„Fremd in ihrem Land – eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten“

Deutschlandfunk 4.1.2018 – Buchvorstellung: Arlie Russell Hochschild: „Fremd in ihrem Land“  – Sie wollen keine Opfer sein.“


„Strangers in Their Own Land:  Challenges Climbing the Empathy Wall

Prof. Ph.D. Arlie Hochschild describes her journey from Berkeley, her own liberal cultural enclave, to Louisiana, a conservative one.

She explores her choice of research site, her effort to remove her own political alarm system, and during five years of research, to climb over what she calls an “empathy wall.” She focuses on her concept of the “deep story” – a version of which underlies all political belief, she argues, and will end with the possibilities of finding common ground across the political divide. Series: „UC Berkeley Graduate Lectures


ZEIT Nr. 39/2017 – 21. September 2017 Susanne Mayer

„Arlie Russell Hochschild: Bloß kein Weichei sein

Arlie Russell Hochschild besucht einen der ärmsten Landstriche Amerikas und blickt in die Seelen der Anwohner. Eine Wissenschaftlerin übt sich in Einfühlung.

Das Buch entfaltet sich behutsam, langsam, fast quälend. Arlie Russell Hochschild ist eine sorgfältig arbeitende Frau, eine renommierte Soziologin, wir verdanken ihr überraschende Studien, etwa zum wahnwitzigen Parcours von Eltern zwischen Kindern und Büro (Keine Zeit, 2002) oder zur Kommerzialisierung von Intimität im Online-Dating oder in der Altenpflege (The Outsourced Self, 2013).

Man merkt, das neue Projekt fällt ihr nicht leicht. Die Professorin, Jahrgang 1940, fährt aus ihrem schönen Berkeley in Kalifornien herunter nach Louisiana, aus ihrer hübschen linksliberalen Blase hinaus in einen Staat, der unter den 50 Staaten Amerikas einer der elendesten ist. Genauer: der zweitärmste.

Hier liegen keine Stapel der New York Times, Bio ist nicht im Angebot, es wird gegrillt. Statt Kleinwagen gibt es fette SUVs. Auch die Körper sind nicht für Kleingrößen geeignet. Kleine Flaggen überall, im Rot-Weiß-Rot der Konföderierten, die einst den Sklavenstaat verteidigten. Der in Breitwand verkitschte Charme des tiefen Südens ist vom Winde verweht, das Paradies verloren. Die knorrigen Bäume, von denen einst das lange Moos übers Wasser strich – tot kauern sie in giftig schillernder Brühe.

Hochschild nennt Louisiana das „Ground Zero“ der Petroindustrie. Sie trägt zusammen: Milliardenschwere Subventionen haben chemische Großbetriebe angelockt. Shintech, ExxonMobil, Monsanto. Im Boden dürfen Giftabfälle günstig vergraben werden, aus Schornsteinen verpuffen stinkende Wolken. Hier wird die höchste toxische Emission pro Kopf gemessen, bei Männern die zweithöchste Krebsrate der Vereinigten Staaten. Die Schulen sind marode, die Kinder abgehängt mit katastrophalen Lese- und Mathe-Kenntnissen.

Ihre Eltern – mehrheitlich Tea Party. Sie wählen Politiker, die versprechen, den öffentlichen Sektor weiter herunterzuschrauben, Millionären die Steuern zu kappen bei gleichzeitiger Kürzung der Armenfürsorge. Und vor allem für Großbetriebe diese Umweltschutzbestimmungen abzubauen. Trump-Wähler. Der harte Kern. Warum nur? Diese Frage befeuert das Buch.

Es ist eine Herausforderung. Verstehen, warum Menschen vehement den Staat zum Feind erklären, wo doch 44 Prozent ihres Haushaltes als Subvention von Washington kommt. Hochschild nennt es „das Paradox“.

