Steuern: Wer soll entlastet bzw. stärker belastet werden? Zweiteilung der Parteienlandschaft!

Von Cerstin Gammelin und Alexander Hagelüken

https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/bundestagswahl-wahlprogramme-steuerpolitik-1.5347154 – Juli 2021, 13:28 Uhr

Bundestagswahl: Steuerrechnungen heizen Wahlkampf an

Die Steuer- und Sozialpläne der Parteien belasten Arm und Reich unterschiedlich stark. Das zeigt eine Analyse im Auftrag der SZ. Prominente Politiker setzen die Ergebnisse sogleich im Wahlkampf ein.

Die erstmalige Finanzanalyse der Parteipläne facht den Wahlkampf 2021 an, der bisher wenig von Sachfragen geprägt war. „Die Berechnungen zeigen eine bemerkenswerte Zweiteilung der Parteienlandschaft“, urteilt der Wirtschaftsweise Achim Truger. „Union und FDP wollen Besserverdienende und Reiche entlasten. SPD, Grüne und Linke dagegen fordern oberen Einkommen etwas mehr ab, um die Mitte der Gesellschaft und Geringverdiener finanziell besser zu stellen.“

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat für die Süddeutsche Zeitung berechnet, wie sich die Steuer- und Sozialpläne der Parteien zur Wahl finanziell auf einzelne Bürger auswirken. Dabei zeigen sich große Unterschiede. Prominente Politiker setzen die Ergebnisse sogleich im Wahlkampf ein. „Unser Ziel ist es, das Steuersystem gerechter zu machen“, sagt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. „Wir wollen die Steuern für mehr als 95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger senken. Damit werden niedrige, mittlere und auch ganz gute Einkommen entlastet.“

Bundestagswahl – Wer von den Plänen der Parteien finanziell profitiert – und wer nicht

Die Vorschläge von SPD und Grünen sowie Union und FDP unterscheiden sich überraschend stark. Das zeigt erstmals eine große Rechnung. Eine Recherche mit Grafiken.

„Die CDU interessiert sich nicht für Geringverdienerinnen, für die Reichsten dafür umso mehr“, erklärt Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. „Setzt sich die Union durch, dann wächst die Kluft zwischen Arm und Reich weiter“, fügt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hinzu.

Laschet und Söder wollten sich bislang nicht äußern

Die Union blieb ungewöhnlich zurückhaltend. Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) und CSU-Chef Markus Söder wollten sich zunächst auf Anfrage nicht zu den Berechnungen äußern. Diese zeigen etwa, dass die Vorschläge von Union und FDP die Ungleichheit in Deutschland erhöhen, während die Pläne von SPD, Grünen und Linken sowohl Ungleichheit wie Armutsrisiko senken.

„Seit der Jahrtausendwende steigt die Ungleichheit der Einkommen stark an“, sagt der Ökonom Achim Truger. „Die Politik verteilte steuerrechtlich von unten nach oben um. Beides sollte korrigiert werden. Eine Steuerreform sollte obere Einkommen etwas mehr belasten und untere weniger.“ Claudia Kemfert, Ökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bezeichnete die Rechnungen auf Twitter als „interessante Analyse“.

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch erklärt: „Wir wollen die wahren Leistungsträger des Landes – die Krankenschwester, den Paketboten oder den Busfahrer – entlasten. Für die, die das Land am Laufen halten, haben Union und FDP steuerlich nichts zu bieten. Im Gegenteil: Für Normalverdiener könnte Armin Laschet ein sehr teurer Kanzler werden.“ Mit Blick auf ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis nach der Wahl sagt er, es sei gut, dass SPD und Grüne kleine und mittlere Einkommen entlasten wollten. Sie müssten aber noch mehr gegen steigende Energiekosten tun. „Ein Mitte-Links-Bündnis müsste eine Regierung sein, die die Mehrheit entlastet und vor steigenden Kosten schützt.“

Die FDP hält an ihren Steuerplänen fest

Der Ökonom Andreas Peichl kritisiert die Linken-Pläne, den Spitzensatz der Einkommensteuer auf bis zu 75 Prozent zu erhöhen: „Eine Erhöhung über 50 Prozent ist aus Effizienzgründen nicht sinnvoll“, so der Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik.

„Die Freien Demokraten wollen alle Einkommensgruppen gleichermaßen entlasten. Seien es Singles, Alleinerziehende, Ehepaare mit oder ohne Kind, Selbständige oder Unternehmer“, wiederholte FDP-Generalsekretär Volker Wissing auf Nachfrage die bekannten Positionen seiner Partei. Die Berechnungen des ZEW zeigen allerdings etwas anderes: Demnach stellen die Pläne der FDP Gutverdiener ab 8000 Euro brutto im Monat prozentual bis zu sechs Mal besser als kleinere und mittlere Einkommen.

Ihren Steuerplan will die FDP nicht überarbeiten. Wissing kritisierte stattdessen, dass die ZEW-Berechnungen nicht berücksichtigten, dass der von SPD, Grünen und Linken vorgeschlagene Mindestlohn von zwölf Euro Arbeitslosigkeit erzeugen könne – und auch nicht, dass Entlastungen die Wirtschaft durch höhere Kaufkraft beleben könnten. Solche Effekte lassen sich jedoch ökonomisch kaum detailliert in Berechnungen voraussagen. Sie sind auch nicht nachgewiesen. Schon bei der Einführung des Mindestlohns in Deutschland etwa warnten FDP-Politiker, dies fördere Arbeitslosigkeit – die Arbeitslosenraten jedoch gingen in den folgenden Jahren zurück.

Bei der FDP und bei der Union stellt sich zudem die Finanzierungsfrage. Sie bekennen sich zur Schuldenbremse, wollen Steuererhöhungen ausschließen und so schnell wie möglich zur schwarzen Null zurückkehren. Die Mehrausgaben von über 30 Milliarden Euro aus ihren Steuer- und Finanzplänen wollen sie durch schnelleres Wachstum erreichen.

SPD-Kanzlerkandidat Scholz kennt als Bundesfinanzminister die finanzielle Lage aus nächster Nähe. „Wir haben 400 Milliarden Euro Kredite für den Bundeshaushalt zusätzlich aufgenommen, um unter anderem Unternehmen in der Pandemie zu stützen. Deshalb ist jetzt nicht die Zeit, die Steuern für gewinnträchtige Unternehmen zu senken. Steuersenkungen im Umfang von 30 Milliarden Euro für sehr gut verdienende, meist große Unternehmen, wie CDU/CSU sie vorschlagen, gehen da nicht. Damit isoliert sich die Union auch international, wir sorgen gerade für eine globale Mindestbesteuerung für Konzerne.“

Nachzutragen ist, dass die ZEW-Berechnungen zur Vermögensteuer der Linken auf dem Entwurf des Wahlprogramms basieren, der zu diesem Zeitpunkt auf der Website abrufbar war. Die Linke beschränkt in der endgültigen Fassung des Wahlprogramms den hohen Steuersatz von fünf Prozent auf Vermögen ab 50 Millionen Euro und nicht schon ab einer Million Euro.