Kapitalismus „über einen gezielten Zusammenbruch und einen  ,Neustart‘ auf eine noch perversere Stufe gehoben werden“ solle. Zu den Unterzeichnern des Pamphlets zählen der „Querdenken“-Gründer Michael Ballweg, Friedenspastor Eugen ­Drewermann und Albrecht Müller vom Politblog „Nachdenkseiten“.

Mit derlei geistiger Vorarbeit ist klar, wie Putins Angriffskrieg nun gesehen wird: als vom Westen provozierte Fortsetzung der Pandemiepolitik. Mit einer gedanklich so zugerichteten Basis lassen sich die Coronaproteste bruchlos als „Antikriegsproteste“ weiterführen.

Österreich ist irgendwie „deutsch“ – oder?

Und genau das geschieht – und längst auch schon transnational. Der rechtsextreme Schweizer Ignaz Bearth und der eidgenössische Verschwörungstheoretiker Roger Bittel laden regelmäßig das Who’s who der deutschen Coronaproteste in ihre Video-Streams ein. Der Österreicher Alexander Ehrlich hat hierzulande Corona-Bus-Sternfahrten organisiert. Bei den Coronademos in Wien („An uns bricht Eure Nadel“) sind immer wieder deutsche Szenegrößen wie der Ex-AfDler und Onkologe Heinrich Fiechtner oder der Mikrobiologe Sucharit Bhakdi als Redner dabei. Das „Impffrei“-Netzwerk wirbt mit länder­übergreifender Vernetzung, auf Telegram gibt es Gruppen wie „Widerstand AT DE CH“, dort werden auch grenzübergreifende Demokalender geteilt.

Von der „Plandemie“ zum angeblich „gerechten“ Krieg Putins gegen einen vermeintlich wortbrüchigen Westen bis hin zum „Great Reset“: Das ist die Weltsicht, die dem in Coronazeiten schnell angewachsenen und stets empörungsbereiten Publikum nun angeboten wird. Beide Krisen – Pandemie wie Krieg – werden dabei als elitäre Verschwörungen erzählt. Coronaskeptiker und -leugner wie Russland-Versteher fühlen sich wohl, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie im Besitz der einzig „wahren“ Wahrheit sind. Sie eint das Gefühl, nah an Informationen dran zu sein, die sogenannte Mainstream-Medien angeblich verschweigen.

„Jede Wette: Die Enteignung beginnt bei russischen Millionären und am Ende werden alle Bürger enteignet. Das ist der Plan. Great Reset“, verbreitete auf Telegram etwa der österreichische Internetsender Auf1.TV, der mehr als 195.000 Follower zählt. Ähnlich klingt es auf Telegram bei der rechtsextremen Zeitschrift Info-direkt. Der Ukrainekonflikt werde angeheizt von „den geostrategischen und ökonomischen Interessen der USA und Lifestyle-Linken, die das wertkonservative Russland hassen“.

Das Portal Report24 titelte kürzlich: „Grüne Baerbock drohte Russland und China mit Atomwaffen.“ Als Beleg diente ein Interview, das Baerbock Anfang Dezember der taz gegeben hatte. Mit Atomwaffen droht sie darin keineswegs. Bei dem Bild, das Report24 von Baerbock veröffentlichte, sind im Hintergrund der aus Ungarn stammende jüdische US-Milliardär George Soros sowie Klaus Schwab, Chef des Davoser World Economic Forum, zu sehen. Beide sind in der rechtsextremen Szene als oberste „Globalisten“ verhasst. Der kaum verhohlene Subtext des Bildes: Beide Männer beeinflussen angeblich Baerbocks Politik – stehen also hinter der vermeintlichen Aggression des Westens gegen Russland. Der mitgelieferte misogyne Kommentar, dass Baerbock aussehe und spreche „wie eine unbedarfte Hausfrau von fraglichem Bildungsweg“, sollte diesen Eindruck wohl noch unterstreichen.

