Frank Bsirske gibt Widerworte zum Aufrüstungs-Konsens

Grobes Foul“ von Kanzler Scholz – Frank Bsirske gibt Widerworte zum Aufrüstungs-Konsens –

Beim Sozialpolitischen Aschermittwoch in Regensburg kritisiert der frühere ver.di-Vorsitzende und Grünen-Abgeordnete Frank Bsirske die geplante Erhöhung der Militärausgaben scharf. Das Vorgehen von Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet Frank Bsirske als „grobes Foul“ und spricht von Diskussionsbedarf innerhalb der Ampel-Koalition.

„Nackte Propaganda.“ So bezeichnet Frank Bsirske schließlich, der Live-Stream ist da schon aus, Aussagen, die Heeresinspekteur Alfons Mais kürzlich auf Twitter verbreitet hatte und denen zufolge die Bundeswehr „mehr oder weniger blank“ dastehe. Und wieder gibt es Applaus von den knapp 70 Anwesenden. Volles Haus unter Corona-Bedingungen im Leeren Beutel.

Bsirske, Jahrgang 1952, 18 Jahre Bundesvorsitzender der Gewerkschaft ver.di und heute für die Grünen im Bundestag, ist am Mittwoch zum Sozialpolitischen Aschermittwoch nach Regensburg gekommen, um über „umkämpftes Terrain“ zu reden. Soziale Fragen, Verteilungsgerechtigkeit, Klimawandel – so wie man es bei der Veranstaltung erwartet, die seit fast 20 Jahren federführend von den Sozialen Initiativen organisiert wird und heuer neben ÖDP und Grünen auch von der SPD unterstützt wird. All das hat er als erfahrener Rhetoriker vorbereitet, um es pointiert, zugespitzt und etwas bissig auf den Punkt zu bringen – so wie es sich für eine Rede beim Aschermittwoch eben gehört.

Keine Alternative zur Aufrüstung?

Doch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat auch vor Bsirskes Rede nicht Halt gemacht – und auch die politischen Pläne der Bundesregierung in diesem Zusammenhang sind, folgt man Bsirske, „umkämpftes Terrain“ innerhalb der Ampel-Koalition.

Dabei macht der Bundestagsabgeordnete keine Konzessionen an Wladimir Putin. Den Krieg bezeichnet Bsirske als „Verbrechen“ und eine „eklatante Verletzung des Völkerrechts“. „Die dafür ins Feld geführten Begründungen sprechen der Wahrheit Hohn und sind an Zynismus und Absurdität kaum zu überbieten.“ Die harten Sanktionen gegen Russland seien richtig. Auch wenn diese den Krieg kurzfristig nicht stoppen könnten, würden sie „mittel- und langfristig eine nachhaltige Wirkung entfalten“.

Sorgen macht Bsirske, seit 35 Jahren Grünen-Mitglied, aber ungeachtet all dessen die Verschärfung der sicherheitspolitischen Debatte. Wenn Stimmen wie der Militärhistoriker Sönke Neitzel einen „strukturellen Pazifismus“ in Deutschland beklage und für eine „Wiederbelebung militärischer Tugenden“ eintrete, Transatlantiker Sigmar Gabriel gegenüber dem Handelsblatt erkläre, dass US-Präsident Donald Trump Europa „ohne mit der Wimper zu zucken an Russland verkauft“ hätte und das Blatt schließlich daraus folgere, dass es keine Alternative zur Aufrüstung gebe, um zu verhindern, das in weiteren Staaten dasselbe passiere wie in der Ukraine, dann müsse man das kritisch hinterfragen.

„Krasses Missverhältnis“ der Militärausgaben von Russland und NATO

„Was Putin derzeit in der Ukraine erlebt, lädt nicht dazu ein, in den baltischen Staaten weiterzumachen“, so Bsirske. „Putin mag den Krieg in der Ukraine militärisch gewinnen, den Frieden gewinnt er nicht.“ Auf Dauer werde diese auf Krieg und Volksgefängnis gründende Herrschaft nicht tragen. Wirtschaftlich werde diese auf Fremdherrschaft und Vassalenterritorium gründende Idee für Russland noch viel mehr Last sein als es die osteuropäischen Staaten für die Sowjetunion waren. Das sei weder attraktiv noch habe es Aussicht auf Bestand, ist Bsirske überzeugt.

