Covid-19: Vom Beginn einer Skepsis – Auf den Konsens folgt der Dissens

Quelle : Telepolis – 27. April 2020  

 

Unter den Jüngeren und besser Gebildeten schwindet allmählich die Akzeptanz gegenüber den verabschiedeten Corona-Maßnahmen. Zu diesem Befund kommt Psychologin Cornelia Betsch von der Universität Erfurt. Seit Anfang der Krise versucht sie mit ihrer Forschungsgruppe das Stimmungsbild innerhalb der Bevölkerung zu ermitteln.

Dieses nun neuerdings „leicht sinkende Vertrauen in die Notstands-Maßnahmen“ dürfte sich maßgeblich über zwei unterschiedliche Faktoren erklären lassen: Erstens, dass die durch die Lockdown-Situation bedingte dauerhafte Anspannung psychologische Ermüdungserscheinungen nach sich zieht, und zweitens, dass sich gerade unter jungen und gebildeten Leuten die Risikowahrnehmung hinsichtlich Covid-19 verändert hat.

Abseits der Studien der Erfurter Gruppe um Betsch kommt auch das MDR-Meinungsbarometer zu einem ähnlichen Befund: Die Bevölkerung in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen stehe immer weniger hinter den von der Politik beschlossenen Maßnahmen – und dies trotz einer gleichbleibend hohen Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Politik.

Während anfänglich über mehrere Wochen ein breiter gesellschaftlicher Konsens hinsichtlich der Gefährlichkeit des neuartigen Coronavirus sowie der Notwendigkeit, rigoros Maßnahmen zu ergreifen, zu verzeichnen war, regt sich nun abseits der verschwörungstheoretischen Schmuddelecke seriöse Kritik aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilbereichen. Kritik, die das Potential hat, eine durch die Flüchtlingsdebatte ohnehin schon auseinanderdividierte Gesellschaft ein weiteres Mal zu spalten.

Nach Einschätzung des Publizisten Ramin Peymani wurde durch das Virus nicht nur das Immunsystem hunderttausender Menschen, sondern auch das Immunsystem der gesamten Gesellschaft befallen. In den gegenwärtigen Entwicklungen erkennt er die Entwicklung hin zu einer von Angst getriebenen Gesellschaft die in großen Teilen schon das Stellen kritischer Fragen verurteilt.

Der Chefredakteuer der „Augsburger Allgemeinen“ Gregor Peter Schmitz dürfte sich Peymanis Befund anschließen. Nach Zusendung hunderter wütender Zuschriften anlässlich eines kritischen Artikels resümiert er: „Wer als Journalist die aktuellen Schutzmaßnahmen auch nur hinterfrage, handele mindestens unsolidarisch, wenn nicht gar ungehörig.“ Und weiter: „[…] wir [müssen] Fragen aussprechen, statt sie als unaussprechbar abzuwürgen. Etwa: Was zur Hölle machen wir da gerade? Vergessen wir aus Angst vor dem Virus jede Abwägung? Und sollte uns nicht frösteln lassen, mit welcher Geschwindigkeit Grundrechte zur Disposition gestellt werden?“

Die Meldungen über eine neue Blockwart-Mentalität die sich in einer verstärkten Lust am Denunziantentum ausdrückt, scheinen sowohl Peymani als auch Schmitz hinsichtlich ihrer Einschätzungen recht zu geben. Denn hinter der selbst vom Bundesinnenministerium jüngst befürchteten Verrohung der Gesellschaft im Allgemeinen und dem Denunziantentum im Speziellen steht der offenkundige Wunsch, dass kritische Stimmen einerseits und als abweichend wahrgenommenes Verhalten im Alltag andererseits zum Wohle eines größeren Ganzen sanktioniert werden müssen.

Susann Gaschke geht in einem Meinungsbeitrag für die „Welt“ noch einen Schritt weiter. Sie spricht von einer neuen Ideologie, die die Gesellschaft spaltet sowie Familien, Kollegen und Freunde entzweit. Ihre Diagnose lautet:

Wer sich über die widersprüchlichen Botschaften des Robert-Koch-Instituts irritiert zeigt oder Fragen zu willkürlich erscheinenden Maßnahmen der Ordnungsmacht stellt, entlarvt sich als Ungläubiger. Höchstwahrscheinlich will er alte Leute umbringen, zugunsten von Wirtschaftswachstum oder Party-Hedonismus.

Susann Gaschke

Mit guten Gründen kann also unterstellt werden, dass sich aktuell eine neue Konfliktlinie zwischen Befürwortern und Skeptikern der verlängerten Maßnahmen in der innerdeutschen Diskurslandschaft herauskristallisiert. Genährt wird diese Konfliktlinie durch das tägliche Anwachsen kritischer Stimmen aus Wissenschaft, Politik, Medizin, Wirtschaft, Journalismus und Recht. Im Folgenden soll anhand einiger weniger charakteristischer Beispiele skizziert werden, welche Widersprüche gegenwärtig im diskursiven Raum verortbar sind und wie diese Widersprüche die angesprochene Konfliktlinie konstituieren.

Streit um Grund für das Absinken der Reproduktionszahl

Die derzeit wohl hitzigste Debatte kreist um eine vom Robert-Koch-Institut veröffentliche Grafik im Epidemiologischen Bulletin 17/2020. Konkret thematisiert diese Grafik den Kurvenverlauf der Reproduktionszahl R – ein zum gegenwärtigen Zeitpunkt gewichtiger Wert, der regierungsseitig als zentral hinsichtlich der Lockerung der Maßnahmen kommuniziert wurde.

Die effektive Reproduktionszahl R ist ein Schätzer, der Auskunft darüber geben soll, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Daraus folgt plausiblerweise: Ein stabiler Wert weit unter 1 wäre langfristig optimal. Gelingt dies, so wären auch Lockerungen denkbar.

Die vom RKI veröffentliche Grafik zeigt nun, dass R schon vor dem 23.03 – dem Tag der Inkraftsetzung der Maßnahmen – nämlich am 20.03 unter 1 rutschte. Auf Basis dieser Grafik schlussfolgten im Anschluss diverse Autoren (darunter u.a. Stefan Homburg, Professor für Öffentlichen Finanzen an der Universität Hannover), dass die Maßnahmen nicht wirksam gewesen sein können. Denn wenn schon vor dem 23.03.2020 R unter 1 sank und sich die Kurve hier einpendelte, so sei nicht erkennbar, inwiefern die getroffenen Maßnahmen als Unterschiedmacher angenommen werden können.

Die Erklärungen von Seiten der Virologie kamen umgehend: Schon weit vor der Ergreifung der Maßnahmen hätten die Menschen ihr Verhalten durch aktives social distancing und erhöhte Hygiene zu Ungunsten der Infektionsausbreitung umgestellt und aus diesem Grund sei der Wert auch schon vor der Ergreifung der Maßnahmen unter R = 1 gesunken. Weiterhin sei zu erwarten gewesen, dass ohne die Ergreifung der Maßnahmen R wieder über 1 angewachsen wäre.

Am 22.04 informierte Prof. Gérard Krause, Koordinator der Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, bei Markus Lanz umfangreich über eine sinnige Interpretation dieser Grafik. Tatsächlich sei es auch aus seiner Sicht auf Basis dieser Informationen viel zu vorschnell anzunehmen, dass die Maßnahmen keinen Effekt gehabt hätten. Eine Frage, die aber bisher unbeantwortet blieb, wird im Gespräch mit Krause nun von Lanz aufgeworfen: Gesetzt den Fall, die Maßnahmen wirken tatsächlich und der erste Blick auf die Grafik trügt, weshalb sinkt die Reproduktionszahl dann nicht weiter ab, sondern stabilisiert sich bei knapp unter 1? Krause antwortet hierauf, dass er das „so nicht beantworten könne“ und dass möglicherweise ein Effekt existiere, der eine weitere Unterdrückung verunmögliche und ein weiteres Reduzieren von R dann unter Umständen nur durch noch massivere Einschränkungen als die bisher getroffenen realisierbar wäre (vgl. Video ab 8:30).