Seit dem Verbot des deutschen Ablegers von Russia Today, RT Deutsch, übernehmen extrem rechte Plattformen wie Wochenblick, Report 24 und Auf1.TV verstärkt dessen Botschaften. In jenem Umfeld fühlen sich auch reichweitenstarke Videoblogger wie der ehemalige Jörg-Haider-Anhänger Gerald Grosz wohl, ein Dampfplauderer, der schnell von Corona-Verharmloser auf Putin-Versteher umgeschaltet hat. „Sie flüchten vor Panzerrohren und rennen direkt in Lauterbachs Spritzenbrigade“, twitterte Grosz.

Was in solchen zunächst klein wirkenden Verschwörungsclustern an rechtsextremer Propaganda erzeugt wird, strahlt bereits weit aus. Das ist das hochgesteckte Ziel dieser Propagandazellen: den gesamten deutschen Sprachraum zu beeinflussen. Nicht zuletzt deshalb berichten österreichische FPÖ-nahe Medien wie der Wochenblick so häufig über deutsche Politik.

Zahlreiche AfD-Fanseiten auf Facebook und vor allem Instagram helfen eifrig, die rechtsextremen Fake News aus Österreich weit zu streuen. 52 Prozent seiner Aufrufe verzeichnet der österreichische Websender Auf1.TV mittlerweile aus Deutschland, beim Wochenblick soll der deutsche Publikumsanteil bei rund 61 Prozent liegen, bei Report24 zuletzt bei 44 Prozent.

Auf1.TV-Chef Stefan Magnet träumt von einem Büro in Berlin. Er hält sich, eigenen Angaben zufolge, an eine „ABC-Strategie“: A steht für „Aufgeklärte“ und „Aktive“, also für all jene, die laut Magnet „bereit sind, aktiv Widerstand zu leisten“. Das B bezieht sich auf „Bequeme“, die sich passiv mit Informationen berieseln lassen und die man sehr leicht über das „Bauchgefühl“ abholen könne. C wie „Coronajünger“ hingegen könne man ignorieren, die seien unerreichbar. Magnet fantasiert bereits von einem Potenzial von „30 bis 40 Millionen“ als neuem Publikum.

Mitarbeit: Nina Horaczek, Redaktion „Falter“, Wien

Diskussion: Importstopp/-reduktion von Gas und Öl aus Russland

Quelle: correctiv  Annika Joeres , Gesa Steeger, Klimawandel, 11. März 2022

Ohne Gas und Öl aus Russland: Wie Deutschland Energie sparen kann (Auszüge)

Auch mehr als zwei Wochen nach der russischen Invasion in der Ukraine zahlt Deutschland täglich hunderte Millionen Euro für Gas und Öl aus Russland. Die Bundesregierung hält weiterhin an den Importen fest. Aber diese Linie ist unter den Abgeordneten der Fraktionen im Bundestag umstritten: Einige Abgeordnete würden die Importe lieber sofort stoppen. Und im Gegenzug die Industrie und Bürgerinnen und Bürger um vorübergehenden Verzicht bitten. Nur das kurzfristig mögliche Einsparen von Energie kann die Abhängigkeit von russischen Importen unmittelbar senken. Denn alle diskutierten Alternativen, etwa das klimaschädliche Flüssiggas aus den USA zu importieren oder Solar- und Windkraftanlagen auszubauen, liefern frühestens im kommenden Jahr nennenswert zusätzliche Energie.

Forschende sind sich zunehmend einig, dass daher als Erstes über einen sinkenden Verbrauch von Energie gesprochen werden muss – und zugleich über alternative Angebote.

Noch hat das Bundeswirtschaftsministerium nach Informationen von CORRECTIV keine eigenen Studien dazu beauftragt, wieviel Gas und Öl etwa durch kühlere Wohnungen, Tempolimits oder Einschränkung des Flugverkehrs eingespart werden könnten. Alle Aufmerksamkeit richtet sich darauf, den bestehenden Verbrauch im Fall eines Embargos aus anderen Quellen zu bestreiten.

