Adam Tooze: Was bewirken Finanzsanktionen gegen Russland?

Adam Tooze: Was bewirken Finanzsanktionen gegen Russland?

935 Aufrufe  03.03.2022  – Finanzwende – 

Als Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine haben westliche Staaten eine Reihe beispielloser Sanktionen verhängt. Viele davon treffen das russische Finanzsystem. Das Land ist zum Teil vom internationalen Bankenkommunikationssystem SWIFT ausgeschlossen und einige Reserven der russischen Zentralbank sind eingefroren.

Alles mit dem Ziel, die russische Wirtschaft international zu isolieren und damit die Regierung zum Einlenken zu bewegen.

Wie die Finanzsanktionen funktionieren und welche Auswirkungen sie haben, besprechen wir mit dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze von der Columbia University, der seine finanz- und geopolitische Expertise in Büchern wie „Crashed“ und „Shutdown“ unter Beweis gestellt hat.

Das Webseminar wird von Michael Peters, Referent für Finanzmärkte der Bürgerbewegung Finanzwende, moderiert.

In Putins Kopf – Putins Welt: Wer sind die Vordenker von Wladimir Putin?

Putins Welt | Sternstunde Philosophie | SRF Kultur

 66.146 Aufrufe – 28.02.2022 –SRF Kultur – 

Seit 22 Jahren regiert Wladimir Putin Russland. Der Aufmarsch russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine alarmiert den Westen, einmal mehr. Wer ist der Mann, der die Welt in Schrecken versetzt? Wie denkt Putin? Ein Gespräch mit Michel Eltchaninoff, Philosoph und Autor des Buches «In Putins Kopf».

Zum Neujahrsempfang 2014 schenkte Wladimir Putin seinen wichtigsten Beamten drei philosophische Werke zur Pflichtlektüre. Zudem zitiert der ehemalige KGB-Spion in seinen politischen Reden gerne russische Intellektuelle, konservative Vordenker und anti-westliche Philosophen. Manche dieser Visionäre träumen von einem russischen Grossreich, andere gar von einem eurasischen Imperium. Wer sind diese Vordenker von Wladimir Putin?

Im Gespräch mit Yves Bossart erklärt Michel Eltchaninoff, Chefredaktor des französischen «Philosophie Magazine», aus welchen Werken Putin Ideen für seine Geopolitik schöpft, wohin ihn diese führen und welche aktuellen Gefahren sie bergen.

Sternstunde Philosophie vom 27.02.2022


PutinsWelt – die Prophezeiung601 Aufrufe – Premiere am 09.03.2022 –

Als ich in dem Interview zu der Passage mit der Prophezeiung von Iwan Alexandrowitsch Iljin (1983 – 1954) kam, war mir klar, was Wladimir Wladimirowitsch Putin antreibt: Eine Prophezeiung, des Vordenkers des Konservatismus. Warum ist er für Putin so wichtig. Es enthält eine russische Prophezeiung, die Putin verkörpere.

 Wladimir Putin hat Iljin mehrmals bei sehr wichtigen Reden zitiert: Sein Werk enthält die Prophezeiung eines siegreichen antiwestlichen Russlands, allerdings um den Preis einer Konfrontation mit dem Rest der Welt. Putin ließ sich von ihm stark inspirieren. Er sagte noch 2021, dass Iwan Iljins Buch auf seinem Nachttisch liegt und er es oft konsultiere für einen Entwurf eines Russlands frei von westlicher Einflussnahme.


Iljin, Dugin, Putin 2.009 Aufrufe  Live übertragen am 04.04.2022 Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit – 

Mit seinem Angriff auf die Ukraine hat Putin sich bewusst gegen die Idee des modernen Europas gestellt. Auf welcher Gedankenwelt beruht der Sonderweg, den Russland unter Putin nun eingeschlagen hat, welche Kontinuität alter Ideen und welche Elemente der „Neuen Rechten“ lassen sich finden? Am häufigsten wird auf Iwan Iljin und Alexander Dugin verwiesen. Während Iljin als Begründer eines „christlichen Faschismus“ gilt und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche metaphysische und moralische Rechtfertigungen für den Totalitarismus publizierte, knüpft der Neurechte Dugin mit einer eurasischen Geopolitik an das imperiale und koloniale Selbstverständnis Russlands an. Doch auch diese Geopolitik ist mit esoterischen und okkulten Versatzstücken aufgeladen und wird als Gegensatz zum Westen, vor allem der USA, definiert. Prof. Dr. Rainer Goldt entwirrt und erklärt diese eklektizistischen Gedankenwelten im Gespräch mit Moderator Meinhard Schmidt-Degenhard.


