EU: ein rechtlich verbindliches und kontrolliertes EU-Lobbyregister muss her
Quelle: LobbyControl e.V. – Newsletter vom 9. Juni 2023
Heute vor genau sechs Monaten gingen die Bilder durch die Presse: Geldkoffer, Verhaftungen und das Gesicht der damaligen Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, Eva Kaili. Sie und weitere Verdächtige wurden in Brüssel festgenommen, als der wohl größte Korruptionsskandal in der Geschichte des EU-Parlaments öffentlich wurde. Der ungeheuerliche Verdacht: Ein Ex-Abgeordneter schleuste über einen als Menschenrechts-Organisation getarnten Verein Gelder an aktive Abgeordnete, um die Interessen der Regierungen Katars und Marokkos zu befördern.
Und jetzt? Nur ein halbes Jahr später sind die verhafteten Abgeordneten nun wieder auf freiem Fuß. Kaili kündigte am Wochenende sogar an, wieder ins Parlament zurückkehren zu wollen. Sie hat dort zwar alle Funktionen und Posten verloren, wurde von ihrer griechischen Partei rausgeworfen und ebenso von der Fraktion der Sozialdemokraten. Doch ihr Mandat und die damit verbundenen Rechte als einfache Abgeordnete können ihr nicht genommen werden, solange ihre Schuld nicht bewiesen ist. Um weiteren Schaden vom Herzen der europäischen Demokratie, dem Parlament, abzuwenden, sollten Kaili und die anderen Verdächtigen bald vor einem ordentlichen Gericht stehen. Doch dafür steht leider noch kein Termin fest. Kaili behauptet weiterhin ihre Unschuld. Von den Geldtaschen und -koffern, die in ihrer Wohnung und bei ihrem Vater gefunden wurden, hatte sie nach eigener Aussage keine Kenntnis.
Doch welche Schritte wurden in der EU unternommen, damit sich ein Skandal wie dieser nicht wiederholen kann? Nicht genug, so viel ist klar. Das denken nicht nur wir, sondern auch andere Organisationen, die sich für Transparenz und gegen Korruption einsetzen.
Gemeinsam mit unseren Brüsseler Partnerorganisationen Transparency International EU und Corporate Europe Observatory haben wir am Donnerstag (7.6.23) in einer Pressekonferenz die ernüchternde Bilanz gezogen – und der EU die Leviten gelesen. Denn von den großen Ankündigungen von Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, das Parlament künftig besser gegen Korruption und illegitime Einflussnahme zu wappnen, wurde bisher fast nichts umgesetzt.
In den vergangenen Monaten haben wir viele Gespräche mit EU-Abgeordneten geführt, Vorschläge gemacht und auf Tempo gedrungen. Doch die Verhandlungen über schärfere Regeln, zum Beispiel zur Veröffentlichung aller Lobbytermine, stecken fest. Einige Abgeordnete, insbesondere aus den Reihen der Europäischen Volkspartei, zu der auch CDU und CSU gehören, und der Liberalen, sehen offenbar nur wenig Notwendigkeit, sich selbst strengere Regeln aufzuerlegen. Stattdessen haben die Konservativen eine Untersuchung der Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen durchgesetzt. Ein Ablenkungsmanöver, um nicht vor der eigenen Haustür kehren zu müssen.
Die EU-Kommission hat am Donnerstag außerdem ihre Position zu einem neuen unabhängigen Ethikgremium für alle EU-Institutionen vorgestellt. Doch statt eines Aufsichtsgremiums mit Biss sieht es nur nach einem weiteren zahnlosen Tiger aus. Von denen gibt es in Brüssel allerdings schon genug. Wir werden daher auch in den nächsten Wochen und Monaten nicht locker lassen, damit die EU doch noch ernsthafte und effektive Schlüsse aus dem Skandal zieht.
Welche Maßnahmen helfen, liegt auf dem Tisch: Nötig ist jetzt vor allem ein rechtlich verbindliches und kontrolliertes EU-Lobbyregister, denn das ist die wirksamste Stellschraube gegen illegitime Einflussnahme. Außerdem müssen wir auch auf EU-Ebene die Interessenkonflikte von Abgeordneten besser regeln. Das bedeutet, dass wir auch Angaben zu Vermögen und Unternehmensbeteiligungen brauchen. Und es braucht eine mit ausreichenden Ressourcen und Kompetenzen ausgestattete Stelle, die kontrollieren kann, ob diese Regeln auch eingehalten werden. Wenn das gelingt, hatte der schlimme Skandal vielleicht doch noch etwas Gutes: Eine europäische Demokratie, die gegen Korruption und unzulässige Einflussnahme besser gewappnet ist!
Nina Katzemich und Timo Lange, LobbyControl
PS: Nach den Maskendeal- und Aserbaidschan-Skandalen konnte sich der Bundestag übrigens nach nur fünf Monaten auf schärfere Abgeordneten-Regeln einigen. Damals stand die Bundestagswahl kurz bevor. Auch das EU-Parlament wird in weniger als einem Jahr neu gewählt – die EU-Abgeordneten sollten nicht glauben, dass wir den Skandal und seine Folgen bis dahin vergessen.