Politische Debatte – Pro und Contra Corona-Impfpflicht

Quelle: Deutschlandfunk 24.11.21

Politische Debatte – Pro und Contra Corona-Impfpflicht

Mehrere Spitzenpolitiker sprechen sich angesichts der angespannten Corona-Lage für eine allgemeine Impfpflicht aus. Einige Verfassungsrechtler halten einen solchen Eingriff für verhältnismäßig. Aber es gibt Bedenken. Gesundheitsminister Jens Spahn glaubt etwa, eine Impfpflicht könne das akute Problem in der vierten Welle nicht lösen.

Die Coronazahlen in Deutschland steigen aktuell in bislang nie gekannte Höhen. Die Impfquote rangiert derweil bei rund 68 Prozent und zeigt kaum noch nach oben. In dieser Lage wird auch in Deutschland über Möglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Sinn einer allgemeinen Impfpflicht diskutiert, wie Österreich sie ab Februar 2022 einführen will.

Wer und was spricht für eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus?

Mehrere Ministerpräsidenten besonders betroffener Bundesländer sprechen sich inzwischen für eine allgemeine Impfpflicht aus. So warben etwa Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in einem gemeinsamen Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ dafür.

„Eine Impfpflicht ist kein Verstoß gegen die Freiheitsrechte. Vielmehr ist sie die Voraussetzung dafür, dass wir unsere Freiheit zurückgewinnen“, schrieben beide Politiker. Im „heute-journal“ des ZDF machte Kretschmann deutlich, dass er dies für verfassungskonform hält. Vor einigen Jahrzehnten habe es bereits eine Impfpflicht in Deutschland gegeben – und aktuell in abgeschwächter Form auch bei Masern.

„Wir wissen natürlich alle: Das ist ein Vorschlag nicht für jetzt sofort“, sagte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt im Deutschlandfunk. Es brauche hier verschiedene Abstufungen: Zunächst gehe es um eine Impfpflicht in Einrichtungen für besonders empfindliche Gruppen und dann im nächsten Frühjahr oder Herbst um eine Impfpflicht für alle – „kein Impfzwang und auch nicht mit gewaltanwendung aber eine Impfpflicht – das sind zwei ganz verschiedene Dinge“, so die Grünen-Politikerin. Es gebe jedoch auch logistische Fragen: Da werden wir Hilfe brauchen von THW, von Bundewehr – wir werden in Apotheken impfen müssen.“

Katrin Göring-Eckhardt (Grüne) zum Impfen in der vierten Welle

„Ich persönlich bin inzwischen als Ultima Ratio tatsächlich für diese allgemeine Impfpflicht“, sagte Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) im Dlf. „Ich glaube, dass wir aus dieser Endlosschleife tatsächlich nur rauskommen, wenn diese Impfpflicht kommt. Die wird uns jetzt nicht heute und morgen helfen, aber die wird uns möglicherweise aus der Pandemie insgesamt rausbringen.“

Bayerns Gesundheitsminister Holetschek (CSU) für Impfpflicht

Zustimmung kam auch von den CDU-Regierungschefs Volker Bouffier aus Hessen, Daniel Günther aus Schleswig-Holstein und Reiner Haseloff aus Sachsen-Anhalt. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) sagte, eine Impfpflicht käme zu spät, um die vierte Corona-Welle zu stoppen, könne aber „für die Zukunft mit Blick auf die bundesweite Situation sicherlich“ nicht ausgeschlossen werden.

Auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach befürwortet eine allgemeine Impfpflicht. „Aus meiner Sicht ist der Moment der Impfpflicht gekommen“, sagte Lauterbach im Sender n-tv und nahm Bezug auf ein Zitat des Bundespräsidenten: „Ich sehe das wie Frank-Walter Steinmeier: Was muss denn noch passieren, damit die Leute sich bequemen, eine ungefährliche Impfung über sich ergehen zu lassen, zumindest zu dem Zweck, andere zu schützen?“ Eine Impfpflicht würde allerdings erst „im Februar oder März“ entlastende Wirkung entfalten, sagte Lauterbach im Dlf. Der Deutsche Ethikrat hat bislang keine Empfehlung für eine allgemeine Impfpflicht abgegeben.

