Demokratien sterben heute nicht mehr in erster Linie durch Putsche und Staatsstreiche, sondern mit einem Prozess, der an der Wahlurne beginnt.
Zu diesem Befund kommen die beiden amerikanischen Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben. Und was wir dagegen tun können. Deutsche Verlagsanstalt München 2018.“
Anfangs demokratisch legitimierte Autokraten bauen die Institutionen eines Staates so um, dass grundlegende demokratische Rechte außer Kraft gesetzt, individuelle und politische Freiheiten eingeschränkt werden und die Opposition kriminalisiert wird.
Aktuelle Beispiele hierfür sehen die Autoren in der Türkei, in Polen, Ungarn oder Venezuela. Mit besonderer Sorge beobachten sie die Entwicklungen in den USA, wo ein gewählter Präsident demokratischen Normen mit teils offener Verachtung gegenüber tritt.
Sie schreiben in der Einleitung auf S. 17 ff. dazu:
„Amerika hat im November 2016, als es einen Präsidenten mit zweifelhafter Treue zu demokratischen Normen wählte, beim ersten Test versagt. Donald Trumps Überraschungssieg ist nicht nur auf eine verbreitete Unzufriedenheit in der amerikanischen Bevölkerung zurückzuführen, sondern auch darauf, dass die Republikanische Partei die Nominierung eines extremistischen Demagogen aus den eigenen Reihen als Präsidentschaftskandidat zuließ.
Wie ernst ist die Gefahr jetzt? Viele Beobachter verweisen beschwichtigend auf unsere Verfassung, die genau zu diesem Zweck geschrieben wurde: um Demagogen wie Donald Trump zu bremsen und zu zügeln. Das von James Madison ersonnene System der Gewaltenteilung hat seit über zwei Jahrhunderten Bestand. Es hat den Bürgerkrieg, die Weltwirtschaftskrise, den Kalten Krieg und Watergate überlebt. Es wird also gewiss, so die Meinung der meisten Politikexperten, auch Donald Trump überstehen. Wir sind da weniger sicher.
Gewiss, bislang hat unser System der Gewaltenteilung und Kontrolle recht gut funktioniert – aber nicht, oder nicht nur, aufgrund des von den Gründungsvätern geschaffenen Verfassungssystems. Demokratien funktionieren dort am besten – und überleben am längsten –, wo die Verfassung durch demokratische Normen unterfüttert ist. Die amerikanische Gewaltenteilung wird durch zwei grundlegende Normen gestützt, die wir für selbstverständlich halten: gegenseitige Achtung oder, anders ausgedrückt, das Einvernehmen darüber, dass konkurrierende Parteien einander als legitime Rivalen betrachten, und Zurückhaltung, das heißt, Politiker sollten ihre institutionellen Vorrechte vorsichtig und mit Fingerspitzengefühl ausüben.
Im 20. Jahrhundert konnte sich die amerikanische Demokratie fast immer auf diese beiden Normen oder Gebote stützen. Die Führer der beiden großen Parteien akzeptierten sich gegenseitig als legitime Vertreter des Volkes und widerstanden der Versuchung, ihre zeitweilige Macht zu nutzen, um die Vorteile für ihre eigene Partei zu maximieren. Die Gebote der Achtung und Zurückhaltung dienten als Leitplanken der amerikanischen Demokratie, die dazu beitrugen, dass die Parteien sich nicht bis aufs Messer bekämpften und dabei die Demokratie zugrunde richteten, wie es anderswo auf der Welt geschehen ist, etwa in Deutschland in den 1930er Jahren und in Südamerika in den 1960er und 1970er Jahren.
Heute sind diese Leitplanken der amerikanischen Demokratie jedoch geschwächt. Donald Trump mag diese Entwicklung beschleunigt haben, aber er hat sie nicht ausgelöst. Die Herausforderungen, vor denen die amerikanische Demokratie steht, reichen tiefer.“
In ihrer historisch angelegten Analyse arbeiten Levitsky und Ziblatt Kriterien heraus, mit deren Hilfe sich Aushöhlung und letztlich Niedergang demokratischer Systeme erkennen lassen. Sie beschreiben, welche Warnsignale Demokraten nicht überhören und welche Schlüsse sie ziehen sollten, wenn sie sich und die Demokratie in ihren Ländern gegen Autokraten verteidigen wollen.
Leseprobe Levitsky_Ziblatt_Wie Demokratien sterben…Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung
Levitsky und Ziblatt: Von der Verfeindung zur Zerstörung der US_Demokratie in: Blätter für deutsche und internationale Politik Ausgabe 8 _2018