Im Anschluss gesteht er ein, dass man nicht wirklich wisse, welche Teile der Maßnahmen wie gewirkt hätten. Kurzum: Die Wissenschaft steht bezüglich relevanter Fragestellungen ganz am Anfang. Oder anders: Wissenschaft hinkt – natürlicherweise – der Zeit hinterher und somit fehlt es der Politik letztlich an Rechtfertigung hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen.

So merkte der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt unmittelbar nach der von der Regierung kommunizierten Verlängerungen der Kontaktbeschränkung bis zum 3. Mai an, dass es keine konkrete wissenschaftliche Grundlage für die beschlossene Verlängerung gibt und darüberhinausgehend auch keine Indizien vorliegen, dass eine Überforderung der Krankenhäuser erwartbar wird. Reinhards Einschätzung steht hier also in einem eklatanten Widerspruch zur Position der Bundeskanzlerin Merkel. Erst kürzlich warnte sie vor „Öffnungsdiskussionsorgien“ und betonte ihre Sorge, dass sich die Entwicklung der Corona-Infektionen wieder umkehre.

Einen Schritt weiter ging der Infektiologe und Direktor des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf Ansgar Lohse. Er forderte – wie die „BZ“ berichtete -, mehr Infektionen zuzulassen. Lohse im Wortlaut: „Ohne eine Impfung, die vor 2021 nicht kommen wird, kann die unkontrollierte Ausbreitung des Virus nur gestoppt werden, wenn eine ausreichende Zahl von Menschen eine Immunität entwickelt. Die Epidemie wird sonst jedes Mal neu aufflammen, wenn wir die Maßnahmen lockern. Wir müssen zulassen, dass sich diejenigen, für die das Virus am ungefährlichsten ist, zuerst durch eine Ansteckung immunisieren.“

Im Anschluss räumte er ein, dass Ziel der Herdenimmunität zwar ein heikles Unterfrangen sei, ein differenzierter Umgang aber dennoch unumgänglich ist: „Ich bin mit vielen Kollegen aus ganz verschiedenen Fachrichtungen im Diskurs, die ähnlich denken. Wir sind uns einig, dass wir nicht nur auf Corona schauen dürfen. Auf Dauer richten wir sonst zu große Schäden an.“

Qualität der Datenlage

Aber auch direkt aus der Wissenschaft werden Zweifel laut: So bemängelt Prof. Ferdinand Gerlach, Vorsitzender des Gesundheit-Sachverständigenrats, die unzureichende Datenqualität und verweist auf die daraus folgende Unmöglichkeit, fundierte Aussagen zu treffen. Insofern aber keine fundierten Aussagen aufgrund der möglicherweise mangelhaften Datenqualität getroffen werden können, wird auch fraglich, inwiefern die getroffenen Maßnahmen überhaupt sinnvoll zu rechtfertigen sind. Gerlach zufolge habe er große Zweifel an der Validität der Daten auf deren Basis nun aber weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Die Folge sei eine teilweise im Blindflug erfolgende Debatte über Infektionsraten und über die Effektivität ergriffener Eindämmungsmaßnahmen.

Geht man nun von dem Grundsatz aus, dass derjenige, der die Maßnahmen verlängern möchte, sich zu rechtfertigen habe (hier also die Politik), so wird auch deutlich, wie wichtig die kritische Frage nach der Datenqualität faktisch zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird.

Zu einem ähnlich ernüchternden Befund hinsichtlich der Datenqualität gelangt der renommierte und in wissenschaftlichen Kontexten vielzitierte Statistik- und Gesundheitswissenschaftler John Ioannidis von der Stanford University. Er skizziert zwei mögliche Erkenntnisse, die am Ende der Pandemie stehen könnten: Entweder wir hatten es tatsächlich mit einer „once-in-a-century pandemic“ zu tun oder aber es handelt sich um ein „once-in-a-century evidence fiasco“. Auch er beklagt, dass Entscheidungen von enormer Reichweite ohne zuverlässige Datenbasis getroffen werden, und stellt die zentrale Frage, wie politische Entscheidungsträger überhaupt abwägen können, ob die getroffenen Maßnahmen am Ende nicht mehr schaden, als sie nutzen.

Wer ist gefährdet?

Eine von Ioannidis betreute und bisher auf dem Preprint-Server medRxiv publizierte Studie kommt zu dem Ergebnis, „dass das Risiko, an Covid-19 zu sterben, bei gesunden, jüngeren Menschen verschwindend gering ist“. Ioannidis und sein Team üben aufgrund ihrer Ergebnisse im Anschluss scharfe Medienkritik, wenn sie vermerken, dass ihre Resultate in Kontrast zu vielen News-Storys über das Sterben junger Menschen und der damit einhergehenden Panik stehen.

Besonders pikant in diesem Zusammenhang: Nicht nur die Medien scheinen diese Panik zu nähren. Erst am Dienstag den 21.04.2020 ließ Lars Schaade, Vizepräsident des Robert-Koch-Institut verlauten, dass jeder schwer an Covid-19 erkranken könne und somit nicht nur für Risikogruppen eine erhöhte Gefahr bestünde.

Vor dem Hintergrund der von Ioannidis vorgestellten Ergebnisse, müsste sich das RKI aber hinsichtlich seiner Beurteilung des Bedrohungspotentials zumindest die Frage nach Verhältnismäßigkeit stellen lassen. Allgemeiner: Auf welcher Datenlage beruht hier die Warnung des RKI? Auf anekdotischer Evidenz – also einem Denken in bloßen Möglichkeiten – oder aber auf generalisierbaren Aussagen über Wahrscheinlichkeiten, die empirisch belegt werden können? Anders: Welcher empirische Befund rechtfertigt die Suggestion, dass sich Menschen, die keiner Risikogruppe angehören, ebenfalls in keiner „falschen Sicherheit“ wiegen dürften?

Aus der forensischen Praxis wiederum berichtet der Rechtsmediziner Prof. Dr. Klaus Püschel, dass die von ihm obduzierten Todesopfer alle an schweren Vorerkrankungen gelitten hätten und jeder dieser Menschen im Laufe des Jahres diesen erlegen wäre. Er schlussfolgert, dass keine der Zahlen die Angst vor dem Virus rechtfertige und er von einer vergleichsweise harmlosen Erkrankung ausgehe. Dementsprechend müsse man lernen mit dem Virus zu leben und zwar ohne Quarantäne.

Auch Püschel relativiert somit indirekt die Einschätzung des RKI. Dass jeder – also auch Menschen die keiner Risikogruppe zuzuordnen sind – zumindest theoretisch schwer an Corona erkranken können, wird dabei zu keinem Zeitpunkt negiert. Dennoch dürfte die Betonung, dass dies nach gegenwärtigem Erkenntnisstand nicht sehr wahrscheinlich ist, fundamental sein.

Mangel an Beatmungsgeräten

Der Vorsitzende des Verbands der pneumologischen Kliniken Thomas Voshaar, Chefarzt im Bethanien-Krankenkaus Duisburg-Essen, berichtet hingegen Bemerkenswertes hinsichtlich der Beatmungspraxis bei schwerwiegenden Krankheitsverläufen. Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen“ sagt er, dass das frühe und vorschnelle Intubieren von Covid-19-Patienten häufig medizinisch nicht gerechtfertigt sei und unter Umständen sogar gefährlich für den Intensivpflichtigen werden könne. Und weiter, dass es in Fachkreisen bezüglich einer sinnvollen Intubationspraxis vor Ausbruch der Pandemie keine Kontroverse gab.