Der russische Faschist Alexander Dugin: Der Philosoph hinter Putin

Der Vordenker des Feldherrn. Alexander Dugin ist der ideologische Großmeister der russischen Neuen Rechten. Er findet seine Anhänger auch im Westen.

Porträt Dugins mit langem Bart

Propagandist der „eurasischen Idee“: Alexander Dugin 2014 in Helsinki Foto: Heikki Saukkomaa / Lehtikuva

Um Wladimir Putin ranken sich derzeit viele Fragen: Ist er am Ende nur ein durchgeknallter Monoman, dem es bloß noch um sein Bild in der Geschichte geht? Oder ein russischer Politiker, der andere angreift, weil er sich tatsächlich vor der Macht der Nato fürchtet? Oder vor allem ein völkischer Nationalist, wie nicht wenige ost- und mitteleuropäische Politiker? Wahrscheinlich könnte hier irgendwo die Wahrheit liegen.

Zu berücksichtigen ist aber auch, dass Putin einer ausgeklügelten politischen Theorie – vielleicht sollte man besser von „Ideologie“ sprechen – folgt.

Nur dem geringsten Teil der hiesigen Öffentlichkeit dürfte der Name eines russischen Philosophen, der an der Moskauer Lomonossow-Universität lehrt, bekannt sein. Dieser 1962 geborene politische Philosoph war von 1994 bis 1998 Vorsitzender der dann verbotenen nationalbolschewistischen Partei Russlands, aber eben auch beziehungsweise gleichwohl ein Freund von Wladimir Putin.

Kein Zufall ist es, dass dieser Mann zu einem Vordenker der auch deutschen Neuen Rechten wurde: plädiert dieser Alexander Dugin doch für eine radikale Umkehr des politischen Denkens, für eine „Kehre“, weswegen er immer wieder auf den – auch hier von der Neuen Rechten hochgeschätzten – Philosophen Martin Heidegger verweist.

Tatsächlich publizierte Dugin 2011 auf Russisch das Buch „Heidegger: Die Möglichkeit der russischen Philosophie“. Über Dugin hat Heideggers Denken Eingang in die Ideologie der deutschen Identitären gefunden. Etwa bei Publizisten wie Jürgen Elsässer, der früher einmal Redakteur der linken Zeitschrift konkret war. Elsässer, seit 2010 Chefredakteur des rechtsextremen Monatsmagazins Compact, veröffentlichte bereits 2013 ein Interview mit Dugin. Auf die Frage Elsässers, warum er die sogenannte „Eurasische Idee“ propagiere, gab Dugin zu Protokoll:

„Weil es sich dabei um ein Konzept handelt, welches den Herausforderungen Russlands und der russischen Gesellschaft begegnet. Was sind die Alternativen? Es gibt den westlich-liberalen Kosmopolitismus, doch die russische Gesellschaft wird diese Idee niemals akzeptieren. Dann gibt es den Nationalismus, der sich für das multiethnische Russland ebenfalls nicht eignet. Auch der Sozialismus eignet sich nicht als tragendes Ideal für Russland, im Prinzip hat er auch in der Vergangenheit dort nie wirklich funktioniert. Die eurasische Idee ist daher ein realistisches und idealistisches Konzept. Es ist nicht nur irgendeine romantische Idee, es ist ein technisches, geopolitisches und strategisches Konzept, welches von all jenen Russen unterstützt wird, die verantwortungsbewusst denken.“

„Eurasische Idee“

Damit hat sich Dugin als ein herausragender Vertreter geopolitischen Denkens sowie als Vordenker eines „eurasischen“ – im Gegensatz zum „atlantischen“ – Kulturraums positioniert.

Dem entspricht die von ihm postulierte „Vierte politische Theorie“, die nach Liberalismus, Faschismus und Kommunismus am ehesten geeignet sei, das Überleben der Menschheit im Zeitalter der Globalisierung zu sichern. Dugins theoretische Gewährsleute sind neben Heidegger der französische Begründer der „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist, sowie der sehr viel weniger bekannte italienische Philosoph Julius Evola (1898–1974).

Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord der menschlichen Gattung

Der faschistische Theoretiker Evola vertrat – kurz gesagt – Folgendes:

Nur in Rangordnungen erweist sich die Rückbindung einer Gesellschaft an die Sphäre des Heiligen. Sowie: Die Entwicklung westlicher Gesellschaften zu mehr Freiheit und Gleichheit hat sich seit Sokrates und dem Christentum als Verfallsgeschichte des Heiligen, der Ehrfurcht und der Sitten erwiesen.