In intensiven Gesprächen kämpft sie darum, es aufzulösen. Und sie hat dabei ein Problem am Wickel, das ja keineswegs nur Amerika hat, nämlich dass Menschen sich von dem abwenden, was ein Rechtsstaat ihnen an Schutz verspricht. Dass sie es für ärgerliches Pillepalle halten, den Faulen, also Arbeitslosen, zu helfen. Und dann noch Rechte für Frauen und Schwule! Solle man die Armen doch verhungern lassen, sagt eine Frau. Alleinerziehenden müsste man die Eileiter abklemmen!

Reportage, Gesprächsprotokolle, Fakten. Hochschild ringt um Verständnis

Ja, das ist die Steilvorlage für eine, die sich vorgenommen hat, stellvertretend für uns „die Empathiemauer“ zu überwinden, die sich allerorten zwischen Links und Rechts, Arm und Reich, Nord und Süd breitgemacht hat.

Mit Mauer meint Hochschild auch das eigene Zurückzucken vor Positionen, die ihr gnadenlos erscheinen, und, man fühlt es zwischen den Zeilen, auch als gnadenlos dumm. Mit Überwindung meint sie das Gegenteil von dem, was gerade so in ist im politischen Diskurs Amerikas, nämlich das Hochziehen von Mauern. Sie will Mauern einreißen.

Es ist ein Buch, das sich in seiner Mischung aus Reportage, Gesprächsprotokollen, Faktenanhäufung leicht liest und spannend ist wie ein Krimi.

Es geht ja auch um Leben und Tod, um die ewige Frage: Wer war’s? Wer ist schuld an der Misere, der gierige Kapitalismus, der nur Gewinne kennt, koste es, was es wolle, also die anderen? Oder die Bürger, die dagegen nicht aufbegehren? Wir treffen hier einen, der sich schuldig bekennt, jahrelang im Schutze der Nacht für seine Firma den Giftmüll in ein Gewässer gekippt zu haben. Und der dann, schwer erkrankt, gefeuert wurde. Männer stehen des Nachts in ihren Gärten, unter denen das Methangas blubbert, und weinen um ihre krebskranken Frauen und Kinder. Sie gehen noch fischen, wie damals, als sie Kinder waren. Nur können sie die Fische nicht mehr essen. Es sei denn, sie folgen komplexen chirurgischen Schnittmustern und entfernen am Fisch das Giftgewebe, und dann guten Appetit.

Verachtung für diejenigen, die zu Boden gehen

So kurvt man atemlos mit Hochschild die sogenannte „Krebsavenue“ herunter, von Lebensgeschichte zu Lebensgeschichte, in Richtung Golf von Mexiko, zu dem hin jetzt das ganze geschundene, durchlöcherte Land ein wenig absackt, sodass Ortschaften verschwinden und einige Friedhöfe nur per Boot zu erreichen sind. Wie erstaunlich, diese Geschichten der Menschen, wie sie versuchen zu überleben und sich dazu an den Bildern festhalten, die sie von sich selber haben, nämlich als naturliebende, moralisch untadelige Kirchgänger, großherzige Familientiere, die zum Wohl ihrer Familie alles geben. …

Wut und Trauer. Das Forschungsobjekt ist die innere Gefühlslandschaft

Im englischen Original heißt das Buch im Untertitel Anger and Mourning in America. Wut und Trauer. Hochschilds Forschungsziel, ihre Spezialität, ist die Skizzierung einer emotionalen Landkarte, mit der sich die Menschen in ihren Entscheidungen orientieren.

In historischen Tiefenbohrungen sondiert sie, welche Ereignisse sich zu einem die Generationen umspannenden Kontext verdichten, der nun ihren Gesprächspartnern jene Parameter liefert, nach denen ihre Entscheidungen sich klug und emotional richtig anfühlen. Es ist erstaunlich, wie ergiebig diese Kombination von Fakten und psychologischer Einfühlung und Fantasie ist. Sie führt zu jenem Kern von Gefühl, den ein gewiefter Demagoge zum Glühen bringt.

