Verbot und Verzicht

Futuring the Liberal Script #5 – Verbot und Verzicht | 01. Juni 2022 –3.918 Aufrufe – Live übertragen am 01.06.2022 –

Prof. Philipp Lepenies (SCRIPTS Professor “Sustainable Development”) und Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann (taz die Tageszeitung). Moderation: Silke Burmester (freie Journalistin).

Grußwort von Prof. Thomas Risse (Senior Professor bei SCRIPTS).

Verzicht und Verbot spielen eine zentrale Rolle bei einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Transformation. Doch was kann uns der Staat vorschreiben, welche Eingriffe in individuelle Freiheiten sind erlaubt/akzeptabel, wenn es etwa um Klimaschutz oder die Bewältigung sozialer Krisen und das Gemeinwohl geht? In den letzten Jahren hat sich eine grundsätzliche, emotional aufgeheizte Abwehrhaltung entwickelt, sobald es um staatliche Regelungen geht, stellt der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies in seinem jüngst erschienenen Buch „Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geist des Unterlassens. (Suhrkamp 2022).

Für Lepenies ist dies auch eine Folge eines „Alltagsneoliberalismus“, der die Konsumentensouveränität zu einem unveräußerlichen Freiheitsrecht und den Staat zu einem prinzipiellen Gegner verklärt. Wie aber lässt sich ein Freiheitsbegriff etablieren, der mehr ist als die Freiheit individueller Konsumentscheidungen? Wie viel Affektkontrolle braucht eine stabile Demokratie angesichts aktueller Verwerfungen und Krisen? Kann ein umfassender ökologischer und sozialer Umbau ohne Verbote und Verzicht gelingen?

Die fünfte Veranstaltung der SCRIPTS-Gesprächsreihe „Futuring the Liberal Script“ live am 01. Juni 2022 im silent green Berlin, in Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag.

 

Wir konnten auch anders – eine kurze Geschichte der Nachhaltigkei

Prof. Dr.  Annette Kehnel: Wir konnten auch anders827 Aufrufe -7.12.2021

I Die Historikerin Professorin Annette Kehnel macht in ihrem Buch „Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit“ den instruktiven Vorschlag, auch einmal ohne Nostalgie in die Zeit vor der Industrialisierung zu schauen.

Wie haben die Menschen etwa im Mittelalter gelebt und über Jahrhunderte eine mehr oder minder nachhaltige Kultur gelebt? Mit ihren Untersuchungen fördert sie Erstaunliches zu Tage. Viele soziale Arrangements des Mittelalters können auch heute vorbildlich sein. So vergaben schon im Mittelalter kommerzielle Banken Mikrokredite gerade auch an die ärmere Bevölkerung. Komplexe soziale Absprachen haben dazu geführt, dass Seen über Jahrhunderte hinweg nicht überfischt, dass gemeinsamer Weidegrund nicht einfach abgegrast, dass Wälder nicht einfach abgeholzt wurden. Laienbewegungen wie die Beginen haben neue, innovative Stadtgemeinschaften ins Leben gerufen, die auch im städtischen Raum auf Subsistenz setzten.

Durch eine ausgeprägte Reparaturkultur wurden Gebrauchsgegenstände immer wieder erneuert und nicht als kurzzeitige Konsumgegenstände angesehen. Die Leichtigkeit, mit der in Neuzeit und Moderne oft über das Mittelalter negativ geurteilt wurde, verbietet sich dann. Für die Gestaltung der Zukunft lohnt gerade auch eine genauere Untersuchung der ferneren Vergangenheit! Heute geht es natürlich nicht darum, die Lösungen des Mittelalters einfach zu kopieren. Die Zeiten sind andere, die Herausforderungen sind auch andere, es wird andere Lösungen geben müssen. Jedoch kann man auf der Suche nach einer neuen Kultur jenseits des fossilen Industriezeitalters durch die mittelalterliche Kultur Anregungen empfangen, wie der Umgang mit den Gebrauchsdingen, wie die Gestaltung von Gemeinschaften, wie soziale Regelwerke und Fürsorge nachhaltig gestaltet werden können. Professor Kehnel plädiert für eine neue Lust „an dem, was man hat.“ Dabei streitet sie die Notwendigkeit von technologischen Neuerungen nicht ab: „Wir brauchen technologischen Fortschritt, aber dieser technologische Fortschritt muss eben in die richtige Richtung gedacht und gemacht werden.“

Die Historikerin plädiert dafür, eingeführte Denkpfade zu verlassen: „Alternativen werden dann erst denkbar, wenn wir herauskommen aus diesem Käfig der Alternativlosigkeit und vor allem, wenn wir die Angst ablegen davor, dass alles anders werden könnte. Natürlich ist es schon deutlich, dass wir Angst vor Veränderung haben, weil wir auch viel zu verlieren haben. Wir sind ja die Gewinner dieser ganzen Entwicklungen. Wir leben auf Kosten nicht nur des Planeten, sondern auch auf Kosten anderer Menschen, die in anderen Kontinenten leben und auf Kosten künftiger Generationen. Deswegen haben wir natürlich Angst, dass wir etwas verlieren. Diese Verlustangst wird, glaube ich, unnötigerweise geschürt und wir sollten sie abbauen. Das genau versuche mit meinem Buch zu sagen: ‚Okay Leute, es wird anders werden, egal ob wir das wollen oder nicht. Es wird anders werden, aber hört doch mal auf, immer davor Angst zu haben, dass es anders wird. Es kann doch anders sein und trotzdem gut.'“

