Datum/Zeit
Date(s) - 05/01/2023
19:30 - 21:30
Veranstaltungsort
Vogthaus
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Beim ersten Treffen des Rosa-Luxemburg-Clubs Kirchheim im Jahr 2023 sehen wir uns die israelisch-französisch-belgisch-niederländisch-rumänische Tragikkomödie „Zug des Lebens“ von Radu Mihăileanu aus dem Jahr 1998 an.
1941. Der Osten Europas erbebt unter der Gewalt des Zweiten Weltkriegs. Unerbittlich rücken die deutschen Truppen vor und zermalmen alles, was sich ihnen entgegenstellt.
In einem kleinen jüdischen Dorf geht die Angst um, seinen Bürgern könne es bald so gehen wie vielen anderen davor: Gefangennahme, Verschleppung, Ermordung. Dorfnarr Schlomo hat den rettenden Einfall: Um den Deutschen zuvor zu kommen, sollen sich die Dorfbewohner selbst deportieren und so die Flucht nach Palästina antreten. In einem getarnten Güterwagon tritt der Zug des Lebens seine Irrfahrt ins gelobte Land an. Zu diesem Zweck steckt sich eine durch den Rabbi bestimmte Gruppe in deutsche Uniformen, während die andern die Rolle der Opfer übernehmen – in der Hoffnung, auf diese Weise nach Palästina zu entkommen.
Die „Deportierten“ kommen also in die Viehwagons und die „Bewacher“, die noch schnell Deutsch lernen müssen, in die eleganten Salonwagen. Zunächst läuft alles nach Plan, da der „Geisterzug“ jedoch auf keinem Fahrplan aufgeführt ist, droht der Schwindel aufzufliegen. Schon bald heften sich nicht nur die Deutschen, an seine Fersen..
Der vielfach ausgezeichnete Film erhielt 1998 den Publikumspreis auf dem Cottbuser Festival des osteuropäischen Film und 1999 den Publikumspreis beim Sundance Film Festival, außerdem wurde er 1998 mit dem Preis für das beste Debüt bei den Filmfestspielen Venedig 1998 und 2000 als bester ausländischer Film bei den Las Vegas Film Critics Society Awards ausgezeichnet.
Interview mit Radu Mihaileanu – Regisseur von „Zug des Lebens“
Der Film „Zug des Lebens“ hat große internationale Anerkennung gefunden. Der Film von Radu Mihaileanu handelt von den Einwohnern eines kleinen jüdischen Dorfes in Osteuropa, die den Nazis entkommen wollen, indem sie einen fiktiven Deportationszug organisieren, der sie über die sowjetische Grenze bringen soll. Mihaileanu behandelt schreckliche Geschehnisse mit Humor und Einfühlungsvermögen. Der Film, weitaus besser als Roberto Benignis „Das Leben ist schön“, ist seit kurzem in Deutschland angelaufen.
Mihaileanu ist in Rumänien geboren und aufgewachsen. Einige Mitglieder seiner Familie sind in den KZs der Nazis umgekommen. 1980, im Alter von 22 Jahren, ist er nach Frankreich gezogen und hat dort Film studiert. „Zug des Lebens“ ist sein zweiter Film.
World Socialist Web Site: Schon vor anderthalb Jahren ist die deutsche Premiere Ihres Films auf dem Filmfestival von Cottbus gezeigt worden. Warum ist er in Deutschland erst so spät in die Kinos gekommen?
Radu Mihaileanu: Die Vorbehalte der Verleiher waren nicht wirklich ideologischer Natur. Sie haben einfach nicht geglaubt, dass der Film in Deutschland ankommen würde. Sie meinten, in Deutschland wäre diese Art Film sehr schwierig, Deutschland werde eine solche Art von Komödie niemals akzeptieren, usw. Roberto Benigni [der italienische Regisseur von „Das Leben ist schön“] hat zum gleichen Thema einen sehr kommerziellen Film gedreht. Mein eigener Film ist komisch und ernst zugleich. Einige Verleiher konnten sich nicht vorstellen, dass der Film sich rentieren würde, aber die jetzigen Verleiher machen ihn wirklich sehr gut bekannt.
In gewisser Hinsicht ist es besser, dass der Film erst jetzt in Deutschland herauskommt. In einigen Ländern lief „Zug des Lebens“ zeitgleich mit dem Film von Benigni an. Das hat dazu geführt, dass Journalisten uns in einen Topf geworfen haben – also noch so eine Komödie über den Holocaust – und keiner den Film sehen wollte. –.
WSWS: Sie sind seit zwei oder drei Tagen hier in Deutschland – haben sie schon irgend welche Schlussfolgerungen aus den Reaktionen der deutschen Zuschauer ziehen können?
RM: Ich bin hier auf Reaktionen gestoßen, wie ich sie nirgendwo sonst erlebt habe. Es hat so viele ernsthafte Diskussionen über die deutsche Identität und die Shoah gegeben. Das deutsche und das jüdische Volk sind durch eine Tragödie miteinander verbunden. Besonders in der jungen Generation in Deutschland gibt es viel Verwirrung und Schuldgefühle – der Verlust der Unschuld, was wir als Juden auch erlebt haben.
Ein Beispiel. Am ersten Abend hier hatten wir Diskussionen über den Film, die bis um vier Uhr Morgens dauerten. Ich habe mit einem jungen Mädchen gesprochen, deren Vater in der Wehrmacht gewesen war. Das war sehr aufschlussreich und schön. Das Mädchen hat ihren Vater immer gefragt: Was hast du in der Wehrmacht getan? Und der Vater wollte ihr nie darauf antworten. Der Vater hat zugegeben, dass es fürchterlich war, was sie [die Nazis] dem jüdischen Volk angetan haben. Er meinte aber (er war Österreicher), dass die Juden in Wien immer die besten Arbeitsplätze bekommen hätten, dass sie alle Ärzte, Rechtsanwälte usw. stellten. Die Tochter hat mit einem tiefen Schmerzgefühl gelebt, einem tiefgehenden Problem. Ich hatte zwar gewusst, dass es das gibt, es kam aber hier sehr scharf auf, und die Frage stellte sich: Wie konnte das passieren?