Der ursprüngliche Konsens hinsichtlich einer sinnvollen Beatmungspraxis wurde also aufgegeben und dies ist – beispielsweise im Falle von China, Italien und Frankreich – möglicherweise auf das in den Kliniken entstandene Chaos zurückzuführen. Ein weiterer mutmaßlicher Grund für die Aufgabe dieses Konsens könnte sein, dass diverse Intensivmediziner davon ausgehen, dass bei einer Intubation im Allgemeinen die Aerosol-Belastung für das klinische Personal geringer sei. Eine Annahme, der Voshaar jedoch kategorisch aus inhaltlichen wie aus ethischen Erwägungen widerspricht: „Das ist unethisch. Wir können doch das Wohl des Patienten nicht dem Wohl des Personals unterordnen. Inhaltlich ist es auch unsinnig. Erfahrene Pneumologen und Intensivpfleger können die Aerosol-Belastung gering halten.“

Voshaars Argumentation schwächt hier das Narrativ der geringen Beatmungskapazitäten und der damit verbundenen Furcht vor „italienischen Verhältnissen“. Nicht zwingend der Mangel an Gerätschaft, sondern eine sinnvolle, da patientenentsprechende Intubationspraxis sei entscheidend.

Noch Ende März warnte aber RKI-Chef Lothar Wiehler im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vor diesem möglichen Beatmungsgerätemangel: „Wir können nicht ausschließen, dass wir hierzulande ebenfalls mehr Patienten als Beatmungsplätze haben.“ Und weiter: „Wir müssen jedenfalls damit rechnen, dass die Kapazitäten nicht ausreichen, ganz klar.“ Angemerkt und Wiehler zugute gehalten werden muss hier selbstredend, dass zum Zeitpunkt des Interviews (29.03) für niemanden sicher prognostizierbar war, wie sich die Situation entwickelt – die irritierenden Bilder aus Italien rechtfertigten rückblickend fraglos die öffentlichkeitswirksame Formulierung großer Sorge. Allerdings wurde die in den Raum gestellten Befürchtungen bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht kritisch nachbesprochen und neu bewertet. Stattdessen betonte Wiehler am 21.04.2020: „Es ist kein Ende der Epidemie in Sicht, die Fallzahlen können wieder steigen.“

Auslaufen der Pandemie oder zweite Welle?

Nun wird aber selbst diese Einschätzung des RKI fraglich. So publizierte der israelische Mathematiker Prof. Isaac Ben-Israel kürzlich eine statistische Analyse bezüglich des Wachstums und des Rückgangs der Corona-Fälle. Hierzu analysierte Ben-Israel die zur Verfügung stehenden Zahlen der vom Corona-Virus betroffenen Ländern und kam zu dem Schluss, dass die Verbreitung des Virus nach etwa 40 Tagen seinen Höhepunkt erreicht habe und nach 70 Tagen annähernd vollständig abklingt – und dies völlig unabhängig davon, welche spezifischen Maßnahmen die jeweiligen Länder ergriffen hätten.

Ben-Israel hat für dieses Phänomen zwar keine Erklärung, dennoch ist er davon überzeugt, dass hier ein Muster vorliege und die Zahlen diesbezüglich für sich selbst sprechen würden. Die Lockdowns seien somit seiner Auffassung nach die Folge einer Massenhysterie.

Eine Einschätzung, die auf ganzer Linie dem Chefvirologen der Berliner Charité Prof. Dr. Christian Drosten widersprechen dürfte. Hinsichtlich der gerade erst vorgenommen Lockerungen der Maßnahmen befürchtet er neue Infektionsketten und warnt, dass in diesem Fall Deutschland seinen Vorsprung in der Pandemiebewältigung verspielen könnte.

Eine Sorge, die nicht nur Ben-Isarel nicht teilen dürfte, sondern der vermutlich auch Nobelpreisträger der Chemie, Michael Levitt, skeptisch gegenüberstehen würde. Levitts Ergebnisse decken sich mit denen Ben-Israels. Auch er prognostiziert ein baldiges Ende der Pandemie. Ebenfalls mit statistischen Methoden arbeitend hatte er bereits im Februar annähernd korrekt den Verlauf der Pandemie in China und dessen Ende vorhergesagt. Und auch Levitt beklagt nun, dass die Medien für unnötige Panik gesorgt hätten, indem sie ständig über die aktuellen Fallzahlen – auch hinsichtlich erkrankter Prominenter – berichteten.

Dieser Medienschelte schließt sich auch der Kommunikationswissenschaftler Stephan Russ-Mohl an. Im Interview mit dem „Cicero“ sagte er in Richtung des Journalismus, man hätte „PR-hörig und regierungslammfromm berichtet“.

Richtig ist sicherlich, dass gerade in den Anfängen der Pandemie häufig mit alarmierenden Bildmaterial gearbeitet wurde. Richtig ist aber auch, dass nicht jede Kritik an Medien und Journalismus in Bezug auf die Corona-Berichterstattung gerechtfertigt oder gar fair ist. Die „Frankfurter Allgemeine“ hat erst kürzlich auf die teils heftige Kritik von unterschiedlichen Seiten reagiert und zitiert hierzu abschließend den ehemalige Intendanten des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze: „Nicht alles, was Sie nicht gesehen haben, haben wir nicht nicht gesendet.

Ein unvoreingenommener Blick auf die gegenwärtige Berichterstattung bestätigt dies. Denn sowohl öffentlich-rechtliche als private Medien schienen und scheinen durchaus bemüht, den unterschiedlichen Stimmen in der Causa Corona Platz einzuräumen – so war erst kürzlich der bereits zitierte Prof. Dr. Gérard Krause zu Gast bei Markus Lanz und erläuterte differenziert, welche ethischen wie gesellschaftlichen Schwierigkeiten die getroffenen Maßnahmen implizieren. Und schon am 14.03 war Prof. Dr. Karin Mölling Interviewgast bei radioeins und postulierte, dass Corona kein Killervirus sei und stattdessen die Panikmache als eigentliches Problem benannt werden müsse.

Nur in einigen wenigen diskussionswürdigen Fällen wurde medienseitig klarere Position ergriffen – so z.B. im Falle Wolfgang Wodargs (der neben seinen viral gegangenen YouTube-Videos auch in einem mittlerweile gelöschten Beitrag von Frontal 21 auftreten durfte), Hendrik Streecks und Sucharit Bhakdi. Inwiefern die Kritik an diese prominenteren Kritikern bzw. besänftigenden Stimmen berechtigt ist, muss im Einzelnen diskutiert werden und soll nicht Gegenstand vorliegenden Beitrags sein.

Fest steht aber: Selbst ohne Wodarg, Streeck und Bhakdi regen sich Stimmen, die den offiziellen Verlautbarungen des RKI im Allgemeinen und den Einschätzungen und Warnungen Christians Drostens im Speziellen widersprechen. Umso brisanter ist es, wenn Drosten in einem über 10.000 Mal auf Facebook geteilten Clip des Bundesinnenministeriums für Gesundheit über „verlässliche Quellen“ aufklärt und appelliert, man möge „sich nicht auf irgendwelche Professoren oder Doktoren“ verlassen, die „nur, weil sie Mediziner sind, für sich beanspruchen, Ahnung von diesen Dingen zu haben.“

Völlig grotesk wirkt dieser Appell vor dem Hintergrund, dass Drosten selbst erst kürzlich auf Twitter vermerkte, dass es der Diskurs sei, der die wissenschaftliche Meinungsbildung ermögliche, er nun aber in einem Clip des Bundesinnenministerium pauschalisierend kritische Stimmen diskreditiert und somit diskursfeindlich agiert.

