Sanktionen gegen Russland: Massiv, aber nicht immer wirksam

Quelle: Tagesschau

Sanktionen gegen Russland: Massiv, aber nicht immer wirksam

Klaus-Rainer Jackisch, hr

14.03.2022

Noch nie hat der Westen derart scharfe Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängt wie jetzt. Die dortige Bevölkerung spürt die Folgen deutlich. Dennoch sind einige Maßnahmen nicht so wirkungsvoll, wie sie zunächst scheinen.

Die Farbe war noch nicht trocken, die Reparaturarbeiten nicht abgeschlossen, die Handwerker noch halb an Bord, da raste die 87 Millionen Euro teure Jacht „Graceful“ die Elbe hinauf. Mit hoher Geschwindigkeit verschwand sie über Nord- und Ostsee schnell in die russische Enklave Kaliningrad am Frischen Haff. „Graceful“ heißt das Nobel-Schiff von Wladimir Putin, das längere Zeit bei der Hamburger Werft Blohm + Voss überholt wurde. Kurz vor dem Angriff auf die Ukraine ließ Putin die Jacht in Sicherheit bringen.

Italien und Frankreich fackeln nicht lange

Das versuchten auch zahlreiche russische Oligarchen mit ihren Schiffen – und waren damit recht erfolgreich. Macht und Reichtum mit Luxus zur Schau zu stellen, erfüllt viele russische Geschäftsleute mit Stolz. Selbst wertvollste Gemälde von Monet, die eigentlich ins Museum gehören, schippern so auf russischen Jachten über die Weltmeere.

Während sich die Hamburger Behörden schwer damit taten, nach Verhängung der westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch weitere Schiffe in den dortigen Werften zu konfiszieren, fackelten italienische und französische Behörden nicht lange: Sie griffen sofort durch und beschlagnahmten zahlreiche glitzernden Prunk-Schiffe russischer Oligarchen entlang der gesamten Riviera und Côte d’Azur.

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Bevölkerung bekommt Sanktionen zu spüren

Nicht nur die mehr als 860 Personen auf den Sanktionslisten der EU spüren, dass es der Westen dieses Mal ernst meint mit der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine. Auch der Bevölkerung in Russland dämmert, dass die guten Zeiten vorbei sind. In Moskau stürmten die Menschen IKEA-Filialen, nachdem der schwedische Konzern angekündigt hatte, sein Geschäft in Russland einzustellen. Sie zählen zu den umsatzstärksten des Unternehmens. Schnell wurden noch Kochtöpfe, Geschirr und Billy-Regale eingekauft, bevor die Filialen schlossen.

Mode-Läden wie Zara, H&M oder Massimo Dutti schlossen ihre Geschäfte. Im Luxuskaufhaus GUM gibt es ganze Etagen mit leeren Regalen. Prada, Gucci oder Louis Vuitton, alle sehr beliebt bei statusbewussten Russen, zogen ihre Waren ab. Westliche Autohersteller, von VW bis General Motors, schlossen ihre Produktion oder liefern keine Fahrzeuge mehr. Mittlerweile fehlt es an allem: von Henkell Freixenet-Sekt bis zu Smartphones von Apple. Im Heimkino zog Spielfilm-Gigant Netflix den Stecker. Kaum ein westliches Unternehmen, das nicht die Reißleine gezogen hat – häufig aus Image-Gründen, vielfach aus Überzeugung.

In russischen Supermärkten gibt es zunehmend Versorgungsprobleme. In vielen Läden sind die Regale leer. Es fehlt an Nudeln, Mehl, Reis und anderen Grundnahrungsmitteln. Viele Einheimische machen Hamsterkäufe, es gibt erste Rationierungen. Selbst der Kreml musste mittlerweile zugeben, die Maßnahmen träfen das Land spürbar: „Die Sanktionen sind hart, sie bereiten Probleme“, so Sprecher Dmitri Peskow. „Aber Russland hat das nötige Potenzial, um den Schaden auszugleichen.“

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Eigenes Zahlungssystem hält Kreislauf aufrecht

Neben der Konsumgüterbranche machte auch der Finanzsektor Ernst: VISA, Mastercard und American Express stellten ihre Geschäfte ein. Wer mit diesen Karten von Russland ins Ausland fahren will, kann dort keine Hotelrechnung bezahlen, keinen Mietwagen buchen und auch nicht Shoppen gehen. Wichtige Reiseländer für Russen wie die Türkei oder Zypern berichten über leere Hotels und verwaiste Strände. Problematisch ist der Einsatz der Karten auch, wenn internationale Onlinehändler bezahlt werden sollen. Die sind bei der Bevölkerung beliebt. Dort funktionieren die Karten nicht mehr. Auch PayPal stellte seinen Dienst ein.

Allerdings sind Russen, die Kreditkarten lieben und gerne bargeldlos zahlen, von den innerrussischen Zahlungssystemen nicht komplett abgeschnitten. Schon nach dem Einmarsch auf die ukrainische Halbinsel Krim ließ der Kreml ein innerrussisches Zahlungssystem einführen – unter dem zynisch anmutenden Namen „Mir“: Das heißt „Frieden“. „Mir“ war von Anfang an aber eher Zwang und Druck: Händler in Russland mussten das System akzeptieren und anbieten, auch wenn sie das gar nicht wollten. Jetzt fungiert das Zahlungssystem tatsächlich als Notmaßnahme.

