Die blockierte Transformation. Zur Kritik des «Green Deal» und der «geopolitischen» EU

Prof. Dr. Birgit Mahnkopf (IPE Berlin) Vom 6. bis 9. Juni kommenden Jahres finden Wahlen zum Europäischen Parlament statt.

Auch wenn die Institution unter Demokratiegesichtspunkten kein vollwertiges Parlament ist, wird die Wahl Anlass für europapolitische Debatten sein. Nach der Finanzkrise 2007/8, der Euro- und Griechenlandkrise sowie dem BREXIT ist das Thema in der gesellschaftlichen Linken sehr in den Hintergrund getreten. In den letzten Jahren haben sich tiefgreifende Veränderungen vor allem auf zwei Gebieten ergeben: 1. Der Neoliberalismus, der die EU-Verträge geprägt hat, ist in der Krise, wenn auch nicht verschwunden. Die Regulation des Kapitalismus in der EU hat sich verändert, wie etwa an der Mindestlohnrichtlinie, der Politik der EZB, dem Next Generation EU-Fonds, zunehmendem Protektionismus und der Renaissance der Industriepolitik deutlich wird. 2. Die EU wäre gerne eine Großmacht und trägt durch ihre Politik zur Verschärfung internationaler Konflikte und Rivalitäten bei. Seit der Ankündigung eines Assoziierungsabkommens mit der Ukraine 2008 haben sich die Beziehungen zu Russland verschlechtert, das die Ukraine seinerseits in die Eurasische Wirtschaftsunion integrieren wollte. Auch das Verhältnis zu China hat sich verschlechtert. Die geopolitische Ausrichtung der EU überlagert und durchdringt zusehends die anderen Politikfelder, auch die Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig vertiefen sich interne Widersprüche, u.a. beim Umgang mit der Energiekrise, in der deutsch-französischen Achse, oder durch die Verschiebung der machtpolitischen Gewichte nach Osten. Dem versucht die Kommission – zum Teil vertragswidrig – mit der Ausweitung ihrer Kompetenzen entgegenzutreten. Die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten haben die Probleme weiter verschärft. Unsere Konferenz dient dazu, die neuen Entwicklungen und die weiteren Perspektiven zu analysieren und Antworten der gesellschaftlichen Linken zu diskutieren. Dazu laden ein: die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Attac-AG EUropa.

Die EU zwischen «strategischer Autonomie» und Unterordnung unter die USA

Nord- und Ostsyrien: „Eine Gesellschaft ändert sich nicht von heute auf morgen“

“Eine Gesellschaft ändert sich nicht von heute auf morgen“   

(Hêvîn, Lehrerin aus Kobanê)

Es ist der 8. März 2024, Internationaler Frauentag, in Nord- und Ostsyrien ein Feiertag. „Die Gesetze zur Gleichberechtigung der Frauen sind von großer Bedeutung“, berichten am Abend vier Kolleginnen der Bildungsgewerkschaft Yekîtiya Mamonstêyen aus Kobanê im Online-Austausch mit ihren GEW- Kolleg*innen aus Niedersachsen. Eine vollständige Realisierung in der traditionell patriarchal geprägten Region erfordere nach wie vor Engagement.

Rechtliche Fortschritte seit 2012

Mit dem Gesellschaftsvertrag der heutigen Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) sind Frauen rechtlich gleichgestellt. Narîn, Ko-Vorsitzende des regionalen Gewerkschaftsbüros, berichtet, dass der Vorsitz in allen kommunalen Einrichtungen, so wie auch in ihrer Gewerkschaft, aus einer Frau und einem Mann besteht. Alle Gremien müssen zu 40% mit Frauen besetzt sein, aktuell sind es mehr als 50%. Auf allen Ebenen wurden zusätzlich autonome Frauengremien gebildet. Frauen und Männer erhalten in gleicher Position die gleiche Bezahlung für ihre Arbeit. In Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Bildung und im Militär stellen die Frauen ihre Fähigkeiten unter Beweis und verschaffen sich zunehmend Respekt. Kinderehen, Polygamie und Gewalt gegen Frauen sind nun verboten.

 Auf dem Weg zur realen Gleichberechtigung

Die gesellschaftlichen Veränderungen stießen in Teilen der traditionell patriarchal und religiös geprägten Region jedoch auch auf Abwehr. Unter der Kontrolle des syrischen Staats waren die Frauen in erster Linie für die Ehe und den Haushalt zuständig, berichtet Narîn weiter. Sie durften nicht allein reisen, nur wenige konnten studieren, in allen Bereichen waren entscheidende Positionen durch Männer besetzt.

Feride, Gewerkschafterin und Mitglied des Bildungsrats, beschreibt die darauf folgenden Zustände während der Besatzung großer Teile der Region durch den sog. Islamischen Staat. Frauen wurden entführt und als Sklavinnen auf Basaren verkauft. Im Kampf gegen diese frauenverachtende IS-Ideologie seien viele Leben geopfert worden. Auch heute noch sind engagierte Frauen nicht sicher und werden gezielt ermordet. Zur Umsetzung der mit der heutigen Selbstverwaltung erreichten Frauenrechte sind für den Fall von Verstößen auf allen gesellschaftlichen Ebenen Beschwerdestellen eingerichtet. Neben den kommunalen Gerechtigkeits-Komitees gibt es autonome Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser, berichtet Nesrin, Verantwortliche für internationale Beziehungen von Yekitiya Mamosteyen.