Drostens ungelenker, anmaßender und auch unverschämter Appell kann hier also in einem Atemzug mit Kanzlerin Merkels entnervter Klage über die „Öffnungsdikussionsorgien“ genannt werden. In beiden Fällen wird alleinige Deutungshoheit beansprucht und auf einen Konsens in der Sache gepocht, der faktisch längst nicht mehr gegeben ist. All dies mutmaßlich, um innerhalb der Bevölkerung keine Zweifel hinsichtlich getroffenen Eindämmungsmaßnahmen zu provozieren.

Die nun anfangs aber angesprochene neu entstehende Konfliktlinie nimmt gerade ihren Anfang in den disputierlichen Sphären der Wissenschaft und Politik, wird von hier ausgehend medial vermittelt und bahnt sich so ihren Weg in die Bevölkerung. Und dies ist nicht Ausdruck eines gesellschaftlichen Defizits, hier zeigt sich stattdessen, dass Demokratie so funktioniert, wie sie funktionieren soll. Denn eine Einigkeit, die keine ist, kann nicht durch autoritäres Einfordern von Seiten einzelner Wissenschaftler und der Politik gewonnen werden.

Diese Einigkeit kann auch nicht dadurch gewonnen werden, dass aus kritischen Stimmen pauschal als Verschwörungstheoretiker oder in Anlehnung an die Klima-Skeptiker zu „Corona-Leugnern“ gelabelt werden. Vielmehr ist es die Akzeptanz eines fruchtbaren Dissens und der beständige respektvolle Diskurs, das Abwägen, das Streiten und das beständige Prüfen, was langfristig eine echte gemeinsame Orientierung in der Krise schafft.

Gegenwärtig stehen wir diesbezüglich noch am Anfang. Durch die Vielzahl kritischer und honoriger Stimmen ist aber ein erster Schritt in die richtige Richtung getan. Diesen gesellschaftlichen Diskurs zu führen und auszuhalten muss das Ziel sein. Wenig hilfreich hingegen scheint ein regierungsseitige vorgenommenes und seiner Rhetorik nach paternalistisches Einstimmen der Bevölkerung auf eine „neue Normalität“ für lange Zeit.

Begrüßenswert hingegen ist, wenn eine buntgemischte Gruppe mit unterschiedlichen Berufsbiographien den Weg in die Öffentlichkeit und somit in den Diskurs sucht. So meldeten sich Juli Zeh (Autorin und Juristin), Boris Palmer (Oberbürgermeister Tübingen), Julian Nida-Rümelin (Philosoph und Ex-Kulturstaatsminister), Christoph M. Schmid (Ökonom), Thomas Straubhaar (Ökonom) sowie Alexander Kekulé mit einem Debattenbeitrag im Spiegel zu Wort und plädierten für einen Weg aus dem Lockdown, der die Güter Gesundheit und Freiheit gegeneinander aussöhnt. Ein Vorschlag zur Güte, der gesamtgesellschaftlich diskutiert werden sollte, um mit Maß und Ziel erfolgreich durch diese außerordentliche Zeit zu schreiten.

Kinder immun gegen Covid-19? Landesweite Untersuchung in Baden-Württemberg?

Quelle: Heidelberg 24 – 26.04.20 16:40

Landesweite Untersuchung in Baden-Württemberg: Kinder immun gegen Covid-19?

Sind Kinder gegen das Coronavirus immun? Dieser Frage wollen Forscher der Uniklinik Heidelberg jetzt in einer landesweiten Studie mit 2.000 Probanden nachgehen:

  • Bundesweit werden strenge Maßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus gelockert.
  • Kitas und Grundschulen bleiben für die meisten Kinder aber weiter geschlossen.
  • Eine Studie der Uniklinik Heidelberg soll klären, ob Kinder unter zehn Jahren „immun“ gegen Covid-19 sind.

Derzeit beschäftigt ein Fall aus Frankreich Forscher und viele Eltern: Ein neunjähriges Mädchen hatte sich mit dem Coronavirus angesteckt, ohne Symptome zu entwickeln. Nach einem positiven Corona-Test wurden auch alle 172 Menschen getestet, mit der das Mädchen während der zweiwöchigen Inkubationsphase Kontakt hatte – immerhin hatte es an drei Skikursen teilgenommen: Bei allen 172 Personen verlief der Test negativ.

Jetzt stellen sich Forscher auf der ganzen Welt die Frage: Sind Kinder unter zehn Jahren „immun“ gegen das Coronavirus? Zu diesem Ergebnis, das vielen Eltern von Kita- und Grundschulkindern Hoffnung machen dürfte, kam vor wenigen Tagen eine breit angelegte Untersuchung aus Island. Knapp 13.000 Personen wurden in der isländischen Hauptstadt Reykjavik auf Corona getestet. Das Ergebnis: 0,6 Prozent der Frauen und 0,9 Prozent der Männer waren positiv. Allerdings hatte sich kein Kind unter zehn Jahren mit dem Virus infiziert.

Bereits zuvor wiesen andere Analysen darauf hin, dass Kinder einen relativ geringen Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben. Laut der EU-Gesundheitsbehörde ECDC machen Kinder unter 10 Jahren nur knapp ein Prozent der Covid-19-Fälle aus, die Altersgruppe 10-19 Jahre lediglich vier Prozent.

Uniklinik Heidelberg will untersuchen, ob Kinder gegen Corona „immun“ sind

Unter Federführung der Uniklinik Heidelberg soll eine Studie jetzt herausfinden, inwiefern Kinder in Baden-Württemberg vom neuartigen Coronavirus betroffen sind und ob sie das Virus verbreiten. Aktuelle Untersuchungen aus China legten indes nahe, dass Kinder genau wie Erwachsene an Covid-19 erkranken und das Virus auch übertragen können, erklärt Prof. Georg Hoffmann. Der Chef der Heidelberger Kinderklinik koordiniert die landesweite Untersuchung, bei der ab Mittwoch (22. April) auch an den Unikliniken Tübingen, Freiburg und Ulm rund 2.000 Haushalte getestet werden sollen.

Bei der Studie werden jeweils ein Kind im Alter zwischen eins und zehn Jahre und ein Elternteil untersucht. Voraussetzung: Die Probanden dürfen nicht bereits positiv auf Corona getestet worden sein. Bei der rund 15-minütigen Untersuchung wird ein Nasenabstrich genommen, um eine akute Infektion mit Sars-CoV-2 nachzuweisen. Zudem soll eine Blutentnahme klären, ob die Testperson bereits eine Coronavirus-Infektion hinter sich hat. Die wäre über Antikörper im Blut nachzuweisen.

Corona-Studie in Heidelberg: Besonders Kinder aus Notfall-Betreuung gesucht!

Für die die Untersuchungen sucht das Uniklinikum freiwillige Testpersonen in der gesamten Metropolregion Rhein-Neckar. Besonders Kinder, die in den vergangenen Wochen in der Notbetreuung waren, wären „ideale“ Probanden, da sie im Gegensatz zu den meisten ihrer Altersgenossen viele Kontakte zu anderen Kindern hatten.

Kinder erkranken an #Covid-19 offenbar seltener oder haben nur schwache Symptome. Wie das #Coronavirus bei Kindern wirkt, soll in einer Studie unter Führung der @uniklinik_hd untersucht werden.