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Wer und was spricht gegen eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus?

Eine allgemeine Impfpflicht löse nicht das akute Problem, sagte der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Dlf-Interview. Die Wirkung käme „viel zu spät“. Darüber hinaus würde eine Impfpflicht auch das Verhältnis von Bürger zu Staat berühren. „Das ist ja nicht nur eine Rechtsfrage“, sagte Spahn im Dlf. „Es ist eine Frage von Freiheit und Verantwortung. Aus meiner Sicht gibt es eine moralische Verpflichtung, eine gesellschaftliche Verpflichtung, sich impfen zu lassen, weil Freiheit ja nicht heißt, jeder macht was er will.“ Eine Impfpflicht sei schwer durchzusetzen und könnte das negative gesellschaftliche Folgen haben, sagte der Gesundheitsminister.

Interview mit Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, zu: Impfpflicht und 2G

Er widersprach dem oft angeführten Argument, mit der verpflichtenden Pockenimpfung habe es bereits einen Präzedenzfall für eine allgemeine Impfpflicht gegeben. „Ja, die gab es mal, eingeführt im Kaiserreich, aber es war im Kern, wenn man genau hinschaut, eine Impfpflicht für Kinder, die relativ bald nach der Geburt geimpft werden mussten, und in bestimmten Berufen. Eine allgemeine Impfpflicht für jeden Menschen im Land, die hat es noch nie gegeben.“

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Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick fürchtet im Fall einer allgemeinen Impfpflicht mit einer weiteren Verschärfung der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, er rechne damit, dass bestimmte Gruppen unter den Impfgegnern dann noch sehr viel aggressiver aufträten.

Wäre eine allgemeine Impfpflicht gegen Covid-19 verfassungskonform?

Eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus wäre laut Verfassungsrechtlern ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Renommierte Juristen halten sie dennoch für vereinbar mit dem Grundgesetz. Häufig kreist die Diskussion um Artikel 2:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

„Wenn man eine überzeugende gesetzliche Grundlage dafür schafft, dann ist das verfassungsrechtlich möglich“, sagte Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer, Vorsitzender der „Gesellschaft für Freiheit“, im Dlf. „Ja, eine solche Pflicht wäre ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, allerdings ist dieser Eingriff vergleichsweise geringfügig. Es handelt sich ja zunächst einmal um einen Piks. Es gibt dann eine unangenehme Impfwirkung. Und es gibt außerdem extrem unwahrscheinliche Nebenwirkungen, das muss man sehen.“

Buermeyer verweist auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Masern-Impfung. Dazu habe das Gericht im Eilverfahren „eindeutig festgestellt“, so der Verfassungsrechtler, dass „der Gesundheitsschutz, als der Schutz vor den Folgen einer Infektion, die Sorge vor den Nachteilen einer möglichen Impfung weit überwiegt“.

„Verfassungsrechtlich möglich“ – Interview mit Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer

Impfpflichten habe es historisch gegeben, erklärte der Verwaltungsrechtler Hinnerk Wißmann von der Universität Münster in Deutschlandfunk Kultur. Bedingung für solche Maßnahmen sei aber, dass sie etwas nützten und dass „anderes nicht genügend hilft“. Wißmann sieht grundsätzlich „ganz gute Indikatoren, dass die Impfung einen Unterschied macht“. Der Zeitung „Die Welt“ sagte Wißmann, eine Impflicht sei das mildere Mittel, „wenn die Alternative ist, den freien Staat in Lockdown-Endlosschleifen abzuschaffen“.

Nach dem 1874 unter Otto von Bismarck eingeführten Reichtsimpfgesetz mussten über 100 Jahre lang Kinder im ersten Jahr nach ihrer Geburt gegen Pocken geimpft werden. Seit 1980 gelten die Pocken laut WHO als ausgerottet. Die Pocken-Impfpflicht in der Bundesrepublik wurde ab den 1970er-Jahren schrittweise abgeschafft.

