Klimaneutral bis 2040: Baden-Württemberg beschließt neues Klimaschutzgesetz

Quelle: SWR – 1.2.2023

KLIMANEUTRAL BIS 2040 – Baden-Württemberg beschließt neues Klimaschutzgesetz

Bis 2040 will das Land klimaneutral sein. Das steht im neuen Klimaschutzgesetz, das am Mittwoch vom Landtag beschlossen wurde. Während die Grünen von einem Meilenstein sprechen, sieht die Opposition im Gesetz mehr Schein als Sein.

Der Landtag hat am Mittwoch das neue Klimaschutzgesetz mit der Mehrheit der grün-schwarzen Koalition beschlossen. Baden-Württemberg ist damit das erste Bundesland, das konkrete Ziele für die Reduzierung von CO2 für Verkehr, Gebäude und Wirtschaft gesetzlich festschreibt.

Das Land will seinen Treibhausgasausstoß bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 reduzieren. Bis 2040 will es klimaneutral werden. Das sind fünf Jahre früher, als es der Bund für Deutschland beschlossen hat. Klimaneutralität bedeutet, dass nur noch so viele Treibhausgase ausgestoßen werden dürfen, wie wieder gebunden werden können. „Es ist das ehrgeizigste, das weitreichendste und das umfassendste Klimaschutzgesetz, das wir ins Deutschland haben“, sagte Umweltministerin Thekla Walker (Grüne). „baldmöglichst“ veröffentlicht werden

Unter anderem will das Land sogenannte Sektorenziele beschließen. Mit ihnen gibt es konkrete Vorgaben für Bereiche wie Landwirtschaft, Straßenbau und Gebäude, um den Ausstoß von CO2 zu senken. Dafür sollen die jeweiligen Ministerien zuständig sein.

Umweltministerin Walker kündigte im Landtag an, das Register mit den konkreten Klimaschutz-Maßnahmen der einzelnen Ministerien werde baldmöglichst veröffentlicht. Die Grünen-Politikerin räumte ein, es wäre besser gewesen, das Register schon mit dem Gesetz vorzulegen. Man habe sich aber erst am Montagabend auf die Maßnahmen geeinigt. Diese würden immer weiterentwickelt und von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kontrolliert.

Opposition übt heftige Kritik

Bei der Opposition gibt es große Zweifel, ob die Klimaziele realistisch sind. Der FDP-Abgeordnete Daniel Karrais kritisierte, dass Grüne und CDU in letzter Minute noch eine Klausel eingebaut hätten, damit die Ziele nicht eingeklagt werden können. Das spreche doch dafür, dass die Regierung selbst nicht an die Ziele glaube.

Außerdem wolle die FDP rechtliche Schritte prüfen, weil die Abgeordneten vor der Abstimmung nicht ausreichend informiert worden und die geschätzten Kosten nicht transparent seien. „Das Gesetz geht in die richtige Richtung, aber es fehlen Instrumente, die zur Umsetzung anregen“, sagte die SPD-Abgeordnete Gabriele Rolland. Das Klima-Maßnahmen-Register müsse zudem erst noch mit Inhalt gefüllt werden. Auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch kritisierte, es blieben „mehr Fragen offen als beantwortet werden“.

Die AfD geht einen Schritt weiter: Das Gesetz verstoße gegen den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz, erklärte der handwerkspolitische Fraktionssprecher, Joachim Steyer. „Wer bereits an ein Wärmenetz angeschlossen ist oder kein Dach sanieren oder keine Heizung ersetzen muss, der ist fein raus. Der Rest aber hat Pech gehabt“, erläuterte Steyer. „Aus diesem Grund behalten wir uns vor, gegen Teile dieses Gesetzes zu klagen.“

Wirtschaft wünscht sich Beteiligung „auf Augenhöhe“

Kritik kommt auch aus der Wirtschaft. Verbindliche Klimaschutzziele auf Landesebene seien kontraproduktiv und wettbewerbsverzerrend, monierten die Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände. „Es ist bereits extrem schwierig, globale Treibhausgas-Minderungsziele auf die EU und – erst recht – dann noch auf die Mitgliedstaaten zu verteilen“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW), Peer-Michael Dick. „Eine noch kleinteiligere Betrachtung grenzt aus unserer Sicht fast schon an Willkür.“

Das Landeshandwerk hätte sich eine frühere Änderung des Gesetzes gewünscht. „Da die Koalition quasi über Nacht und nach Abschluss aller Expertenanhörungen Nachbesserungen am Gesetz vorgenommen hat, ist eine vernünftige Bewertung durch unsere Fachleute kaum vorzunehmen“, erklärte Landeshandwerkspräsident Rainer Reichhold. Er hoffe, dass die kurzfristigen Änderungen davor schützten, dass Land und Wirtschaft von bestimmten Organisationen verklagt werden könnten.

