Professor Klaus Gestwa kritisiert Gabriele Krone-Schmalz: „Chance zum kritischen Diskurs …leichtfertig verspielt“

Quelle: t-online.de

Interview von Michael Ströbel – 3.11.2022

Professor Klaus Gestwa kritisiert Gabriele Krone-Schmalz: „Die Chance zum kritischen Diskurs hat die VHS Reutlingen leichtfertig verspielt“

Eine ehemalige Moskau-Korrespondentin geht auf YouTube viral und wird von einer Volkshochschule gefeiert. Den Osteuropa-Forscher Klaus Gestwa entsetzt das.

Ein Vortrag der ehemaligen Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz in Reutlingen geht derzeit auf YouTube viral. Hunderttausende haben sich das Video inzwischen auf dem Kanal der Volkshochschule (VHS) Reutlingen angesehen. Viele Kommentatoren feiern die „andere Perspektive“, die die Journalistin in den rund eineinhalb Stunden aufzeigt. Doch Osteuropa-Experten sehen die Person und ihre Inhalte mehr als nur kritisch.

Einer von ihnen ist Prof. Klaus Gestwa von der Universität Tübingen, die nur rund zehn Kilometer von Reutlingen entfernt liegt. Mit den Worten „Zu Gabriele Krone-Schmalz gibt es so viel zu sagen, um vor ihrer manipulativen Art zu warnen“, erklärte er sich zu einem Interview mit t-online bereit.Auf seine ganz eindrückliche Art nimmt er darin die Kernargumente von Krone-Schmalz auseinander. Auch an der VHS Reutlingen lässt er kaum ein gutes Wort.

Zur Person: Prof. Dr. Klaus Gestwa ist seit 2009 der Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Eberhard Karls Universität in Tübingen. Er forscht zur Zeitgeschichte Russlands und der Ukraine. Während der vergangenen Jahre war er an mehreren internationalen Forschungsprojekten mit russischen und ukrainischen Kolleginnen und Kollegen beteiligt. Bis zum Ausbruch der Corona-Epidemie war er regelmäßig zu Forschungsaufenthalten sowohl in Russland als auch in der Ukraine.

t-online: Herr Prof. Gestwa, wie bewerten Sie den Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz in Reutlingen und dass er von der VHS auf YouTube veröffentlicht wurde?

Prof. Klaus Gestwa: Der Vortrag von Gabriele Krone-Schmalz ist mittlerweile 790.000 Mal aufgerufen worden. Wenn es der VHS um Reichweite ging, dann dürften sich die Verantwortlichen auf die Schulter klopfen. Dafür ist dann ihre politische Verantwortung auf der Strecke geblieben. Wir können seit Jahren die Strategie der Schuldlastumkehr beobachten, die darauf zielt, nicht Putins Russland als den Ausgangspunkt von Aggressionen und den seit 2014 stattfindenden Krieg gegen die Ukraine auszumachen, sondern die Schuld dafür stattdessen der Ukraine und dem Westen zuzuweisen. Das ist genau das, was der Kreml, der mit seinen Trojanischen Pferden schon seit Langem die europäische, vor allem die deutsche Politik beeinflusst, erreichen will.

Können Sie das konkretisieren?

Gabriele Krone-Schmalz verbreitet seit Jahren die politisch bedenkliche Mär, der Westen habe stets „Putins ausgestreckte Hand zurückgewiesen“ und Russland „nicht auf Augenhöhe behandelt“. Dann wird die Annexion der Krim mal schnell als politische „Notwehr unter Zeitdruck“ gerechtfertigt. Die Kritik an der großen Empathie von Krone-Schmalz für die russische Politik und die Blindheit gegenüber deren zunehmenden Konfrontations- und Kriegskurs ist weithin bekannt. Sie kommt nicht nur aus den Reihen der Wissenschaft, sondern auch von vielen Journalisten, an deren Arbeit Krone-Schmalz seit Jahren auch kein gutes Haar lässt, obwohl es in unseren Qualitätsmedien doch vielfach eine gute Berichterstattung gibt. Kollegen-Bashing gehört zum rhetorischen Grundinventar von Gabriele Krone-Schmalz. Die Nähe zu den russischen Narrativen hat Gabriele Krone-Schmalz in den Medien und im Internet den Ruf einer Kremlapologetin eingebracht. Diese Kritik war der VHS in Reutlingen bekannt. Sie hatte aber schon vor einem Jahr Krone-Schmalz zu einem Vortrag eingeladen. Wir haben es also mit einem Wiederholungsfall zu tun.

Was genau kritisieren Sie nun an dem Vortrag in Reutlingen?

Ärgerlich sind nicht nur die bedenklichen Narrative, die Gabriele Krone-Schmalz verbreitet, sondern auch, wie sie vonseiten der VHS zelebriert worden ist. Der Leiter der VHS fällt in seiner Einleitung gleich mit einem merkwürdigen Vergleich auf, indem er Putin mit einem Bankräuber vergleicht, der in der gegenüberliegenden Sparkasse Geiseln erschießt und droht, die Stadt in die Luft zu sprengen. Deshalb müsse man die Gründe seines Überfalls analysieren und verstehen, um deeskalieren zu können. Vergleiche hinken immer, dieser aber besonders. Ich dachte immer, Bankräuber werden verhaftet und verurteilt.

Kritik an Krone-Schmalz: Volkshochschul-Vortrag empört Russland-Experten

Im weiteren Verlauf des Vortrags von Krone-Schmalz geht es dann aber darum, Putin einen „gesichtswahrenden Ausweg“ aufzuzeigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Reutlinger Polizei das für eine richtig gute Idee hält.

Wenn am Ende der VHS-Leiter dann Gabriele Krone-Schmalz für die „Differenzierung“ des deutschen Diskurses dankt und sie dazu auffordert, damit weiterzumachen trotz aller „Anfeindungen“ und Proteste, dann wird damit genau die Opferrolle betont, die sich Krone-Schmalz immer selbst bescheinigt, wenn sie die vermeintlich zu „engen Meinungskorridore“ in Deutschland beschwört und für sich mehr Respekt einfordert. Wer eine umstrittene Person zum Vortrag einlädt, sollte dieser nicht eine große öffentliche Bühne zur Selbstinszenierung bieten, sondern die diskutablen Aussagen kritisch begleiten. Im Fall der VHS Reutlingen gab es vor allem Lobhudelei. Das wirft Fragen auf.

Das Interview ist noch viel länger – die weitere Lektüre lohnt