„Welch ein Leben“ – Potrait des Schriftstellers und Jahrhundertzeugen Walter Kaufmann

Quelle: Welt online 28.09.2021

Duisburger Wanderer zwischen den Welten

Ein neuer Dokumentarfilm zeigt das Leben des jüdischen Schriftstellers Walter Kaufmann

Ein hochaktueller Dokumentarfilm erinnert an den jüdischen Schriftsteller Walter Kaufmann. Unter anderem Namen geboren und zur Adoption freigegeben, wurde Kaufmann vom „Lumpenkind zum Bourgeoiskind“ – und schließlich Autor. Der Duisburger Hafen vor fast hundert Jahren. Ein kleiner Junge schaut dort den Schiffen und den Arbeitern zu. Sein Leben lang wird Walter Kaufmann (1924 bis 2021) immer wieder auf Reisen sein und Geschichte miterleben. In den USA, auf Kuba, in Australien, Asien und Europa.

Der Dokumentarfilm „Walter Kaufmann – Welch ein Leben“ kommt nächste Woche in die Programmkinos, Regisseur Dirk Szuszies geht mit dem Film auf Reisen und stellt ihn in fünf NRW-Städten vor.

Geboren wurde Kaufmann in Berlin als Jizchak Schmeidler. Als er drei Jahre alt war, 1927, gab ihn seine in Armut lebende Mutter zur Adoption frei. Er kam zum reichen Duisburger Ehepaar Kaufmann und erhielt den Namen Walter. „Aus dem Lumpenkind wurde ein Bourgeoiskind“, sagt der alte Walter Kaufmann im Film. „Und aus dem Bourgeoiskind wurde ein Wanderer durch die Welt.“

In einer Villa am Kaiserberg wuchs Walter auf, „verhätschelt“, wie er selbst erzählt. Sein Vater war Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Duisburgs und hatte im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Was nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten passierte, konnte sich niemand in der Familie vorstellen. Bei einem Pogrom wurde die Villa total zerstört, der Vater wurde verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Als er von dort zurückkehrte, stand – wie Walter Kaufmann es beschreibt – „Dachau ins Gesicht des Vaters geschrieben“.

Mit 15 Jahren kam Walter Kaufmann mit einem Kindertransport nach Großbritannien. Seine Pflegeeltern versuchten nachzukommen. Es gelang ihnen nicht, beide starben in Auschwitz, ohne dass Walter Informationen über ihren Verbleib bekommen hätte.

In Australien baut sich Walter Kaufmann ein Leben auf, wird Seemann und Mitglied der Kommunistischen Partei, schreibt Kurzgeschichten und seinen ersten Roman. Als er Mitte der 50er-Jahre nach Duisburg zurückkehrt, um nach den Spuren seiner Familie zu suchen, ist er entsetzt. Niemand wollte über die Nazizeit sprechen. Schnell wurde ihm klar: „In Duisburg bleibst du nicht.“

Walter Kaufmann war schon Mitte 90, als der Film gedreht wurde. Seine Sätze sind klar formuliert, seine Erinnerungen scharf. Die Kamera folgt ihm auf Spaziergängen durch Berlin und an der Ostsee. 1957 ist Kaufmann in die DDR umgesiedelt, behielt aber seinen australischen Pass. So konnte er weiter durch die Welt reisen, Bücher und Reportagen schreiben, über den Rassismus in den USA oder die Revolutionsbegeisterung in Kuba.

Eigentlich wollten die Regisseure Karin Kaper und Dirk Szuszies zusammen mit Walter Kaufmann auf Weltreise gehen und die Orte aufsuchen, an denen er gelebt hat. „Es hat aber zehn Jahre gedauert, bis wir das Projekt finanziert bekommen haben“, erzählt der aus Dortmund stammende Szuszies. Erst mit Unterstützung des Vereins „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ hat es dann geklappt. „Da war allerdings auch Walter Kaufmann zehn Jahre älter, und es war ihm körperlich nicht mehr möglich, die Reisen zu unternehmen.“

Dann kam auch noch die Pandemie. Doch das Regieteam fand eine Lösung. Kameraleute haben auf der ganzen Welt nach Kaufmanns Anweisungen gefilmt. So erzählt der Film chronologisch die Lebensgeschichte Walter Kaufmanns, aber optisch vermischen sich die Zeitebenen. Historische Aufnahmen wechseln mit aktuellen Impressionen der Städte und Landschaften, die der Schriftsteller bereist hat.

Sein Judentum betont Walter Kaufmann nur, wenn er in Deutschland ist. Um Haltung zu zeigen, denn die Rechtspopulisten sind ihm ein Grauen. Allerdings legt er auch Wert darauf, kein linientreuer DDR-Schriftsteller gewesen zu sein. Einmal habe ihn die Stasi kontaktiert und aufgefordert, Kollegen zu bespitzeln. Er habe abgelehnt. Über die Wiedervereinigung hinweg, von 1985 bis 1993, war Kaufmann Generalsekretär des PEN-Zentrums der DDR. Weil man dort – wie er sagt – offen diskutieren konnte.

Walter Kaufmann ist vor einem halben Jahr in Berlin gestorben, er wurde 97 Jahre alt. Fast ein Jahrhundert Weltgeschichte hat er begleitet, als Berichterstatter und Künstler. Vieles hat er am eigenen Leib erlebt. Der respektvolle Film ist ein würdiges Denkmal.“


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