Naturschutzorganisationen skeptisch

Das kritisiert auch der Naturschutzbund (NABU) in Baden-Württemberg. Der Landesvorsitzende Johannes Enssle ist sich zwar sicher, dass die Anpassung des Klimaschutzgesetzes eine gute Nachricht sei – ein Landesgesetz mit konkreten Sektorzielen sei in dieser Form in Deutschland bisher einmalig. Dass die Ziele nicht einklagbar seien, macht Enssle aber stutzig: „Da stellt sich natürlich die Frage, wie ernst die grün-schwarze Koalition den Klimaschutz wirklich nimmt.“

Ähnlich sieht es der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzende des BUND Baden-Württemberg, sagte: „Die Festlegung von Sektorzielen ist gut und sinnvoll, aber wir sehen bereits auf Bundesebene, dass in der Realität oft Entscheidungen getroffen werden, die nicht im Einklang mit diesen Zielen stehen.“ Es sei wichtig, die angekündigten Klimaschutzmaßnahmen auch umzusetzen.

Herausforderungen sind groß

Klar ist: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ihre Anstrengungen vervielfachen. Vor allem beim Verkehr dürfte es im Autoland Baden-Württemberg schwer werden, den hohen CO2-Ausstoß schnell zu senken. Selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte erklärt, dass er darin ein Problem sieht.

Auch im Gebäudebereich gibt es große Herausforderungen. Allein 2019 wurden in diesem Sektor 17,6 Millionen Tonnen Treibhausgase ausgestoßen. Bis 2030 sollen es nur noch 10,7 Millionen Tonnen sein – das wäre ein Minus von 39 Prozent. Dafür müsste das Land sehr viel Geld in Dämmung und erneuerbare Energie stecken. Ähnlich sieht es bei der Energiewirtschaft aus. Während 1990 noch 19,9 Millionen Tonnen ausgestoßen wurden, waren es 2019 noch 15,9 Millionen Tonnen. 2030 soll er schon bei 5,1 Millionen Tonnen liegen – dafür müsste auch der geplante Kohleausstieg eingehalten werden.

Land will Flächen für Windenergie bereitstellen

Weitere Ziele des neuen Gesetzes: 1,8 Prozent der Landesflächen sollen für den Ausbau der Windenergie bereitgestellt werden – entsprechend den Vorgaben des Bundes. Mindestens 0,2 Prozent sieht das Land für Freiflächen-Photovoltaik (PV) vor. Vorgesehen ist auch eine PV-Pflicht auf Neubauten und bei grundlegenden Dachsanierungen, außerdem beim Neubau von größeren offenen Parkplätzen. Gebäude in Landesbesitz müssen ab 2030 über Solaranlagen verfügen.

Außerdem wird bei Baumaßnahmen, Anschaffungen und Aufträgen des Landes ein fiktiver Preis für Emissionen eingerechnet. Dadurch soll die Wahrscheinlichkeit sinken, dass bei Ausschreibungen besonders klimaschädliche Angebote die günstigsten sind.




Zur Einschätzung des neuen Klimaschutzgesetzes:

Landtagsdebattenbeitrag FDP: Kritik am Klimaschutzgesetz

KONTEXT: Klimaschutz in Baden-Württemberg: Das Zeitfenster schließt sich

Klimaschutz ist kein Verbrechen: Lehrkräfte und Psycholog:innen gegen die Kriminalisierung der „Letzten Generation“

Klimaschutz ist kein Verbrechen: Lehrkräfte und Psycholog:innen gegen die Kriminalisierung der „Letzten Generation“

Über 600 Lehrkräfte und Pädagog:innen erklären sich in einer öffentlichen Stellungnahme
solidarisch mit der Letzten Generation und verurteilen die Kriminialisierung der Aktivist:innen.
Unter dem Titel „Klimaschutz ist kein Verbrechen!“ hat der Verein Teachers for Future
Germany e.V. eine Solidaritätsbekundung veröffentlicht, die inzwischen von über 500
Lehrpersonen mitgezeichnet wurde.

