Lieferkettengesetz: Der lange Arm der Wirtschaftslobby in die CDU

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Quelle: LobbyControl

Eine der größten Lobby-Auseinandersetzungen tobt derzeit um das sogenannte Lieferkettengesetz, das Unternehmen dazu verpflichten soll, ihren Sorgfaltspflichten in der globalen Produktion nachzukommen. Dazu gehört insbesondere auch die Einhaltung der Menschenrechte innerhalb der Wertschöpfungsketten. Gegen ein solches Gesetz läuft die Wirtschaftslobby in Deutschland Sturm.

Zunächst wollte man es vollständig verhindern, nun – da das Gesetz wohl kommen wird – versucht man es zu verzögern und zu verwässern. Ein wichtiges Einfallstor für einseitige Unternehmensinteressen ist der CDU-Wirtschaftsrat. Der hat sich deutliches Gehör beim Wirtschaftsflügel und bei Bundeswirtschaftsminister Altmaier verschafft. Das wird deutlich, wenn man die Positionen zum Lieferkettengesetz genau betrachtet.

Aktion der Initiative Lieferkettengesetz, einem Zusammenschluss von Menschenrechtsorganisationen, vor dem Deutschen Bundestag. Foto: Initiative Lieferkettengesetz.

Das Lieferkettengesetz: eine Frage von “Anstand und Gerechtigkeit”

Worum geht es genau beim Lieferkettengesetz? Das Gesetz soll deutsche Unternehmen dazu anhalten, in ihren globalen Lieferketten auf die Einhaltung der Menschenrechte und des Umweltschutzes zu achten. Wenn sie die menschenrechtlichen Risiken ihrer Geschäfte und Geschäftsbeziehungen nicht untersuchen, sollen sie mit Bußgeldern belegt und vorübergehend von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Wenn Unternehmen durch Verstöße gegen ihre Sorgfaltspflichten in ihren vorhersehbare und vermeidbare Schäden mitverursachen, könnten die Betroffenen auf Grundlage eines Lieferkettengesetzes vor deutschen Zivilgerichten Schadensersatz einfordern.

Natürlich ist es für Unternehmen mit Kosten verbunden, wenn sie künftig stärker ihre Lieferketten auf Menschenrechtsverstöße überprüfen müssen. Doch etwaige nachteilige Effekte seien so klein, dass man sie vernachlässigen könne, so der Wirtschaftsweise Achim Truger. Insofern sei es vielmehr eine Frage von “Anstand und Gerechtigkeit” das Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen.

Die Blockierer: Verbände machen Druck

Umso enttäuschender ist es, dass sich ein Großteil der deutschen Wirtschaft vehement dagegen wehrt. Allen voran polemisieren die großen Verbände BDI, BDA und DIHK gegen ein solches Gesetz. In einer gemeinsamen Stellungnahme bezeichneten sie es als “realitätsfern”, dass Unternehmen für unabhängige Geschäftspartner im Ausland zivilrechtliche Haftung übernehmen. Die Haftung für unabhängige Geschäftspartner ist jedoch gar nicht das Ziel des Gesetzes: Deutsche Unternehmen sollen nur für ihren eigenen Beitrag in Haftung genommen werden, zum Beispiel wenn TÜV Süd wider besseren Wissens die Stabilität eines Staudamm des Bergbauunternehmens VALE zertifiziert, dessen Bruch hinterher hunderte Menschen in den Tod reißt.

Auch die Handelsverbände Handelsverband Deutschland (HDE), Handelsverband Textil (BTE) und der Lebensmittelverband lehnen in einem gemeinsamen Papier ein Lieferkettengesetz auf nationaler Ebene ab. Sie fordern stattdessen zwar eine europäische Lösung, doch eine solche liegt in Anbetracht der zu erwartenden langen europäischen Abstimmungsprozesse und des schon angekündigten Widerstands europäischer Wirtschaftsverbände in weiter Ferne. Der europäische Arbeitgeberverband BusinessEurope etwa kündigte schon an, dass er eine europäische Lösung ablehnt.

Belastungsmoratorium: Coronakrise als willkommene Ausrede?