Gefordert sei eine „Revolte gegen die moderne Welt“, die auf dem Konzept der Rasse beruht – wobei aber „Rasse“ eine geistige, keine biologische Kategorie darstelle. Aus all dem folgt gleichwohl ein „geistiger“ Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie die Forderung nach der esoterischen Initiation einer neuen Aristokratie.

Bei alledem tritt Dugin mit seiner Übernahme der Gedanken Evolas nicht etwa für einen völkischen Ethnopluralismus ein, sondern für ein antiliberales, autoritäres sowie neoimperiales Großraumdenken, das seiner Überzeugung nach alleine die Menschheit noch retten könne.

So stellt er in seinem 2017 verfassten „Manifesto for a global revolutionary Alliance“ fest, dass die Phase des Kapitalismus an ihre natürliche Grenze gestoßen, die natürlichen Ressourcen erschöpft seien und dass der westlich-liberale, kosmopolitische Lebensstil sowie die Kälte des Internets zum Zerbrechen aller gesellschaftlichen Bindungen geführt haben – womit auch das herkömmliche Verständnis von Individualität und Individuen zerstört sei:

„Nie zuvor wurde der Individualismus so verherrlicht, während gleichzeitig die Menschen auf der ganzen Welt sich in ihrem Verhalten, ihren Gewohnheiten, ihrem Aussehen, ihren Techniken und ihrem Geschmack so ähnlich waren. Im Streben nach individualistischen ‚Menschenrechten‘ hat sich die Menschheit selbst verloren. Bald wird der Mensch durch das Posthumane ersetzt: ein mutierter, geklonter Android.“

Im Geiste Evolas

Zudem führten Globalisierung und „Global Governance“ zum Ende von Völkern und Nationen, zur angeblichen Zerstörung eines gehaltvollen Wissens zugunsten einer von den Medien erschaffenen „Realität“, sowie zum Ende eines jeden Fortschritts, der seinen Namen verdiene. Daher sei bei Weiterentwicklung der jetzigen Zustände nichts anderes als eine apokalyptische Katastrophe zu erwarten.

Alle Phänomene deuten nach Dugin auf das Ende eines langen historischen Zyklus, eines Zyklus, der im Geiste Evolas durch Aufstieg und Niedergang der westlichen Welt seit der Antike, spätestens seit der Renaissance gekennzeichnet sei. Am Ende dieses Zyklus, so Dugin, stehe der Selbstmord der menschlichen Gattung.

Eine Rettung sei möglich, aber nur durch eine radikale Umkehr, eine grundlegende Neubesinnung auf andere Kategorien des Denkens, durch eine Besinnung, die schließlich zur Bildung politischer Formationen führe, die den Niedergang des Westens und der USA so beschleunigen könne, dass wenigstens deren Völker ihren Niedergang überleben würden: als raumgebundene Völker ohne wechselseitigen Führungsanspruch.

Was nicht zuletzt für den asiatischen Kontinent bedeutsam sei. Über all das hinaus ist Dugin der Theoretiker – oder man sollte besser sagen: der Ideologe – einer neuen imperialen Weltordnung, zumal mit Blick auf China. Gegen das seiner Auffassung nach „unipolare“ Weltsystem nach Ende der Sowjetunion wirbt er für ein multipolares Weltsystem mit mindestens vier Pfeilern: des (nordamerikanischen) Westens, Europas, Chinas und eben Eurasiens. Konsequent übernimmt er dazu das chinesische Konzept des „Tianxia“, das so viel wie eine planetarische Gemeinschaft unter dem Himmel, aber auch – in gegebenen Grenzen – unter chinesischer Vorherrschaft bezeichnet.

Russen und Chinesen

Dugins Konzept läuft darauf hinaus, den asiatischen Kontinent in zwei Einflusssphären – eine im weitesten Sinne russische und eine chinesische – aufzuteilen. Fragt man mit Blick auf Asien zudem, wie Dugin die indische Union beurteilt, so sticht hervor, dass er die indische Kultur als eine dem westlichen, liberalen Modell strikt entgegengesetzte Kultur und Zivilisation ansieht.

Gehe es doch Indien seit Gandhi um eine Modernisierung ohne Verwestlichung. Was das indes stark verwestlichte Japan betrifft, so votiert Dugin für engere Beziehungen zwischen Russland und Japan, mit dem möglichen Lockmittel, Japan die zu Russland gehörende nordostasiatische Inselgruppe der Kurilen zu überlassen.

Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine ist es höchste Zeit, Wladimir Putin als einen Revolutionär im Geiste des rechtsextremen Dugin zu begreifen. Auf den letzten Seiten seines Buches „Eurasian Mission – An Introduction to Neo-Eurasianism“ antwortet Dugin 2014 auf die Frage nach seiner Haltung zu Wladimir Putin, dem er wegen zeitweiliger liberaler Anwandlungen durchaus kritisch gegenüber stand:

„Wenn er an die Macht zurückkehrt, wird er gezwungen sein, zu seiner früheren anti-westlichen Politik zurückzukehren, weil unsere Gesellschaft von Natur aus anti-westlich ist. Russland hat eine lange Tradition der Rebellion gegen ausländische Invasoren und der Hilfe für andere, die sich gegen Ungerechtigkeit wehren, und das russische Volk sieht die Welt durch diese Brille. Es wird sich nicht mit einem Herrscher zufrieden geben, der nicht im Einklang mit dieser Tradition regiert.“

Diese vor acht Jahren abgegebene Prognose hat sich mit Blick auf Putin und nun dem Krieg gegen die Ukraine bis zum heutigen Tage bewahrheitet.

Micha Brumlik

Schwerpunkt Krieg in der Ukraine – Kultur – Künste   Russland  Faschismus  Sowjetunion 

Ukraine –Wladimir Putin – Neue Rechte


Iwan Iljin – der russische Philosoph aus Zollikon, der die Politik des Kremls mitbestimmt | NZZ – 618 Aufrufe – 22.05.2018 –

Der russische Philosoph aus Zollikon, der die Politik des Kremls mitbestimmt | NZZ «Ich lebe nur für Russland», so fasste der konservative Religionsphilosoph Iwan Iljin (1883–1954) den Sinn seiner entbehrungsreichen und abenteuerlichen Biografie zusammen. Nach einem Studium der Rech…

Neue Aufrüstungsspirale – gegen 100 Milliarden für neue Waffen regt sich Widerstand

Sondersitzung des Bundestags am Sonntag, 27. Februar 2022

Regierungserklärung Bundeskanzler Olaf Scholz mit anschließender Aussprache.


Quelle: Stuttgarter Zeitung – 01.03.2022

Jessica Rosenthal Juso-Chefin warnt vor „schwarzen Loch“ bei Aufrüstung

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Doch selbst in der Regierungspartei SPD gibt es Zweifel an dem Vorhaben.

Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal will die Pläne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht unterstützen, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auszustatten. „Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst“, sagte Rosenthal der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag). „Es bringt nichts, weitere Milliarden Euro in einem schwarzen Loch zu versenken“. Sie glaube, dass Gelder für die Bundeswehr bisher ineffektiv eingesetzt wurden.

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Die 100 Milliarden Euro werden mit dem Bundeshaushalt 2022 bereitgestellt, hatte Scholz angekündigt. Regierungserklärung Bundeskanzler Scholz 27.2.22

Außerdem solle Deutschland künftig jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Scholz forderte alle Fraktionen des Bundestags auf, das Sondervermögen im Grundgesetz abzusichern. Rosenthal kündigte an, gegen die Regierungspläne stimmen zu wollen. Das Grundgesetz sei ihrer Ansicht nach nicht der Ort, an dem auf alle Zeiten Militärausgaben festgeschrieben werden sollten.

Derweil geht SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert davon aus, dass seine Fraktion den Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Aufrüstung der Bundeswehr geschlossen unterstützt. Er sei zwar selbst überzeugt, dass es zu viele Waffen auf der Welt gebe und in vielen Konflikten nicht alles auf diplomatischem Weg versucht werde, sagte Kühnert am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Aber ausgerechnet den Menschen im schwer umkämpften Charkiw zu sagen: „Bei euch fangen wir mit der Abrüstung an“, das sei falsch. Es gebe Situationen, in denen „die Logik des Militärischen“ als letzte Instanz genutzt werden müsse.


Quelle: der Freitag, 1.3.2022 – Sebastian Puschner 69

Der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit (gekürzte Fassung)

Ukraine Hunderttausende demonstrieren für den Frieden, während Olaf Scholz eine neue Aufrüstungsspirale in Gang setzt. Gegen die 100 Milliarden Euro für neue Waffen und mehr Soldaten regt sich Widerstand – gut so.

