Atomwaffenverbotsvertrag: Bundestagsdebatte

Quelle: Website ICAN

„Bundestag debattierte  am 18.10.2018 über den Atomwaffenverbotsvertrag

Es war eine der lebhaftesten Debatten zum Atomwaffenverbotsvertrag überhaupt. Während das Thema vor ein paar Jahren lediglich in Halbsätzen Erwähnung fand, wird der Verbotsvertrag nunmehr auf Bundesebene als realistische Option verhandelt.

Am 18. Oktober diskutierte der Bundestag über den Antrag der Linksfraktion: „Dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten – Atomwaffen abziehen“. Erwartungsgemäß wurde er mit den Stimmen der Großen Koalition abgelehnt. Die FDP votierte ebenfalls dagegen, die AfD enthielt sich, Grüne und Linke stimmten dafür.

Matthias Höhn von den Linken appellierte an den Bundestag: „70 Prozent der Bevölkerung […] möchten, dass wir dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten und dass die US-Atomwaffen abgezogen werden. Hören Sie doch einmal auf die eigene Bevölkerung, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ Katja Keul von den Grünen pflichtete ihm bei: „Der Verbotsvertrag ist die einzige Hoffnung für den Fall eines erneuten Scheiterns der nächsten Überprüfungskonferenz“ des Nichtverbreitungsvertrags.

Während der SPD-Politiker Dr. Fritz Feigentreu die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen zwar anerkennend nannte, gestand er ihr jedoch alleinig zu, Atomwaffen wieder auf die Agenda gesetzt zu haben. Es sei kein Widerspruch, eine nuklearwaffenfreie Welt zu wollen, und gleichzeitig die stabilisierende Wirkung der nuklearen Abschreckung anzuerkennen, meint Feigentreu. Damit befindet er sich auf einer Linie mit FDP, CDU/CSU und AfD. Sie wollen zwar eine atomwaffenfreie Welt, sehen den Verbotsvertrag aber als hinderlich an. Er „konterkariere“ den Nichtverbreitungsvertrag (Anita Schäfer, CDU) und sei eine „Scheinlösung“ (Thomas Erndl, CSU).

Bisweilen schnitten sich die Verbots-Gegner jedoch ins eigene Fleisch. Der Linken-Politiker Höhn machte seinen CDU-Kollegen Roderich Kiesewetter darauf aufmerksam, dass seine Aufzählung von Staaten mit Atom-Ambitionen doch gerade die Notwendigkeit einer globalen Ächtung von Atomwaffen bestätige.

Und Erndl von der CSU führte an, der Atomwaffenverbotsvertrag habe eine Ausstiegsklausel und nur geringe Standards zur Überprüfung ziviler Atomprogramme.

Dabei verschwieg Erndl, dass auch der von ihm gelobte Nichtverbreitungsvertrag über eine Ausstiegsklausel verfügt (die Nordkorea bereits nutzte) und die Vorlaufzeit zum Ausstieg beim Verbotsvertrag sogar länger ist als im Nichtverbreitungsvertrag – also eine zusätzliche Sicherheitsgarantie darstellt. Genauso verlangt der Atomwaffenverbotsvertrag nicht nur mindestens die gleichen, sondern meistens sogar höhere Standards zur Überprüfung. In beiden, von Erndl vorgebrachten Aspekten, würde eine Unterstützung des Atomwaffenverbotsvertrags durch die deutsche Regierung also für mehr Sicherheit sorgen.

Trotz der mehrheitlichen Ablehnung des Verbotsvertrags ist die begonnene Diskussion im Bundestag ein gutes Zeichen für ICAN. Es ist zu hoffen, dass mit einer genaueren Auseinandersetzung mit dem Atomwaffenverbotsvertrag auch dessen Stärke zunehmend erkannt und bestätigt wird.“

Das Plenarprotokoll zur Debatte gibt es hier als pdf.

Bundestagsdebatte zum Atomwaffenverbotsvertrag am 23.02.18

Bundestagsdebatte zum Atomwaffenverbotsvertrag mit Reden von: 00:36 Christine Buchholz (Die Linke) 05:08 Frank Steffel (CDU/CSU) 12:20 Karl-Heinz Brunner (SPD) 21:43 Robby Schlund (AfD) 27:25 Alexander Müller (FDP) 32:06 Jürgen Trittin (GRÜNE) 36:44 Nikolas Löbel (CDU/CSU) 42:06 Michael Kuffer (CDU/CSU)

„Die Spur des NSU 2.0 führt bis nach Neukölln“

Quelle: Presseschau der Bundeszentrale für Politische Bildung, kommentierte Link-Liste (sehr empfehlenswert!)

 „Die Spur des NSU 2.0 führt bis nach Neukölln“

Deutschlandfunk Kultur vom 22.07.2020)

Der Linken-Politiker Ferat Kocak befürchtet, dass Anschläge wie die von Hanau und Halle auch in Neukölln möglich werden könnten.