Immer wieder taucht dabei gerade in den letzten Monaten ein Argumentationsmuster bei der Wirtschaftslobby auf, das jede zusätzliche Belastung wegen der Coronakrise als inakzeptabel brandmarkt. Diese Diskussion läuft auch unter dem Stichwort “Belastungsmoratorium” (über das Belastungsmoratorium haben wir bereits zuvor berichtet.). Weitere sogenannte Belastungen sollen demnach für die Zeit der Krise ausgesetzt werden. Zu diesen angeblich “unzumutbaren” Belastungen zählt neben Unternehmenssteuern unter anderem auch das Lieferkettengesetz. BDI-Präsident Kempf warnte in diesem Zusammenhang vor “Verunsicherung“, es drohe „möglicherweise Zurückhaltung bei Investitionen.“

Dass gerade in der Coronakrise Unternehmen rücksichtslos mit den Existenzen zahlloser Angestellter in den Textilfabriken in Bangladesch, Pakistan, Kambodscha oder Myanmar umgehen und damit wirklich unzumutbare Zustände produzieren, wird in keinem Wort erwähnt. Modekonzerne wie C&A oder Primark etwa stornierten im März 2020 kurzerhand Bestellungen in Milliardenhöhe und verweigerten die Zahlung selbst für bereits produzierte Textilien. Mit der Folge, dass Millionen von Frauen und Männern fristlos entlassen und nach Hause geschickt wurden. Wenn dann das Lieferkettengesetz als unzumutbare Belastung in der Coronakrise gebrandmarkt wird, ist das an Absurdität nicht zu überbieten.

CDU-Wirtschaftsrat und wirtschaftsnahe Unionskreise kritisieren Lieferkettengesetz

Neben den großen Verbänden schoss der sogenannte CDU-Wirtschaftsrat früh gegen das Lieferkettengesetz. In dem Lobbyverband, der zwar parteinah ist, aber kein CDU Gremium, wie der Name vielleicht suggeriert, sind wichtige Teile der deutschen Wirtschaft organisiert. Der Wirtschaftsrat lehnte bereits im März des Jahres das Lieferkettengesetz ab, wiederholte seine Ablehnung mehrfach und verwies ab August 2020 und erneut im Herbst auf die Belastungen für die Wirtschaft durch die Coronakrise. Er greift damit die Argumentation der Wirtschaftsverbände auf. Verstärkt wurde diese Kritik durch den Vorsitzenden des wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsrats, dem Wirtschaftsweisen Lars Feld. Er warnte: „[Mit] einem Lieferkettengesetz wird die Axt an das bisherige Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft (…) gelegt.“  Zuletzt wurde die Kritik am Lieferkettengesetz nochmals durch einen weiteren hochrangigen Vetreter verstärkt, den Vizepräsidenten des Wirtschaftsrats Friedrich Merz, Ex-Blackrock-Aufsichtsratsvorsitzender und Kandidat für den CDU-Parteivorsitz.

Die Position des Wirtschaftsrats fand ihren Weg in die Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie der Union. Der Vorsitzende des Arbeitskreises, Joachim Pfeiffer, schlug in dieselbe Kerbe wie der Wirtschaftsrat Mitte Oktober, als er wegen der Folgen von Corona alle Gesetze infrage stellte, „die zusätzliche Belastungen bedeuten würden. Wir dürfen der Wirtschaft in dieser Zeit keine Steine in den Weg legen, sondern müssen Freiräume für Wachstum und Innovationen schaffen.”  Auch der einflussreiche Parlamentskreis Mittelstand kritisierte das Lieferkettengesetz und forderte Anfang Oktober in einem Brief an Fraktionschef Brinkhaus ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft. Dass jedoch auch Wirtschaftsminister Altmaier diese Kritik aufgreift (er machte sich in seiner Rede beim Tag der Deutschen Industrie dafür stark, die Industrie in der Krise nicht zusätzlich zu belasten), zeigt, wie weitreichend der Einfluss der Lobbyforderungen der Wirtschaft auf die Union ist. Denn das Lieferkettengesetz ist im Koalitionsvertrag festgehalten. So fällt der Wirtschaftsminister außerdem Bundeskanzlerin Merkel und Entwicklungsminister Müller in den Rücken, die sich für ein Lieferkettengesetz aussprechen, genauso wie der Koalitionspartner SPD.