Dabei sieht sie insbesondere die heutigen „Babyboomer“ in der Pflicht: „Wir dürfen die Probleme der Zukunft und der Gegenwart nicht der nächsten Generation überlassen. Das ist mir ein großes Anliegen.“ Dabei ist sie optimistisch: „Ich bin eigentlich zuversichtlich, dass wir das Rad noch rumreißen können, aber wir müssen es wollen.“

Zur Person Annette Kehnel studierte von 1984 bis 1990 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Somerville College Oxford und an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Fächer Geschichte und Biologie. Sie wurde im Mai 1995 am Trinity College Dublin promoviert. Ihre Habilitation erfolgte 2004 an der Technischen Universität Dresden mit einer Arbeit über die Franziskaner auf den Britischen Inseln in der Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Seit Oktober 2005 ist sie Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Historische Anthropologie, Politik-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte sowie die Vergleichende Ordensforschung. Mit ihrer Dissertation legte sie die erste Darstellung eines irischen Klosters im Mittelalter überhaupt vor.

Ihr Werk Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit wurde 2021 mit dem NDR Sachbuchpreis ausgezeichnet.

Christian Felber über die Gemeinwohl-Ökonomie – Jung & Naiv: Folge 459

Christian Felber über die Gemeinwohl-Ökonomie – Jung & Naiv: Folge 459161.060 Aufrufe  – 15.03.2020  –Jung & Naiv – 

Wir treffen den österreichischen Autor, politischen Aktivisten, Ökonomen und Tanzperformer Christian Felber, der seit etwa zehn Jahren für die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) kämpft.

Christian ist Mitbegründer von „attac Österreich“ und gründete 2010 den „Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ für ein Wirtschaften, das auf Kooperation statt Konkurrenz setzt. Mit Christian geht’s zunächst um seinen Werdegang: Wieso tanzt er so gerne? Was hat das Tanzen mit unserem Zusammenleben zu tun? Was hat er studiert bzw. was konnte er nicht studieren? Wie hat er sich seine ökonomischen Grundlagen angeeignet?

Warum will Christian den Kapitalismus überwinden? Was hat die GWÖ noch mit Marktwirtschaft zu tun? Warum sollten wir auf Kooperation statt Konkurrenz setzen? Kann es in einer GWÖ noch weiterhin Wachstum geben? Wie ist er überhaupt auf die Idee einer GWÖ gekommen? Und was ist davon in unseren Verfassungen zu finden? Könnten wir damit einfach in Deutschland anfangen oder muss das global passieren? Außerdem geht’s um privates Eigentum, Waffenhersteller, Nachhaltigkeit, eine „Obergrenze“ für Unternehmen und ein Spekulationsverbot.

Belastung einkommensschwacher Haushalte durch die steigende Inflation – DIW-Kurzexpertise für die Diakonie Deutschland e. V

Belastung einkommensschwacher Haushalte durch die steigende Inflation – Kurzexpertise für die Diakonie Deutschland e. V

Privathaushalte in Deutschland spüren gegenwärtig die hohen Inflationsraten deutlich. Zuletzt betrug sie im Mai 2022 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders einkommensschwache Haushalte sehen sich mit teils dramatischen Preissteigerungen konfrontiert und können unter Umständen ihren Konsumbedarf nicht mehr decken. Um die Auswirkungen dieser Preissteigerungen und die Wirksamkeit eines von ihr vorgeschlagenen Kriseninstruments zu beurteilen, beauftragte die Diakonie e.V. die
DIW Econ.

 Die Ergebnisse der Studien zeigen, dass die hohen Inflationsraten vor allem die einkommensschwächsten Haushalte treffen. Im Szenario mit einer moderaten Inflationsentwicklung müssen Haushalte im untersten Dezil demnach 5,3 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens mehr aufbringen, um den gleichen Konsum wie im Vorjahr zu tätigen. Deutlich weniger stark werden die einkommensstarken Haushalte mit 1,1 Prozent des Nettohaushaltseinkommens von höheren Ausgaben getroffen. Die anteilige Belastung der einkommensschwächsten Haushalte ist damit nahezu fünf Mal so hoch wie die der einkommensstärksten. Sollte sich die Inflation über den aktuellen Prognosen
entwickeln, steigt auch die Belastung noch deutlicher.

Die bereits von der Bundesregierung verabschiedeten Entlastungspakete können diese Belastungen nur begrenzt ausgleichen. Die Haushalte erfahren netto immer noch eine Belastung zwischen 0,4 und 2,8 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens im moderaten Szenario. Insbesondere für einkommensschwache Haushalte ist dies eine enorme Herausforderung, da sie Mehrausgaben nicht durch Rücklagen oder Verringerung der Sparquote ausgleichen können. Gleichzeitig verausgaben sie den größten
Anteil ihres Konsums für Güter des Grundbedarfs. Preissteigerungen in diesen Bereichen können also unter Umständen existenzbedrohend wirken.

Um dem entgegen zu wirken, schlägt die Diakonie Deutschland e.V. die Implementation eines zielgerichteten Kriseninstruments in Form einer zusätzlichen monatlichen Transferzahlung für Leistungsberechtigte in Höhe von 100 Euro in den nächsten sechs Monaten vor.

Weitere Infos:

Die soziale Krise trifft viele Menschen hart. Die Politik sollte ein drittes Entlastungspaket gestalten – diesmal aber zielgenau, schnell, ausreichend und klug.