Ukraine-Krieg: Geht Russland die Luft aus? | Possoch klärt | BR24 –

Ukraine-Krieg: Geht Russland die Luft aus? | Possoch klärt | BR24325.953 Aufrufe – 04.08.2022 –BR24

Russlands Krieg gegen die Ukraine: Die Offensive im Donbass geht für Russland nur schleppend voran; von der rein zahlenmäßigen Überlegenheit im Vergleich zur Ukraine ist nur noch wenig zu spüren. Derweil erhält die Ukraine Unterstützung vom Westen – und plant nun eine Gegenoffensive im Süden des Landes. Die Ukraine muss verhindern, dass Russland den Süden einnimmt. Doch Putin will aufstocken. Kann er das wirklich? Bringen die westlichen Sanktionen gegen Russland nicht genug Schaden mit sich? Oder kann Russland die Einbußen mithilfe seiner internationalen Partner abfedern? Haben wir Russland falsch eingeschätzt oder geht Russland tatsächlich bald die Luft aus? Possoch klärt!

INHALT 00:00 Läuft bei Putin?! 01:43 Kampf um den Donbass: Masse oder Strategie? 04:18 Westliche Waffen in der Ukraine – Sowjetbestände in Russland? 05:58 Russland plant Kriegswirtschaft 07:17 Russland hat viele Partner – aber wenige Verbündete 09:32 Die Türkei spielt eine entscheidende Rolle 12:02 Kriegsentscheidender Kampf: Wer gewinnt im Süden? 14:43 Also: Geht Russland die Luft aus?!

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert bereits mehrere Monate an. Immer wieder musste Russland in den vergangenen Monaten militärische Rückschläge einstecken. Die russischen Angriffe im Donbass, im Osten der Ukraine, kommen nur langsam voran. Das russische Ziel, den Süden der Ukraine einzunehmen, scheint weiter entfernt als noch vor einigen Wochen. Die Ukraine plant indes eine Offensive, um den Süden zu verteidigen und die Kontrolle über den Zugang zum Schwarzen Meer zurückzugewinnen. Putin will aufrüsten – aber kann er das, wenn denn schon die Kämpfe im Donbass schleppend vorankommen? Geht Russland die Luft aus? Unterstützung der Ukraine durch den Westen Die angekündigten Waffenlieferungen westlicher Staaten sind in der Ukraine angekommen. Russland musste – trotz der zahlenmäßig hohen Überlegenheit zu Kriegsbeginn – herbe Rückschläge einstecken.

Dennoch sehen viele Russland noch immer im strategischen und militärischen Vorteil – warum? Und wirken die wirtschaftlichen Sanktionen des Westens nicht genug? Putin setzt indes darauf, dass der Westen die Ukraine nicht ewig unterstützen wird. Wer wird den längeren Atem haben? Russland hat international viele Partner – reicht das? Denn während Europa sich auf die Konsequenzen der eigenen Sanktionen vorbereitet, setzt Putin auf internationale Partnerschaften mit Staaten, die sich an den Sanktionen nicht beteiligt haben. Russland ist international also nicht vollständig isoliert: bei einem Gipfeltreffen in Teheran Ende Juli zeigt sich der Kreml-Chef entspannt.

Doch reichen die Partnerschaften aus, um die russische Wirtschaft am Laufen zu halten? Eine überaus wichtige Rolle nimmt die Türkei in der Gemengelage zwischen Russland und der NATO ein: „Die Türkei als Nato-Mitglied ist hier das einzige Land, was mit allen Seiten reden kann. Man hat gute Kanäle zu Russland. Man redet mit Putin, man fährt nach Sotschi. Man hat gute Beziehungen mit der Ukraine, und gleichzeitig ist man Nato-Verbündeter,“ analysiert Hanna Notte vom James Martin Center for Nonproliferation Studies.