Wenn man jetzt über einen kräftigen Schub in Sachen Aufrüstung nachdenke, dann lohne sich ein Blick auf die Relationen bei den Rüstungsausgaben. Hier bestehe bereits jetzt ein derart krasses Missverhältnis, dass man sich frage, „was es eigentlich soll, dieses Missverhältnis noch krasser zu gestalten“.

Laut dem schwedischen Friedensforschungsinstitut SIPRI lagen die russischen Militärausgaben im vergangenen Jahr bei 61,7 Milliarden US-Dollar. „Allein Deutschland würde Russland in den absoluten Rüstungsausgaben übertreffen“, wenn das Zwei-Prozent-Ziel der NATO künftig eingehalten werde, so Bsirske. Der Militärhaushalt stiege dann auf über 70 Milliarden US-Dollar. Ohnehin stehe den russischen Zahlen die USA mit Ausgaben von 778 Milliarden US-Dollar gegenüber. Die gesamten Militärausgaben der NATO-Staaten belaufen sich auf über eine Billion Dollar. „Und jetzt wird uns gesagt, das reicht alles nicht. Ich finde das nicht einleuchtend.“

Bundeswehr „blank“ trotz 50 Milliarden? „Ein Offenbarungseid.“

Die Bundeswehr habe ein Ausrüstungs-, aber kein Aufrüstungsdefizit. Der deutsche Rüstungshaushalt sei seit 2015 um mehr als ein Drittel gestiegen – von rund 32 Milliarden Euro auf mittlerweile rund 50 Milliarden im Jahr 2022. Wenn die Bundeswehr trotz dieser Ausgaben „blank“ oder „nackt“ dastehe, 50 Milliarden Euro also nicht reichen würden, dann müsse man fragen, „was da eigentlich falsch läuft anstatt noch zusätzliches Geld hinterher zu werfen“. Es stelle sich auch die Frage nach der politischen Verantwortung. Wenn die Bundeswehr trotz des bestehenden Etats nackt sei, dann sei das ein „Desaster für diejenigen, die die politische Verantwortung hatten“. Es sei ein „Offenbarungseid“ für die Kontrolle der Politik der unionsgeführten Verteidigungsministerien der letzten Jahrzehnte.

Da gebe es „echten Diskussionsbedarf“ – nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Ampel. Bsirske ist sich dabei sicher, dass viele Abgeordnete der Grünen-Fraktion diese Position teilen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Erklärung von Bundesfinanzminister Christian Lindner, dass künftig alle öffentlichen Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden müssten.

„Grobes Foul“ des Bundeskanzlers

Die Ankündigung von Olaf Scholz, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO künftig nicht nur einzuhalten, sondern sogar noch zu übertreffen und zusätzlich ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr bereitzustellen sei nach seinem Kenntnisstand weder mit der Grüne-, noch mit der SPD-Fraktion abgesprochen gewesen. „Das ist ein grobes Foul, das Folgen haben sollte“, sagt Bsirske später in der Fragerunde.

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Jetzt gehe es um die Ausgestaltung des angekündigten Sondervermögens und den zugrunde gelegten Sicherheitsbegriff. Dazu gehöre dann nämlich auch Energieunabhängigkeit – und damit müsse ein erheblicher Anteil in die Beschleunigung der Energiewende gesteckt werden. Auch stelle sich die Frage, wie mit Regelung in der Koalitionsvereinbarung umgegangen werde, derzufolge eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auch dieselbe Erhöhung der Ausgaben für Entwicklungshilfe und -zusammenarbeit zur Folge haben müsse.

„Und wenn so viel von Zeitwende die Rede ist und davon, dass Tabus gebrochen werden müssen, sollte dann nicht über eine Vermögensabgabe nachgedacht werden müssen – zum Beispiel eine Abgabe von 19 Prozent für Milliardäre.“ In Bsirskes Augen ist ein solcher Schritt alles andere als undenkbar – von April 2019 bis Juli 2020 sei das Vermögen von Milliardären um just diesen Prozentsatz gestiegen. Und zusätzliche Einnahmen seien ohnehin dringend notwendig. Angesichts des Preisanstiegs bei Energie, insbesondere Erdgas müsse es einen Preisdeckel für einen bestimmten Grundverbrauch geben, für den der Staat die Versorger entschädigen müsse. Dazu müsse man die starken Schultern in der Gesellschaft heranziehen.

