Keine Steuergelder für die AfD-Stiftung

Quelle: Campact

Hier geht es zur Petition

„Von Rosa Luxemburg, Friedrich Ebert und Konrad Adenauer zu Friedrich Naumann, Hanns Seidel und Heinrich Böll: Nach diesen historischen Vorbildern sind sechs Stiftungen benannt – die Parteistiftungen der demokratischen Parteien, die dauerhaft im Bundestag vertreten sind. Diese Stiftungen, auch als parteinahe oder politische Stiftungen bezeichnet, sind zwar rechtlich und formal von ihren Parteien getrennt, inhaltlich und personell aber eng mit ihnen verbunden. Finanziert werden sie zu rund 90 Prozent aus öffentlichen Mitteln.

Parteistiftungen sind zentrale Pfeiler der politischen Bildung, der Studien- und Forschungsförderung und der Förderung zivilgesellschaftlicher Strukturen im In- und Ausland. Darüber hinaus dienen sie den Parteien als „Think Tanks“ und Berater*innen sowie als „Gedächtnis“ – sie verwalten die Parteiarchive und forschen. So leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Demokratie in der Bundesrepublik.

Mit der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES), der Parteistiftung der extrem rechten AfD, ist eine neue Akteurin dazu gekommen: Erstmals erhebt eine demokratie-feindliche politische Stiftung Anspruch auf Geld aus dem Bundeshaushalt. Mit dieser Stiftung will die AfD viele Millionen Euro in die rechte und rechtsextreme Bewegung lenken.

„Nazi-Erika“, so beschreibt Mohamed Amjahid in der taz die Vorsitzende der DES, Erika Steinbach. Sie hetzte gegen Walter Lübcke und verbreitete Neonazi-Videos, die Ehe für alle nannte sie „eine Hintertür für Pädophileninteressen“ und Kinder von AfD-Mitgliedern „die neuen Judenkinder“. Auch Kuratoriumsmitglieder der DES sind bestens mit der extremen Rechten vernetzt oder selbst in der rechtsextremen Bewegung aktiv.

Trotzdem könnte die neue Bundesregierung der DES in Kürze Millionen Euro bewilligen. Denn die AfD ist ein zweites Mal in den Bundestag eingezogen. Stiftungen von Parteien, die länger im Bundestag vertreten sind, erhalten einen Großteil ihrer Mittel nach einer Art „Gewohnheitsrecht“ aus dem Bundeshaushalt – insgesamt waren das 2020 550 Millionen Euro.

Obwohl es um viel Geld geht, gibt es kein Gesetz, das die Finanzierung der parteinahen Stiftungen aus Bundesmitteln regelt. Stattdessen bekommen sie nach einer Art „Gewohnheitsrecht“ Geld aus dem Bundeshaushalt – und dürfen weitgehend selbst entscheiden, wie sie es einsetzen.

Begründet wird das mit der Verpflichtung des Staates, die politische Bildung zu fördern. Doch jetzt will die rechte AfD ein Stück vom Kuchen – für eine Stiftung, die statt demokratischer Bildung die rechte Szene fördern will. Damit ist klar: Ein Stiftungsgesetz ist dringend nötig. Und es muss klar festlegen, dass nur Stiftungen demokratischer, die Vielfalt unserer Gesellschaft achtender Parteien Steuergeld erhalten.

Mit der DES würde eine Schlüsselorganisation der Rechten staatlich finanziert und groß gemacht. Denn Stiftungen sind wichtige Akteurinnen in der politischen Bildung – im Falle der DES wäre das politische Bildung mit rechten und rechtsextremen Inhalten, aus Steuergeldern finanziert. Auch in Forschungsförderung, zivilgesellschaftliche Projekte und Vernetzung fließt dann Geld. Zu erwarten hätten wir antisemitische, rassistische, nationalistische und völkische Pseudo-Wissenschaft – und im ganzen Land den Ausbau rechter Strukturen durch die Förderung rechter Netzwerke und Organisationen.

