Gesellschaft ohne WärmeDie Renaissance der Gemeinschaftsideologie

Quelle: Deutschlandfunk – Stefan Kühl – 14. April 2024

Gesellschaft ohne WärmeDie Renaissance der Gemeinschaftsideologie

Je zersplitterter die Gesellschaft, je individualistischer die Lebensführung, desto stärker das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach einer echten und tragenden Verbindung zwischen Individuen. Diese verständliche Sehnsucht hat jedoch auch Schattenseiten.Vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus erteilte die bundesrepublikanische Nachkriegsgesellschaft dem Traum großer Gemeinschaften eine Absage – durch ihren Rückzug auf die Kleinfamilie, Freundeskreise und Nachbarschaften.Wenn derzeit nun wieder unter dem Label der „Remigration“ von der ethnischen Säuberung der deutschen Gesellschaft geträumt wird, scheint die Idee der Gemeinschaft eine Renaissance zu erleben.Das wohlige Wir-Gefühl, das von dieser Idee ausgeht, ist aber wohl nur um den Preis des vollständigen Aufgehens des Individuums in der Gemeinschaft zu haben. Ob das in der Spätmoderne wünschenswert sein kann?

Stefan Kühl ist Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld. Zugleich berät er Unternehmen, Verwaltungen und Ministerien in Fragen der Organisations- und Strategieentwicklung. Zuletzt sind von ihm u.a. die Bücher „Der ganz formale Wahnsinn: 111 Einsichten in die Welt der Organisationen“ (Vahlen Verlag) und „Ganz normale Organisationen – Zur Soziologie des Holocaust“ (Suhrkamp Verlag) erschienen.

Bald wieder Krieg in Bosnien-Herzegowina?

Bald wieder Krieg in Bosnien-Herzegowina? Fast drei Jahrzehnte nach Ende des Krieges auf dem Balkan ist die Lage des neuen EU-Kandidaten so fragil wie noch nie. Wer wird sich im multiethnischen, aber geteilten Bosnien durchsetzen? Anlässlich des Jahrestags des Völkermords von Srebrenica am 11. Juli entschlüsselt die Doku die komplexe geopolitische Lage der Balkanregion.

Nach der Ukraine – demnächst wieder Krieg in Bosnien-Herzegowina? Eigentlich herrscht seit Dezember 2022 Hoffnung unter den drei Millionen Bosniern: Nach jahrelangem Warten ist der kleine multiethnische Balkanstaat endlich EU-Kandidat. Doch der Frieden ist im Westbalkan ist so fragil wie noch nie seit Ende des Bosnienkrieges 1995 mit 100.000 Toten und Hunderttausenden Flüchtlingen. Ist Feldherr Putin vielleicht versucht, eine zweite Front im geteilten Land zu eröffnen? Warum steht Bosnien im Zentrum aller geopolitischen Begehrlichkeiten – sowohl im Westen (EU, GB, USA) als auch in Russland, Serbien, China und der Türkei? Und warum leidet das Land immer noch am komplexen Erbe des Friedensabkommens von Dayton aus dem Jahr 1995?

Interviews mit den Hauptakteuren von damals und heute entschlüsseln sezessionistische Bestrebungen der bosnischen Serben, die Einflussnahme von EU-Mitglied Kroatien und komplexe Korruptionsvorgänge. Bosnien-Herzegowina, das Land der drei Völker – Bosniaken, Serben und Kroaten, Treffpunkt der muslimischen, orthodoxen, christlichen und jüdischen Welten. Und Beweis, dass es sehr schwierig ist, einen Krieg zu beenden, aber noch komplizierter, erfolgreich Frieden zu schließen. Anlässlich des Jahrestags des Völkermords von Srebrenica am 11. Juli hilft diese neue ARTE-Dokumentation, den Balkanstaat auf der Suche nach Stabilität besser zu verstehen. Dokumentation von Pierre-Olivier Francois (F 2023, 52 Min)

Bosnienkrieg

Nicht nur die Situation in der Ukraine beunruhigt Be­woh­ne­r*in­nen der Föderation Bosnien und Herzegowina“. Auch die Nachrichten aus der serbischen Teilrepublik Bosniens und Herzegowinas, der Republika Srpska und aus deren Hauptstadt Banja Luka sind beunruhigend. Milorad Dodik, der „starke Mann“ der bosnischen Serben, macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für den russischen Diktator. Dodik will den serbischen Teilstaat von Bosnien und Herzegowina abtrennen, was die Bevölkerungsmehrheit des Landes nicht hinnehmen könnte. Es kommt hinzu, dass auch der kroatische Nationalistenführer Dragan Čović sich mit Dodik verbündet hat und sich ebenfalls als Putin-Unterstützer outet. Die Grenzen zwischen der serbischen Teilrepublik, der sogenannten „Republika Srpska“, und der „Föderation Bosnien und Herzegowina“ wurden im November 1995 im Friedensvertrag von Dayton, Ohio festgelegt. Beide Seiten kontrollieren seither rund 49 Prozent der Fläche des Landes, 2 Prozent macht die Sonderzone Brčko aus.

