Emily Maitlis in Edinburgh – Eine Rede als Warnruf: Die BBC versagt als Aufklärer im Zeitalter des Populismus

Quelle: Übermedien –     Gastbeitrag  – 29.8.22

Emily Maitlis in EdinburghEine Rede als Warnruf: Die BBC versagt als Aufklärer im Zeitalter des Populismus

von Annette Dittert

Es war mehr als nur eine Rede, es war ein Befreiungsschlag, ein kathartischer Moment, nicht nur für Emily Maitlis selbst, sondern auch für all die Briten, die die akute Bedrohung der BBC durch die britische Tory-Regierung längst als Teil der Angriffe auf ihre Demokratie wahrnehmen. Denn seit Boris Johnson 2019 die Regierung übernommen und die alte konservative Partei in eine rechtspopulistische verwandelt hat, ist der politische Druck auf die BBC derart gestiegen, dass immer mehr ihrer besten Reporter und Presenter die Segel streichen.

Emily Maitlis, einst der Star des Nachrichtenmagazins „Newsnight“, ist eine davon. Sie hatte den Sender im Februar verlassen, und nun erfuhr die Öffentlichkeit warum. Auf dem Edinburgh TV-Festival, wo alljährlich die wichtigsten Macher der elektronischen Medien zusammenkommen, nahm sie kein Blatt mehr vor den Mund. Denn genau das, so warf sie ihrem ehemaligen Arbeitgeber vor, sei von ihr und vielen anderen allzu lang erwartet worden.

Ihre Vorwürfe sind vielfältig und treffen die BBC ins Herz. Die vielbeschworene „Unparteilichkeit“ sei zur Waffe gegen die Wahrheit verkommen. Schon während des Brexit-Referendums hätten ihre Producer in fünf Minuten 60 Ökonomen gefunden, die vor den möglichen Folgen eines EU-Ausstiegs warnten, dagegen viele Stunden gebraucht, um auch nur eine Stimme aufzutreiben, die den Brexit für ein sinnvolles Projekt hielt. „Dennoch präsentierten wir schließlich in der Sendung beide parallel, als zwei Seiten einer Medaille, als gleichwertige Ansätze. Das war aber nicht so.“

Nun ist der Begriff der False Balance an sich nicht neu: Dass die BBC während des Brexit-Referendums neben abstrusen Ökonomen auch ultrarechten Hetzern wie Nigel Farage regelmäßig überdimensionierte Sendezeiten eingeräumt hat, sie so erst legitimierte und damit das Brexit-Votum mindestens wahrscheinlicher gemacht hat, kann mittlerweile niemand ernsthaft bestreiten.

Mangelnde politische Unabhängigkeit

Bislang aber hatten alle, die den Sender verließen, dazu eisern geschwiegen. Maitlis war die Erste, die das jetzt öffentlich aussprach. Dementsprechend hoch schlagen die Wellen um ihre Rede nun bereits seit Tagen. Denn in ihrem Text ging sie noch einen Schritt weiter. Sie benannte ganz direkt den Grund für den längst eingetretenen Chilling Effect, eine Selbstbeschränkung bei der Berichterstattung der BBC: die mangelnde politische Unabhängigkeit des Senders, der – von der eigenen Regierung zunehmend bedroht – seinen journalistischen Kompass und damit die Verpflichtung auf die faktische Wahrheit im Zeitalter des Populismus verloren habe.

So erfährt man durch die Berichte der BBC seit Jahren nur noch ausgesprochen selten, welche Probleme der Brexit zum Beispiel der britischen Wirtschaft bereitet. Der Grund: Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Die Johnson-Regierung hatte Anfang 2020 erklärt, sie habe den Brexit erledigt und wünsche ab sofort nicht mehr darüber zu sprechen. Kurz darauf wurde dazu sogar eine entsprechende Anweisung an die Regierungsbeamten verfasst. Die Hilferufe der immer verzweifelteren kleinen und mittleren Betriebe verhallen seitdem ungehört.

Auch BBC-Journalisten folgen dieser Ansage bis heute immer wieder. So kann man in den Abendnachrichten zwar lange Berichte über fehlende Ärzte und Krankenschwestern sehen. Dass dieser Mangel aber auch wesentlich mit Brexit zusammenhängt und dem Verlust zehntausender EU-Bürger, die diese Jobs vorher gemacht haben, das wird nicht erklärt.