Ab sofort werde man von 9 bis 20 Uhr Kinder und Eltern testen – auch am Wochenende, so das Uniklinikum. Mit ersten Ergebnissen wird Anfang Mai gerechnet. Wer an der Studie teilnehmen möchte, kann sich über  06221/5632122 oder per Mail an Iris.Schelletter@med.uni-heidelberg.de anmelden. Potentielle Probanden bekommen daraufhin einen Fragebogen zugeschickt.

EMORANDUM 2020: „Gegen Markt- und Politikversagen – aktiv in eine soziale und ökologische Zukunft“ und SONDERMEMORANDUM zur Corona-Krise „Solidaritätspakt zur Krisenbewältigung“

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik legt zum 1. Mai nicht nur ihr alljährliches MEMORANDUM, sondern auch mit Blick auf die aktuelle Corona-Krise ein SONDERMEMORANDUM vor. Der solidarische sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft muss angesichts der Corona-Krise forciert vorangetrieben werden.

Das MEMORANDUM 2020 stellt nicht nur den Gesundheitssektor, sondern auch den Klimawandel in den Mittelpunkt. Der Verkehrssektor verursacht steigende Emissionen und ist maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich. Eine echte Verkehrswende muss auf nachhaltige Mobilitätsalternativen setzen und den Autoverkehr begrenzen. „Eine solche Verkehrswende ist nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern verbessert auch die Lebens- und Stadtqualität. Verkehrsvermeidung und -verlagerung auf den Umweltverbund sowie Abschied von der ‚autogerechten Stadt‘ sind die Leitbilder“, so Prof. Peter Hennicke für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

Wie beim Verkehr muss auch der Umbau in anderen gesellschaftlichen Bereichen von den Bedarfen her gedacht werden. Allein in der Krankenhaus- und Altenpflege fehlen mehrere hunderttausend Beschäftigte. Wie es zu den Fehlentwicklungen im Gesundheitssektor gekommen ist, wird im MEMORANDUM 2020 ebenfalls ausführlich dargestellt. „Die vielen ungedeckten Bedarfe und der Vergleich mit Personalstärken in anderen Staaten zeigt, dass in Deutschland bei öffentlichen und gemeinwohlorientierten Dienstleistungen ein erheblicher Nachholbedarf besteht. In den nächsten zehn Jahren ist ein Beschäftigungsaufbau von ein bis zwei Millionen Personen nicht nur notwendig, sondern auch möglich“, so Prof. Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen.

Der sozial-ökologische Umbau erfordert hohe öffentliche Ausgaben über Jahrzehnte. Dem steht die Schuldenbremse entgegen. „Das Beste wäre es, die Schuldenbremse durch eine neue ‚goldene Regel‘ zu ersetzen“, so Prof. Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen. „Wie wir zeigen, gibt es aber auch unter der Schuldenbremse gesetzliche Möglichkeiten, langfristig neue Spielräume für Investitionen zu schaffen.“

Folgerichtig ist ein „Solidaritätspakt zur Krisenbewältigung“ die zentrale Forderung des SONDERMEMORANDUM. Darin enthalten ist ein Lastenausgleichsfonds, der aus einer Vermögensabgabe gespeist wird und die Kosten der Stabilisierung sowie den Erhalt und die Aufwertung von Arbeitsplätzen finanziert. Ein „Zukunftsinvestitionsprogramm für Innovation, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung“ soll dem gesamtwirtschaftlichen Einbruch entgegengestellt werden. Dabei darf die europäische und internationale Dimension nicht zu kurz kommen. Gemeinschaftliche Anleihen der Eurostaaten wie auch eine internationale Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen vollständig dem Gesundheitsschutz und der Armutsbekämpfung in den ärmeren Staaten der Erde zufließen sollen, stellen hier Kernpunkte dar.

Auf der Seite www.alternative-wirtschaftspolitik.de finden Sie:

  • Sondermemorandum
  • Kurzfassung Memo 2020
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zusammenfassung der Kapitel
  • Grafiken
  • Tabellenanhang
  • Hintergrundtexte zum SONDERMEMORANDUM von Cornelia Heintze und Peter Hennicke

Evidenzbasierung von Kontaktverboten für Kinder – ein Faktencheck

Quelle: Nachdenkseiten – Autorin: Sandra Reuse

Für die Behauptung, dass Kinder das Virus SARS-CoV-2 stark verbreiten, würden Kitas und Schulen wieder öffnen, gibt es bislang keine ausreichende wissenschaftliche Grundlage.

Im Gegenteil. Ein Fall aus Frankreich, der vor kurzem veröffentlicht wurde, ließ aufhorchen. Ein Kind, das nachweislich mit Covid-19 infiziert war, hatte während der Inkubationszeit 172 Kontakte, nahm unter anderem an drei verschiedenen Skikursen teil. Doch es steckte offenbar niemanden an.

Dass Kinder nicht nur deutlich weniger als Erwachsene gefährdet sind, an Covid-19 zu erkranken, sondern sich möglicherweise auch seltener infizieren und deshalb auch nicht zu einer übermäßigen Verbreitung des Virus beitragen können, zeigen auch andere Studien. Doch diese haben in Deutschland bislang leider kaum Beachtung gefunden. Das erstaunt angesichts der Schwere der Konsequenzen für Kinder, deren sämtliche sozialen Kontakte derzeit brachliegen und die vielfach mit mehr oder weniger überforderten Eltern zu Hause eingesperrt sind.

Kinderbetreuung zu, Freunde weg, Oma verboten, Spiel- und Sportplätze abgeriegelt, Rausgehen nur noch mit Eltern: Die aktuellen Regelungen zur Pandemieprävention treffen Kinder unverhältnismäßig hart, und damit wiederum ihre Angehörigen. Denn Kinder werden nicht nur aus allen ihren gewohnten Sozialbezügen außerhalb der Kernfamilie gerissen, sie dürfen faktisch auch nicht mehr mit anderen draußen toben und spielen. Damit entfällt für sie jedoch die wichtigste – und auch gesündeste – Beschäftigungs- und Entspannungsmöglichkeit. Das trifft wiederum die Eltern und hier oft die Mütter, die zusehen müssen, wie sie mit ihrem Nachwuchs durch den zähen Tag kommen.

Denn oft sind es die Mütter, die ins Homeoffice gehen (also in die Küche, ins Schlaf- oder Wohnzimmer), während sie gleichzeitig aufräumen, kochen, Kinderstreit schlichten, Lehrer spielen und an der digitalen Technik basteln, um Kommunikations- und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. Vor allem für Familien und Alleinerziehende in den Großstädten bedeutet dies Stress und Überforderung, nicht selten auch eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz, denn einen Acht-Stunden-Tag kann so niemand einhalten. Zu den Großeltern sollen die Kinder aber auch nicht, womit eine wichtige Abwechslung und Betreuungsalternative entfällt. Das erhöht den Druck und Stress für die einen und macht die anderen traurig. In vielen Familien gab es schon Tränen.

Dabei sind Kinder (mit 0 % Sterberate) und in abgeschwächter Form Frauen allen Statistiken zufolge, die bislang über die Verbreitung des Virus, Krankheitsverläufe und Sterbefälle vorliegen, am wenigsten gefährdet. Kinder scheinen das Virus aber auch nicht in dem Maße zu übertragen, wie es andere Bevölkerungsgruppen tun. Zu Unrecht werden sie derzeit mit der Gruppe junger Erwachsener in einen Gefährdungs“topf“ geworfen, die ganz andere Bewegungsradien und Kontaktbedürfnisse haben.