Darin werden die „öffentliche und mediale Kriminalisierung der Aktivist:innen“ sowie „die Anwendung umstrittener Polizeigesetze und die nun diskutierte Einstufung der ‚Letzten Generation‘ als kriminelle Vereinigung“ scharf verurteilt. Ziviler Ungehorsam und friedlicher Widerstand seien in einer Demokratie angesichts der Klimakrise notwendig und legitim. „Als Lehrer:innen sehen wir jeden Tag, wie die Klimakrise und insbesondere die Untätigkeit der Regierung bei den jungen Menschen Frust, Verzweiflung und Angst auslöst“, so Nora Oehmichen, Lehrerin und 1. Vorsitzende des Vereins Teachers for Future e.V. Der Verein wurde 2021 gegründet mit dem Ziel, sowohl die Jugendlichen von Fridays for Future zu unterstützen als auch transformative Nachhaltigkeitsbildung an Schulen zu implementieren.

Die Erklärung kann weiterhin von allen Lehrpersonen, Pädagog:innen und Bildungsakteur:innen mitgezeichnet werden:

Klimaschutz ist kein Verbrechen!

Rückenwind erhält die Erklärung durch eine weitere Solidaritätsbekundung von
Psycholog:innen und Psychotherapeut:innen: Auch die Psychologists for Future sehen sich täglich mit den Klimaängsten ihrer oft jugendlichen Klient:innen konfrontiert.

In ihrer Erklärung betonen die Psychologists die Notwendigkeit, „dass Politiker*innen aller demokratischen Parteien gemeinsam Diskussions- und Lösungsräume schaffen, in denen die wissenschaftlichen Fakten und Prognosen ehrlich dargestellt werden und mit Menschen auf Augenhöhe diskutiert und lösungsorientiert gehandelt wird.“
Für Rückfragen: Inga Feuser, inga.feuser@teachersforfuture.org
www.teachersforfuture.org

Auswirkungen des Ukrainekrieges auf pazifistische Vorstellungen – Podiumsdiskussion, 10.11.2022) amInstitut für Zeitgeschichte München

Klimaschutz in Baden-Württemberg: Das Zeitfenster schließt sich

Johanna Henkel-Waidhofer – atum: 01.02.2023 – KONTEXT Ausgabe 618  Politik

https://www.kontextwochenzeitung.de/politik/618/das-zeitfenster-schliesst-sich-8678.html

Klimaschutz in Baden-Württemberg – Das Zeitfenster schließt sich

Nach jahrelangem Ringen bekommt Baden-Württemberg ein strengeres Klimaschutzgesetz. Dem fehlt allerdings das Herzstück. Die CDU bremst und die Grünen drängen, scheuen aber den offenen Konflikt.

Zum „internationalen Maßstab“ will die Landesregierung den Südwesten machen, jedenfalls laut dem Koalitionsvertrag von 2021 mit dem vollmundigen Titel „Jetzt für Morgen“. Es geht um viel, um künftige Generationen und wirtschaftliche Prosperität, um Wettbewerbsfähigkeit auch in Hitzesommern oder trotz Starkregen und Überschwemmungen, um den viel zügigeren Ausbau erneuerbarer Energien als bisher, um widerstandsfähige Wälder oder veränderte Förderprogramme. Und es geht darum, dem Markt ordnungspolitische Leitplanken zu verpassen, wie der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum 40. Geburtstag seiner Partei versprach – in der Erkenntnis, dass nach den Gesetzen des Marktes allein der Kampf gegen die Erderwärmung nicht zu gewinnen ist.

Dieser Kampf stockt in Baden-Württemberg erheblich, nach bald zwölf Jahren grüngeführter Koalitionen. So sehr, dass sich Maike Schmidt, die Vorsitzende des neuen Klima-Sachverständigenrats, zu einem strengen Verweis aufgerufen sieht.