Wohnungen auf 19 Grad zu heizen, könnte 20 Prozent Energie einsparen

Aber was bedeutet es konkret für Bürgerinnen und Bürger, ohne russische Energie auszukommen? Die größte Herausforderung wäre das fehlende Gas, mit dem bislang in rund der Hälfte aller Haushalte geheizt und gekocht wird. „Die Räume um ein Grad weniger zu heizen, bedeutet sechs bis sieben Prozent weniger Gas zu verbrauchen“, sagt Bruno Burger, Energiespezialist beim Fraunhofer-Institut für Solarenergie. „Bei drei Grad sparen wir also 20 Prozent ein, das ist enorm.“ Der Internationalen Energieagentur IEA zufolge liegt die durchschnittliche Temperatur in europäischen Gebäuden bei mehr als 22 Grad Celsius. Zwischen drei und vier Grad Wärme in der Wohnung zu verlieren, hieße für viele bei 18 oder 19 Grad zu leben und zu arbeiten – eine gesunde Temperatur.

Bisher aber steht im deutschen Mietrecht, dass in Wohnungen eine Mindest-Raumtemperatur von 20 bis 22 Grad Celsius herrschen sollte. Dies ließe sich gesetzlich ändern. Ebenso wie eine Höchsttemperatur von Heizungsanlagen in Einfamilienhäusern. Schon vor der Krise haben Expertinnen und Experten vorgeschlagen, Bürgerinnen und Bürger dafür zu belohnen, Energie einzusparen – etwa bei sinkendem Verbrauch weniger für eine Kilowattstunde zahlen zu müssen.

Der Energiespezialist Burger vom Fraunhofer-Institut glaubt, die Menschen seien bereit, auf Komfort zu verzichten. … Zumal auch hier verschiedene Optionen diskutiert werden, Geringverdiener bei knappem Angebot und damit höheren Preisen zu entlasten. Darunter fallen progressive Energietarife, bei denen jeder Haushalt pro Person einen angemessenen Grundbedarf günstig erhält und alles, was darüber hinausgeht, teuer bezahlen muss.

„Ein Fehler, in der Industrie nicht über Einsparungen zu sprechen“

Auch darüber, wie das Gas für die Industrie zu ersetzen ist, spricht kaum jemand.  …Während fossiles Gas im Stromsektor laut aktuellem Entwurf des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes ab 2035 kaum noch eine Rolle spielen soll, gibt es keinen verbindlichen Fahrplan für einen Ausstieg aus dem Gas in der Industrie.

Unternehmen nutzen Gas, um Stoffe zu erwärmen, etwa in der Nahrungsmittel-, Glas-, Keramik- und Metallindustrie. Nach Angaben des Deutschen Energie- und Wasserwirtschaftsverbandes DEW wird Gas benötigt, um zum Beispiel Öfen in Großbäckereien zu erhitzen oder auch um Papier herzustellen. Der Ludwigshafener Chemiegigant BASF etwa stellt mit Gas Ammoniak für Düngemittel her. Diese Produktion ist insgesamt energieintensiv und verursacht viele Treibhausgase, der Dünger selbst auf den Feldern verunreinigt das Trinkwasser, muss langfristig also ohnehin deutlich weniger genutzt werden. Auch hier könnte schnell nach Alternativen gesucht werden. …

Constantin Zerger, Gas-Experte der deutschen Umwelthilfe plädiert für einen Kompromiss: Die Gaspipeline Nordstream 1 durch die Ostsee sollte abgeschaltet werden, dafür aber Gas durch die Erdleitungen, die auch durch die Ukraine führen, importiert werden.  … Zerger schlägt darüber hinaus vor, die Zahlungen für das Gas zunächst auf ein Sperrkonto zu überweisen: „Ansonsten finanziert die Industrie den Krieg in Ukraine weiter mit. Die Gelder dürfen erst freigegeben werden, wenn sich Russland aus der Ukraine zurückzieht.“ Langfristig erwartet Zerger eine Antwort der Bundesregierung darauf, wann das Gas in der Industrie auslaufen soll. „Da fehlt noch ein konkretes Ausstiegsdatum.“

Einige Forschende gehen inzwischen ohnehin davon aus, dass die Industrie ihre Produktion kurzfristig drosseln wird, weil die aktuellen Gaspreise ihre Erzeugnisse zu stark verteuern. Auch das könnte den industriellen Gesamtbedarf an Wärmeversorgung sinken lassen, schreibt die Leopoldina-Akademie.

