Klimakrise in Deutschland: Wo bleibt der Aufschrei?

Quelle: taz, 22.9.22

Klimakrise in Deutschland: Wo bleibt der Aufschrei?

Keiner drängt auf Klimaschutz, weil das Problem weit weg ist, hieß es Früher. Jetzt brennen Wälder und trotzdem ist die Erderhitzung kein Thema.

Ein Bundeswehrhubschrauber vom Typ Bell CH-53 holt Löschwasser zur Waldbrandbekämpfung aus dem Kiebitzer Baggerteich

Die Bundeswehr musste im Juli beim Löschen helfen und schöpfte Wasser aus nahegelegenen Seen Foto: Jan Woitas/dpa

Wer sich ernsthaft mit der Klimakrise beschäftigt, fragt sich irgendwann: Warum gibt es keinen Aufschrei? Warum stürmen die Leute nicht die Regierungs- und Konzernzentralen, wenn sie die Daten und Prognosen der Wissenschaft hören, und verlangen sofortigen, radikalen Klimaschutz?

Die Antwort war lange klar: Die Krise ist nicht akut, sie kommt schleichend, ist poten­ziell lebensbedrohlich, aber nicht hier und jetzt. Es trifft andere, die Armen und die weit Entfernten. Wir werden in unseren Routinen nicht gestört.

Jetzt ist alles anders. In diesem Sommer trocknete der Rhein aus, in Berlin brannte tagelang der Grunewald, Felder wurden zur Steppe. Die Klima­krise ist nicht mehr weit entfernt, sondern hier und jetzt. Sie trifft nicht (nur) Pakistan und Südafrika, sondern auch Berlin-Zehlendorf und die Loreley. Und: kein Aufschrei. Ein Spiegel-Titel, einmal „Hart aber fair“. Ansonsten: Schweigen im staubtrockenen Walde. Erregt debattieren wir über einen möglicherweise kalten Winter statt über den tatsächlich heißen Sommer. Warum?

Fragt man das ExpertInnen und Engagierte, herrscht zunächst Ratlosigkeit. Dann heißt es: zu viele Krisen: Krieg, Inflation, Energiepreise, Covid – und auch noch Klima. „Da rutscht natürlich das Klima hintenrunter“, sagt eine Wissenschaftlerin. Die Leute seien müde und wollen nicht noch die nächste schlechte Nachricht hören. Sie will sich aber nicht zitieren lassen, weil sie über diese Frage noch nicht tiefgehend nachgedacht hat. Was ja auch schon etwas über Prioritäten aussagt.

Einige vermuten, die Grünen seien schuld, irgendwie

Andere Erklärung: Großdemos wie bei Fridays for Future 2019 seien zwar wieder möglich, aber Pandemieangst und Masken verderben den Spaß am Protest-Happening. Und: Hitzesommer gibt es immer in den Ferien. Da aber sind alle auf Ausspannen und „mir doch egal“ gepolt statt auf Protest und Aktion.

Andere vermuten, die Grünen seien schuld, irgendwie: weil sie jetzt in der Bundesregierung in vier Ministerien den Klimaschutz propagieren, erschlaffe die Bereitschaft, sich zu engagieren.

Eine beunruhigende Ruhe hat Brigitte Knopf festgestellt, Generalsekretärin des Klima-Thinktanks MCC: Die Menschen gewöhnten sich an den Klimawandel. Es ist eine mentale Anpassung an die Katastrophe, ohne sich physisch oder baulich wirklich anzupassen. Während der Körper überhitzt, denkt der Kopf, das sei normal. „Mein Nachbar hat früher noch den Rasen gesprengt, in diesem Jahr hat er aufgegeben“, sagt Knopf. „Das ist also das neue Normal.“

Die Wissenschaft nennt das Phänomen „shifting baselines“: Wenn Ungewöhnliches häufig passiert, wird es zur Norm. Der erste Dürresommer 2018 war ein Skandal. Jetzt ist akzeptiert, dass es im deutschen Sommer kaum noch regnet.

Gewöhnung an die Katastrophe

Und: Die Akzeptanz der Katastrophe habe offenbar schon im Feuilleton stattgefunden, sagt Knopf. Sie verweist auf einen großen Text im Kulturteil der Süddeutschen Zeitung zu den Bränden im Elbsandsteingebirge, wo ein romantisches Gemälde von Caspar David Friedrich vor einem brennenden Wald mit „Wanderer über dem Flammenmeer“ betitelt wurde. „In dem ganzen Text findet keine Erwähnung des Klimawandels statt“, sagt Knopf entgeistert. Sie sieht darin die Gewöhnung an die Katastrophe und eine Romantisierung der Naturgewalt, bei der ignoriert werde, dass sie menschengemacht ist.

Die Krise werde also normal, aber es fehle der Bezug zur Klimapolitik. „Dass wir die Energiewende machen, ist akzeptiert. Aber dass wir sie machen, um die Folgen und das Eskalieren der Erwärmung zu bekämpfen, hat kaum jemand parat“, sagt die Wissenschaftlerin, die im Expertenrat für Klimafragen die Regierung berät. Deshalb gebe es auch kaum eine Verbindung zum eigenen Leben: Klimawandel? Schlimm. Aber nach Kalifornien, wo die Wälder ebenfalls abfackeln, fliegen wir trotzdem.

„Wir Menschen sind unglaublich anpassungsfähig“, sagt Gerd Rosenkranz, ehemals Leiter Grundsatzfragen bei Agora Energiewende. Wir kämen mit tiefgreifenden Änderungen unseres Lebensumfelds zurecht, ohne selbst etwas an unserem Leben ändern. „Unsere erstaunliche Anpassungsfähigkeit hat uns bisher das Überleben gesichert.“ Jetzt könnte sich das umdrehen und verhindern, dass wir die Katastrophe rechtzeitig begreifen und abwehren. Nicht mal dann, wenn vor unseren Füßen der Rhein austrocknet.

Essay von Bernhard Pötter, Redakteur für Wirtschaft und Umwelt

Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).

Schwerpunkt: Fridays for Future