Für den Frieden machen sich am Sonntag in Berlin viele Menschen stark, eine halbe Million laut Angaben der Veranstalter, das wäre auf dem Niveau der bislang größten friedenspolitischen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg 2003; doch auch die „mindestens 100.000“, von denen andernorts die Rede ist, wären eindrucksvoller Ausdruck großer Sorge und Entschlossenheit.

Doch die Entschlossenheit nur wenige Meter weiter ist anderer Gestalt an diesem Sonntag: Während die Demonstrantinnen zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule den russischen Präsidenten Wladimir Putin wie seinen Überfall auf die Ukraine verdammen, laut Aufruf „für ein Europa der Abrüstung, der Entspannung und der Verständigung“ eintreten und sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine verwahren, kündigt nur wenige Meter weiter, im Deutschen Bundestag, Kanzler Olaf Scholz (SPD) neben Waffenlieferungen an die Ukraine 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an, 100 Milliarden Euro für „bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal“. Es ist der Startschuss für eine gewaltige Aufrüstung Deutschlands.

Das Wort „Sondervermögen“ schwingt dabei nur im Subtext mit. Als Sondervermögen des Bundes wollen Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und die Koalition die 100 Milliarden Euro aufnehmen, über ein Vehikel also, dessen Machart für die hiesige Finanzpolitik zuletzt immer bedeutender geworden ist: Schön außerhalb des Haushalts verbucht, verbürgt sich der Staat für eine immense Summe, ohne dass die Regierung von ihrer Rhetorik der Bewahrung der Schuldenbremse in eben diesem Haushalt abweichen muss und setzt sich dabei nur einer vermindert starken Kontrollfunktion des Parlaments aus.

Wenn sich der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit infolge des russischen Angriffskrieges eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages gelegt haben wird, welche Rolle wird dabei dann Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ vom 27. Februar 2022 gespielt haben? Sind Kreditermächtigungen für den auf Jahre und Jahrzehnte angelegten Bau von Kampfflugzeugen, den Kauf von bewaffneten Drohnen und die Rekrutierung heranwachsender Generationen als Soldatinnen und Soldaten eine Lösung für akute Kriegshandlungen? „Nicht noch mehr fürs Militär!“ – ist jene friedenspolitisch motivierte Postkarte in diesen Tagen wirklich nur noch ein Fall für den Altpapier-Container?

Mehr Kampfflugzeuge und Soldaten

Zweifel sind angebracht. Der Journalist Holger Stark hat darauf hingewiesen, dass Deutschlands Ausgaben für Militärisches schon in den vergangenen Jahren rapide gestiegen sind: „Die Erzählung, die Bundeswehr sei zu Tode gehungert worden, ist eine schöne Geschichte – aber schon seit Jahren falsch. In welchen Taschen sind all die Milliarden versickert? Welche Rüstungskonzerne haben davon profitiert?“

Und während am Sonntag bei der Friedensdemo Luisa Neubauer von Fridays for Future verantwortliche Politiker für die fossile Abhängigkeit Deutschlands von Russland geißelt, verkündet Olaf Scholz im Bundestag den schnellen Bau zweier Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven, verbunden mit ausdrücklichem Dank an den Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck für seine konstruktive Rolle bei der Entscheidung, sich nun in fossile Abhängigkeit von unter anderem den USA zu begeben.

„Wir brauchen dringend eine europäische Friedensordnung, in der Grenzen nicht gewaltsam verschoben werden und die Sicherheit von allen geachtet wird“, mit diesen Worten hatten der BUND, der NABU, Campact, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi, IPPNW, die Evangelische Kirche, das Netzwerk Friedenskooperative, Pax Christi und viele weitere Organisationen zur Demonstration am Sonntag aufgerufen. Doch für den Blick auf die jahrzehntelang von Russland empfundene Missachtung seiner Sicherheit durch die NATO bleibt im Moment der nackten Gewalt Wladimir Putins gegen die Ukraine kaum mehr Raum. Überflüssig wird dieser Blick aber nur werden, sollte es zu einer Niederlage Russlands kommen, zu einem Regime Change in Moskau, zum Scheitern Wladimir Putins. So sehr wir uns das wünschen, wahrscheinlich erscheint dies im Augenblick nicht.