Geringerer Ölverbrauch durch weniger Flüge

Neben dem Gas kommen auch mehr als ein Drittel der deutschen Ölimporte aus Russland. Davon wiederum werden 70 Prozent im Verkehr für Autos, Schifffahrt und den Flugverkehr genutzt. Das Öl brachte Russland im vergangenen Jahr 55 Milliarden Euro ein. Wie lässt sich diese Abhängigkeit in kürzester Zeit reduzieren?

Über Spritsparen beim Auto wurde schon einiges geschrieben: Ein Tempolimit von 100 Kilometer pro Stunde etwa könnte 3,7 Milliarden Liter Benzin pro Jahr einsparen, sagt die Deutsche Umwelthilfe. Das entspricht etwa 10 Prozent des Gesamtverbrauchs. Auch autofreie Sonntage wären wie schon in der Ölkrise 1973 ein Mittel, um unabhängiger vom russischen Öl zu werden.

Noch nicht diskutiert wird, wie der Flugverkehr eingeschränkt werden kann. Eine in der Klimapolitik schon lange diskutierte Maßnahme ist beispielsweise das Verbot von Kurzstreckenflügen, die mit Bahnfahrten ersetzt werden könnten.

Nach einer aktuellen Berechnung der Umweltorganisation Greenpeace fliegt jedes vierte Flugzeug mit russischem Öl. Das ist in diesen Kriegszeiten ein Problem, aber auch für die Klimaziele: Nirgendwo sonst im Verkehr steigen die Emissionen so rasant wie im Flugverkehr. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen, die meist von Geschäftsreisenden genutzt werden, sind noch nicht in der Diskussion. Obwohl die Bevölkerung dahinter stünde: Mehr als 60 Prozent befürworten laut einer Umfrage dieses politische Verbot.

Auf lange Sicht helfen erneuerbare Energien

Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher Energie sparen, muss weniger fossile Energie erzeugt und importiert werden. Um den weiterhin bestehenden Bedarf klimafreundlich und unabhängig zu stillen, müssen allerdings auch so schnell wie möglich die erneuerbaren Energien ausgebaut werden.

Offiziell wollen sowohl Deutschland als auch die Europäische Union bis 2030 unabhängig von russischen Kraftstoffen werden. …Bisher wurde der massive Ausbau von erneuerbaren Energien vor allem von CDU- und FDP geführten Ländern systematisch ausgebremst. Ein Beispiel: In Bayern dauert es fünf bis zehn Jahre, um ein Windrad zu bauen, weil die Genehmigung so langwierig ist. „Die Alternativen zu importiertem Gas und Öl wurden lange Zeit politisch gebremst“, sagt auch Claudia Kemfert, Umweltökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und langjährige Verfechterin einer Energiewende. „Wir können uns bis 2030 zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen. Wenn wir zugleich noch Energie einsparen, geht es auch einige Jahre früher.“

Pro Tag müssten sieben Windanlagen geschaffen werden, auch alle Dächer sollten künftig Solarpaneele tragen, sagt Kemfert. Der schnelle und massive Ausbau scheitere aber an langen Planungsverfahren und mangelnden Fachkräften. Für die Expertin ist dies der „Flaschenhals“, der in den vergangenen Jahren alles verzögert hat. „Beides kann mit politischem Willen und damit verbunden mehr öffentlichen Investitionen überwunden werden.“ Etwa mit einer schnellen Task-Force, die den Behörden in den Ländern und Kommunen helfe, passende Flächen für Windräder und Solaranlagen auszuweisen.

