Politische Haltung: Plötzlich Polizeipropagandist

Quelle: ZEIT online – von Hasnain Kazim  21. November 2021 (Auszug)

Politische Haltung: Plötzlich Polizeipropagandist

Unser nicht weißer Autor postet ein positives Erlebnis mit einem Polizisten – und erntet einen Shitstorm. Das ist nicht links, das ist sinnloser Krawall.

Vor ein paar Tagen bin ich mal wieder mit dem Zug von Österreich nach Deutschland gefahren. Und wie immer stiegen in Deutschland, nach dem Grenzübertritt, Bundespolizisten zu und kontrollierten die Reisenden. Ich habe es schon oft erlebt, dass ich selbst in vollen Abteilen der Einzige bin, der nach seinem Ausweis gefragt wird – meist dann, wenn ich der Einzige nicht weiße Fahrgast bin und mithin als „Ausländer“, „Migrant“, „Flüchtling“ wahrgenommen werde. „Racial profiling“ nennt man das, etwas, das es laut Auskunft der Polizei und der Innenministerien gar nicht gibt, das ich aber regelmäßig erlebe – und kritisiere.

Diesmal aber lief es anders ab. Ich beschrieb es auf Facebook und Twitter so:

„Bundespolizei steigt nach Grenzübertritt von Österreich nach Deutschland in den Zug. Sie kontrollieren nahezu alle. Bleibt ein junger Polizist bei mir stehen, sagt: ‚Sie sehen so aus, als würden Sie immer kontrolliert, stimmt’s?‘  Ich seufze. Polizist: ‚Gut. Aber heute nicht!‘  Lächelt, geht weiter. Manchmal habe ich Hoffnung.“

Auch das Gute benennen, wenn es passiert

Ich bin überzeugt, dass die meisten meine Schilderung – so wie ich – einfach als eine Szene empfanden, die zeigt, dass es auch mal anders, nämlich nett, freundlich, verständnisvoll geht. Tatsächlich hatte der Polizist, er war vielleicht Mitte 20, eine freundliche, wohlwollende Ausstrahlung, keineswegs demonstrierte er Überlegenheit oder Macht. Manche mögen das von mir geschilderte kleine Erlebnis dankbar als Beleg ergreifen, dass es doch gar nicht so schlimm bei der Polizei sei. Dass rassistische Vorfälle in der Polizei kein Problem oder nur Einzelfälle seien. Aber wer das denkt, den muss ich enttäuschen: Zweifellos gab und gibt es immer und immer wieder rassistische Vorfälle in der Polizei, und nein, sie sind leider keine Einzelfälle, sondern Teil eines strukturellen Problems. Das habe ich schon immer kritisiert und werde es auch weiterhin tun.

Zugleich ist aber auch nicht „die“ Polizei rassistisch, so wie auch nicht „die Bundeswehr“ rechtsextrem ist, ebenso wenig wie „die Muslime“ Terroristen oder „die Katholiken“ Kinderschänder sind. Ich finde, in einer zivilisierten Gesellschaft, in der wir Wert auf ein anständiges Miteinander legen, gehört es sich, auch das Gute zu sehen und zu benennen, wenn es passiert. Und dazu zähle ich diese kurze Begegnung mit dem jungen Polizisten.

Erinnerungen an Reaktionen im realen Leben

Um so fassungsloser macht mich das Ausmaß der Kritik, die sich schlicht daran entfesselt, dass ich es gewagt habe, etwas Freundliches über die Polizei zu schreiben. „Ist es nicht auch Othering, bewusst auf die andere Hautfarbe aufmerksam zu machen?“, schrieb eine Twitter-Nutzerin. Ein anderer kommentierte: „Ein Polizist der sich des Racial Profilings bewusst ist, wow wie krass cool omg wholesome uwuwuwuw“. Ein weiterer interpretierte die Haltung des Polizisten so: „Ich weiß dass ich dich jetzt rassistisch behandeln könnte, nur damit du das weißt – heute nicht, Kanacke“, schrieb er und fügte ironisch hinzu: „ich finde dafür sollte der polizist das bundesverdienstkreuz bekommen“.

Angesichts der leider gängigen Praxis, dass Menschen, die als fremd wahrgenommen werden, häufiger kontrolliert werden als andere, auch mit Blick auf die – oft ungeklärten – Todesfälle in Polizeigewahrsam und auf die rechtsextremen Netzwerke innerhalb der Polizei kann ich solche bitteren Gedanken sehr gut nachvollziehen. Und doch möchte ich nicht dahinkommen, in so einer Episode, die ich selbst als völlig harmlos, ja sogar freundlich erlebt habe, sofort die schlechtesten, bösesten Absichten zu unterstellen. Wie kommt man darauf, sofort zu unterstellen, dass der Polizist mich mit seinen Worten auch wieder nur ausgrenzen oder gar nur seine Macht demonstrieren wollte, um sich daraufhin gnädig zu zeigen?