 Gleichberechtigung fängt mit Bildung an

Gleichberechtigung herzustellen ist ein Prozess, sie muss gesellschaftlich akzeptiert werden. Symbolische Stellen für Frauen reichen nicht aus, die Frauen müssen sich organisieren, sich bilden, und die Positionen auch real ausfüllen. So erklärt die Lehrerin für Jineolojî (Frauenwissenschaften) Hêvîn die Umgestaltungen im Bildungswesen der Selbstverwaltung und deren Bedeutung. Es wurden sowohl strukturelle als auch inhaltliche Veränderungen vorgenommen. In den Schulen des syrischen Staats wurden Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet und konnten so nicht lernen, miteinander umzugehen und sich zu respektieren.

Im Gespräch erinnern sich die Kolleginnen an häufige, ungestrafte Belästigungen der Mädchen durch Jungen, die bei Schulschluss vor den Mädchenschulen auf sie warteten. Zu ihrem Schutz blieben viele Mädchen zuhause, oder sie wurden durch männliche Familienmitglieder beaufsichtigt, was bis zur Gewalt führen konnte, um gemäß der Tradition die Ehre der Familie zu schützen. Vor diesem Hintergrund reagierten einige Eltern zuerst besorgt auf die mit der Selbstverwaltung eingeführte Koedukation. Schnell wurde aber deutlich, dass mit der strukturellen Veränderung auch eine pädagogische einherging, eine gemeinsame Erziehung zu gegenseitigem Respekt, zu Demokratie, Achtung der Kinderrechte und Ablehnung von Diskriminierungen, interaktiv und gewaltfrei. So gibt es eine zunehmende Akzeptanz des koedukativen Unterrichts, der über die Familien auch eine gesellschaftliche Wirkung hat.

Ab der Oberstufe wird Jineolojî unterrichtet, die „Wissenschaft von der Frau und dem Leben“, mit den Schwerpunkten Geschichte der Frauen, Sexismus und Zusammenleben. Das neue Unterrichtsfach ist Pflicht an der Schule und in allen Fachbereichen der Universität – verbindlich für Frauen und Männer. Um bereits bestehende Benachteiligungen abzubauen, werden speziell für Frauen Fort- und Weiterbildungen im technischen und wirtschaftlichen Bereich angeboten.

Herausforderungen und viel Engagement

Die vielfältigen Maßnahmen und Möglichkeiten zur Verwirklichung einer realen Gleichberechtigung der Frauen in Nord- und Ostsyrien, auch im Bildungsbereich, sind beeindruckend. Angesichts der Erfahrung von Doppelbelastungen der deutschen Gesprächsteilnehmer*innen aufgrund zunehmender Berufs- und gesellschaftlicher Tätigkeit drängte sich aber nun auch in diesem Austausch die Frage nach einer Entlastung von den traditionellen Frauenarbeiten auf. Ja, es gibt mehr Arbeit, antwortet Narîn. Eine Entlastung, z.B. durch Kindergärten, ist vorgesehen, konnte aber noch nicht ausreichend realisiert werden. Gleichberechtigung muss täglich erstritten werden, auch in den Familien. Es gibt noch viele weitere Herausforderungen, und die Bedingungen sind schwierig.

Die Kolleginnen kämpfen gegen die fortwährende Gefahr einer neuen Verbreitung frauenverachtender Ideologien.

Gleichzeitig müssen sie sich auch in ihrem Arbeitsbereich mit den Folgen des wirtschaftlichen Embargos, der diplomatischen Nichtanerkennung und der ständigen Bedrohung durch militärische Angriffe auf die Region auseinandersetzen. Häufig müssen die Schulen aus Sicherheitsgründen geschlossen werden, viele Gebäude und ihre Ausstattung sind noch zerstört oder beschädigt, bis jetzt werden die Schulabschlüsse außerhalb der Region weder vom syrischen Staat noch international anerkannt. Trotz aller geschilderten Probleme und Aufgaben vermitteln die Kolleginnen eine eindrucksvolle Aufbruchstimmung, Stärke und Engagement. Was ihnen Kraft gibt, ist ihre Organisierung, erklärt Feride. In Komitees auf den verschiedenen Ebenen ihres Dachverbandes treffen sich die Frauen wöchentlich, monatlich oder halbjährlich, beraten sich über ihre Arbeit und planen sie gemeinsam. Auch das Interesse von Kolleginnen aus Deutschland und der Austausch sind eine wertvolle Unterstützung.