Die aktuellen Regelungen haben insofern eine große sozial-, gender- und kohortenpolitische Unwucht. Gerade für die Zielgruppe der Kita- und Grundschulkinder bis zu 12 Jahren und damit im engen Zusammenhang für die sie betreuenden Personen sollte es bald zu passgenaueren, sozialverträglicheren und bedürfnisorientierteren Regelungen kommen. Eine zielgruppenorientiertere Risikobetrachtung und -abwägung könnte ermöglichen, Kindern mehr Freiräume zu gewähren und dennoch die Risikogruppen weiter zu schützen.

Hier soll auf Basis der vorliegenden Zahlen zu nachgewiesenen Infektionen, Krankheitsverläufen und Sterberaten dafür eine Diskussionsgrundlage geschaffen werden.

  1. Sowohl in China als auch in Italien, wo die Krise am stärksten fortgeschritten ist, kam es bislang nur zu einer stark unterdurchschnittlichen Zahl von infizierten Kindern. Wenn Kinder infiziert waren, waren die Krankheitsverläufe zumeist leicht. Auch das RKI bestätigt: „Bisherigen Daten zufolge ist die Symptomatik von COVID-19 bei Kindern deutlich geringer ausgeprägt ist als bei Erwachsenen“. Das heißt zum einen, Eltern brauchen keine Angst zu haben, dass ihre Kinder von schweren Krankheitsverläufen oder gar dem Tod bedroht sind, wenn sie sich infizieren (außer das Kind hat schwere Vorerkrankungen, vgl. hierzu weiter unten). Das heißt aber zum anderen, Kinder stellen im Zusammenhang mit der Pandemie keine potenzielle Belastung für das Gesundheitssystem dar, da sie in aller Regel nicht hospitalisiert werden müssen.
  2. Kinder übertragen das Virus aber offensichtlich auch seltener auf andere als Jugendliche und Erwachsene. Das bestätigt auch die WHO. Warum sich Kinder seltener infizieren und warum sie weniger gefährdet sind als Erwachsene, ist bislang unklar. Es gehört zu den offenen Fragen zur Covid-19-Pandemie, die bislang noch nicht erforscht worden sind.
  3. Damit sind aber vermutlich gerade Kinder ein größerer Teil der Dunkelziffer derjenigen, die sich trotz Kontakten mit dem Virus nicht infiziert haben, sowie derjenigen, die eine Corona-Infektion hatten, die aber nicht bemerkt wurde. Grundlage für die bisherige öffentliche Debatte ist aber hauptsächlich die Zahl der bereits positiv getesteten Infizierten. Doch nicht jeder ist in den zurückliegenden Wochen mit leichten Erkältungssymptomen zum Arzt gelaufen und erst recht nicht zu den Teststellen – denn die Berichte, wie lange man dort warten muss und wie hoch gleichzeitig das Infektionsrisiko ist, waren abschreckend.
  4. In die aktuellen Risikobetrachtungen fließt vor allem die Zahl derer ein, die positiv getestet wurden, weil sie sich testen ließen, weil die Krankheit spürbar auftrat. Wir kennen nicht die Zahl derer, bei denen eine Coronainfektion so glimpflich verlaufen ist, dass sie unerkannt blieb. Darunter könnten viele Kinder sein, die möglicherweise bereits immun gegen das Virus sind und in diesem Falle weder erkranken noch Überträger sein können.
  5. Auch Frauen sind den bislang vorliegenden Zahlen zufolge signifikant weniger gefährdet als Männer. Im chinesischen Wuhan waren die Krankheitsverläufe von Frauen leichter als bei Männern, auch die Sterberaten waren geringer: Laut dem chinesischen Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten lag sie bei 1,7 % gegenüber 2,8 % bei Männern. Den bisherigen Studien zufolge, die auch das RKI zitiert, sind vor allem ältere Männer und Personen mit Vorerkrankungen gefährdet. Am höchsten ist das Sterblichkeitsrisiko bei Männern über 79 und bei Erwachsenen ab 50 mit Herz-/Kreislauferkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankungen, Bluthochdruck und Krebs, davon wiederum bei Männern stärker als bei Frauen. Die hohe Zahl von starken Rauchern unter den Todesfällen in Wuhan könnte darauf hinweisen, dass das Sterblichkeitsrisiko zumindest teilweise auch durch eine ungesunde Lebensweise erhöht wird.

Die aktuellen Maßnahmen gelten für alle – wirken aber nicht für alle gleich

Trotz der unterschiedlichen Risiken für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterliegen derzeit alle Altersgruppen, Männer wie Frauen, Gesunde und chronisch Kranke, Arme und Reiche, Menschen in der Stadt und auf dem Land, denselben Beschränkungen. Dabei wird weder nach dem Risiko, schwer zu erkranken oder zu sterben, noch nach sozialen oder emotionalen Bedürfnissen unterschieden.

Die Risiken und gesundheitlichen und wirtschaftlichen Opportunitätskosten für Kinder und ihre Familien sollten auf Basis der vorliegenden Zahlen hinterfragt werden. Das körperliche und psychische Bedürfnis von Kindern nach Sozialkontakten mit Gleichaltrigen, aber auch zu anderen Familienmitgliedern, nach Bewegung im Spiel, nach frischer Luft und Tageslicht, sollte in diesen Abwägungsprozess einfließen.

Statt Kinder mit normal funktionierendem Immunsystem voneinander fernzuhalten, sollten Aktivitäten in kleinen Gruppen auch außerhalb von Familien nicht nur zugelassen, sondern sogar gefördert werden. Bis Schulen und Kitas wieder öffnen, sollten alternative Betreuungslösungen angeboten und erlaubt werden. Die Spiel- und Sportplätze sollten wieder geöffnet werden, damit in kleinen Gruppen gespielt und Sport gemacht werden kann. Übertriebene Maßnahmen, wie beispielsweise abgeriegelte Tischtennisplatten (Längenstandard 2,74 Meter), sollten schnellstens wieder rückgängig gemacht werden.

Damit diese Lockerung für Kinder nicht in eine größere Gefahr für andere Bevölkerungsgruppen mündet, sollten Überlegungen angestellt werden, wie die tatsächlichen Risikogruppen besser geschützt werden können. Hierbei handelt es sich um Personen mit den genannten Vorerkrankungen und vor allem um ältere Männer. Möglicherweise wäre es sinnvoller, vor allem diese Personengruppe beim Arbeiten zu Hause zu unterstützen, für sie einkaufen zu gehen und – zumindest bis es auf breiterer Ebene getestet werden kann – Kontakte zu Müttern und Vätern von minderjährigen Kindern zu beschränken. Dies wäre für die Gesellschaft, insbesondere für Kinder und erwerbstätige Mütter, aber auch für das Bildungs- und Gesundheitssystem vermutlich mit geringeren Opportunitätskosten verbunden und sozial gerechter als die breite Einschränkung, die derzeit wirksam ist.

Sandra Reuse ist Mutter zweier Kinder (5 und 11 J.) in Berlin, ausgebildete Journalistin mit Schwerpunkt Wissenschaftsberichterstattung und arbeitet heute als Referentin in einem Bundesministerium. Der Artikel soll einen solide recherchierten Beitrag zur aktuellen Debatte aus der Perspektive derjenigen Gruppen liefern, die sich derzeit kaum Gehör verschaffen können, aber einen wichtigen und wesentlichen Teil der Gesellschaft darstellen.

Von der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen

Als Beitrag zur Abbildung der kontroversen Diskussion der Corona-Maßnahmen zitieren wir hier auszugsweise den Beitrag von Christof Kuhbandner.

Christof Kuhbandner ist Psychologieprofessor und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Regensburg. Seine Überlegungen sind aktuell bei einer Fachzeitschrift eingereicht und bereits als nicht begutachteter Vorabdruck erschienen. Dieser Artikel erschien bereits in Stephan Schleims Blog Menschen-Bilder.