Weiterführende Links zum Thema „Ukraine-Krieg: Geht Russland die Luft aus?“: https://www.swp-berlin.org/publikatio… https://www.n-tv.de/politik/Mehr-als-… https://www.rnd.de/politik/russland-p… https://www.rnd.de/politik/lawrow-beg… https://www.fr.de/politik/insider-tic… https://www.tagesschau.de/inland/deut… https://www.nzz.ch/international/ukra… https://www.youtube.com/watch?v=B4nJh… https://www.dw.com/de/wirken-die-eu-s… https://www.freitag.de/autoren/the-gu… https://www.zeit.de/politik/ausland/2… https://papers.ssrn.com/sol3/papers.c… https://www.rnd.de/politik/putin-erla… https://www.zdf.de/nachrichten/politi…

Presenter: Dominic Possoch Videoproduktion: Marc-Henning Bielenberg Grafik: Multimedia Design Recherche und Text: Anna Feininger, Adrian Dittrich, Dominic Possoch Redaktion BR24: Jürgen P. Lang, Gudrun Riedl © BR24

StreitClub #2 „Deutschland – ein gespaltenes Land?“

StreitClub #2 „Deutschland – ein gespaltenes Land?“3.685 Aufrufe – Premiere am 06.04.2022 –Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt – 

Am 21. März 2022 trafen im The English Theatre Frankfurt wieder zwei streitbare Gäste auf unsere beiden Gastgeber, Nicole Deitelhoff und Michel Friedman.

Der Kolumnist Jan Fleischhauer und der Politologe Wolfgang Merkel debattierten darüber, ob es überhaupt eine Spaltung in unserer Gesellschaft gibt – und was unsere Sprache damit eigentlich zu tun hat.

Schon vor der Covid-Pandemie wurde der Niedergang des gesellschaftlichen Zusammenhalts befürchtet, in der Pandemie schließlich gar die Spaltung der Gesellschaft konstatiert: Ist Deutschland ein gespaltenes Land? Was heißt das überhaupt und welche Konsequenzen hat es für die Demokratie, wenn wir von einer Spaltung ausgehen müssen?

Weitere Informationen und die nächsten Termine finden sich unter: https://fgz-risc.uni-frankfurt.de/cat… ___ Über das FGZ ___

Die Frage danach, was heutige Gesellschaften zusammenhält oder auseinanderdriften lässt, ist gleichermaßen Gegenstand von Forschung, medialer Debatten und politischer Deutungskämpfe. Als Verbund aus elf Hochschul- und Forschungseinrichtungen analysiert das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) die gegenwärtigen Herausforderungen, mit denen gesellschaftlicher Zusammenhalt konfrontiert ist, aus einer breiten interdisziplinären Perspektive.

Zukunftsfragen der Gesellschaft: Krisenzeiten – Zeitenwende

Strukturwandel des Eigentums

Strukturwandel des Eigentums

https://sfb294-eigentum.de/de/

Sonderforschungsbereich „Strukturwandel des Eigentums“!

Der Sonderforschungsbereich Strukturwandel des Eigentums“! verfolgt das Ziel, den fundamentalen Strukturwandel von Eigentum, der spätestens seit 1989 zu beobachten ist, zu untersuchen. Er umfasst insgesamt 23 Teilprojekte an fünf Standorten in Deutschland: Friedrich-Schiller-Universität Jena (Sprecher*innenhochschule), Universität Erfurt, Freie Universität BerlinCarl von Ossietzky Universität Oldenburg, Technische Universität Darmstadt.

Während privates Eigentum nach 1989 unter Bedingungen zunehmender Konzentration und Deregulierung weltweit an Bedeutung gewonnen hat, erweist sich die daraus erwachsene Eigentumsordnung angesichts neuer ökonomischer, politischer und technologischer Herausforderungen zugleich als krisenanfällig und hochgradig umstritten.

Sie wird nicht nur durch die globalen Finanz- und Wirtschaftskrisen herausgefordert, sondern auch durch politische Konflikte um die Aneignung, Verteilung und Einhegung von Privateigentum sowie durch Dynamiken der Wissens- und Bioökonomie, mit denen sich alternative Entwürfe von Gemeingütern, geteilter Nutzung und freiem Zugang zu Ressourcen verbinden.

https://sfb294-eigentum.de/de/teilprojekte/

Projektbereich A: Historische und konzeptuelle Grundlagen: Was ist und was war Eigentum?