„Wenn wir alles elektrifizieren – den Verkehr, die Industrie, die Heizung in Häusern durch Wärmepumpen – halbiert sich automatisch der Primärenergiebedarf. Das ist in weniger als zehn Jahren zu stemmen“, sagt Kemfert.

Erneuerbare Energien: Kompletter Umstieg in 10 oder 20 Jahren?

Daran wiederum arbeitet das Wirtschafts- und Klimaministerium. „Jedes Windrad, jede Solaranlage machen Deutschland und Europa unabhängiger von Autokraten wie Putin“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete Lukas Benner. Die Regierung wolle den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien bis zum Jahr 2035. Der Jurist Benner arbeitet im Rechtsausschuss des Bundestages daran, das Planungs- und Genehmigungsrecht für erneuerbare Energien zu vereinfachen. „Wir wollen die Verfahren zeitlich straffen, stärker digitalisieren und behördliche Bewertungsmethoden vereinheitlichen.“ Etwa, indem künftig bundeseinheitliche Kriterien für die artenschutzrechtliche Prüfung festgelegt und Genehmigungen von Wind- und Solaranlagen abgefragt würden. Auch die Akzeptanz von Windrädern soll gesteigert werden. „Wir wollen die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig und effektiv am Verfahren beteiligen und finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten der lokalen Bevölkerung stärken“, sagt Benner.

Aber ausgerechnet der Bundesverband Solarwirtschaft sieht den Zeitplan skeptisch. „Deutschland kann sich erst im Laufe der kommenden 20 Jahre unabhängig von fossilen Energieimporten machen“, sagt Carsten Körnig, Hauptgeschäftsführer des Verbandes. Zwar sei es möglich, durch einen schnellen Ausbau von Photovoltaikanlagen und Solarthermie unabhängiger von russischen Importen zu werden. Kompensieren ließen sich die Importe jedoch nicht. „Auch nicht im Mix mit anderen erneuerbaren Energien.“

Kurz- bis mittelfristig müssten für eine Übergangszeit andere Länder fossile Kraftstoffe nach Deutschland liefern, prognostiziert Körnig. Dies könne eine Alternative zu dem Hochfahren inländischer Atom- und Kohlekraftwerke sein, „wovon wir dringend abraten.“

Solarausbau: Fachkräfte sind ausgebucht und es fehlt an Material

Wie schwierig es im Alltag ist, fossile Brennstoffe kurzfristig zu ersetzen, zeigt ein Blick nach Baden-Württemberg. Das Bundesland hat sich vorgenommen, bis 2040 klimaneutral zu werden. Ralf Bültge-Bohla ist Klimamanager und Teil der Task-Force Klima und Umwelt in Reutlingen. Die Stadt ist 2020 dem Klimaschutzpakt des Landes beigetreten und strebt an, die Verwaltung, die Eigenbetriebe und die Tochterunternehmen bis spätestens 2040 klimaneutral aufzustellen.

Die Aufgabe von Ralf Bültge-Bohla ist es, dieses Ziel in der Region umzusetzen. „Wenn wir als Stadt bei diesem Thema nicht vorangehen und Erfolge vorzeigen, dann können wir von den Bürgern auch nichts fordern.“ Spricht man mit Bültge-Bohla über den Ausbau von erneuerbaren Energien im Alltag, wird schnell klar, dass viel Wille da ist, sowohl in der lokalen Politik als auch in der Bevölkerung. „Die Energieberater in der Region bekommen gerade sehr viele Anfragen.“ Besonders gefragt seien Informationen zu Photovoltaikanlagen für die Dächer oder Alternativen zu Gas- und Ölheizungen.