 Uwe Volkmann, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Goethe-Universität Frankfurt, sagte, die „Eingriffstiefe“ sei geringer als „die andernfalls erforderlichen gravierenden Freiheitseinschränkungen“. Er warf die Frage auf, ob hier nicht „eine Impfpflicht die klare und einfache Lösung wäre, weil sie auf das Recht setzt, statt beständige, auch moralische Ausgrenzung“. Das sei zwar keine optimale Lösung. „Aber es gibt im Augenblick eben auch nur zweit- oder drittbeste Lösungen.“

Wann kommt die Impfpflicht in Krankenhäusern und Pflege?

Einstimmig beschlossen wurde auf dem jüngsten Bund-Länder-Gipfel eine „einrichtungsbezogene“ Impfpflicht für Menschen, die etwa in Krankenhäusern und Pflegeheimen oder anderweitig im Kontakt mit besonders infektionsgefährdeten Gruppen arbeiten. Andere Länder wie Italien, Frankreich, Großbritannien und Griechenland haben eine Impfpflicht in Pflegeberufen schon eingeführt, andere wie Lettland, Belgien und Österreich planen, dies in den kommenden Monaten zu tun.

Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht geht es nicht nur um das medizinische Personal, sondern um alle Mitarbeitenden, die eine Einrichtung betreten, also etwa auch um Reinigungskräfte. Entscheiden soll darüber allerdings der Bundestag.

Änderung des Infektionsschutzgesetzes: Das sind die neuen Corona-Regeln

Die Ampelkoalition muss sich noch einigen. Die FDP hatte sich lange gegen eine Corona-Impfpflicht für die Beschäftigten bestimmter Einrichtungen wie Pflegeheime gewandt. Doch sie hat ihren Standpunkt geändert. Die Länder baten den Bund, die Impfpflicht „schnellstmöglich umzusetzen“. Olaf Scholz, voraussichtlich nächster Kanzler der Bundesrepublik, ging nach der Ministerpräsidentenkonferenz davon aus, dass ein entsprechendes Gesetz frühestens Mitte Dezember den Bundestag passieren könnte. Erarbeiten soll den Gesetzentwurf dazu nun der geschäftsführende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Christel Bienstein vom Deutscher Bundesverband für Pflegeberufe begrüßt teilweise Impfpflicht

In Italien schossen die Impfzahlen mit Einführung der Impfpflicht einem Bericht des „Handelsblatts“ zufolge schnell nach oben. Demnach habe die Quote im Juni bei 98 Prozent gelegen und die Zahl der Infektionen in Altenheimen sei stark zurückgegangen.

Tino Chrupalla (AfD) im Interview der Woche: „Eine Impfpflicht würde die Situation verschärfen“

Gegner wie der AfD-Ko-Parteichef Tino Chrupalla fürchten, die in der MPK vereinbarte Teil-Impfpflicht könne zu Kündigungen unter ohnehin schon knappen Pflegekräften führen. In Frankreich, wo seit September eine Impfpflicht in der Pflege gilt, hat allerdings nahezu keine Abwanderung von Personal stattgefunden. Mitte Oktober hatte Frankreichs Gesundheitsminister angegeben, dass nur 15.000 der mehr als zwei Millionen Betroffenen noch nicht geimpft seien. Wiederum 0,1 Prozent dieser 15.000 Menschen seien bereit, den Schritt der Kündigung zu wählen.

Impfpflicht für bestimmte Berufe kommt, Forderungen auch aus anderen Branchen

Auch Axel Radlach Pries, der Dekan der Charité in Berlin, äußerte nur wenige Bedenken, dass Pflegekräfte durch die Impfpflicht ihren Beruf aufgeben könnten: „In Ländern, in denen es schon Impfpflichtelemente gibt, ist das so in der Form nicht wirklich passiert, und ich glaube auch, dass am Ende des Tages Personen, die im medizinischen Versorgungssektor arbeiten, doch sehr vernünftig sind und so was auch durchaus akzeptieren würden“, sagte er im Dlf.

Interview mit Axel Radlach Pries, Dekan der Charité zur Situation in den Krankenhäusern

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