Die große Gefahr, die von der DES ausgeht, ist daher eine dreifache: Mit ihr werden Diskurse und politische Einstellungen weiter nach rechts verschoben, rechtes Geschwurbel wird wissenschaftlich verpackt und die Rechte in ganz Deutschland kann ihre Organisationsstrukturen und Netzwerke massiv ausbauen. Und das alles mit unserem Geld.“

„Desiderius-Erasmus-Stiftung: Politische Bildung von Rechtsaußen“, OBS-Arbeitspapier 51, 8. Oktober 2021

„Politische Bildung von Rechtsaußen. Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung“, FragdenStaat, 8. Oktober 2021

„Kein Geld für die AfD“, Kampagnen-Webseite der Bildungsstätte Anne Frank

„KEINE MINUTE WARTEN IM KAMPF GEGEN RECHTS“, Manifest für die Zivilgesellschaft & die politische Bildung, 29. Juni 2021

Der Cum-Ex-Skandal: Staatsanwältin Brorhilker, Heldin der Aufklärung

Quelle:  Correctiv

Der Cum-Ex-Skandal hat viele Facetten. Zur Erinnerung: die deutschen und europäischen Behörden sehen keine großen Probleme. Auch wenn Insider und Experten warnen, dass diese Art von Deals immer noch möglich sind. Auf der  Webseite von correctiv finden Sie neben der ausführlichen Recherche auch Beispiele, was man mit dem Geld hätte machen können und Infos, wie der Betrug weiter geht.

CumEx Files 2.0 (CORRECTIV)

Cum-Ex: Steuerräuber ohne Schuldgefühl (DasErste)

Anne Brorhilker aus Köln gegen Sanjay Shah aus Dubai und hunderte weitere Beschuldigte. Die Staatsanwältin ist die erste, die die Menschen hinter dem Milliarden-Betrug der CumEx-Files sichtbar machte, indem sie sie auf die Anklagebank gesetzt hat.

Sie ist eine Heldin der Aufklärung. Es macht großen Spaß, ihr im ausführlichen Interview von Panorama dabei zuzuschauen, wie sie mit ihrem trockenen Humor von ihren Erlebnissen berichtet. Wie sie einer Armada von Anwälten gegenübersitzt, die ihr arrogant weismachen wollen, dass sie keine Ahnung habe. Nun sind die ersten Cum-Ex-Betrüger, die Brorhilker angeklagt hat, verurteilt.

Ohne Gesichter bleibt der Steuerraub abstrakt. Brorhilker zieht die Menschen ins Licht, und gibt dem Strafrecht seinen Glanz, den es im Kern hat: Es misst die individuelle Schuld – und damit Verantwortung – für eine Handlung zu.

Es ist höchste Zeit, dass diese Art von Deals verschwinden. Wir konnten zeigen, dass es an den Behörden liegt, die immer noch nicht zusammen arbeiten und den Betrugsvarianten nicht auf die Schliche kommen.

Und es ist Zeit, dass das Steuergeld zurückgeholt wird. Nochmal zum Mitschreiben: Es sind weltweit 150 Milliarden Euro nach unseren neuen Erkenntnissen. Auch Banken sollten sich der Verantwortung stellen.

Wir wollen mit Ihnen eine kleine Umfrage starten: Was würden Sie mit dem Geld machen, das uns allen geklaut wurde? Hier können Sie teilnehmen.

China: Wohlstand für alle statt ungebremstes Wachstum

Quelle: IPG-Journal   – Asien 01.10.2021 | Alicia García-Herrero

Das Ende einer Ära

Das harte Durchgreifen der chinesischen Regierung gegen Evergrande illustriert ihr verändertes Motto: Wohlstand für alle statt ungebremstes Wachstum.

Der chinesische Großkonzern Evergrande ist seit langem ein Symbol für China. Er ist nicht nur ein Immobilienentwickler, sondern ein Konglomerat mit vielen verschiedenen Unternehmensbereichen, darunter auch der Herstellung von Elektrofahrzeugen. Dass Evergrande so groß werden konnte, lag auch an einer enormen „Hebelung“ durch die Aufnahme von Fremdkapital. Solche Kredite werden dazu verwendet, Investitionen zu tätigen oder Projekte durchzuführen. Entwickeln sich diese Aktivitäten nicht gut, vervielfachen sich dadurch aber auch die möglichen Risiken. Evergrande war in diesem Sinne sehr stark „gehebelt“, d.h. die Schulden waren höher als das Eigenkapital.