Kurzfristig umzurüsten sei schwierig. „Die Energieberater sind bis Mai ausgebucht.“ Dazu komme, dass es gerade beim Photovoltaikausbau rechtlich schnell kompliziert werde, sagt der Klimaschutzmanager. Die nächsten Hürden sei der Fachkräftemangel und Lieferengpässe. „Die Handwerker warten hier teilweise bis zu sechs Monate auf Material für die Installation von Photovoltaikanlagen.“

Für Bültge-Bohla ist klar, dass es nun an der Politik ist, für gesetzliche Lösungen zu sorgen. Dazu gehöre ein Abbau von Bürokratie und eine bundesweite Photovoltaik-Pflicht für die Dächer. „Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, alles muss ineinander greifen, sonst wird der Wandel nicht funktionieren.“


Quelle: ZEIT online, 14. März 2022

Gastbeitrag von Christian Bayer, Moritz Kuhn, Benjamin Moll und Moritz Schularick

Importstopp für russisches Gas: Das Zaudern kostet viel mehr

Soll Deutschland freiwillig auf Gas- und Ölimporte aus Russland verzichten? Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hält das zwar emotional für richtig, warnt aber vor einem abrupten Importstopp, weil die Folgen für die Wirtschaft zu groß seien. Ein internationales Autorenteam hat sich die ökonomischen Implikationen genauer angeschaut – und widerspricht.

Nichts tun ist am Ende teurer: Die deutsche Wirtschaft kann einen Importstopp auf russische Energie verkraften. Es braucht jetzt nur eine schnelle Entscheidung.

Umfragen zufolge ist die Unterstützung in Deutschland für ein Ende kriegsfinanzierender Energieimporte aus Russland groß. Aber die Politik zögert. Die Sorge ist, dass in Deutschland die Lichter ausgehen könnten, wenn russisches Gas und Öl ausbleiben. Deutschland will der Ukraine helfen, aber weh soll es nicht tun.

So haben Politikerinnen aller Couleur in den vergangenen Tagen ihre Fürsorgepflicht entdeckt, sei es für Haushalte mit Gasetagenheizung oder für solche mit viel Hubraum in der Garage. Wirtschaftsverbände warnen vor schwerwiegenden Konsequenzen. Insbesondere die Industrie malt ein düsteres Bild von den wirtschaftlichen Folgen und rät strikt von einem Embargo russischer Energie ab. Aber wie teuer käme uns der Ausstieg aus der Abhängigkeit von russischem Gas wirklich zu stehen?

Um die Auswirkungen abzuschätzen, ist es zunächst einmal wichtig zu wissen, wie groß der Schock wäre, der auf uns zukommt. Mit dieser Frage haben wir uns gemeinsam mit einer Gruppe internationaler Forscherinnen und Forscher beschäftigt.

Etwa die Hälfte der Steinkohle, die in Deutschland verbraucht wird, kommt aus Russland. Beim Öl ist die Abhängigkeit mit einem Drittel geringer. Öl und Kohle kommen auch per Schiff in Deutschland an und werden auf einem Weltmarkt eingekauft.

Mehr als die Hälfte des Gasverbrauchs in Deutschland kommt aus Russland. Gas stellt vor allem auch wegen des Transports in Pipelines die größte Herausforderung dar. Schwer zu glauben, aber Deutschland hat im vergangenen Jahrzehnt kein einziges Terminal gebaut, mit dem sich im Notfall Flüssiggas als Ersatz importieren ließe. Selbst Donald Trump hatte verstanden, wie riskant diese selbst gewählte Abhängigkeit ist. Kurzfristig würde im Fall eines Importstopps daher die Hälfte der Gasversorgung ausfallen. Das klingt in der Tat alarmierend.

Es gibt aber zwei Faktoren, die den Ausfall mildern können.

  • Zum einen werden rund 15 Prozent des Gases direkt in der Elektrizitätserzeugung eingesetzt. Dafür kann man – zumindest vorübergehend – zu einem großen Teil heimische Braunkohle oder importierte Steinkohle verwenden.
  • Zum anderen kann man ein paar Versorgungslöcher mit dem Einspeichern norwegischen Gases über den Sommer und zusätzlichen Lieferungen von anderen Produzenten füllen. Der anstehende Sommer und das Ende der Heizperiode spielen uns hier in die Karten.