Selbst wenn auf einer Karte das VISA- oder Mastercard-Label prangt, kann sie in der Regel im innerrussischen Zahlungsverkehr weiter eingesetzt werden. Die großen russischen Banken stellen sicher, dass die Zahlung über „Mir“ weiter funktioniert. Die Auswirkungen innerhalb des Landes halten sich also in Grenzen. Außerdem bauen die Kreditinstitute auch ihre Kooperation mit dem chinesischen Kreditkarten-Anbieter Unionpay aus. Dadurch können Transaktionen teilweise auch im Ausland wieder abgewickelt werden.

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SWIFT-Ausschluss bleibt löchrig

Ähnlich löchrig sind auch die ersten verhängten Sanktionen gegen das Zahlungssystem SWIFT. Es erleichtert international tätigen Unternehmen die Abrechnung erheblich. Binnen kürzester Zeit können dort Forderungen ohne große Überprüfung beglichen werden, weil die angeschlossenen Nutzer als vertrauenswürdig gelten. Operativ übernehmen dann Geschäftsbanken die Transaktion.

Zwar befinden sich auf der Sanktionsliste der Institute, die von SWIFT ausgeschlossen wurden, zahlreiche große russische Banken. Doch die Institute, die bei der Abrechnung der Erdgas- und Rohöl-Lieferungen eine bedeutende Rolle spielen, stehen nicht darauf. Dazu gehören die Sber-Bank und die Gazprom-Bank. Konkret bedeutet dies: Russische Gas- und Öllieferungen können weiter relativ reibungslos bezahlt und abgewickelt werden. „Die westlichen Regierungen waren und sind nicht bereit, eine Energiekrise zu riskieren“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Deshalb seien die zentralen russischen Banken in diesem Sektor nicht auf der Sanktionsliste.

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Energieabhängigkeit verhindert härteres Durchgreifen

Tatsächlich bezieht Deutschland rund 30 Prozent seines Rohöls aus Russland. Von den russischen Gaslieferungen sind in Europa vor allem Italien und Deutschland hochgradig abhängig. Hierzulande kommen rund 55 Prozent des Gases von dort. Andere wichtige Lieferanten wie die Niederlande und Norwegen können nicht einfach einspringen, weil sie bereits an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Die Europäische Union, die wortgewaltig fordert, die Abhängigkeit in diesem Sektor zu reduzieren, muss selbst kleinklaut zugeben, dass der Weg ziemlich steinig ist. Der für den „Green Deal“ zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans sagte: „Es ist hart, verdammt hart. Aber es ist möglich.“

Konkret würde ein sofortiges völliges Abschneiden der russischen Öl- und Gaslieferungen in Deutschland nach Ansicht von Experten zu Versorgungsengpässen und auch Stromausfällen führen. Die Bundesregierung hat sich deshalb bislang dagegen ausgesprochen, die Maßnahmen entsprechend zu erweitern. Insgesamt sind die SWIFT-Sanktionen gegen Russland also deutlich weniger wirksam als sie auf den ersten Blick scheinen.

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Maßnahmen gegen Zentralbank wirken stark

Wesentlich schärfer sind die Maßnahmen gegen die russische Zentralbank, die in dieser Form ihresgleichen suchen. Sie unterbinden sämtliche Geschäftstätigkeiten und Interaktionen mit der Notenbank in Moskau. Dadurch werden insbesondere die Devisenreserven eingefroren. Das Land besitzt Rücklagen in Höhe von rund 630 Milliarden US-Dollar. Davon liegt ein großer Teil im Ausland. Auch bei der Bundesbank gibt es ein Geschäftskonto, das aber nur relativ geringe Guthaben aufweisen soll.

Die Abschottung einer Zentralbank und die Sperrung ihres Zugangs zu Auslandskonten verursacht tendenziell große Probleme, die auch den innerrussischen Geldmarkt beeinträchtigen können. Unruhig und nervös rutschte Zentralbank-Chefin Elwira Sachipsadowna Nabiullina deshalb auf ihrem Stuhl hin und her, als sie der Bevölkerung versichern wollte, die Versorgung mit Bargeld sei garantiert. Zwar gab es zeitweise einen Ansturm auf Bankautomaten und Konten, teilweise auch leere Geldterminals. Insgesamt gelang es der Zentralbank bislang aber, größere Ausfälle zu vermeiden. Die Situation könnte sich verschärfen, sollten die verfügbaren Rücklagen dahin schmelzen.

Rubel derzeit international fast wertlos

Hinzu kommt der dramatische Absturz des Rubel gegenüber anderen Währungen. Die Notenbank sah sich gezwungen, die Leitzinsen auf 20 Prozent zu erhöhen – ein Sprung von über zehn Prozentpunkten. Durch die Einschränkung ihrer Rücklagen und die gekappte Zusammenarbeit mit westlichen Notenbanken ist es für Moskau schwierig, auf den Finanzmärkten wirkungsvoll zu intervenieren und die Währung zu stützen. Lediglich die angeordneten Kapitalmarktkontrollen – etwa, dass Außenstände russischer Unternehmen an westliche Staaten in Rubel zu begleichen sind – konnte die Talfahrt der Währung etwas eindämmen. Allerdings hemmt das zusätzlich die Geschäftstätigkeit – denn russische Rubel möchte im Moment keiner haben.

Unter dem Strich gibt es also ein gemischtes Bild: Die Sanktionen sind so hart wie nie zuvor, aber sie sind teilweise nicht konsequent und geben Russland die Möglichkeit für viele Schlupflöcher. Wollte man das Land tatsächlich an seiner Achillesferse treffen, müsste man den Bezug von Gas- und Öl komplett einstellen, sagen Experten. Dadurch würde die Finanzierung des Krieges deutlich erschwert. Diese Maßnahme würde aber zu erheblichen Verwerfungen der westlichen Wirtschaft führen. Dazu sind derzeit die wenigsten bereit.