„Plattform zur aktiven Mitgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik”

Der CDU-Wirtschaftsrat spielt eine wichtige Rolle dabei, Wirtschaftsinteressen in der Union einfließen zu lassen – insbesondere beim Wirtschaftsflügel der Union. Dabei setzt er immer wieder Akzente im Interesse von Unternehmen. Anzumerken ist dabei aber, was der CDU Wirtschaftsrat eigentlich ist: Anders als der Name suggeriert, handelt es sich dabei nicht um ein Gremium innerhalb der CDU, sondern vielmehr um eine parteinahe Lobbyorganisation, in der sich Unternehmer und Lobbyverbände ihren Einfluss auf die Regierungspartei sichern.

Er wurde aus der Partei selbst heraus gegründet, um dort die Interessen der Wirtschaft stärker zu verankern. Der Wirtschaftsrat wirbt mit der Gelegenheit auf „persönlichen Kontakt mit den Verantwortlichen der Politik” und bezeichnet sich selbst als „Plattform zur aktiven Mitgestaltung der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unseres Landes.”

Laut Satzung wird der Wirtschaftsrat von rund 12.000 Mitgliedern finanziert, darunter UnternehmerInnen und Unternehmen, VertreterInnen von Wirtschaftsverbänden sowie Ehrenmitglieder. Eine genaue Auflistung der derzeitigen Mitglieder liegt nicht vor.

Get-together nahmhafter Führungspersönlichkeiten der Wirtschaft

Im Präsidium der Organisation sind zahlreiche hochrangige Führungspersönlichkeiten großer Konzerne vertreten, darunter der oben bereits erwähnte Ex-Blackrock-Aufsichtsratsvorsitzende Friedrich Merz, der die Position des Vizepräsidenten bekleidet. Zwar ist Merz offiziell kein Konzernvertreter mehr im Präsidium, doch aus seiner Nähe zur Wirtschaft macht er weiterhin keinen Hehl. Weitere prominente Präsidiumsmitglieder sind der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank Christian Sewing, Daimler Vorständin Renata Jungo Brüngger oder Stefan Schulte, Vorstandsvorsitzender der Fraport AG. Dazu gesellen sich prominente Ex-CDU-Politiker, wie Roland Koch, ehemaliger hessischer Ministerpräsident und mittlerweile Aufsichtsratsvorsitzender der UBS-AG und der ehemalige Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger. Daneben gibt es den Bundesvorstand und einen Wissenschaftlichen Beirat.

Die problematische Rolle des Wirtschaftsrats

Den Interessen der Wirtschaft steht mit dem CDU-Wirtschaftsrat ein gewichtiges Instrument für die Mitsprache bei politischen Entscheidungen zur Verfügung. Der Wirtschaftsrat ist selbst gut vernetzt mit den großen Verbänden der deutschen Wirtschaft. Im Falle des Lieferkettengesetzes zeigt sich, wie sehr die Lobbyorganisationen an einem Strang ziehen. Dass die wirtschaftsnahen Kreise der CDU die Position des Wirtschaftsrats übernehmen und damit Druck auf die gesamte Partei und derzeit auch auf die Bundesregierung ausüben, ist bedenklich. Gerade, weil es für Arbeitnehmer*inneninteressen keinen vergleichbar starken Arm mehr in der Union gibt. Dabei ist das Bestreben das Lieferkettengesetz zu verwässern oder zu verhindern kein Einzelfall. Ähnliche Muster zeigen sich auch bei Klimapolitik und Klimazielen sowie in der Steuerpolitik. Dass nun Friedrich Merz als Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats womöglich Parteivorsitzender und dann auch Kanzlerkandidat werden könnte, zeigt, wie eng die Vernetzung und der Austausch zwischen Wirtschaftslobby und Politik in der Union sind. Die Grenzen sind fließend.

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