Dies schien niemanden zu stören, bis Präsident Xi Mitte 2017 eine Expertenkommission zum Schuldenabbau chinesischer Konzerne einberief. Danach ging die Konzernverschuldung allerdings ungehindert weiter, bis die Wirtschaft – und damit auch der Immobiliensektor und natürlich Evergrande – von der Covid-19-Pandemie getroffen wurde. Der chinesische Immobiliensektor ist schon seit langem zu groß und zu riskant aufgestellt. Dies ist kein Zufall, sondern stand im Mittelpunkt des Plans der chinesischen Führung, die Wirtschaft nach der globalen Finanzkrise von 2008 wiederaufzubauen. Das Immobilienangebot und den entsprechenden Sektor zu fördern war für die Lokalregierungen, die Wachstum und Beschäftigung steigern wollten, ein leichter Weg, Einkünfte zu erzielen.

Der chinesische Immobiliensektor ist schon seit langem zu groß und zu riskant aufgestellt.

Die chinesische Wirtschaft zeigte schon 2010 klare Anzeichen einer Überhitzung, was zum größten Teil am Bauboom lag. Dies veranlasste die Regulierungsbehörden, die Kreditvergabe der Banken an den bereits übermäßig verschuldeten Immobiliensektor zu begrenzen. Daraufhin fanden die Entwickler jedoch andere Wege, ihre Finanzierung zu sichern: Sie gaben große Mengen Anleihen heraus und trieben die Vorabverkäufe von Wohnungen aggressiv voran. Und da sie für den inländischen Anleihenmarkt die Zustimmung der Regulierungsbehörden benötigten, wechselten viele zum US-Dollar-Anleihenmarkt im Ausland.

Die Nachfrage nach Wohnraum in China war insoweit gesichert, dass Immobilien die wichtigste Möglichkeit für Investoren waren, angesichts der immer noch drakonischen Kapitalabflusskontrollen ihre Ersparnisse anzulegen. Die Anlage in Immobilien war für die chinesischen Haushalte eine Goldgrube, da die Preise bis vor kurzem fast stetig stiegen. 2021 aber gingen die Wohnungspreise plötzlich zurück. Dies hatte mehrere Gründe.

Der erste und entscheidende Punkt ist, dass der plötzliche Regulierungsschub zur Kontrolle der überstrapazierten Bilanzen der Immobilienentwickler dazu geführt hat, dass einige große Immobilienkonzerne wie China Fortune Land umstrukturiert wurden – bereits bevor Evergrande in Schieflage geriet. Mit anderen Worten, die chinesischen Haushalte sind, obwohl sie in den lokalen Medien immer noch von rosigen Bildern des Sektors und der chinesischen Wirtschaft überschwemmt werden, bei ihren Investitionen in Immobilien zunehmend vorsichtig geworden.

Der zweite Grund ist, dass die verschärften Kontrollen nicht nur die Entwickler betreffen, sondern auch die Käuferinnen und Käufer von Immobilien, die hohe Anzahlungen leisten müssen und Angst vor der Einführung einer landesweiten Immobiliensteuer haben, über die es seit einiger Zeit Gerüchte gibt.

Und schließlich spüren die chinesischen Haushalte die Belastung durch eine Wirtschaft, die in den letzten Jahren rapide zurückgegangen ist – nicht nur aufgrund ihrer eigenen Überkapazitäten, sondern auch durch den Handels- und Technologiekrieg mit den USA und die Pandemie.

Die chinesische Regierung greift hart durch gegen den Immobiliensektor, indem sie die sogenannten „drei roten Linien“ eingeführt hat: Ihre Verschuldung soll gesenkt sowie ihre Abhängigkeit von Vorabverkäufen und Kurzfristfinanzierung begrenzt werden. Dies findet vor dem Hintergrund statt, dass sich das langfristige chinesische Wirtschaftsziel von Wachstum hin zu gemeinsamem Wohlstand verändert.

Gemeinsamer Wohlstand ist Xi Jinpings neues wirtschaftliches Mantra

Dieser gemeinsame Wohlstand ist Xi Jinpings neues wirtschaftliches Mantra, um die Bedeutung besserer Einkommensverteilung und stärkerer Gleichberechtigung zu betonen. Extrem hohe und weiter steigende Wohnungspreise sind wahrscheinlich die wichtigste Quelle für die Ungleichheit der Einkommen in China. Der Zugang zu bzw. der Mangel an Wohnraum ist ein entscheidender Faktor für die Erklärung von Wohlstandsunterschieden.