Warum versuchen wir nicht alle, auch in einem Umfeld, dem man kritisch gegenübersteht, das zu sehen, was gut ist – ohne dabei seine kritische Haltung aufzugeben? Warum nicht die Selbstkritik, die man aus den Worten des Polizisten heraushören kann, anerkennen? Erreichen wir nicht nur so ein besseres Miteinander?

Statt es einfach mal stehen zu lassen: Hassbotschaften

Natürlich ist die Twitterblase nicht repräsentativ, und natürlich wäre es Unsinn, die vielen Tausend Kommentatoren unter meinem Tweet in einen Topf zu werfen. Und doch weckt das, was sich unter meinem Post abspielte, bei mir Erinnerungen an Reaktionen auch im realen Leben, wenn ich oder jemand anderes es wagt, Pauschalabwertungen etwa der Polizei entgegenzutreten – und sei es nur in Nuancen.

Statt es einfach mal stehen zu lassen, überboten sich viele Kommentatoren mit ihren Hassbotschaften. „die sechzehntausend user die diesen tweet geliked haben sind bei ACAB mitgemeint“, schrieb ein Twitter-User, als der Tweet sechzehntausend Likes zählte. „ACAB“, damit meint er das Akronym für „All cops are bastards“, wörtlich „Alle Polizisten sind Bastarde“, sinngemäß „Alle Bullen sind Schweine“.

Ein anderer kommentiert öffentlich: „Kanaken, die sich Jounalisten und Autoren schimpfen, machen kostenlose ’not all pigs‘ Propaganda, nachdem Giorgos Zantiotis nach einer brutalen Festnahme in Wuppertal in Polizeigewahrsam gestorben ist“. Das steckt gleich alles drin: rassistische Beleidigung gegen mich, meine Eignung für meine berufliche Tätigkeit infrage stellend und unterstellend, dass ich den Todesfall in Wuppertaler Polizeigewahrsam verharmlosen würde. Dabei hatte ich zuvor öffentlich kritisiert, dass Anfang November der 25-jährige Giorgos Zantiotis in Polizeigewahrsam gestorben war und die Polizei Wuppertal das erst sechs Tage später, nach öffentlichem Druck, bekannt machte, nämlich erst nachdem das griechische Infoportal Indymedia ein Video von seiner brutalen Festnahme veröffentlicht hatte. Später versuchten Polizei und Staatsanwaltschaft sich damit herauszureden, es habe sich um einen „internistischen Notfall“ gehandelt, der „nicht medienrelevant“ gewesen sei. Selbst wenn es bislang keinerlei Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Polizei für den Tod verantwortlich ist: Natürlich muss sofort und immer höchste Transparenz gewährleistet sein.

Aber weil ein paar Tage später ein Beamter bemerkenswert freundlich zu mir ist und ich das beschreibe, gelte ich plötzlich als Polizeipropagandist. Andere wollen das, was ich im Zug erlebt habe, nicht wahrhaben: „Zu meiner schulzeit haben wir sowas mit ‚wer das glaubt wird selig‘ kommentiert“, schreibt einer. Und gleich mehrere bemühen den Ausdruck „Paulanergarten!“ – ein Wort, das sonst in rechten Kreisen benutzt wird, um den Wahrheitsgehalt missliebiger Aussagen infrage zu stellen („Geschichten aus dem Paulanergarten“). Das heißt also so viel wie: Ich hätte die Geschichte erfunden, um die Polizei in einem besseren Licht dastehen zu lassen.

Wer nicht hundertprozentig ihrer Meinung ist, wird verbal rundgemacht

Warum sollte ich das tun? Ausgerechnet ich, der ich rechtsextremistische Umtriebe seit Jahren immer wieder kritisiere, dafür angefeindet werde und regelmäßig Beleidigungen und leider auch immer wieder Morddrohungen erhalte?

Man mag nun einwenden, es handele sich doch nur um eine kleine Minderheit, die so rede. Eine Minderheit, gewiss. Aber eine sehr laute, aggressive. Eine oft undurchsichtige Melange, die man überall in den sozialen Medien antrifft und die zur Polarisierung beiträgt, die gelegentlich wichtige Debatten anstößt und alte (Macht-)Strukturen infrage stellt, was gut ist. Die aber bisweilen auch einschüchtert, ausgrenzt, destruktiv ist – auch gegenüber jenen, die für dieselbe Sache kämpfen. Wer nicht hundertprozentig ihrer Meinung ist, wird verbal rundgemacht. Es ist ein selbstbewusstes Nichtdifferenzieren, ein absichtliches Missverstehen, ein genussvolles Beleidigtsein und Sich-angegriffen-fühlen, das man sonst bei Rechtsextremisten und Islamisten kennt: Man macht in dem anderen einen Feind aus und muss ihm partout nicht mehr zuhören.

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