Wettrüsten hilft der Ukraine nicht – Interview mit Gesine Lötzsch

(Bundestagsfraktion Die LINKE – Phoenix)

150 Aufrufe – 01.03.2022 – Gesine Lötzsch: „Die große Frage ist, ist die Ankurblung des Wettrüstens ein wirklicher Beitrag, der Ukraine zu helfen, oder wäre nicht unsere Aufgabe als Bundesrepublik Deutschland vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass es friedlich wird. Der Etat der Bundeswehr hat sich in den letzten 16 Jahren verdoppelt, er beträgt schon zehn Prozent des Bundeshaushaltes und da muss man sich doch mal die Frage stellen, wo ist das viele Geld geblieben? Warum konnten es sich die Rüstungskonzerne leisten, die Bundeswehr mit Material zu beliefern, was nicht funktioniert? Es kann jetzt nicht nur darum gehen, mehr Geld bereitzustellen, sondern man muss schauen, was ist mit dem Geld passiert, wer hat daran verdient und wer hat es verbraten.“

Die geopolitischen Konsequenzen der Eskalation des Ukrainekonflikts

Quelle: Website Rosa-Luxemburg-Stiftung

Ingar Solty

25.02.2022 Krieg / Frieden – Osteuropa – Ukraine-Krise

Die geopolitischen Konsequenzen der Eskalation des Ukrainekonflikts (gekürzte Version des Artikels von Ingar Solty)

Für alle Menschen, die in Europa an Frieden und Sicherheit interessiert sind, in der Ukraine, in Osteuropa, in Russland und in Westeuropa war der 22. Februar 2022 ein rabenschwarzer Tag. Noch schwärzer ist der 24. Februar, da Russland einen Angriffskrieg gegen sein Nachbarland Ukraine begonnen hat, der durch nichts gerechtfertigt werden kann. Russland muss diesen Krieg sofort und ohne Bedingungen beenden, um den Weg zurück an den Verhandlungstisch freizumachen.

Mit der Bombardierung von Zielen in der Ukraine und dem Einmarsch von Bodentruppen hat Russland sein volles Aggressionspotenzial gezeigt und das Völkerrecht gebrochen. Die Leidtragenden sind die Ukrainer*innen, die sich jetzt in einer Kriegssituation wiederfinden, die höchstwahrscheinlich sehr große Fluchtbewegungen aus allen Landesteilen hervorrufen wird. Die Eskalation des Konflikts durch Russland ist unerträglich und durch nichts zu rechtfertigen.

Für Frieden und Sicherheit der Menschen in der Ukraine, für die territoriale Integrität des Landes hätte es friedliche Lösungen gegeben. Es hätte perspektivisch auch bessere Lösungen für die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands gegeben – und auch für Frieden und Sicherheit in ganz Europa. Was jetzt aller Voraussicht nach passieren wird, ist weder im Interesse der ukrainischen noch der russischen noch der westeuropäischen Zivilbevölkerung – und, denn auch ihr Staat ist ein ganz wesentlicher Akteur, genauso wenig im Interesse der US-amerikanischen Zivilbevölkerung. …

Die aktuellen Entwicklungen in Osteuropa haben mindestens sechs mittel- bis langfristige geopolitische Konsequenzen, die besorgniserregend sind.

Erstens: Die Ukraine ist durch das Zerren aus West und Ost, das lange vor 2014 und lange vor der Krim-Annexion durch Russland begann, endgültig zerrissen. Auch der Minsk-II-Prozess, der auf einen innerukrainischen Waffenstillstand, Dialog zwischen Kiew und den Sezessionsgebieten und einen Autonomiestatus in einem territorial geeinten Staat abzielte und der von der Regierung in Kiew mit Verweis auf die «Illegitimität» der «Volksrepubliken» blockiert wurde, ist damit Geschichte. Das Gleiche gilt für das Normandie-Format, das heißt die Verhandlungen zwischen der Ukraine, Russland, Frankreich und Deutschland, die als Versuch gewertet werden können, als Europäer*innen selbst und ohne die USA über unser eigenes Schicksal zu entscheiden.

Zweitens: Mit der nun endgültigen Spaltung der Ukraine gehen in einem weiteren osteuropäischen Land mit junger Nationalstaatlichkeit die gelebte Multiethnizität und Multikulturalität nun dauerhaft verloren, sodass sich wohl auf beiden Seiten die nationalistische Homogenisierungspolitik verschärfen wird, die Familien und ihre jeweilige multiethnische, multilinguale und auch geschichtspolitisch und ideologisch diverse Geschichte  zerreißt. Dass bei dieser Politik auf beiden Seiten wohl auch Antisemitismus und Antiziganismus in irgendeiner Form eine Rolle spielen werden, ist naheliegend.