Da wäre der Bürgerkrieg, der in den Südstaaten erinnert wird als eine von Norden hereinbrechende Gewalt. Die Demütigung, moralisch desavouiert zu sein als Sklavenhalternation. Ein Trauma, das sich schmerzlich vertieft, als Bürgerrechtler in den sechziger Jahren aus dem Norden kommen und Schwarze zu Wählern machen.

Dann: Obama im Weißen Haus. Menschen, die sich als treue, als die wahren Amerikaner empfinden, die geduldig darauf warten, dass sich auch in ihnen einmal der Amerikanische Traum verwirklicht, und nun erleben, wer alles an ihnen vorbeizieht, Schwarze, Frauen, Schwule. Und für alle wird Mitgefühl verlangt. Von ihnen, mit denen niemand fühlt. Die ja auch kein Mitgefühl wollen, schon weil sie nicht Opfer sein wollen.

Hochschild entwickelt „die Tiefengeschichte“, eine Erzählung, die Mr. Freud und der Fantasie viel verdankt. In diese Story hineingewoben sind neuralgische Knotenpunkte, in denen sich verdichtet, was die Kraft zum Widerstand gibt, Schablonen für den Ich-Entwurf.

Der alte Cowboy-Mythos, der nahelegt, auf Risiko zu spielen, auch wenn es um giftige Dämpfe geht. Der Stolz darauf, kein Weichei zu sein, Schläge hinzunehmen, ohne aufzujaulen.

Die Verachtung für diejenigen, die zu Boden gehen, die Loser.

Die Gottergebenheit der Kirchgänger. Die kleine Hoffnung, die darin liegt, dass man sich mit den gehätschelten, steuerbefreiten Reichen identifiziert, einmal sein wie sie!

Ja, es macht beklemmend Sinn, dieses Konstrukt. Ein wenig irritiert, dass Arlie Hochschild einen Salto mortale rückwärts hinlegt, um für ihre Gegenüber zu werben.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass es ausschließlich herzliche, großzügige, kinderliebende Menschen sind, die Tea-Party-Plakate kleben, sie nennt sie „meine neuen Freunde“. Na, das geht dann doch ein wenig zu weit. Wenn eine Frau fragt, ob sie etwa ein böser Mensch sei, weil sie Armen keine Unterstützung gönnt – würde man sich ein „Ja!“ als Antwort wünschen. Im Sinne der Beförderung einer demokratischen Debatte. Aber das ginge natürlich über die von Hochschild angestrebte wissenschaftliche Neutralität hinaus.

Arlie Russell Hochschild: Fremd in ihrem Land. Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten; a. d. Engl. v. Ulrike Bischoff; Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2017; 429 S., 29,95 €, als E-Book 25,99 €.


USA: Die Geister der Vergangenheit | Doku | ARTE

Ausgangspunkt des Films „Die Geister der Vergangenheit“ sind die Geschehnisse in Charlotteville im August 2017: In der zwei Autostunden südwestlich von Washington, D.C., gelegenen 50.000-Einwohner-Stadt Charlotteville hatten sich mehrere Hundert Menschen aus verschiedenen ultrarechten Gruppen zu einer Kundgebung unter dem Motto „Vereinigt die Rechte“ versammelt. Darunter waren Anhänger der Alt-Right-Bewegung, Neonazis und Mitglieder des Ku-Klux-Klan.

Anlass für den Aufmarsch war ein Stadtratsbeschluss, wonach eine Statue des Konföderierten-Generals Robert F. Lee aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg von 1861 entfernt werden sollte. Die Konföderierten kämpften unter anderem für den Fortbestand der Sklaverei. Die Stadt Charlottesville ist heute überwiegend demokratisch geprägt. 60 Prozent der Einwohner sind Afroamerikaner.


Nach den US-Wahlen: Wie sehr lieben die Amerikaner Donald Trump? | WDR Doku

 08.11.2018 – In Winston County, Alabama ist man mitten im Trump-Land. 90 Prozent haben hier vor zwei Jahren für den heutigen Präsidenten gestimmt.