Was Wissen schafft

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Eine Analyse von Nils Markwardt, 07.05.2020

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Nils Markwardt, 1986 in Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) geboren, studierte Literatur- und Sozial­wissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist leitender Redaktor des «Philosophie Magazins». Für die Republik schrieb er zuletzt über rechten Terror und über die Landtagswahlen in Ostdeutschland.

Was Wissen schafft

Als Antwort auf Corona-Verschwörungs­theorien und die «Nur ein Schnupfen»-Fraktion wird der blosse Verweis auf Daten, Fakten und Forschung nicht reichen. Im Gegenteil: Das kann auch zu einem Bumerang werden. Was tun?

Im Ausnahme­zustand hat sich politisch plötzlich vieles verschoben. Mandats­träger, die zuvor auf die Selbst­regulierung des Marktes setzten, entdecken nun die Lust am staats­dirigistischen Durchregieren; Geld, das vermeintlich nicht da war, wird von Staaten jetzt im großen Stil ausgeschüttet; die globalisierte Mobilität, die sich stets nur zu beschleunigen schien, ist in vielen Bereichen stillgelegt.

Anderes hingegen verläuft im Corona-Diskurs durchaus so, wie es zu erwarten war. Allem voran die Tatsache, dass sich in der Debatte um die wissenschaftliche und politische Einordnung des Virus schnell eine Front der «Zweifler» bildete.

Auf Regierungsebene wäre da etwa US-Präsident Donald Trump, der die Gefahr von Covid-19 lange verharmloste. Oder sein brasilianischer Amtskollege Jair Bolsonaro, der das bis heute tut.

Ebenso auf publizistischer Ebene. So warnte Roger Köppel angesichts der bis dato relativ niedrigen Anzahl an Corona-Toten in der Schweiz jüngst vor einer «medial-epidemiologisch befeuerten Politpanik» und wähnte das Land schon auf dem Weg in die Diktatur.

Mit ähnlichen Argumenten hatte in Deutschland zuvor bereits der ehemalige SPD-Bundestags­abgeordnete Wolfgang Wodarg für Aufsehen gesorgt. Dessen These: Covid-19 sei harmloser als eine normale Grippe, und Virologen würden die ganze Sache nur aufblasen, um Aufmerksamkeit und Forschungs­mittel abzuräumen. Damit war er insbesondere im Netz auf grosse Resonanz gestossen.

In vielen Ländern formiert sich schließlich auch ein zunehmender, oft von Rechts­populisten befeuerter Straßen­protest, der sich gegen die corona­bedingten Kontakt­beschränkungen wendet. Etwa in den USA, wo bewaffnete Trump-Anhänger buchstäblich gegen den Shutdown mobilmachen – und vor wenigen Tagen beispiels­weise das Parlamentsgebäude in Michigan stürmten.

Und in Deutschland, wo etwa der «Demokratische Widerstand», ein obskures Bündnis aus Verschwörungs­theoretikern, Anti­kapitalistinnen und Rechts­extremen, auf einer Demonstration vor «Impf­terrorismus» und einem «dystopischen Digital- und Pharma­konzern­kartell» warnte.

Charakteristisch für diese (Quer-)Front der «Zweifler» ist, dass es ihnen nicht um eine rationale Debatte über die Ausbalancierung von Infektions­schutz, freiheitlichen Grund­rechten sowie ökonomischen Folge­schäden geht; sondern dass sie die jeweils verhängten Corona-Massnahmen per se als «Panik­mache» verbuchen oder gar als Teil einer gross angelegten Verschwörung begreifen.

Warum kommt das alles nicht überraschend?

Weil sich hier Muster wiederholen, die man aus der Debatte über den Klima­wandel oder den Erfahrungen mit Rechts­populisten kennt, historisch aber ebenso aus den Diskussionen über den Zusammen­hang von Tabak­konsum und Krebs­erkrankungen.

Sprich: Bestimmte Gruppen lehnen wissenschaftliche Fakten ab, unterstellen Forscherinnen eigen­nützige Motive und verwerfen die sogenannte «Mainstream»-Bericht­erstattung als «gleichgeschaltet» und manipulativ.

Plumper Positivismus ist keine gute Antwort

Was hält man solch raunenden bis verschwörungs­theoretischen Argumentationen entgegen? Für alle Vertreter eines aufgeklärten Rationalismus heißt die Antwort wieder einmal: Sie müssen die Kraft der Fakten, die Legitimität wissenschaftlicher Verfahren sowie der sich daraus ergebenden Autorität der Wissenschafts­gemeinde verteidigen.

Dementsprechend vernimmt man dieser Tage ja auch immer wieder das zweifellos notwendige Plädoyer: Hört auf die Wissenschaft! Oder konkreter: Schaut auf Zahlen, Statistiken und Modell­rechnungen, hört auf wissenschaftliche Institutionen und Experten, vertraut den Verfahren der Wissenschaftsgemeinde. Und mit ebendiesem Plädoyer könnte der Text dann auch enden. Könnte.

Leider jedoch liegt die Sache etwas komplizierter.

Denn die Forderung, schlichtweg auf die Wissenschaft zu hören, mag angesichts von publizistischen Profil­neurotikerinnen, Verschwörungs­theoretikern und postfaktischen Populistinnen zunächst so richtig wie nötig sein.

Dennoch birgt sie selbst Probleme. Genauer gesagt: gleich mehrere. Sie müssen selbstbewusst benannt werden, und damit muss die bloß reflexhafte Anrufung wissenschaftlicher Autorität auf den Prüfstand gestellt werden.

Nicht um eine Hintertür für unterdessen eindeutig widerlegte Thesen zu öffnen, allen voran jene, dass Covid-19 harmloser als die saisonale Grippe sei. Und erst recht nicht, um Verschwörungs­theorien auch nur ansatz­weise hoffähig zu machen.

Vielmehr braucht es diesen differenzierten Umgang, um beim zweifellos notwendigen Rekurs auf wissenschaftliche Erkenntnisse nicht in einen plumpen Positivismus zurückzufallen, der für die Demokratie langfristig ebenfalls gefährlich werden kann. Oder zugespitzter gesagt: um Wissenschaft nicht selbst zu einer Glaubens­frage zu degradieren. Ein differenzierter Umgang mit wissenschaftlicher Autorität könnte außerdem dabei helfen, dass Desinformations­kampagnen weniger Resonanz­räume finden.

Drei Gründe also, warum wir es uns mit dem Verweis auf die Wissenschaft nicht zu einfach machen sollten. …

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