A01 Göttliches Eigentum. Spätantike und frühmittelalterliche Lösungen
A02 Eigentum am eigenen und am anderen Körper in den USA vom 18. bis zum 20. Jahrhundert
A03 Besitz und Gewohnheit. Zur politischen Anthropologie von Eigentum in der westlichen Moderne
A04 Ordnung und Eigentum. Stabilisierungsstrategien in Deutschland im 20. Jahrhundert
A05 Testament und Stiftung als Instrumente zur Verewigung von Person und Eigentum
A06 Die normativen Grundlagen des Eigentums. Freiheit, gemeinschaftliches und nachhaltiges Eigentum
A07 Das Habitat als Pfand. Verschuldetes Eigentum und Finanzialisierung

Projektbereich B: Aktuelle Konflikte und Verschiebungen: Umkämpftes Privateigentum?

B01 Urban property regimes and citizenship in transition. Changing ownership patterns and systems of relatedness in India 
B02 Eigentum am Unternehmen. Herausbildung und Transformation sozialer Unternehmensverfassungen
B03 Öffentliche Interessen vs. private Verfügungsrechte. Eigentumsstrukturen von Organisationen des öffentlichen Interesses
B04 Ökonomisches Eigentum und politische (Un-)Gleichheit. Eine elitensoziologische Analyse
B05 Eigentum, Ungleichheit und Klassenbildung in sozialökologischen Transformationskonflikten
B06 Eigentumsungleichheit im Privaten. Zur institutionellen und kulturellen (Re-) Strukturierung von Eigentumsarrangements in Paarhaushalten
B07 Eigentumskonzepte und Eigentumskonflikte in der Privatisierung. Kommunale Selbstverwaltung und kommunales Eigentum im östlichen Europa seit 1990

Projektbereich C: Eigentumsalternativen: Welche Möglichkeiten bestehen, welche Veränderungen zeichnen sich ab?

C01 Hybride Eigentumsordnung im Staatskapitalismus. Eigentümergesellschaft, sozioökonomische Differenzierung und Gouvernementalität am Beispiel Shenzhen, China 
C02 Eigentum am menschlichen Körper im Kontext transnationaler Reproduktionsökonomien
C03 Windernte und Wärmeklau als Indikatoren neuer Eigentumsordnungen
C04 Auseinandersetzungen um das Öffentliche und die Zukunft der Commons. Eigentumsverhältnisse im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Transformation)
C05 Geistiges Eigentum: Soziale Einbettung und funktionale Äquivalente
C06 Dinge verfügbar machen. Eigentum als spezifische Form der Weltbeziehung

Junior Research Teams (JRT)

JRT 01 The Transformation of Global Commons and the Future of Planetary Ecosystems
JRT 02 Kampf oder Konvergenz der Kapitalismen: Eigentumskonflikte um chinesische Direktinvestitionen in Deutschland und der EU
JRT 03 Eigentum an genetischen Ressourcen. Zur Aneignung traditionellen Wissens in der Bioökonomie

 

Können nur die USA diesen Krieg beenden? Klaus von Dohnanyi im Gespräch | maischberger

Können nur die USA diesen Krieg beenden? Klaus von Dohnanyi im Gespräch | maischberger – 820.639 Aufrufe – 12.05.2022 –tagesschau – 