Bei einer öffentlichen Anhörung im umweltpolitischen Fachausschuss des Landtags sagte die Leiterin des Fachgebiets Systemanalyse beim Zentrum für Sonnen- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), weder Politik noch Verwaltung würden in ihrem Handeln den Versprechen, den Zielen und den Herausforderungen gerecht. Notwendig sei, „um mit Kanzler Scholz zu sprechen, ein Doppelwumms“. Zumal der Klimawandel im Südwesten schneller voranschreitet als bisher erwartet. Im Bundesschnitt sind die Temperaturen um 1,7 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter gestiegen, im Südwesten aber um 2,3 Grad. „Eine Angst kann ich allen nehmen“, betont Schmidt: „Zu viel Klimaschutz geht nicht.“

Ein Satz, den die Umweltpolitiker*innen der CDU erst noch so richtig verinnerlichen müssen. Dabei waren Thomas Strobl, Manuel Hagel und die anderen Unterhändler*innen, die nach den Landtagwahlen vor zwei Jahren mit den Grünen sondierten, zu ausgesprochen weitreichenden Zugeständnissen bereit. Das neue Klimaschutzgesetz und eigene Förderprogramme sollten auf das Pariser 1,5-Grad-Ziel ausgerichtet sowie ambitionierte Minderungs- und Sektorenziele festgelegt werden. Enttäuscht, dass seine Partei nicht zum Zug kam, wagte der SPD-Landes- und Fraktionschef Andreas Stoch zum Auftakt der grün-schwarzen Koalitionsverhandlungen eine bissige Prognose: Die CDU werde alles unterschreiben und danach nichts umsetzen.

Auf viele wichtige Kompromisse, zum Beispiel in den Haushaltsverhandlungen, trifft das nicht zu, auf die Details beim Klimaschutz aber schon. Dabei kommt es mitunter zur Beihilfe: Im Sommer pfiff Kretschmanns Regierungszentrale Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) zurück, als sie mit verschiedenen Maßnahmen – zusammengefasst im Netz in einem neuen, regelmäßig fortzuschreibenden Register – Fakten schaffen wollte. Unter anderem sollten Beamte, Landesbeschäftigte und Mitarbeitende aller Art auf Inlandflüge verzichten müssen, wenn es eine adäquate Zugalternativen gibt, zum Beispiel nach Berlin. Die Aufregung war groß. Walker, eben erst zurückgekehrt aus der Rekonvaleszenz nach einer Herzmuskelentzündung, musste einsehen, dass auf die „Villa“, wie das Staatsministerium im Koalitionsjargon wegen des Regierungssitzes Reitzenstein heißt, nicht wirklich Verlass ist.

Ein enormer Lernprozess – der vielleicht gar keiner war

Eine nicht mehr ganz neue Erkenntnis. Schon in der vergangenen Legislaturperiode war Walkers Vorgänger, Umweltminister Franz Untersteller (Grüne), ziemlich oft auf sich allein gestellt, wenn die CDU mit immer neuen Volten konsequente Vorgaben zu verhindern versuchte – oft genug mit Erfolg. Ein Machtwort des Ministerpräsidenten blieb aus.

Inzwischen liegt sogar ein wenig ruhmreiches Urteil des Verwaltungsgerichthofs Mannheim auf dem Tisch. Danach habe die Landesregierung die eigenen Vorgaben aus dem Jahr 2014 nicht erfüllt, die damaligen Beschlüsse nicht ernst genommen und „kein integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept – IEKK – verabschiedet, das wesentliche Ziele, Strategien und Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele des Landes benennt“. Deshalb wurde im Spätherbst einer Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) stattgegeben. Seit wenigen Tagen liegen die Urteilsgründe vor, und ihnen zufolge besteht „ein Anspruch“ auf solche Ziele, Strategien und Maßnahmen.

Kretschmanns Reaktion warf – vorsichtig ausgedrückt – mehr Fragen auf, als sie Antworten gab. Denn der Ministerpräsident erklärte, die DUH habe Pech: Das erstrittene IEKK sei durch Walkers Maßnahmen-Register überholt und ersetzt. Den kleinen Schönheitsfehler, dass es das Register noch gar nicht gibt, ließ der Grüne unerwähnt. Aber er behauptete kürzlich im Gespräch mit der taz, er habe „mit Blick auf die ökologischen Ziele noch nie so fröhlich regiert“, da die CDU nach einem „enormen Lernprozess“ nun „von der klimapolitischen Bremse runter“ sei.