Corona: ein „Brandbeschleuniger für Ungleichheit“

Die Corona-Krise habe wie ein Vergrößerungsglas gezeigt, dass es besonders die ärmeren Schichten treffe. „Je prekärer die Lage, desto höher die Infektionsrate.“ Corona sei ein „Brandbeschleuniger für Ungleichheit“ gewesen. Und die anfänglich schnellen Reaktionen der schwarz-roten Regierung zur Abfederung von Einkommensverlusten sei einem zunehmenden Verlust von politischem Vertrauen gewichen. Ein Flickenteppich an Regelungen, Beschaffungsprobleme bei Masken und Tests, persönliche Bereicherung durch einige Unionspolitiker – da sei zum politischen auch noch moralisches Versagen hinzugekommen.

Und schließlich geht Bsirske zum gewerkschaftlichen Teil seiner Rede über. Die Corona-Krise habe gezeigt, wie wichtig sichere, tarifliche abgesicherte Beschäftigungsverhältnisse auf der einen und ein Staat, der sich um Daseinsvorsorge kümmere, auf der anderen Seite seien. Bsirske fordert eine nachhaltige Aufwertung des Pflegeberufs – Lohnerhöhungen und generell bessere Arbeitsbedingungen. Insgesamt müsse die Krankenpflege auf ein anderes, ein gemeinnütziges System umgestellt werden.

„Klimakrise bedroht Menschheit als Gattung“

Als „fundamentalste Herausforderung“ allerdings sieht Bsirske die Klimakrise. Hier sei die „Menschheit als Gattung“ bedroht. Es brauche einen raschen Umbau der Wirtschaft. Dieser werde nicht ohne Folgen für Arbeitsplätze und Beschäftigte bleiben. Es gebe aber auch große Chancen für Zukunftstechnologien und neue Arbeitsplätze. Gefordert seien dabei Arbeitgeber und Gewerkschaften, vor allem aber ein aktiver Staat. „Der schafft die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und nicht der Markt.“ Es brauche Planungssicherheit für Unternehmen und erhebliche Eigeninvestitionen des Staates. Als Beispiel nennt Bsirske den kommunalen Investitionsbedarf, der laut KfW bundesweit bei 147 Milliarden Euro liegt, aber auch die niedrigen Pro-Kopf-Investitionen in die Schiene, die in Deutschland derzeit bei 80 Euro pro Jahr liegen – in Österreich betragen sie mehr als das Drei-, in der Schweiz mehr als das Vierfache.

Um hier mehr ausgeben zu können, müssten die Schuldenbremse und das Ziel einer schwarzen Null gekippt werden, fordert Bsirske. Alles andere sei „ideologisch motivierte Unvernunft“. Auf Dauer gehe das nur durch eine Änderung des Grundgesetzes – doch dafür fehlt im Bundestag bislang die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit.

„Demokratien sind stärker, wenn die Ungleichheit geringer ist.“

Das Ziel in weniger als 30 Jahren eine „klimagerechte Gesellschaft“ zu werden sei eine große Herausforderung, sagt Bsirske gegen Ende seiner Rede. Und solche Veränderungen würden auch Verunsicherung auslösen. Deshalb müssten diese Veränderungen Hand in Hand gehen mit sozialem Ausgleich – mindestens einer Beibehaltung des Rentenniveaus, einem Zurückdrängen prekärer Arbeitsverhältnisse, Schaffung von bezahlbarem Wohnraum und einem anderen Steuersystem, weg von einem Deutschland, das derzeit eine Steueroase für reiche Erben und Vermögensmillionäre und -milliardäre“ sei. Das alles sei nicht nur eine Gerechtigkeitsfrage. „Demokratien sind stärker, wenn die Ungleichheit geringer ist.“

Die Anwesenden quittieren diese Forderungen und Positionen mit viel Applaus – doch ebenso wie sie weiß auch Bsirske: Weder für diese Pläne noch für seine Forderungen in Zusammenhang mit der Erhöhung der Rüstungsausgaben gibt es im Bundestag eine politische Mehrheit. Und das liegt nicht nur an den „schmerzhaften Konzessionen an die FDP“, die man, so Bsirske, bei der Ampel habe machen müssen, sondern auch an der SPD – und an seiner eigenen Partei.