 Sowohl Wladimir Putin als auch Wolodymyr Selenskyj beschwören jeweils den Triumph ihres Landes. Kann es noch eine diplomatische Lösung für die Beendigung dieses Krieges geben? Darüber spricht Sandra #Maischberger mit dem ehemaligen SPD-Bundesminister und langjährigen Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi. Der Aggressor sei ganz klar Wladimir Putin, betont Dohnanyi. Doch der Westen habe die Möglichkeit gehabt, diesen Krieg zu verhindern. Dass Putin diverse Gesprächs- und Verhandlungsangebote mit dem Westen ausgeschlagen hat, weist Dohnanyi als falsch zurück. Vielmehr hätten es die USA strikt abgelehnt, mit dem russischen Staatschef über die NATO-Frage der Ukraine zu verhandeln. Dies sei die Kernfrage für Putin gewesen – seit mehreren Jahrzehnten. Aufgrund der gescheiterten Verhandlungen sei der Konflikt nun eskaliert. Dass Biden nicht über Putins Kernfrage verhandelt hat, bezeichnet Dohnanyi als „Sünde amerikanischer Politik“. Die einzige Chance auf Beendigung des Krieges sieht Dohnanyi in Washington: Biden müsse erklären, dass Präsident Selenskyj Recht habe, wenn er sagt, die Ukraine könne auch neutral sein. So könne eine Lösung herbeigeführt werden, bei der die Ukraine nicht geteilt wird.

Zur ganzen Sendung vom 11.05.2022 geht es hier: https://www.ardmediathek.de/video/mai… Alle Sendungen in der ARD-Mediathek: https://1.ard.de/maischberger

Außerdem zu Gast waren: Ricarda Lang, Bündnis 90/Die Grünen (Co-Parteivorsitzende) Friedrich Merz, CDU (Parteivorsitzender) Bernhard Hoëcker (Schauspieler und Moderator) Robin Alexander (stellv. „Welt“-Chefredakteur) Sabine Rennefanz (Journalistin und Kolumnistin) Twitter: https://twitter.com/maischberger



Klaus von Dohnanyi – Nationale Interessen: Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche – Siedler Verlag – ISBN: ‎ 978-3827501547 – 240 Seiten, 22,00 €

Klaus von Dohnanyis „Nationale Interessen“ – oder: Dynamit vom Elder Statesman

  1. Juni 2022 – Quelle: Telepos Leo Ensel

Das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt: US-amerikanische Interessen stimmen nicht mehr mit den europäischen und deutschen überein

Es sind bezeichnenderweise immer die nun richtig alten Elder Statesmen, die in Deutschland eine vollkommen andere, vom herrschenden Medienmainstream stark abweichende Sicht auf das westlich-russische Verhältnis und die Genese der gerade in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine eskalierenden Spannungen haben. Und zwar unabhängig von Parteienzugehörigkeit und ungeachtet der Tatsache, dass sie zu Hochzeiten des Kalten Krieges nicht selten in völlig konträren Lagern standen.

Dies galt vor allem für die mittlerweile verstorbenen Spitzenpolitiker, die Ende der Achtziger Jahre zusammen mit der Sowjetunion den (ersten) Kalten Krieg so erfolgreich beendet hatten, dass kein einziger Schuss fiel: Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Egon Bahr, Richard von Weizsäcker – selbst der entschiedenste Protagonist des Nato-Nachrüstungsbeschlusses, Helmut Schmidt sprach sich gegen Ende seines Lebens für einen anderen Umgang gegenüber Russland aus!

Dies gilt aber auch für die noch lebenden filigranen „Feinmechaniker der deutschen Vereinigung“ wie den Kanzleramtsminister Helmut Kohls, Horst Teltschik und den engen Mitarbeiter und Redenschreiber Hans Dietrich Genschers, den Diplomaten a.D. Frank Elbe. Selbst der schneidige ehemalige Kommunistenfresser Edmund Stoiber sieht die Dinge heute deutlich anders.

Kein Wunder, diese Generation, die den Krieg als Kind oder Jugendliche noch erlebt hatte und während des ersten Kalten Krieges politisch aktiv war, weiß aus eigener Erinnerung noch sehr genau, was Krieg tatsächlich bedeutet und hantiert daher nicht so locker mit den Gewichten wie die aktuelle Playbackgeneration in Medien und Politik

Klaus von Dohnanyi – Nationale Interessen: Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche – Siedler Verlag – ISBN: ‎ 978-3827501547 – 240 Seiten, 22,00 €

Vor einigen Monaten hat sich einer der wenigen Intellektuellen der deutschen Politik zurückgemeldet und im zarten Alter von 93 Jahren ein Buch vorgelegt, das es in sich hat: der ehemalige Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, Ex-Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im Kabinett Willy Brandts und langjährige Bundestagsabgeordnete, Klaus von Dohnanyi.