Aber ganz schließen lässt sich die Lücke nicht. In einem realistischen Szenario könnten über das nächste Jahr gerechnet bis zu 30 Prozent weniger Gas als im Vorjahr zur Verfügung stehen. Diese Lücke müsste die deutsche Volkswirtschaft kurzfristig dadurch schließen, dass Haushalte und Unternehmen sparen und sich anpassen. Die Kanäle sind vielfältig.

Privathaushalte können die Heizung herunterstellen, die geplante Umstellung auf eine Wärmepumpenheizung vorziehen oder den geplanten Ersatz der Öl- durch eine Gasheizung verschieben. Selbst die oft zitierten dicken Socken sind ein Weg, sich an die Knappheit des Gases anzupassen. Unternehmen können Öl statt Gas für die Wärmeerzeugung nutzen, energieintensive Vorprodukte importieren, Büroräume an Wochenenden weniger heizen oder Verkaufsflächen besser gegen Wärmeverlust schützen. Sie können auch Büro- und Verkaufszeiten reduzieren und damit Heizkosten sparen. Dass viele Dinge auch im Homeoffice erledigt werden können, haben wir in der Corona-Pandemie gesehen.

All das verursacht Kosten und daher Zeter und Mordio der Wirtschaft. Aber aus vielen Studien wissen wir, dass solche Anpassungsprozesse möglich sind. Über den Preismechanismus verteilt der Markt das knappe Gas dorthin, wo es am effektivsten eingesetzt werden kann. Natürlich ist das nicht zum Nulltarif zu haben. Einige Unternehmen, etwa in der chemischen Industrie, werden vorübergehend die Produktion einstellen, weil es sich zumindest kurzfristig nicht mehr rechnet. Um die Effekte auf den Arbeitsmarkt etwas abzufedern, können wir auf bewährte Instrumente wie das Kurzarbeitergeld zurückgreifen. Je früher die Anpassungsprozesse aber starten und je mehr Zeit wir den Firmen geben, den Gasverbrauch durch Umstellungen und Investitionen zu reduzieren, umso besser.

Den kalten Entzug für die Industrie gut vorbereiten

Wie stark wird die Produktion einbrechen? Um die Effekte abzuschätzen, greifen wir in der Studie des Exzellenzcluster ECONtribute der Universitäten Bonn und Köln auf beobachtete Daten aus der Vergangenheit und aus anderen Ländern zurück, die uns eine Idee von der Größe dieser Effekte geben können. In einem Szenario, in dem Russland die Gaslieferungen komplett einstellt oder sich die Bundesregierung zu einem Embargo durchringt, würde das Bruttoinlandsprodukt zwischen etwa 0,5 Prozent und 3 Prozent zurückgehen. Das entspricht in etwa Kosten von 200 bis 1.200 Euro pro Kopf. Eine Studie der Investmentbank Goldman Sachs kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Ist ein dreiprozentiger Wirtschaftsabschwung ein zu hoher Preis für ein Embargo und die Unterstützung der Ukraine? Das ist eine Abwägung, die letztlich die Politik vornehmen muss. Die deutsche Wirtschaft würde in eine schwere Rezession geraten. Die Arbeitslosigkeit würde steigen. Aber zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft schrumpfte während der Corona-Pandemie vorübergehend um 4,5 Prozent. Wenn die Effekte in dieser Größenordnung bleiben und wir durch gute Wirtschaftspolitik eine Bankenkrise und Zweitrundeneffekte vermeiden können, wäre dies für viele Menschen im Land tragbar.

Man muss natürlich den sogenannten Cold Turkey, den kalten Entzug, der deutschen Industrie logistisch gut vorbereiten. Kohlekraftwerke müssen auf die größere Belastung vorbereitet werden und die Versorgung deutscher Raffinerien mit Öl aus anderen Ländern sichergestellt werden. Daran arbeitet die Bundesregierung mit Hochdruck. Aber auch das ist über die Sommermonate machbar.