Für seine Umweltministerin ist das alles hingegen schon lange kein Spaß mehr. Wenn Walker das Register so schnell wie möglich, am besten in den nächsten Tagen, freischalten will, kann sie auf den Klima-Sachverständigenrat bauen – ob das aber fürs Staatsministerium ebenso gilt, falls es erneut zum offenen Konflikt mit den Schwarzen kommt, ist keineswegs sicher. Dabei hätte Kretschmann viele Gründe, seine Haltung zu überdenken. Die erneute Koalition mit der CDU hatte er auch mit seiner Erwartung begründet, die würde vor Ort, in den Kreisen und Kommunen, Stimmung machen für den Kurs der Landesregierung hin zur Treibhausgas-Neutralität. Eine wirklich offensive Unterstützung lässt die CDU, die Ideologie immer gerne bei anderen wahrnimmt, bislang aber vermissen lassen.

CDU-Experte will lieber gründlich als schnell sein

Eher im Gegenteil: Die Vorsitzende des Sachverständigenrats verlangt mit Nachdruck größere Ambitionen, „um Baden-Württemberg als lebenswertes Land und als Wirtschaftsstandort zu erhalten“. Und Maike Schmidt appelliert an alle Verantwortlichen, „weil sich das Zeitfenster für wirksame Maßnahmen schnell schließt“. Der Präsident des Gemeindetags Steffen Jäger, der sich seine ersten Sporen in der Landespolitik unter anderem als Persönlicher Referent der einstigen CDU-Sozialministerin Monika Stolz verdiente, nutzte die Anhörung im Landtag, um ganz andere Duftmarken zu setzen.

Nach dem gerade in Unionskreisen üblichen Lippenbekenntnis zum Klimaschutz („Wir unterstützen die Zielsetzung des Gesetzes ausdrücklich“) folgte ein Hammer auf den anderen: Der Gemeindetag verlangt nicht mehr und nicht weniger, „als dass Maßnahmen von den verfügbaren Ressourcen her geplant werden“. Die staatliche Leistungsfähigkeit steuere wie das Klima auf einen Kipppunkt zu, deshalb „geben die finanziellen und personellen Ressourcen Orientierungsrahmen vor“, sagt Jäger. Der Klimavorbehalt in Förderprogrammen wird mit Fragezeichen versehen, so wie schlussendlich sogar alle einzelnen Ziele, denn die müssten sich an der Realisierbarkeit ausrichten. Als geradezu konsequentes i-Tüpfelchen erscheint da, dass sogar die so schwer erkämpfte Bürgerbeteiligung in der Bauleitplanung auf den Prüfstand kommen soll. „Ich kenne relativ wenige Bürgerinitiativen, die sagen, wir bauen jetzt zig Windkraftanlagen“, mokiert sich der Präsident. „Ich kenne aber viele, die sich mit dem gegenteiligen Ziel aufmachen und versuchen zu verhindern.“

Druck macht derweil die Deutsche Umwelthilfe. Schon Mitte Januar forderte ihr Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch Kretschmann brieflich auf, bis Ende Februar „ein wirksames Klimaschutzkonzept“ vorzulegen. Das Verwaltungsgericht habe dem Ministerpräsidenten „eine schallende Ohrfeige erteilt“. Inzwischen peilt Walker den 7. Februar an. In der CDU-Fraktion hingegen werden wieder Bremsreflexe wach und eine Äußerung recycelt, die schon Untersteller in der vergangenen Legislaturperiode zur Weißglut brachte: Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit. Eine Erkenntnis, die mittlerweile Jahrzehnte zu spät kommt und die sogar das Bundesverfassungsgericht nicht mehr gelten lässt. Aus Artikel 2, Absatz 2 Grundgesetz ergibt sich nach Ansicht der Karlsruher Richter*innen, „die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels, etwa vor Extremwetterereignissen wie Hitzewellen, Wald- und Flächenbränden, Wirbelstürmen, Starkregen, Überschwemmungen, Lawinenabgängen oder Erdrutschen zu schützen“. Diese Schutzpflicht gilt dabei nicht nur in der Gegenwart, sondern auch für die Zukunft mit Blick auf künftige Generationen.