Hinter dem etwas spröden Titel Nationale Interessen – Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche verbirgt sich jede Menge Dynamit (siehe dazu auch das dreiteilige Telepolis-Interview mit Klaus von Dohnanyi: „Die USA beherrschen die außenpolitische und sicherheitspolitische Lage Europas“, „Und wenn’s dann brennt, sollen wir Geld und Waffen liefern…“ und „Deutschland und Frankreich sollten in der Nato eine eigene Stimme erheben“).

„Interessen“ versus „Werte“

Wie von Dohnanyi zu Beginn seines Buches überzeugend darlegt, sind in Deutschland die Begriffe „Nation“ und „national“ immer noch verdächtig. Ähnliches gilt für den Begriff „Interesse“ – sollte es sich jedenfalls um „deutsche Interessen“ handeln. In den Ohren sich selbst als kritisch verstehender Intellektueller klingen diese Begriffe verdächtig nach Nationalismus, gar nach imperialistischen Aspirationen. Politiker, die in der Verantwortung stehen, bemühen lieber den blumigen Begriff der „Werte“ oder, wenn es um internationale Bündnisse geht, den der „Wertegemeinschaft“.

Nun hatte aber bereits Egon Bahr eindringlich vor einer Überstrapazierung dieser Begriffe gewarnt. Legendär die lebensnahe Lektion, die der damals 91jährige im Dezember 2013 Heidelberger Schülern erteilte: In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt!

Humanitäre Argumente verschleierten nur allzu oft knallharte Machtinteressen. Nicht zuletzt die Politik unseres Großen Bruders jenseits des Atlantiks ist da ein klassisches Beispiel. Hier setzt von Dohnanyi an. Ihm geht es darum, den schwammigen Begriff der „Wertegemeinschaften“ zu konkretisieren und von dem Begriff der „nationalen Interessen“ zu unterscheiden:

Wertegemeinschaften sind keine Staatsform, keine Nation. Ihnen fehlt die durch einen gemeinsamen politischen Prozess begründete demokratische Legitimation. Es kann natürlich auch gemeinsame Interessen geben, zum Beispiel in der EU oder auch in der transatlantischen Partnerschaft zwischen Europa und den USA. Aber zwangsläufig gibt es innerhalb dieser Wertegemeinschaften auch gegensätzliche Interessen. Gemeinsame „Werte“ schließen harte nationale Interessengegensätze innerhalb dieser „Gemeinschaft“ nicht aus, wie wir erfahren haben und auch künftig sehen werden.

Und um diese „harten nationalen Interessengegensätze“ – vor allem zwischen den USA und der EU im Allgemeinen und Deutschland im Speziellen – im Spannungsfeld der Großmächte USA, China und Russland geht es im vorliegenden Buch.

Die Interessen der USA sind nicht die Interessen Europas

Die USA beherrschen Europa außen- und sicherheitspolitisch, und auf dieser Grundlage ziehen sie uns in ihre Konflikte mit anderen Weltmächten hinein. So verstehen die USA heute ihre Interessen: Es sollen nach ihrem Willen heute nicht die EU oder Deutschland sein, die ihre Beziehungen zu China oder Russland nach ihren eigenen Interessen prägen, sondern es sollen die USA sein, die die weichenstellenden Entscheidungen treffen.

Fragt sich nur, ob diese Entscheidungen auch den europäischen Interessen entsprechen. Von Dohnanyi legt überzeugend dar, dass die US-amerikanische Politik sich auch unter Präsident Joe Biden von den vor über 100 Jahren entwickelten geopolitischen Strategien des britischen Geographen Halford J. Mackinder leiten lässt, nach der, wer das sogenannte „Heartland“ – den eurasischen Kontinent – beherrsche, auch die Welt beherrsche.