Drittens drohen damit auch Spillover-Effekte in anderen jungen Nationalstaaten in Osteuropa (wie etwa in Ungarn mit den dortigen großungarischen Träumen in Bezug auf die Auslandsungarn in Rumänien, der Slowakei usw.). Denn wenngleich es auch in den russisch-sezessionistischen Gebieten Abchasien und Südossetien keine formelle Einverleibung durch den russischen Staat gab und diese wohl auch jetzt nicht zu erwarten ist , sind in dieser spezifischen Form der Neugrenzziehung durch Sezessionen Spillover-Effekte in anderen Regionen der postsowjetischen Staaten, ebenso wie in der restlichen Welt, zu befürchten, die viel Gewalt und zivilgesellschaftliches Leid mit sich bringen dürften.

Viertens: Die Rede Putins vom 21. Februar zeigt, dass man auch in Russland die Hoffnung auf das «gemeinsame Haus Europa» aufgegeben hat. Die im Januar 2022 erhobenen Forderungen der russischen Regierung an den Westen, zurückzukehren zur Situation nach 1991 und dem Versprechen der USA, die NATO nicht nach Osten auszudehnen, keine Truppen und auch keine Atomwaffen (mit fünfminütiger Reaktionszeit) an der russischen Grenze zu stationieren, waren angesichts der Kräfteverhältnisse im Westen und der in fünf NATO-Osterweiterungsrunden vom Westen geschaffenen Fakten illusorisch. In den letzten 25 bis 30 Jahren ist mit der NATO-Osterweiterung, dem NATO-Krieg gegen Serbien-Montenegro, dem Irakkrieg und dem Libyenkrieg einerseits und der Krim-Annexion, der Legitimierung der Separatistengebiete im Donbass und dem aktuellen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine andererseits – von beiden Seiten so viel Porzellan zerschlagen worden, dass das gegenseitige Vertrauen nachhaltig erschüttert worden ist. Die falsche Politik muss nun die Zivilbevölkerung in der Ukraine, in Osteuropa, in Russland, in Westeuropa und in den USA ausbaden.

In einem neuen Zeitalter der Großmachtrivalität droht nun ein neuer «Eiserner Vorhang», der von beiden Seiten gestählt wird, der mitten durch Europa verläuft und der die gefährliche Blockbildung in «West» (bis zur Ukraine) einerseits und ein von China und Russland angeführtes Bündnis «Ost» vertieft. Damit aber wird auch das globale Wettrüsten weitergehen, das nicht nur reale Kriegsgefahren mit sich bringt, sondern auch Ressourcen bindet, die zur Bearbeitung der globalen Menschheitsfragen – des Hungers und der sozialen Frage, der laufenden Klimakatastrophe – dringend gebraucht werden.

Fünftens: Russland hat mit seinem Angriff endgültig das «Budapester Memorandum» von 1994 zerstört, in dem sich Russland im Gegenzug für den ukrainischen (sowie kasachischen und belarussischen) Verzicht auf (sowjetische) Atomwaffen dazu verpflichtet hatte, die territoriale Integrität der Ukraine (und der der anderen beiden Staaten) zu respektieren. In der Ukraine werden infolgedessen auch die teilweise agrarischen Westoligarchen gestärkt werden, die aus finanziellem Eigeninteresse eine stärkere Bindung an die EU und den Westen wollen, weil sie im Gegensatz zu den binnenwirtschaftlich- bzw. russlandorientierten, industriellen Ostoligarchen durch eine solche nichts zu verlieren, sondern viel zu gewinnen haben.

Womöglich und verständlicherweise wird der Anteil der Bevölkerung steigen, der einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft stellen will. Bis 2014 war nur ein kleiner Teil der Bevölkerung dafür, in den letzten Jahren stieg die Zustimmung für einen Beitritt zur NATO und ist spätestens jetzt eine Mehrheitsmeinung. Die ukrainische Verfassung sowie die NATO-Statuten stehen bzw. standen einer solchen Mitgliedschafts-Perspektive bislang zwar im Weg: Die ukrainische Verfassung schrieb dem Land bis 2019 einen neutralen Status vor[2] und die NATO nimmt Länder, die sich im Konfliktfall befinden, nicht auf. Nichtsdestotrotz dürfte dies die Richtung sein, in die die dominanten Westeliten und die Bevölkerung der (West-)Ukraine angesichts der Eskalation des Konflikts drängen werden.

