Mit seiner aggressiven Außenpolitik nach Corona schadet China am meisten sich selber

Neue Züricher Zeitung, 1.6.2020

Brahma Chellaney

Wegen des Versuchs, die Entstehung und Verbreitung von Covid-19 möglichst lange zu vertuschen und in der Folge aus der Pandemie möglichst viel Kapital zu schlagen, steht China weltweit in der Kritik. Dass es sich als Reaktion darauf für einen Kurs der Einschüchterung entschieden hat, zeugt von Kurzsichtigkeit.

Die global virulent werdende Gegenreaktion auf China wegen seiner Verantwortung für die von Wuhan ausgehende Corona-Pandemie hat in den vergangenen Wochen an Intensität gewonnen. Und China selber hat Öl ins Feuer gegossen, wie seine jüngsten Pläne für ein neues Sicherheitsgesetz für Hongkong zeigen. Angefangen bei der impliziten Erwartung politischer Gegenleistung für die Versorgung notleidender Länder mit medizinischer Schutzausrüstung bis hin zur Zurückweisung von dringlicher werdenden Forderungen nach einer unabhängigen internationalen Untersuchung der Herkunft des Virus: Die Einschüchterungstaktik der Regierung von Präsident Xi Jinping hat das kommunistische Regime Chinas beschädigt und isoliert.

Die Gegenreaktion könnte vonseiten des Westens in Form von Sanktionen erfolgen, da Xis Regime versucht, Hongkongs Prinzip von «ein Land, zwei Systeme» mit seinem Entwurf neuer nationaler Sicherheitsgesetze für das Territorium des Stadtstaates auszuhebeln, wo es seit über einem Jahr immer wieder zu grossen prodemokratischen Protesten kommt. Allgemein betrachtet, führt Xis überzogenes aussenpolitisches Vorgehen zu wachsender Feindseligkeit nicht nur in der Nachbarschaft, sondern in aller Welt.

Neoimperialistische Agenda

Wäre Xi klug gewesen, hätte China versucht, den durch die Pandemie verursachten Imageschaden mit Einfühlungsvermögen und Mitgefühl zu beheben, indem es beispielsweise fast bankrotten Partnerländern der Belt-and-Road-Initiative einen Schuldenerlass und ärmeren Ländern medizinische Hilfe gewährt hätte, ohne deren Rückendeckung für seinen Umgang mit dem Corona-Ausbruch zu erwarten. Stattdessen hat China auf eine Weise gehandelt, die seine eigenen langfristigen Interessen untergräbt.

Ob durch seine aggressive «Wolf Warrior»-Diplomatie – benannt nach zwei chinesischen Filmen, in denen chinesische Spezialeinheiten US-Söldner in die Flucht schlagen – oder durch militärisch unterstützte expansionistische Vorhaben in Chinas Nachbarschaft: Xis Regime hat international Besorgnis ausgelöst. Tatsächlich betrachtet Xi, der selbsternannte unentbehrliche Führer des Riesenreiches, die gegenwärtige globale Krise als Gelegenheit, seinen Griff nach der Macht zu verstärken und seine neoimperialistische Agenda voranzutreiben. So sagte er kürzlich vor einem Universitätspublikum: «Die grossen Schritte in der Geschichte wurden alle nach grossen Katastrophen gemacht.»

China hat definitiv versucht, möglichst viel aus der Pandemie herauszuschlagen. Nachdem es im Januar einen Großteil des weltweit verfügbaren Angebots an medizinischer Schutzausrüstung aufgekauft hatte, betrieb es Preistreiberei und offenkundig Profitmacherei. Chinesische Exporte von minderwertiger oder defekter medizinischer Ausrüstung haben den internationalen Ärger zudem noch verstärkt.

Während die ganze Welt mit Covid-19 kämpft, hat das chinesische Militär erneut Grenzstreitigkeiten mit Indien provoziert und versucht, die Gewässer vor den von Japan kontrollierten Senkaku-Inseln zu kontrollieren. China hat zudem kürzlich zwei neue Verwaltungsbezirke im Südchinesischen Meer eingerichtet und sein Eindringen und andere Aktivitäten in diesem Gebiet verstärkt. Anfang April rammte und versenkte ein Schiff der chinesischen Küstenwache ein vietnamesisches Fischerboot, was die Vereinigten Staaten veranlasste, China darauf hinzuweisen, «die [pandemiebedingte] Ablenkung oder Verwundbarkeit anderer Staaten nicht länger auszunutzen, um seine unrechtmässigen Ansprüche im Südchinesischen Meer auszuweiten».

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Brahma Chellaney ist Professor für strategische Studien am Zentrum für Politikforschung in Delhi und Fellow an der Robert Bosch Academy in Berlin. Er hat neun Bücher verfasst, darunter «Asian Juggernaut», «Water: Asia’s New Battleground» und «Water, Peace, and War: Confronting the Global Water Crisis». – Aus dem Englischen von Sandra Pontow.


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