TELEPOLIS 25. April 2020  Christof Kuhbandner

Von der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen

Warum die These von der epidemischen Ausbreitung des Coronavirus auf einem statistischen Trugschluss beruht

Praktisch weltweit erleben wir eine bisher nie dagewesene Situation: Um eine offenbar drohende Epidemie zu bekämpfen, werden weltweit drastische Maßnahmen ergriffen. So wurden beispielsweise in Deutschland so viele Grundrechte so flächendeckend und umfassend eingeschränkt, wie es bisher in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie vorgekommen ist.

Beraten wird die Politik dabei von zahlreichen virologischen Experten. Man könnte also meinen, dass die Notwendigkeit von dramatischen Eingriffen in unsere Grundrechte durch fundierte Wissenschaft gut begründet ist. Blickt man aber als ein in Forschungsmethoden und Statistik erfahrener Wissenschaftler auf die wissenschaftliche Basis dessen, womit die drastischen Maßnahmen gerechtfertigt werden, kommen Zweifel auf.

Praktisch alle der ergriffenen Maßnahmen werden damit begründet, dass dadurch ein Anstieg in den täglichen Neuinfektionen verhindert werden soll, um einer angeblichen exponentiellen Ausbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken. So rechnete z.B. der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) auf einer Pressekonferenz am 18. März – ausgehend vom damals beobachteten Anstieg in den Neuinfektionen – hoch, dass es in Deutschland in zwei bis drei Monaten bis zu 10 Millionen Infizierte geben würde, wenn man es nicht schaffen würde, die Kontakte unter den Menschen wirksam und über einige Wochen nachhaltig zu reduzieren.

Ähnlich formuliert es die Leopoldina – die Nationale Akademie der Wissenschaften – in ihrer zweiten Stellungnahme: „Obwohl der Anstieg der registrierten Neuinfektionen mit SARS-Cov-2 in Deutschland sich seit einigen Tagen verlangsamt, müssen die am 22.03.2020 beschlossenen, bundesweit gültigen politischen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung weiterhin Bestand haben.“ Und der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte im ZDF Heute Journal am 19. April: „Wenn wir es geschafft haben, gemeinsam auch die Zahl der Neuinfektion so runterzubringen Richtung 3.000 bis 4.000 am Tag, dann muss es uns auch gelingen dort zu bleiben, nur dann können wir schrittweise zurück in eine neue Normalität.“

Der tatsächliche Zeitpunkt des Rückgangs in den täglichen Neuinfektionen

Angesichts der Tatsache, dass alle ergriffenen Maßnahmen mit der steigenden Zahl an täglichen Neuinfektionen begründet werden, wollen wir diese Zahlen einmal genauer betrachten. Dazu wollen wir uns zunächst die typische Graphik zum Anstieg in den Neuinfektionen ansehen, wie sie zum Beispiel seit langem im Dashboard des RKI dargestellt wird (Stand: 23. April):

Was man zunächst festhalten kann: Die Zahlen sinken offenbar mindestens seit dem 3. April. Aber nun gilt es genauer hinzusehen. Eine erste Frage ist: Was ist eigentlich genau mit dem Datum in der obigen Graphik gemeint? Bei dieser Graphik im Dashboard des RKI entspricht das Datum dem sogenannten Meldedatum – also dem Zeitpunkt, wann der Fall dem Gesundheitsamt bekannt geworden ist.

Man trifft hier auf einen ersten spannenden Punkt: Es sollte ja eigentlich um die Zahl der Neuinfektionen pro Tag gehen, also um den Zeitpunkt, wann sich eine Person mit dem Coronavirus infiziert hat. Aber zu dem Zeitpunkt, wenn ein Fall dem Gesundheitsamt bekannt wird, hat sich die Person ja nicht neu infiziert. Laut RKI vergehen zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung – also dem eigentlichen Zeitpunkt der Neuinfektion – und der Ausprägung von ersten Symptomen im Schnitt 5-6 Tage. Da Menschen nicht sofort schon bei den ersten Symptomen zum Arzt gehen, vergehen dann nochmals oft mehrere Tage bis ein Arzt aufgesucht wird, der dann gegebenenfalls einen Test macht, dessen Ergebnis dann oft erst ein oder manchmal sogar zwei Tage später vorliegt. Die obige Graphik hinkt also dem wahren Zeitpunkt der Neuinfektion deutlich hinterher.

Genau aus diesem Grund gibt es im Dashboard des RKI seit ein paar Tagen eine weitere Graphik. Dort wird die Anzahl an Neuinfektionen pro Tag nach dem Datum des Erkrankungsbeginns gezeigt – also dem Tag, an dem erste Krankheitssymptome ausgebildet wurden. Der Erkrankungsbeginn ist aktuell von 94.078 der 145.664 labordiagnostisch bestätigten Fälle bekannt. Für den zeitlichen Verlauf der Neuinfektionen ergibt sich dann das folgende Bild (die blauen Balken zeigen den Verlauf der Neuinfektionen festgemacht am Erkrankungsbeginn):

Ein Rückgang in den täglichen Neuinfektionen findet sich also in Wirklichkeit bereits weitaus früher. Um den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, kann man noch die gelben Balken einbeziehen. Die gelben Balken entsprechen den Fällen, bei denen der Erkrankungsbeginn nicht bekannt ist. Diese sind deswegen nach wie vor am Meldedatum festgemacht.

Um deren Erkrankungsbeginn zu schätzen, kann man diesen Fällen – basierend auf den Fällen, bei denen man den Erkrankungsbeginn weiß – das wahrscheinlichste Erkrankungsdatum zuordnen (Fachbegriff: „Imputation“). In den täglichen Lageberichten vom RKI wird das so gemacht, um den wahren Verlauf der Neuinfektionen besser abschätzen zu können. Dann sieht die Graphik folgendermaßen aus (die Höhe der grauen Balken zeigt den mit Hilfe der Imputation geschätzten wahren Verlauf, festgemacht am Erkrankungsbeginn, Lagebericht vom 22.4.):

Demnach sinkt die Anzahl der täglichen Neuinfektionen in Wirklichkeit schon mindestens seit dem 19. März. Allerdings muss man sich klarmachen, dass das Datum in dieser Graphik ja dem Zeitpunkt der Ausbildung von ersten Krankheitssymptomen entspricht. Wie bereits beschrieben, liegen aber zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung – dem Zeitpunkt der wirklichen Neuinfektion – und dem Zeitpunkt der Symptomausbildung noch einmal 5-6 Tage. Die obige Verlaufskurve muss also noch einmal um 5-6 Tage zeitlich zurückgeschoben werden, und damit sinken die Neuinfektionen in Wirklichkeit bereits schon mindestens seit dem 13.-14. März.

Fazit

Am Ende der genaueren Betrachtung der Zahlen zum Verlauf der Coronavirusinfektionen lässt sich damit folgendes festhalten:

  1. Die berichteten Zahlen zu den Neuinfektionen überschätzen die wahre Ausbreitung des Coronavirus sehr dramatisch. Der beobachtete rasante Anstieg in den Neuinfektionen geht fast ausschließlich auf die Tatsache zurück, dass die Anzahl der Tests mit der Zeit rasant gestiegen ist. Es gab also zumindest laut den berichteten Zahlen in Wirklichkeit nie eine exponentielle Ausbreitung des Coronavirus.
  2. Die berichteten Zahlen zu den Neuinfektionen verbergen die Tatsache, dass die Anzahl der Neuinfektionen bereits seit in etwa Anfang bis Mitte März sinkt.
  3. Die Anzahl der Todesfälle sinkt ebenfalls bereits seit Anfang April, was durch die irreführende übliche Darstellung der pro Tag neu hinzugekommenen Todesfälle verborgen wird. Zudem spiegelt der Verlauf der Todeskurve womöglich nur den Verlauf der durch die Testanzahl dramatisch nach oben verzerrte Kurve der Neuinfektionen wider.