Eine solche Perspektive ist aus (west-)ukrainischer Sicht natürlich absolut nachvollziehbar. Die osteuropäischen Staaten haben genauso wie Russland legitime Sicherheitsinteressen, die auch auf historischen Erfahrungen fußen. Gerade in Deutschland, das die osteuropäischen Länder im 20. Jahrhundert mehrfach – 1917 ff., 1939, 1941 – überfallen, geteilt und kolonisiert hat und auch maßgeblich an der dreifachen polnischen Teilung im 18. Jahrhundert beteiligt gewesen ist, müssen sie sensibel behandelt werden. Dazu gehört aber eben auch die Erkenntnis, dass die kleinen osteuropäischen Länder ihre eigenen Sondererfahrungen mit Russland gemacht haben, das von den polnischen Teilungen bis zum Hitler-Stalin-Pakt (und dem polnischen Trauma Katyn) ebenfalls offensiv nach Westen agierte und Teile reannektierte, die man mit dem einseitigen Friedensschluss von Brest-Litowsk mit erheblichen Gebietsabtretungen 1917 durch Lenin verloren hatte. Die Sicherheitsinteressen nicht nur Russlands sind legitim, sondern – das müsste spätestens jetzt klar sein – auch die Sicherheitsinteressen der osteuropäischen Staaten, von denen jetzt eines von russischem Boden aus angegriffen wird.

Nichtsdestotrotz wäre ein NATO-Beitritt der Ukraine mit Blick auf Frieden, Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Hoffnung auf ein atomwaffenfreies Europa eine Katastrophe, denn er würde im schlimmsten Fall bedeuten, dass sich in der jetzigen Ukraine die westlichen NATO-Atommächte und die Atommacht Russland direkt gegenüberstehen.

Die bündnispolitische Souveränität der Ukraine wird vom Westen zu Recht angeführt. Die Sicherheit der Ukraine (oder anderer osteuropäischer Staaten, wie der baltischen) war und ist nicht ohne ukrainische Beteiligung in Moskau oder Washington auszuhandeln. Aber: Es ist anzumerken, dass es auch der Westen, wenn es seinen geopolitischen Interessen entgegenlief, mit der bündnispolitischen Souveränität oft nicht ernstnahm – etwa wenn das revolutionäre Kuba gegen US-amerikanische Invasionen wie die in der Schweinebucht vom April 1961 im Folgejahr die Sowjetunion als ihre Schutzmacht gegen US-imperialistische Gewaltpolitik ersuchte oder wenn der venezolanische Staat sich in der zweiten Hälfte der 2010er-Jahre bündnispolitisch China, Russland und dem Iran annäherte, worauf die USA mit Destabilisierungs-, Regime-Change-Politik und Invasionsplänen (von Präsident Donald Trump) reagierten.

So unwahrscheinlich nach der derzeitigen Eskalation die Perspektive einer kollektiven europäischen Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands und mit wechselseitigen Sicherheitsgarantien geworden ist, umso alternativloser scheint diese Perspektive trotzdem zu sein, wenn man die frontale Konfrontation zwischen der NATO und einem russisch-chinesischen Wirtschafts- und Militärblock mit all ihren Konsequenzen auch für die großen Menschheitsprobleme – von der Friedens- über die soziale Frage bis hin zur Klimakatastrophe – verhindern will.

Sechstens: Deutschlands Versuch, durch den Verzicht auf (Offensiv-)Waffenlieferungen an die Ukraine und die Betonung des Normandie-Formats eine Vermittlerrolle spielen zu können, ist leider ebenfalls gescheitert.

Im Ergebnis bekommen auch die USA das, was sie als geopolitische Hauptziele lange verfolgt haben: zum einen die Schwächung Russlands – durch Sanktionen, durch das (potenzielle) Ende von Nord Stream 2 und durch US-Energieexporte nach Westeuropa – und zum anderen die energie- und damit geopolitische Abhängigkeit Deutschlands und Westeuropas von den USA. Diese Abhängigkeit ist eines der effektivsten Druckmittel, Deutschland und die westeuropäischen NATO-Staaten zu der von den USA avisierten transatlantischen Arbeitsteilung im imperialen «Management» des globalen Kapitalismus zu bringen, in der «wir» den USA mit mehr «militärischem Engagement» von Osteuropa über den Mittleren Osten bis nach Nordafrika den Rücken freihalten sollen, damit sie ihre schwindenden Machtressourcen voll und ganz auf ihren Systemkonflikt mit China richten können. Die Aussicht auf eine «strategischen Autonomie» Europas ist damit deutlich geschwächt.

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