Inflationsursachen bekämpfen und soziale Belastungen ausgleichen

Quelle: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitiik e.V. (Artikel Prof. Dr. Rudolf Hickel)

Inflationsursachen bekämpfen und soziale Belastungen ausgleichen
Der anhaltende Inflationssprung seit dem vergangenen Jahr hat viele Ursachen. Einfluss haben nicht nur die steuerpolitischen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie. Die Inflation wird durch längerfristig angelegte Krisenherde der Globalisierung wie die Lieferkettenprobleme sowie durch die monopolistische Preissetzung durch Megakonzerne und Spekulationsgeschäfte mit lebensnotwendigen Gütern vorangetrieben. Aber auch die notwendige Anpassung bisheriger Billigpreise an ökologische und soziale Standards in der internationalen Wertschöpfungskette kommen hinzu. Schließlich werden die Preise für fossile Energie und wichtige Nahrungsmittel durch Putins Krieg gegen die Ukraine zu Treibern der Gesamtinflation.

Mit der hier vorgelegten Erklärung der wichtigsten Ursachen lassen sich Ansatzpunkte zum Abbau dieser Inflationskräfte spezifizieren. Deutlich wird dabei auch, dass gegenüber dieser importierten Angebotsinflation die Europäische Zentralbank mit ihrer makroökonomischen Geldmengenpolitik keinen ausreichenden Einfluss hat. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Stabilisierung des Währungssystems gegen Fragmentierungen zwischen finanzstarken und -schwachen Mitgliedsländern infolge der Zinswende.
Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass sich der aktuelle Inflationsschub mit schnell wirksamen Gegenmaßnahmen nicht stoppen lässt. Eher ist mit der weiteren Bewegung der inflationstreibenden Preise für fossile Energie, andere Rohstoffe und wichtige Nahrungsmittel auf dem derzeit hohen Niveau zu rechnen. Allerdings sind erneut deutlich steigende Inflationsraten nicht zu erwarten. Selbst wenn die Inflationsraten in den kommenden Monaten gegenüber derzeit mehr als 7 Prozent zurückgehen sollten, bewegen sich die systemisch relevanten Energiepreise deutlich über dem Vor-Corona-Niveau.

Die Bekämpfung der Inflation ist die eine Aufgabe. Die andere Aufgabe konzentriert sich auf dieSicherung des sozialen Ausgleichs für die von der Inflation besonders hart Betroffenen. Denn die Geldentwertung wirkt zutiefst sozial ungerecht. Private Haushalte mit geringem Nettoeinkommen und damit einem hohen Konsumanteil an den von der Inflation besonders betroffenen Waren des Grundbedarfs sind die Verlierer. Der Preis für deren Warenkorb ist gegenüber dem Durchschnitt am teuersten. Gegen die sozialen Folgen der Inflation, die die Armut nach oben treibt und die unteren Mittelschichten am härtesten trifft, muss der Staat mit Ausgleichszahlungen gegensteuern.

Erste Antworten auf die durch die Inflation dramatisch zugespitzte soziale Frage hat die Bundesregierung bereits gegeben. Bis zur Jahresmitte 2022 wurden zwei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von etwa 30 Mrd. Euro vorgelegt.
Die Pakete beinhalten unter anderem eine Erhöhung der Steuerfreibeträge, die Auszahlung einer einmaligen Energiepreispauschale für Erwerbstätige sowie einen Familienzuschuss für Eltern mit Kindern, eine vorübergehende Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe („Tankrabatt“) sowie das „9 Euro-Ticket“.

Um den danach weiterhin gestiegenen Preisen entgegenzuwirken, ist im August 2022 ein drittes Entlastungspaket unter dem Titel „Inflationsausgleichsgesetz“ mit 10 Mrd. Euro auf den Weg gebracht worden. Kernpunkte sind ein steigender Grundfreibetrag im Einkommensteuertarif sowie die Erhöhung des Kindergeldes. Der angehobene Grundfreibetrag dient dem Ziel, die sogenannte kalte Progression abzubauen. Der Begriff beschreibt den Effekt, dass jemand durch eine Lohnerhöhung, die höchstens die Inflation ausgleicht, in einen höheren Steuertarif rutscht und somit letztlich bezogen auf die Kaufkraft weniger Geld als zuvor in der Tasche hat.

Die Kritik an den bisherigen sozialen Maßnahmen zum Inflationsausgleich ist groß. Während einige Entlastungen bei den Betroffenen kaum spürbar werden, profitieren die Konzerne in der Energiewirtschaft (etwa Mineralölkonzerne durch den Tankrabatt). Auch ist der Anreiz zur Energieeinsparung zu wenig berücksichtigt. Dagegen sollten Ausgleichsprogramme für die sozialen Belastungen durch die inflationstreibenden Energiepreise gezielt bei der eingrenzbaren Gruppe der Betroffenen ansetzen. Bei den gezielten Maßnahmen zum Ausgleich der Belastungen durch die Energiepreise sind Mitnahmeeffekte für Einkommensstarke zu vermeiden.