In diesem Umfeld war Evergrande aus mehreren Gründen ein Hauptziel für die harte Vorgehensweise der Regierung.

  • Zunächst ist der Konzern einfach der größte Immobilienentwickler.
  • Zweitens ist er auch der am stärksten verschuldete und überschreitet alle drei der oben erwähnten roten Linien.
  • Und drittens ist Evergrande – über seine Notierung an der Hongkonger Aktienbörse und seine Anleiheemissionen am dortigen Auslandsmarkt – massiv von ausländischen Investoren abhängig. Die meist in Dollar notierten ausstehenden Anleihen im Umfang von fast 20 Milliarden US-Dollar wurden hauptsächlich von ausländischen Privatbanken und Vermögensverwaltern für ihre reichen Kundinnen und Kunden gekauft.

Seit letzten Donnerstag ein Zinscoupon einer Dollaranleihe nicht ausgezahlt wurde, ist es klar, dass Evergrandes Auslandsschulden umstrukturiert werden. Nimmt man den Konzern China Fortune Land als Beispiel, der selbst im Umstrukturierungsprozess steckt, muss dies nicht unbedingt in Form eines nominalen Schuldenschnitts stattfinden, sondern kann auch bedeuten, dass die Laufzeiten verlängert und die fälligen Zinszahlungen verringert werden. Falls es darauf hinausläuft, werden die ausländischen Investoren wahrscheinlich erleichtert sein, da sie dann über die Zukunft ihrer Investitionen in Evergrande Klarheit bekommen.

Allerdings ist der Konzern immer noch zum größten Teil (der 300 Milliarden US-Dollar Gesamtverschuldung) im Inland verschuldet. Diese Kredite müssen bedient werden – insbesondere die umgerechnet 200 Milliarden Dollar, die Evergrande von chinesischen Haushalten als Vorauszahlungen bekommen hat. Fast 1,5 Millionen Haushalte im Land warten darauf, dass Evergrande ihre Wohneinheiten fertigstellt. Dies wird sicherlich geschehen, da auch andere Immobilienentwickler massiv von Vorauszahlungen abhängig sind. Würde also Evergrande seine Versprechen nicht erfüllen, würden die Vorverkäufe von Immobilien in China austrocknen, was die meisten Immobilienentwickler an den Rand des Abgrunds bringen würde. Darüber hinaus passt es nicht zur Strategie des gemeinsamen Wohlstands, die Verluste auf die Haushalte abzuwälzen. Also hat die chinesische Regierung bereits klar signalisiert, dass sich die Lokalregierungen um die unvollendeten Projekte kümmern werden.

Wirtschaftlicher Erfolg ist nicht länger das Ziel, und finanzielle Exzesse werden bestraft.

Zur Zukunft der chinesischen Wirtschaft ergeben sich daraus zwei grundsätzliche Schlussfolgerungen.

Erstens wird der chinesische Immobiliensektor wegen der Evergrande-Probleme nicht zusammenbrechen, da öffentliche Gelder eingesetzt werden, um die Folgen für das chinesische Wirtschaftssystem zu lindern. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle, insbesondere die ausländischen Investoren, vollständig entschädigt werden. Evergrande muss auch als Warnsignal vor den Risiken übermäßiger Verschuldung dienen.

Die zweite Erkenntnis ist, dass Chinas Wachstum unter all dem leiden wird. Nicht nur der Immobiliensektor, der entscheidend zu Investitionen, Beschäftigung und Wachstum des Landes beiträgt, wird sich nach Evergrandes Niedergang verlangsamen, sondern auch die Investoren allgemein werden – angesichts des drastischen Wandels der chinesischen Prioritäten – zunehmend vorsichtig sein.

Kurz gesagt: Wirtschaftlicher Erfolg ist nicht länger das Ziel, und finanzielle Exzesse werden bestraft. Die wichtigste Strategie ist nun, zum gemeinsamen Wohlstand beizutragen – und dies auch um den Preis enttäuschter Privatinvestoren und damit einer möglichen Stagnation der Wirtschaft.