Ein Blick zurück

Am 2. März 1992 stimmten zwei Drittel der Bevölkerung Bosnien-Herzegowinas bei der Volksabstimmung für die Unabhängigkeit. Die serbische Führung aber wollte die Unabhängigkeit verhindern. Am 6. April sollte das Land von der EU diplomatisch anerkannt werden. Am 5. April 1992 demonstrierten Hunderttausende in Sarajewo und anderen Städten für den Frieden. Sollte Bosnien und Herzegowina sich für unabhängig erklären, dann werde das Land im Blut versinken, hatte Radovan Karadžić, der politische Führer der bosnischen Serben und Vorsitzende der Serbischen Demokratischen Partei (SDS), gedroht.

Diese Drohung machten die Serben ab dem 5. April wahr. Anfangs gelang es ihnen, die Jugoslawische Volksarmee unter ihre Kontrolle zu bringen. Zunächst gingen sie im Osten des Landes gegen die muslimische Mehrheitsbevölkerung in die Offensive. Ratko Mladić’ Truppen nahmen das Tal der Drina ein. Die westbosnischen Städte Banja Luka und Prijedor fielen ohne Kampf in serbische Hand.  Dort wurden „Krisenstäbe“ tätig, die Nicht­serben zwangen, weiße Binden zu tragen, um sie schließlich in Konzentrationslagern zu internieren. Allein in Prijedor starben im Sommer 1992 über 3.200 Menschen in den Lagern Omarska und Keraterm.

Die serbischen Truppen besetzten im Herbst 1992 über 66 Prozent des Territoriums von Bosnien und Herzegowina. Zehntausende Menschen verloren dabei ihr Leben. 2 Millionen von 4,5 Millionen Einwohnern flohen in die noch von der bosnischen Armee gehaltenen Gebiete oder ins Ausland. Allein Deutschland hat damals mehr als 300.000 Menschen aufgenommen.

Die kroatische Seite fing im Mai 1993 an, das verbliebene Restbosnien anzugreifen und Gebiete für ihren Parastaat Herceg-Bosna zu erobern. Die kroatisch-bosnische Armee HVO schoss mit Artillerie auf die von Muslimen bewohnte historische Altstadt von Mostar. Sie zerstörten die berühmte Alte Brücke, das Wahrzeichen der Stadt, das zudem die Verbindung der Kulturen symbolisiert.

Das von der bosnischen Regierung gehaltene Territorium bestand im Sommer 1993 nur noch aus von Feinden eingekreisten Enklaven. Doch langsam konsolidierte sich der Widerstand. Die bosnische Armee organisierte sich trotz aller Widrigkeiten. Die kroatische HVO wurde Stück für Stück aus Zentralbosnien vertrieben, kroatisch dominierte Städte wie Vitez und Kiseljak wurden von bosnischen Truppen umzingelt.

Den USA gelang es, den kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman zu einer Umkehr seiner Strategie zu bewegen. Im März 1994 wurde das Washingtoner Abkommen beschlossen, die Blockade Zentralbosniens wurde beendet. Die bosniakisch und kroatisch kontrollierten Gebiete wurden in diesem Abkommen in der Föderation Bosnien und Herzegowina zusammengefasst, der kroatische Parastaat Herceg-Bosna aufgelöst.

Nach dem Genozid von Srebrenica im Juli 1995 sollte nach dem Willen der USA und auch Europas endlich Frieden geschaffen werden. Die Nato trat auf den Plan. Serbische Artillerie-Stellungen um Sarajevo wurden beschossen. Kroatische und bosnische Truppen rückten vor, die Serben verloren im August 1995 binnen zehn Tagen alle Eroberungen in Kroatien und mussten sich nach Bosnien zurückziehen. Im September 1995 dann gelang es bosnischen und kroatischen Truppen, die Serben auch in Bosnien zu schlagen. Doch sie kontrollierten immer noch 50 Prozent des Landes.

Den im November 1995 in Dayton, Ohio ausgehandelten Friedensvertrag konnten die serbischen Nationalisten durchaus als Sieg ansehen. Ihre Strategie, Bosnien und Herzegowina und damit die gemeinsame multinationale Gesellschaft zu zerschlagen, wurde von der internationalen Gemeinschaft akzeptiert. Er wird von ihren Nachfolgern in der serbischen Führung fortgeführt.

Mehr Informationen:

https://taz.de/Vor-30-Jahren-begann-der-Bosnienkrieg/!5842991/

https://www.blaetter.de/ausgabe/2021/november/brennpunkt-balkan-oder-schoene-neue-imperiale-welt

Bosnien-Herzegowina: Neuer Krieg auf dem Balkan?