Gemessen an dieser Zielsetzung eignen sich vor allem einige steuerpolitische Maßnahmen im dritten Entlastungspaket nicht. Dazu gehört der Vorschlag, durch die Erhöhung des (steuerfreien) Grundfreibetrags und weitere Verschiebungen im Einkommensteuertarif die „kalte Progression“ zu reduzieren. Zwar ist es grundsätzlich richtig, den Anstieg der Steuerbelastung vor allem ab dem Eingangssteuersatz mit 14%, der durch den inflationären Anstieg der Löhne erzeugt wird, abzubauen. Aber als Entlastungsmaßnahme gegenüber den gestiegenen Energiekosten ist der Vorschlag mangels Zielgenauigkeit und aus verteilungspolitischer Sicht untauglich. Während die Gruppe der nicht Steuerpflichtigen, die sich vor allem auf den Bereich der Sozialeinkommen konzentriert, keine Vorteile hätten, würden die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener durch den höheren Grundfreibetrag entlastet.

Das weitere, zeitlich befristete Instrument einer Gaspreisumlage ist auch verteilungspolitisch umstritten. Gasimporteure, die die früheren Erdgaslieferungen aus Russland jetzt teuer am Weltmarkt einkaufen müssen, erhalten einen Ausgleich für ihre Verluste. Die geschätzte Summe von 35 Mrd. Euro wird durch eine Umlage auf alle Gasnachfrager finanziert. Der für die Umlage eingesetzte Beitrag beläuft sich auf 2,419 Eurocent pro Kilowattstunde (kWh). Zusammen
mit der Mehrwertsteuer von derzeit 19% sind es 2,879 Eurocent. Ein Reihenhaus mit 100 m 2 , für das im Durchschnitt 15.000 kWh Gas pro Jahr zum Heizen und für Warmwasser verbraucht wird, löst über das gesamte Jahr 484 Euro (mit Mehrwertsteuer 576 Euro) an Mehrkosten aus. Bei einer Single-Wohnung mit 50 m 2 sind es brutto 144 Euro. Auf die Frage, wie dieser Sozialausgleich finanziert werden soll, hat die Bundesregierung eine klare Antwort: Dazu dient die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Gas (einschließlich der Gasumlage) von 19% auf 7% Da die Einkommensstarken und Vermögenden ebenfalls davon profitieren, taugt dieses Finanzierungsinstrument nicht.

Ein alternativer Vorschlag lautet: Die sozialen Belastungen infolge der übrigens auch ohne die Gaspreisumlage steigenden Preise für diese Energiequelle werden durch einen Gaspreisdeckel zusammen mit einer Energiepreispauschale über mehrere Monate vom Staat ausgeglichen. Um die Profiteure der Energiekrise in die Finanzierung des sozialen Ausgleichs einzubeziehen, wird vorgeschlagen: Dazu werden die Extraprofite, die bei vielen Energieunternehmen anfallen, durch eine Sondersteuer abgeschöpft.

Es bleibt dabei: Die zum Ausgleich der Energiekostensprünge subjektiv zurechenbaren öffentlichen Hilfen stehen im Zentrum. Hierfür steht beispielhaft der Vorschlag eines Gaspreisdeckels, den Sebastian Dullien und Isabella Weber unterbreitet haben. Denn der Gaspreis treibt zusammen mit der Gaspreisumlage die Inflation nach oben.

Der Vorschlag zur Deckelung des Gaspreises lautet: Ausgegangen wird mit dem Sockel 8.000 kWh pro Jahr von der Hälfte des Gasverbrauchs für eine 100- m 2 -Wohnung. Für diesen Sockel gilt der Höchstpreis von 7,5 Cent/kWh (entspricht etwa dem Preis Ende des Jahres 2021). Für größere Haushalte könnte der Sockelbetrag auch variieren. Im Vergleich zum vorgeschlagenen Basispreis wurden im Januar 2022 für Neuverträge bereits über 12 Cent/kWh bezahlt. Der Bund subventioniert die Differenz zwischen dem Großhandelspreis und einer Pauschale für die Verteilung gegenüber dem Sockelpreis.

Die mehrfachen Vorteile liegen auf der Hand: Vorübergehend entlastet werden private Haushalte mit kleineren Wohnungen bei geringem Verbrauch. Insgesamt wird die Inflationsrate reduziert. Der Preisdeckel für den Sockelbetrag schafft Anreize, den Gasverbrauch insgesamt zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil sollte auch bei allen anderen Maßnahmen berücksichtigt werden: Dieser Gaspreisdeckel entlastet die Tarifparteien bei der Lohnfindung. Grundsätzlich reduzieren gezielte politische Maßnahmen zum sozialen Ausgleich für die Inflation den bei Tarifverhandlungen erforderlichen Ausgleich für die Kerninflation zur Reallohnsicherung. Wenn dann noch die staatlichen Ausgleichsbeiträge mit der Sondersteuer aus den krisenbedingten Übergewinnen der Energiekonzerne finanziert werden, ist die soziale Antwort auf die Inflation auch in der Arbeitswelt perfekt.

Sebastian Dullien / Isabella M. Weber: Mit einem Gaspreisdeckel die Inflation bremsen, in: Wirtschaftsdienst, 102. Jahrgang, Nr. 3/2022.

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