Da sowohl die USA als auch Großbritannien dies nicht aus eigenen Kräften bewerkstelligen könnten, gelte es seit Mackinder, nach dem Motto „Teile und herrsche!“ Konflikte innerhalb dieses „Herzlandes“ zu nutzen oder zu schüren, um eine weltbeherrschende Macht auf dem eurasischen Kontinent in Gestalt eines deutsch-russischen, heute: EU-russischen, Bündnisses zu verhindern.

Aktualisiert wurde diese Strategie bekanntlich in den Neunziger Jahren, als der ehemalige Sicherheitsberater im Weißen Haus, Zbigniew Brzezinski, in seinem Buch „The Grand Chessboard“ Europa als den „geopolitischen Brückenkopf“ der amerikanischen Weltmacht auf dem eurasischen Kontinent bezeichnete.

Die USA, so von Dohnanyi, wollten erklärtermaßen die „einzige Weltmacht“ (Brzezinski) bleiben und gerieten damit zwangsläufig in eine Rivalität zu China und Russland, die früher oder später in eine Konfrontation führe. Von Dohnanyi untersucht nun die Konsequenzen dieser Strategie für Europa.

Dazu fragt er als erstes, ob von China eine Kriegsgefahr für Europa ausgehe. Er verneint dies trotz der fraglosen militärischen Aufrüstung des Landes, deren Ziel seiner Einschätzung nach allerdings nicht militärische Expansion, sondern die Sicherung geographischer Einflusszonen im Südchinesischen Meer, d.h. die „Verhinderung der Präsenz militärisch- oder politisch-ideologisch fremder Kräfte“, sei:

Chinas Interesse ist heute wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg, nicht militärische Expansion. Wenn Europa die chinesischen Interessen defensiv verstehen und seine eigenen entsprechend ausrichten könnte, lägen möglicherweise viele Jahrzehnte der positiven Zusammenarbeit vor uns. Aber das wollen die USA verhindern, sie wollen die Außenpolitik der Europäischen Union gegenüber China hegemonial mitbestimmen und lenken. Sie wollen Europa als Teil einer „westlichen Wertegemeinschaft“ in ihren Weltmachtkonflikt mit dem erstarkenden China hineinziehen.

Präsident Bidens programmierte Politik einer Wiederherstellung der weltweiten Dominanz der USA, nicht zuletzt sein konfrontativer Kurs in Asien, berge erhebliche Risiken für Europa und die Welt.

Es kann daher auch nicht deutsches Interesse sein, sich an dieser vermutlich ebenso vergeblichen wie gefährlichen Politik der USA zu beteiligen. Denn niemand sollte glauben, dass Europa aus einem Krieg zwischen USA und China unbeschädigt herauskäme. Dafür würden die USA schon sorgen!

Entspannungspolitik mit Russland ist alternativlos

Gegenüber Russland ist die sicherheitspolitische Situation Europas laut von Dohnanyi nach wie vor – wie zu Zeiten des (ersten) Kalten Krieges – durch die US-amerikanische Strategie der atomaren „flexible Response“ gekennzeichnet, die im Ernstfall bedeuteten würde: Krieg auf europäischem Boden – bis zur totalen Zerstörung des Kontinents! Von Dohnanyi, der in den Siebziger Jahren an entsprechenden Nato-Übungen teilnahm, weiß wovon er redet:

Nicht Europa zählt im Falle eines russischen Angriffs, sondern nur die Sicherheit der USA! Wir werden nicht gefragt! Die wahre Gefahr für eine völlige Zerstörung Europas beruht darauf, dass Europa in erster Linie ein geopolitisches Interesse der USA ist. Europa würde im Falle eines russischen Angriffs nach amerikanischer und Nato-Strategie zum alleinigen Kriegsschauplatz, ohne jedes direkte Risiko für das Heimatland USA. Deutschland aber wäre, als vermutlich zentrale Nachschubbasis, sofortigen Raketenangriffen ausgesetzt. Die nukleare Nato bildet heute als militärische Organisation keinerlei Garantie für Europas Unversehrtheit.