731.285 Aufrufe – 22.01.2022

Knapp 30 Jahre nach dem verheerenden Krieg im Land, droht in Bosnien-Herzegowina ein neuer Konflikt – der auf alten Auseinandersetzungen beruht. Der serbische Teil des Landes möchte unabhängig werden, und das mit aller Macht. Aber: Warum? Und warum könnte das zu einem neuen Krieg auf dem Balkan führen? Darum geht es in diesem Video.

Friede diesem Haus: Das Friedenswort der Katholischen Bischöfe Deutschlands vom 21. Februar 2024

Eine Bestärkung der Initiative „Sicherheit neu denken“
Friede diesem Haus: Das Friedenswort der Katholischen Bischöfe
Wir haben starke Aussagen des am 21. Februar 2024 veröffentlichten Friedensworts der deutschen Bischöfe „Friede diesem Haus“ zusammengefasst, die unsere Initiative Sicherheit neu denken bestärken:

  1. Anerkennung zeitlich befristeter militärischer Sicherheitspolitik
  2. Aufruf zur mittel- und langfristigen Überwindung militärischer Sicherheitspolitik

Download Wichtige Aussagen des Friedensworts

Zwei beispielhafte Aussagen:

  • „Auch wenn wir Rüstungsanstrengungen gegenwärtig als unverzichtbares Element einer verantwortlichen Politik ansehen, grenzt es in globaler Perspektive an Irrsinn, angesichts der gewaltigen Probleme, die sich vor der Menschheit auftürmen, Unmengen von finanziellen und intellektuellen Ressourcen zu verschleudern, um uns gegenseitig davor abzuschrecken, einander zu vernichten, anstatt alle Kräfte darauf zu konzentrieren, gemeinsam die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.Die politische Vernunft und die mitmenschliche Solidarität fordern ein Ende des Wettrüstens, eine internationale und überprüfbare Rüstungskontrolle sowie eine drastische Verringerung der Rüstungsausgaben. …

    Wir müssen den Schreckensvisionen einer sich selbst zerfleischenden Menschheit kraftvolle Bilder gelingenden Miteinanders von Menschen und Völkern entgegensetzen. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist breite und wirksame internationale Kooperation in einer Weise geboten wie kaum jemals vorher in der Geschichte der Menschheit.“ (210)

  • „Willst du den Frieden, rüste dich für den Krieg“ – dies ist die friedensethisch bedenkliche Botschaft der neuen sicherheitspolitischen Ausrichtung.“ (97)

Die blockierte Transformation. Zur Kritik des «Green Deal» und der «geopolitischen» EU

Prof. Dr. Birgit Mahnkopf (IPE Berlin) Vom 6. bis 9. Juni kommenden Jahres finden Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Auch wenn die Institution unter Demokratiegesichtspunkten kein vollwertiges Parlament ist, wird die Wahl Anlass für europapolitische Debatten sein. Nach der Finanzkrise 2007/8, der Euro- und Griechenlandkrise sowie dem BREXIT ist das Thema in der gesellschaftlichen Linken sehr in den Hintergrund getreten. In den letzten Jahren haben sich tiefgreifende Veränderungen vor allem auf zwei Gebieten ergeben: 1. Der Neoliberalismus, der die EU-Verträge geprägt hat, ist in der Krise, wenn auch nicht verschwunden. Die Regulation des Kapitalismus in der EU hat sich verändert, wie etwa an der Mindestlohnrichtlinie, der Politik der EZB, dem Next Generation EU-Fonds, zunehmendem Protektionismus und der Renaissance der Industriepolitik deutlich wird. 2. Die EU wäre gerne eine Großmacht und trägt durch ihre Politik zur Verschärfung internationaler Konflikte und Rivalitäten bei. Seit der Ankündigung eines Assoziierungsabkommens mit der Ukraine 2008 haben sich die Beziehungen zu Russland verschlechtert, das die Ukraine seinerseits in die Eurasische Wirtschaftsunion integrieren wollte. Auch das Verhältnis zu China hat sich verschlechtert. Die geopolitische Ausrichtung der EU überlagert und durchdringt zusehends die anderen Politikfelder, auch die Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig vertiefen sich interne Widersprüche, u.a. beim Umgang mit der Energiekrise, in der deutsch-französischen Achse, oder durch die Verschiebung der machtpolitischen Gewichte nach Osten. Dem versucht die Kommission – zum Teil vertragswidrig – mit der Ausweitung ihrer Kompetenzen entgegenzutreten. Die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten haben die Probleme weiter verschärft. Unsere Konferenz dient dazu, die neuen Entwicklungen und die weiteren Perspektiven zu analysieren und Antworten der gesellschaftlichen Linken zu diskutieren. Dazu laden ein: die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Attac-AG EUropa.

Die EU zwischen «strategischer Autonomie» und Unterordnung unter die USA