Komplizen einer Verschwörung gegen die Zuschauer

Maitlis, deren Wort umso schwerer wiegt, weil sie das, was mit der BBC derzeit geschieht, so lange von innen erlebt hat, erklärte das so:

„Viele in den Sendern fürchten sich davor, den völlig offensichtlichen wirtschaftlichen Schaden, der 2016 durch diese größte politische Neuausrichtung eines Landes entstanden ist, überhaupt anzusprechen, aus Angst, als Pessimisten, Anti-Populisten oder, noch schlimmer, ‚unpatriotisch‘ gebrandmarkt zu werden. Aber jeder Tag, an dem wir diesem Druck nachgeben, fühlt sich an wie einer, an dem wir Komplizen werden in einer Verschwörung gegen unsere Zuschauer, das britische Volk. Und warum sollten sie uns noch einschalten, wenn sie sehen, dass wir so zögerlich sind, wenn es darum geht, ihnen klar zu sagen, was wirklich passiert?“

Der so längst eingetretene Verlust der Glaubwürdigkeit hat bereits jetzt dazu geführt, dass sich gerade die Briten, die traditionell das öffentlich-rechtlichen System verteidigt haben, zunehmend enttäuscht von ihm abwenden. Das heißt, die BBC verliert jetzt gerade da an Unterstützung, wo sie sonst immer sicher darauf zählen konnte. Was aber geschehen kann, wenn ein BBC-Journalist sich gegen diesen Druck zu wehren versucht, hat Emily Maitlis immer wieder am eigenen Leib erfahren. Den spektakulärsten Fall thematisierte sie in ihrer Rede.

Abmahnung ohne Prozedere

Als Boris Johnsons mächtiger Chefberater Dominic Cummings mitten im ersten strengen Lockdown die Regeln brach und im Mai 2020 privat quer durch halb England fuhr, drang der allgemeine Aufschrei darüber bis auf die Titelseiten der rechten Boulevardpresse. Johnson ließ ihn dennoch ungeschoren davonkommen. Noch nicht einmal zu einer Abmahnung konnte er sich durchringen. Maitlis eröffnete daraufhin am Abend ihre „Newsnight“-Sendung folgendermaßen: „Dominic Cummings hat die Regeln gebrochen. Das Land kann das sehen und ist schockiert, dass die Regierung das offenbar nicht kann.“

Abgemahnt wurde am Ende sie. Für genau diese Sätze. Das Erstaunliche daran: Die Downing Street musste kaum etwas dafür tun. Es war die BBC selbst, die sich schon am nächsten Morgen öffentlich für diese Moderation entschuldigte. Diese Passage habe nicht dem Prinzip der Unparteilichkeit entsprochen, dem man sich verpflichtet habe. Nicht das „ganze Land“ sei empört gewesen.

Maitlis und die Redaktion selbst wurden vorher nicht darüber informiert, ein für BBC-Verhältnisse extrem ungewöhnlicher Vorgang, da es für solche Beschwerden ein Prozedere gibt, das vorschreibt, mit den Betroffenen zuerst selbst zu sprechen. Wenn man weiß, wie streng interne Regeln normalerweise befolgt werden, habe das keinen Sinn gemacht, erklärte Maitlis jetzt in Edinburgh, es sei denn, die Geschäftsleitung sei so unter Druck gewesen, dass sie die Regierung ohne jeden Zeitverzug beruhigen wollte.

Attacken und Kürzungen

Weiß man um die ständigen Angriffe und Drohungen der Johnson-Regierung auf die BBC, ist eine solch schnelle Defensive wenig überraschend. Denn es vergeht seit 2019 kaum eine Woche ohne Attacken eines Ministers auf den Sender. Bereits jetzt haben massive Kürzungen dazu geführt, dass ganze Sender eingestellt werden mussten. Ab 2027 dann wollen die Tories die BBC als öffentlich-rechtliches System ganz abschaffen. Auch in der Nach-Johnson Ära dürfte sich daran wenig ändern: Seine wahrscheinliche Nachfolgerin, Liz Truss, die zum Rechts-Außen-Flügel der Partei gehört, unterstellt der BBC bereits jetzt, sie verfälsche die Fakten und verbreite „fake news“.

Das alles ist besonders bedrohlich für die BBC, weil der Sender – anders als zum Beispiel das deutsche öffentlich-rechtliche System – in Großbritannien mehr oder weniger direkt der Regierung unterstellt ist. Eine Ironie der Geschichte, wenn man so will, hatten doch die Briten, gemeinsam mit den Amerikanern, uns Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg das öffentlich-rechtliche System als ein föderales verordnet, um sicherzustellen, dass der zentrale Zugriff auf ein nationales Rundfunksystem durch die Politik nicht mehr möglich sein sollte. Bei sich zu Hause aber hielt man solche Überlegungen damals nicht für nötig.

Anders als in Deutschland verhandelt die Regierung mit der BBC so noch immer ganz direkt über deren Gebühren und kann sie nach Belieben einkürzen, wenn sie denn will. Hinzu kommt, dass es nur ein zentrales Aufsichtsgremium gibt, das sogenannte „Board“, dessen Vorsitzender direkt von der Regierung, genauer gesagt: dem Kulturministerium besetzt wird.