(Nebenbei: Für Menschen, die in den Achtziger Jahren in der Friedensbewegung aktiv waren, nicht gerade eine Neuigkeit. Statt dessen muss man schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, dass das Ende des ersten Kalten Krieges an dieser Tatsache nicht das Geringste geändert hat!)

Die Konsequenz: Nur solange Russland selbst an einer Aggression nicht interessiert sei, sei Europa wirklich sicher. Eine entsprechende Haltung russischer Politik zu festigen oder herzustellen, bleibe die vorrangige Aufgabe deutscher und europäischer Diplomatie.

Entspannung ist der bleibende Auftrag! Dauerhafte Sicherheit in Europa kann es nur mit und nicht gegen Russland geben. Wir Europäer wissen, dass wir in einem Krieg mit Russland sogar als Sieger nur Verlierer sein könnten! Nur Entspannungspolitik könnte die Kriegsgefahr in Europa verringern. Entspannung muss deswegen zum Grundsatz auch der Nato-Politik mit Russland werden.

Europa müsse selber Wege finden, Gefahren für den Kontinent zu bannen, solange die innenpolitische Lage in den USA und die dortige Russophobie eine Entspannungspolitik der Nato nicht erlaubten. Für die Sicherheit der europäischen Nationen müssten auch russische Interessen „auf das gelenkt werden, was letztlich die einzig verbliebene Stärke Europas ist: eine offene Zusammenarbeit in Wissenschaft, Innovation, Technologie und Wirtschaft.“ Sätze, die seit dem 24. Februar brisanter sind denn je!

Brandaktuell – und schon veraltet

Selten war ein Buch zum Zeitpunkt seines Erscheinens so aktuell – und bereits wenige Wochen später in zentralen Punkten schon wieder veraltet! Man missverstehe nicht: Alle scharfsinnigen Analysen von Dohnanyis gelten nach wie vor. Aber die sich überstürzenden Ereignisse im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine lassen einige Konsequenzen, die der Autor noch Ende letzten Jahres zog, mittlerweile alt aussehen.

So schlug von Dohnanyi beispielsweise – damals völlig plausibel – im Anschluss an ein Interview, das ausgerechnet Zbigniew Brzezinski zwei Jahre vor seinem Tod, im Juni 2015, der Welt gegeben hatte, für die Ukraine vor, sich am Status Finnlands zu orientieren. Eine Option, die nun mit der bevorstehenden Nato-Norderweiterung obsolet geworden ist.

Hier, wie bei einer Reihe anderer Aspekte, wüsste man gerne, ob und gegebenenfalls in welche Richtung der Autor heute Modifikationen seiner Gedanken und Vorschläge vornehmen würde. Kurz: Eine – zumindest um ein ausführliches neues Vorwort ergänzte – aktualisierte Neuauflage dieses Bandes auf dem Hintergrund der laufenden Ereignisse wäre bereits jetzt sehr zu empfehlen.

Von Dohnanyi argumentiert moderat im Ton, aber klar in der Sache. Sein Duktus ist, wie in Interviews und Talkshows, stets besonnen und souverän. Und er scheut sich nicht, aus seinen Thesen unmissverständlich die Konsequenzen zu ziehen, auch wenn sie der generellen Linie der Leitmedien meist diametral entgegensetzt sind. Genau diese Kombination bildet den offensichtlichen Reiz, der von Buch und Autor ausgeht. Und so freut man sich, dass dieser Band – trotz des nicht gerade reißerisch klingenden Titels – es auf Anhieb in die Spiegel-Bestseller-Liste geschafft hat. Nicht zuletzt ein ermutigendes Anzeichen, dass es in der deutschen Öffentlichkeit nach wie vor ein großes Interesse nach seriösen Informationen jenseits des lärmenden einseitigen Medienmainstream gibt!