Die Öffentlichkeit und ihre Feinde

Bernd Stegemann: Die Öffentlichkeit und ihre Feinde520 Aufrufe – Premiere am 04.05.2021

Reihe: zwei nach zwölf. Gespräch über Gott und die Welt

Die Öffentlichkeit ist zersplittert und weithin zerstritten. Bernd Stegemann analysiert die verschiedenen Blockaden der Öffentlichkeit und findet sie in den sozialen Netzwerken, den Populismen, Bio- und Identitätspolitiken und den Verkürzungen von Political Correctness, Cancel Culture und Wokeness. In der Klimakrise des Anthropozäns wird die Suche nach Transzendenz zur wichtigsten Anstrengung und damit die Klärung des Verhältnisses von Ökologie und Religion.

Bernd Stegemann ist Dramaturg am Berliner Ensemble und seit 2005 Professor für Theatergeschichte und Dramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Zuletzt: Die Öffentlichkeit und ihre Feinde, Stuttgart 2021; Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik, Berlin 2018.


»geDRUCKtes« Nr. 65 Gesine Lötzsch und Bernd Stegemann2.201 Aufrufe – Live übertragen am 06.11.2018


#TN17 Theater & Netz: „Gespenster der Freiheit“ mit Bernd Stegemann und Ralf Fücks1.653 Aufrufe – 08.05.2017

Gespenster der Freiheit – Die offene Gesellschaft und die neuen Populisten Streitgespräch mit Bernd Stegemann (Dramaturg & Autor) und Ralf Fücks (Publizist, Vorstand Heinrich Böll Stiftung)

Hat die offene Gesellschaft samt ihrer Eliten allzulange ihre Kollaboration mit dem neoliberalen Kapitalismus ausgeblendet bzw. verschleiert, mit dem sie viele gemeinsame Interessen verbindet und damit den Hass der Ausgeschlossenen selbst provoziert? Oder ist die gegenwärtige Krise der liberalen Demokratie das Symptom einer fundamentalen Verunsicherung in einem Transformationsprozess, der am effektivsten mit einer Stärkung der parlamentarischen Demokratie und ihrer Institutionen und Organe zu begegnen ist? Darüber streiten der Dramaturgieprofessor Bernd Stegemann und Grünen-Vordenker und Vorstand der Heinrich Böll Stiftung Ralf Fücks, die beide gerade thesenstarke Bücher zum Thema veröffentlicht haben. Moderation: Esther Slevogt

Streitfrage Identitätspolitik

Identitätspolitik _ diverse Themen _Vorträge_Talkrunden

Identitätspolitik – worum es geht

Die Karriere des Begriffs »Identitätspolitik« fast aus dem Nichts an die Spitze der politischen Tagesordnung war kurz und steil.

Sie hat drei Quellen, die weiterhin die drei hauptsächlichen Bedeutungen speisen, die der Begriff heute hat. Sie alle eint das Konzept einer Politik, die auf der kulturellen Zugehörigkeit zu speziellen Gruppen besteht und nur deren Interessen vertritt.

Da der Begriff sowohl auf die Politik kultureller Identitätsgruppen zielt, die die Vorherrschaft gegenüber anderen Gruppen erstreben, besonders eindeutig im Fall der rechten, ethnisch basierten Identitätspolitik, wie aber auch auf die Bestrebung der Gleichstellung kultureller Minderheiten (etwa Homosexuelle) haftet ihm eine grundlegende Mehrdeutigkeit an, die sich immer erst im Verwendungskontext selbst auflöst.

Sein herausragendes Profil gewinnt der Begriff aber in allen Zusammenhängen durch die Akzentsetzung auf kulturelle statt auf ökonomische oder politische Interessen. Daher stellen sich identitätspolitische Konflikte vorranging als Anerkennungs- und nicht als Verteilungskämpfe dar, obwohl diese drei Dimensionen in der Realität häufig verschmelzen. Da Identitäten nicht teilbar (wenn auch kombinierbar) sind, neigt Identitätspolitik in allen Varianten zur Polarisierung und Kompromisslosigkeit. …“

Quelle: Zeitschrift „Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte“

Zeitschrift: Aus Poltik und Zeitgeschehen 02_2019 Identitätspolitik (Bundeszentrale für Politische Bildung)