Pressemitteilung Deutsche Umwelthilfe- 18.1.2023

Deutsche Umwelthilfe zu Klimaschutzversagen in Baden-Württemberg: „Grüner Ministerpräsident Kretschmann ignoriert erneut höchstrichterliches Urteil zum Klimaschutz“

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Berlin, 18.1.2023:

Am 12. Januar veröffentlichte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg das schriftliche Urteil zur Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gegen das Land Baden-Württemberg über die Nichtumsetzung des Klimaschutzgesetzes. Darin wird die grün-schwarze Landesregierung dazu verurteilt, schnellstmöglich das bereits seit 2020 überfällige „Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept“ vorzulegen, so wie es das geltende Klimaschutzgesetz vorschreibt.

Mit Schreiben vom 16. Januar 2023 hat die DUH Ministerpräsident Kretschmann zur sofortigen Umsetzung des Urteils sowie zur Vorlage eines wirksamen Klimaschutzkonzeptes aufgefordert und ihm dafür eine Frist bis 28. Februar 2023 gesetzt.

Daraufhin erklärte der grüne Ministerpräsident gegenüber der Presse, er würde ja jetzt ein „Klima-Maßnahmen-Register“ erarbeiten und die DUH sei zu spät dran.

Das kommentiert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch„Anscheinend ist der grüne Ministerpräsident Kretschmann gerade sehr beschäftigt damit, Diesel-Pkw weiter zu fördern und schärfere Grenzwerte für die schwäbischen Autokonzerne zu verhindern.

Ansonsten hätte er sicher das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs genauer gelesen. Und dieses erteilt ihm eine schallende Ohrfeige für die Missachtung des bis heute geltenden Klimaschutzgesetzes. Nicht wir kommen mit unserer Klage zu spät – es ist seine Landesregierung, die ihr Klimaschutzgesetz seit mehr als zwei Jahren mit Füßen tritt und die gesetzlich vorgeschriebene Festschreibung zusätzlicher konkreter Klimaschutzmaßnahmen im Klimaschutzkonzept IEKK verweigert. Ich erwarte von ihm, dass er das Urteil akzeptiert.

Wir fordern nun bis zum 28. Februar 2023 die Fertigstellung und Veröffentlichung des Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzeptes.“

Folgende Maßnahmen müssten nach Ansicht der DUH Inhalt des Energie- und Klimaschutzkonzeptes sein, um sicherzustellen, dass Baden-Württemberg die EU-Klimaziele und das Pariser Klimaabkommen erfüllt:

  • Die Erhaltung des Kopfbahnhofs in Stuttgart auch nach Fertigstellung von S21, um eine Gewährleistung der von der Bundesregierung geforderten Verdopplung des Personenschienenverkehrs bis 2030 sicherzustellen und eine jahrelange Unterbrechung aller Bahnverkehre von Stuttgart in den Süden (Singen, Zürich, Mailand, Rom) zu verhindern.
  • Ein auf mindestens drei Jahre angelegter landesweiter Modellversuch zur Einführung eines Tempolimits auf allen Autobahnabschnitten (nach dem Modell des Bundeslandes Bremen) sowie für Bundes- und sonstige Außerortsstraßen mit Tempolimit von 100 beziehungsweise 80 km/h.
  • Eine verbindliche CO2-Obergrenze von 95g CO2/km im realen Fahrbetrieb für alle von der Landesregierung beziehungsweise den von ihr mehrheitlich bestimmten Behörden und Firmen gekauften oder geleasten Pkw ab 1. Juli 2023.

Hintergrund:

Im Jahr 2021 hat die DUH die Landesregierung an die gesetzliche Verpflichtung erinnert, ein Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept gemäß Klimaschutzgesetz aufzusetzen. Da sie sich aber weigerte, diesen Maßnahmenplan vorzulegen, verklagte die DUH das Land wegen des Verstoßes gegen ihr eigenes Klimaschutzgesetz. Im November 2022 fand die mündliche Verhandlung der Klage in Mannheim statt, die die DUH in allen Punkten gewann. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu.

Kontakt: Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer – 0171 3649170, resch@duh.de

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