Boris Johnson sorgte 2021 dafür, dass sein Parteifreund Richard Sharp diesen Posten bekam, der sich neben scharfer Kritik an der BBC vor allem dadurch ausgezeichnet hatte, dass er der Tory-Partei in den Jahren zuvor umgerechnet eine halbe Million Euro gespendet hatte. Von den restlichen Mitgliedern des Board wird noch einmal knapp die Hälfte direkt vom Kulturministerium besetzt. Dieses Board bestimmt dann auch den Intendanten der BBC. Mit Tim Davie ist so nicht ganz zufällig auch hier seit 2020 ein Mitglied der konservativen Partei am Ruder.

Politische Agenten im Board der BBC

Dass die BBC in der Vergangenheit trotz dieser Strukturen dennoch weitestgehend politisch unabhängig blieb, hatte vor allem damit zu tun, dass die britischen Regierungen vor Johnson die eigentlich gewollte Distanz zwischen Politik und Sender mehr oder weniger respektierten. Aber so wie Johnson ganz generell keine Rücksicht auf die ungeschriebene britische Verfassung nahm und die Grundpfeiler der britischen Demokratie auch an anderer Stelle unterminierte, so nutzen die Tories seit seinem Wahlsieg 2019 auch die direkten Einflussmöglichkeiten, die diese Struktur ihnen bietet.

Auch hier sprach Emily Maitlis Klartext und sprach unumwunden von den „politischen Agenten“ im Board der BBC, ganz besonders einem Mann: Robbie Gibb. Der ehemalige Berater von Theresa May, der parallel am Aufbau des ultrarechten Senders „GB News“ beteiligt war, hatte regierungskritischen Journalisten der BBC immer wieder auch öffentlich mit Sanktionen gedroht.

Wie kann ein solcher Mann im Aufsichtsgremium der BBC als oberster Wächter über die Unparteilichkeit ihrer Journalisten sitzen, fragte Maitlis. Noch dazu ein Mann, der, wie die „Financial Times“ kürzlich berichtete, ganz direkt Stellenbesetzungen zu verhindern suchte, die er für zu links hielt, mit dem Argument, das schade den guten Beziehungen der BBC zur Regierung. „Mutig“ sei das von Maitlis gewesen, ihn so offen zu nennen, sagten Zuhörer der Rede in Edinburgh hinterher, und allein das zeigt, wie viel schon verrutscht ist im sogenannten Mutterland der Demokratie.

Formularbeginn

Was Emily Maitlis Rede aber über all diese konkreten Punkte hinaus so hörens- oder lesenswert macht, ist die eigentliche Kernfrage ihres Vortrags: Wie muss öffentlich-rechtlicher Journalismus, dessen vornehmste Aufgabe ja immer auch die Kontrolle der Exekutive sein sollte, mit einer Regierung umgehen, die eine Gefahr nicht nur für ihn selbst, sondern ganz generell für die demokratischen Institutionen ihres Landes ist? In einer solchen Situation kann die Definition von „Unparteilichkeit“ ganz grundsätzlich nicht mehr der Regierung überlassen bleiben. Und wie berichtet öffentlich-rechtlicher Journalismus über den zunehmenden Verfall der demokratischen Strukturen, die er doch verteidigen soll? Indem er darüber berichtet wie über das Wetter, und die Entwicklung damit normalisiert?

Nein, sagt Emily Maitlis, und greift zum Ende ihres Vortrags die Metapher des Froschs im allmählich heißer werdenden Wasser auf. Es sei an der Zeit, dass der Frosch aus dem Wasser springe, alle seine Freunde anrufe und davor warne, dass sie sehr bald im kochenden Wasser umkommen würden.

Genau das hat Maitlis versucht mit ihrem Vortrag. Und im besten Fall löst sie damit genau das aus, dass die BBC-Journalisten, wenn sie erst einmal miteinander sprechen, den Ernst der Lage erkennen, und auf der Insel endlich eine Diskussion darüber beginnt, wie man der BBC, diesem großen alten Leuchtturm des öffentlich-rechtlichen Systems auch in Zeiten des Populismus echte Unabhängigkeit garantieren kann.

Annette Dittert, geboren 1962 in Köln, ist Journalistin. Nach kurzem Start bei einer Regionalzeitung berichtet sie seit mehr als 30 Jahren fürs Fernsehen, unter anderem als ARD-Korrespondentin aus Warschau, New York und London. Dort lebt sie immer noch, auf einem Hausboot. Sie und Maitlis kennen einander seit der Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrich-Preises 2020. Dittert war in der Jury und hat ihr den Preis in London übergeben.

Emily Maitlis‘ Rede zum Nachlesen: „We have to stop normalising the absurd“

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