Es wäre zudem ein Trugschluss anzunehmen, dass Nichtstun und weiter auf russische Importe zu setzen keine ökonomischen Kosten hätte. Was würde passieren, wenn zu Beginn der Heizperiode im Herbst noch immer die gleiche Abhängigkeit vom russischen Pipelinegas bestünde? Wer würde heute noch darauf zählen, dass dieses Gas auch dann noch fließt, wenn Putin im Herbst den größten Schaden anrichten könnte?

Ein längerer Krieg oder sogar eine Ausweitung des Konflikts auf den Rest Europas könnte sehr viel schwerwiegendere Folgen haben. Es ist durchaus denkbar, dass die ökonomischen Kosten für Deutschland mit einer Wirtschaftspolitik am geringsten sind, die kurzfristig den Sanktionsdruck auf Russland maximal erhöht und dadurch das Ende des Krieges beschleunigt. Dann gibt es auch noch die ukrainische Perspektive. Für uns ist es nur eine Abwägung ökonomischer Kosten. Für 40 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer ist ein Ende des Krieges eine Frage von Leben und Freiheit. Das gegenwärtige Zaudern und Zagen in Berlin kostet am Ende uns alle – Deutschland, die Ukraine und Europa – viel mehr.

Krieg in Europa – und was er für uns bedeutet – Prof. em. Dr. Herfried Münkler, 07.03.22

#Krieg in #Europaund was er für uns bedeutet – Prof. em. Dr. Herfried Münkler, 07.03.22 – 11.440 Aufrufe – Live übertragen am 07.03.2022 – Stiftung Demokratie Saarland SDS – 

Seit acht Jahren schwelt in der Ost-Ukraine der Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und ukrainsichen Truppen. Vor wenigen Tagen startete Russland einen Großangriff auf das gesamte ukrainische Staatsgebiet. Damit hat der Konflikt eine Dimension erreicht, mit der wohl kaum zu rechnen war. Oder doch? Die Angst vor einem großen Krieg ist nach Europa zurückgekehrt. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine – aber auch im Mittleren und Nahen Osten – lassen zweifeln, ob das 20. Jahrhundert tatsächlich als ein „kurzes Jahrhundert“ 1989/90 zu Ende gegangen ist – oder nicht vielmehr auf unheilvolle Weise andauert. Wir sehen uns konfrontiert mit ungeahnten Formen der Gewalt, mit Konflikten, die uns nahe rücken. Der Krieg ist ganz und gar nicht verschwunden, er hat nur eine neue Gestalt angenommen.

Bereits 2016 zeichnete Herfried Münkler in seinem Buch „Kriegssplitter“ nach, was Krieg in der Gegenwart bedeutet. Und er wird in seinem Vortrag Überlegungen anstellen, was Krieg in Europa für uns bedeutet.

Referent: Prof. em. Dr. Herfried Münkler ist Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. 2004/05 war er Gastprofessor am Wissenschaftszentrum für Sozialwissenschaften Berlin, 2001 Akademieprofessor an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Zuvor war er Gastdozent am Institut für Höhere Studien Wien. In der Vergangenheit beteiligte er sich an zahlreichen Forschungsprogrammen der DFG, der VW- und der Thyssenstiftung, leitete mehrere Arbeitsgruppen an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und erhielt zahlreiche Preise.

Viele seiner Bücher gelten mittlerweile als Standardwerke, etwa „Die neuen Kriege“ (2002), „Imperien“ (2005) und „Die Deutschen und ihre Mythen“ (2009), das im selben Jahr mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wird. Zuletzt erschienen sind: „Der Große Krieg“ (2013), „Kriegssplitter. Die Evolution der Gewalt im 20. und 21. Jahrhundert“ (2015) sowie „Der Dreißigjährige Krieg Europäische Katastrophe, deutsches Trauma 1618-1648″ (2017). Stiftung Demokratie Saarland – Damit unsere Demokratie lebendig bleibt!