Birgit Zwikirsch

Die Online-Gespräche mit den Kolleg*innen aus Nord- und Ostsyrien/ Region Euphrat finden alle 3 Monate statt. Das nächste Treffen ist am 7.6.2024. Wer sich beteiligen und/oder ein Thema vorschlagen möchte, melde sich gerne unter internationales@gew-nds.de

Wer die Sanierung der Schulen M. Hooker und M. Seydo in Kobanê mit einer Spende unterstützen möchte (Aufruf siehe E&W Nds Feb/März 24, S. 44) kann dieses Konto verwenden: Stiftung Bildung und Solidarität, LzO, IBAN: DE73 2805 0100 0001 6479 32, Betreff: Kobanê (Bei Angabe der Adresse wird eine Spendenbescheinigung zugesandt.)

(Artikel für E&W Niedersachsen)

7. April 2024 – 30 Jahre nach Völkermord in Ruanda

Friedenslogik und friedenslogische Politik

„Friedenslogik statt Sicherheitslogik – Gegenentwürfe aus der Zivilgesellschaft“ lautete der Titel der Jahrestagung der Plattform 2012, die sich mit der Analyse und Kritik des sicherheitspolitischen Ansatzes sowie der Selbstreflexion der Werte und Prinzipien für eine Friedenspolitik aus zivilgesellschaftlicher Sicht auseinandersetzte.

Die Resonanz war sehr positiv und veranlasste den Vorstand, Friedenslogik zu einem zentralen Begriff der zivilen Konfliktbearbeitung weiterzuentwickeln. 2014 folgten grundlegende Beiträge von Hanne Margret Birckenbach und Sabine Jaberg zur Entfaltung der Friedenslogik in dem Dossier „Friedenslogik statt Sicherheitslogik. Theoretische Grundlagen und friedenspolitische Realisierung“.

Beschreibung des Konzepts:

Christiane Lammers, langjährige Geschäftsführerin der Plattform und heute in der AG Friedenslogik aktiv, beschreibt das Konzept:

„Das Grundgerüst der Friedenslogik fußt auf der Erkenntnis, dass Frieden sowohl durch die Abwesenheit von Gewalt als auch durch konstruktive Beziehungssysteme bestimmt ist. Der Sinn des Ansatzes besteht darin, soziale wie politische Praxis theoretisch so zu differenzieren, dass sie zum Ziel des Friedens beitragen können. Die Friedenslogik stellt das kohärente Extrakt wesentlicher Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung dar, die im Spiegel langjähriger Praxis ziviler Konfliktbearbeitung reflektiert worden sind.“

Quelle: Lammers, Christiane, Das Projekt „Friedenslogik“ im Kontext der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung in Sicherheit und Frieden, 3/2020, Nomos Verlag, S. 123 ff.

Die AG Friedenslogik beschäftigt sich mit der Ausdifferenzierung, Weiterentwicklung und Verbreitung der Friedenslogik als Konzept und normatives Gerüst für friedenspolitisches Handeln. Kernfragen sind:

Was unterscheidet eine am Leitbild Frieden orientierte Politik von einer Politik, die dem Leitbild Sicherheit folgt? Warum braucht es diesen Paradigmenwechsel? Welche konkreten Handlungsoptionen folgen bei der Anwendung friedenslogischen Denkens?

Die Mitglieder der AG sind aktiv in der Friedens- und Konfliktforschung, der Bildungs- und Trainingsarbeit sowie publizistisch.

Friedenslogik und friedenslogische Politik

von Hanne-Margret Birckenbach (Quelle: Reader Beiträge zur Friedenslogik)

Der Begriff Friedenslogik bezeichnet sowohl eine Methode des Denkens, deren Schritte sich aus dem Erkenntnisinteresse an Frieden ergeben als auch ein konsistentes politisches Programm, das sich an diesem Denken orientiert.

Als Methode hilft Friedenslogik zu erkunden, wie Frieden durch konstruktive Konfliktbearbeitung gefördert werden kann und welche Prinzipien für die Planung und Unterstützung von Friedensprozessen notwendig sind. Einige der Möglichkeiten werden bereits realisiert, andere existieren noch nicht, können aber geschaffen werden.

Als politisches Programm bezeichnet Friedenslogik den Willen, die Friedensfähigkeit staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure auszuweiten und sich dabei auf friedenslogisch erarbeitete Analysen und Prinzipien zu stützen.

Friedenslogische Politik erweitert und schafft dafür Voraussetzungen. Sie stellt eine geeignete Infrastruktur bereit und nutzt sie in konkreten Konfliktfeldern der Außen- und Innenpolitik. Sie korrigiert den Einfluss wirtschafts- und bündnispolitischer Interessen, sofern diese nicht mit den friedenslogischen Prinzipien vereinbar sind. Sie entwickelt ein breites Spektrum politischer und diplomatischer Aktivitäten zur Friedensentwicklung und setzt dabei auch auf zivilgesellschaftliche Institutionen und auf BürgerInnen, die sich beispielsweise in Friedens- und Entwicklungsdiensten, in der Friedensbildung oder bei Beteiligungs- und Beratungsverfahren in politischen und sozialen Konfliktfeldern auf kommunaler, nationaler sowie internationaler Ebene engagieren. Friedenslogische Politik wirbt im In-und Ausland für zivile Konfliktbearbeitung und budgetiert die dafür erforderlichen Ressourcen