An dieser Stelle wollen wir noch einmal zum Anfang des Beitrags zurückzukehren und uns in Erinnerung rufen, dass alle der ergriffenen drastischen Maßnahmen damit begründet werden, dass dadurch ein rasantes Ansteigen der Anzahl der Neuinfektionen verhindert werden soll.

Nach der genaueren methodischen Betrachtung dieser Zahlen wird sehr klar, dass keine der ergriffenen Maßnahmen wirklich wissenschaftlich begründet werden kann:

Zum einen hat in Wirklichkeit die Anzahl der Neuinfektionen nie rasant zugenommen, zum anderen ist die Anzahl der Neuinfektionen bereits seit in etwa Anfang bis Mitte März rückläufig – das wurde nur dadurch verdeckt, dass die Anzahl der Coronavirus-Tests über die Zeit hinweg so stark zugenommen hat und der zeitliche Abstand zwischen tatsächlichem Infektionszeitpunkt und Testzeitpunk zu wenig beachtet wurde. Insbesondere kann auch keine der ergriffenen Maßnahmen den Rückgang erklären, weil die erste Maßnahme (Absage großer Veranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern) erst am 9. März erfolgte.

Ebenso wenig zeichnet sich in Deutschland eine Überlastung der Intensivstationen oder eine höhere Anzahl an Sterbefällen im Vergleich zu den Vorjahren ab, so dass auch damit keine der Maßnahmen gerechtfertigt werden kann.

Es erscheint aus dieser Perspektive heraus fragwürdig, wenn Virologen wie Christian Drosten von der Charité aktuell in den Medien die Angst vor einer zweiten Infektionswelle schüren, weil er davon ausgeht, dass bei einer Rücknahme der Maßnahmen sich das Coronavirus wieder exponentiell verbreiten könnte.

Solche Aussagen sind womöglich irreführend, gegeben, dass der angebliche exponentielle Anstieg in den Neuinfektionen bei der angeblichen ersten Infektionswelle nur ein künstlicher Effekt der Tatsache war, dass man die Anzahl der Tests so stark erhöht hat.

Es erscheint als eine der höchsten Pflichten eines jeden Wissenschaftlers, diese Punkte endlich in der Öffentlichkeit richtigzustellen, um Menschen ihre wahrscheinlich unnötigen großen Ängste zu nehmen und die extremen negativen Nebenwirkungen der wahrscheinlich unnötigerweise ergriffenen drastischen Eingriffe in unsere Grundrechte zu beseitigen.

Eine Abschlussbemerkung

Abschließend möchte ich noch darstellen, warum ich mit einem solchen Beitrag an die Öffentlichkeit gehe. Als Leiter eines Lehrstuhls für Psychologie weiß man um die möglichen extremen Nebenwirkungen der ergriffenen drastischen Maßnahmen. Ich möchte das kurz anhand eines einzigen Beispiels illustrieren:

Es gibt große Studien dazu, wie viele zusätzliche Suizide die Weltfinanzkrise von 2008-2010 – welche von der drohenden Wirtschaftskrise laut Fachexperten um Welten übertroffen werden wird – mit sich gebracht hat: Allein in den USA, Canada und Europa (andere ärmere Länder nicht mitgerechnet, die von unserer Kaufkraft abhängen und womöglich entsprechend ebenfalls leiden werden) waren das 10.000 zusätzliche Suizide in den Jahren 2008-2010. Wenn man sich klarmacht, dass hinter jedem Suizid viele weitere Menschen stehen, die ähnlich belastet sind aber keinen Suizid begehen, wird deutlich, wie viel Leid die getroffenen Maßnahmen mit sich bringen können.

Hier ist wichtig zu erwähnen, dass solche Suizidraten in Reaktion auf wirtschaftliche Krisen kein Automatismus sind und man hier Gegenmaßnahmen ergreifen kann. Aber wenn man die Vergangenheit als Heuristik nimmt, was womöglich in Zukunft passieren könnte – denn auch damals hat man ja versucht Gegenmaßnahmen zu ergreifen – ist mit äußerst drastischen Nebenwirkungen zu rechnen. Und das war nur ein Beispiel für die möglichen Nebenwirkungen.

Wenn man dann als ein in Forschungsmethoden sehr erfahrener Wissenschaftler bemerkt, dass womöglich die den ergriffenen Maßnahmen zugrundeliegende wissenschaftliche Basis Probleme aufweist, sucht man normalerweise nicht den Weg in die Öffentlichkeit. Stattdessen versucht man Kontakt mit den entsprechenden Fachexperten aufzunehmen, um auf diese möglichen Probleme hinzuweisen.

Seit Anfang April habe ich mehreren Virologen mehrmals Emails geschrieben, ohne bis heute eine Antwort auf meine Fragen erhalten zu haben, was bei der aktuellen Arbeitsbelastung dieser Personen auch absolut verstehbar ist. In einer solchen Situation bleibt einem aber dann nur der Weg an die Öffentlichkeit.

Das Problem ist, dass man dann oft sehr schnell als „Verschwörungstheoretiker“ abgetan wird, was manche dazu verleitet, nicht die Öffentlichkeit zu suchen. Hier ist es allerdings einfach so: Alle berichteten Analysen basieren auf den offiziellen Zahlen, und jede Person kann das einfach selber nachprüfen und die Dinge entsprechend für sich durchdenken.

Noch ein abschließender Satz: Es geht hier in keinster Weise darum, das Leid betroffener Menschen zu verharmlosen. Hier muss es das höchste Ziel einer jeden Gesellschaft sein, diesen Menschen bestmöglich zu helfen. Es geht hier darum, das von vielen angenommene Szenario einer epidemischen Ausbreitung des Coronavirus mit mehreren Millionen von Infizierten zu hinterfragen. Denn sollte dieses Szenario in Wirklichkeit gar nicht drohen, würden viele Menschen ohne wirklichen Grund so große Ängste erleben, und man würde ohne wirklichen Grund Maßnahmen ergreifen, deren womöglich dramatische negative Nebenwirkungen noch gar nicht abgeschätzt werden können.

Hinweis: Einzene Teile des Textes wurden verändert, hinzugefügt wurde die Abschlussbemerkung.

Quellen:

– Daten zu den Neuinfektionen und Todesfällen in Deutschland: NPGEO Corona Hub 2020 (Robert Koch Institute)

– Daten zur Testanzahl in Deutschland: Robert Koch-Institut: Erfassung der SARS-CoV-2-Testzahlen in Deutschland (Update vom 15.4.2020): Epidemiologisches Bulletin 2020;16:10

– Daten zu den Neuinfektionen in Italien: European Center for Disease Prevention and Control (ECDC).

– Daten zur Testanzahl in Italien: Ministero della Salute, Daten werden auf Github bereitgestellt.

– Daten zu den USA: National Center of Health Statistics

– Richtlinien vom Robert Koch-Institut zur Durchführung von Coronavirus-Tests

– Influenza-Wochenberichte vom Robert Koch-Institut

– Täglicher Lagebericht zum Coronavirus vom Robert Koch-Institut

– Alle der für die Analysen verwendeten Datensätze können beim Autor per E-Mail angefordert werden.

Christof Kuhbandner ist Psychologieprofessor und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Regensburg. Seine Überlegungen sind aktuell bei einer Fachzeitschrift eingereicht und bereits als nicht begutachteter Vorabdruck erschienen. Dieser Artikel erschien bereits in Stephan Schleims Blog Menschen-Bilder.