Die Debatte um das rechtsextreme Terrornetzwerk NSU 2.0, Brandanschläge auf Autos in Berlin, Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt: Diese Themen bestimmen den Alltag von Ferat Kocak seit langem. Der Aktivist engagiert sich bei der Partei Die Linke, er lebt in dem Berliner Brennpunkt-Ortsteil Nord-Neukölln. Im Jahr 2018 wurde ein Anschlag auf sein Auto verübt. Die Flammen gingen auf das Haus seiner Eltern über – die Familie konnte sich gerade noch rechtzeitig retten.“

https://kurz.bpb.de/pbn

Kirchen zur atomaren Aufrüstung: neue Initiativen zur nuklearen Abrüstung erforderlich

Der Vorsitzende der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Bischof Dr. Heiner Wilmer äußerte sich zu der aktuellen Diskussion im Deutschen Bundestag zur Bedeutung der nuklearen Abrüstung und nuklearen Teilhabe wie folgt:

Das Gute an den Aussagen von Herrn Mützenich ist, dass sie das weit verbreitete Vermeidungsverhalten im Umgang mit den Problemen der nuklearen Abschreckung durchbrechen und wichtige Fragen stellen. Allerdings habe ich Zweifel, dass ein deutscher Alleingang uns in der Sache voranbringt. Aber auch die geradezu reflexhafte Abwehr der Aussagen greift oftmals zu kurz. Es ist klar: Die Bedrohung durch Nuklearwaffen nimmt zu. Eine Haltung des „Es ist noch immer gut gegangen“ ist nicht auf der Höhe der Herausforderung. Ebenso reicht es nicht, auf die in der Tat beunruhigenden Aktivitäten der Russischen Föderation zu verweisen. Daher ist meine Erwartung, dass die Bundesregierung innerhalb der NATO einen Prozess anstößt, der ernsthaft nach Alternativen zur nuklearen Abschreckung sucht. Das Konfliktvermeidungsverhalten innerhalb der NATO kommt in der Atomwaffenfrage an seine gefährlichen Grenzen.“

Die Deutsche Kommission Justitia et Pax hat 2019 ein Positionspapier „Die Ächtung der Atomwaffen als Beginn nuklearer Abrüstung“ veröffentlicht, in dem sie die ethische Notwendigkeit der nuklearen Abrüstung unterstreicht.


Die historische Chance nutzen (6. August 2017)

Erklärung des pax christi-Präsidenten Bischof Heinz Josef Algermissen, Fulda, anlässlich des 72. Jahrestages der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki

Der Beschluss eines Atomwaffen-Verbotsvertrages durch die Vereinten Nationen am 7. Juli 2017 ist ein historischer Tag. 72 Jahre nach dem Abwurf von Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki mit verheerenden Folgen ist damit ein großer Schritt zur Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen getan.

Nach Jahrzehnten stockender Abrüstung sendet die überwältigende Mehrheit der Staaten durch diese internationale Vereinbarung eine deutliche Botschaft vor allem an die Atomwaffenstaaten: Der bisherige Sonderstatus der Atommächte ist nicht länger akzeptabel. Das neue völkerrechtlich verbindliche Abkommen verbietet neben der Herstellung, dem Einsatz und Besitz auch die Drohung mit einem Nuklearschlag sowie die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten.

Damit wird eine bestehende völkerrechtliche Lücke geschlossen. Chemie-, Biowaffen und Landminen waren schon länger verboten, paradoxerweise aber die schrecklichsten und gefährlichsten Massenvernichtungswaffen nicht. Mit dem Verbot kommt das Völkerrecht der schon 1965 vom Zweiten Vatikanischen Konzil geforderten Verwerfung jeder Art von Massenvernichtungswaffen nach. „Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist.“ (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 80).

Für die Atomwaffenbesitzer und die Nato bedeutet der Vertrag eine Abkehr von der Abschreckungspolitik. Schon im März dieses Jahres hieß es in der Botschaft von Papst Franziskus an die UNO-Konferenz zu Verhandlungen über das Atomwaffenverbot: „Eine Ethik und ein Recht, die auf der Drohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise der Vernichtung der ganzen Menschheit – beruhen, widersprechen dem Geist der Vereinten Nationen.“

Wenn Deutschland diese historische Chance nun ergreifen und dem Vertrag beitreten würde, hätte das zur Bedingung, dass die im Raketendepot in Büchel/Hunsrück gelagerten Atomwaffen abgezogen werden müssten. Denn die Vertragsstaaten des neuen Abkommens dürfen auf ihrem Territorium weder die Stationierung noch den Transport von Atomwaffen anderer Staaten zulassen.

Eine Überwindung der Atomwaffen wird nur zu erreichen sein, wenn die Staaten Schritte des Vertrauens aufeinander zu wagen. „Das gemeinsame Schicksal der Menschheit erfordert die pragmatische Stärkung des Dialogs sowie Aufbau und Konsolidierung von Mechanismen des Vertrauens und der Zusammenarbeit, die in der Lage sind, Voraussetzungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen“, heißt es in der Botschaft des Papstes vom 23.03.2017 an die UN.

So fordere ich die verantwortlichen Politiker in Deutschland auf mutig voranzugehen, den Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland zu beschließen und dem Vertrag für ein Atomwaffenverbot beizutreten.

Die katholische Friedensbewegung pax christi wird sich als Teil der Kirche wie der Zivilgesellschaft weiter aktiv für die Durchsetzung des Verbots und die Vernichtung aller Atomwaffen einsetzen. „Während man nämlich riesige Summen für die Herstellung tödlicher Waffen ausgibt, kann man nicht genügend Hilfsmittel bereitstellen zur Bekämpfung all des Elends in der heutigen Welt“ (Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 81). Mit diesem Skandal werden wir uns jiemals abfinden.


Gewaltfrei in einer Welt voller Gewalt

Warum die Friedenskundgebung der EKD im Ansatz richtig ist

Was die Synodalen der EKD in Dresden zum Thema Frieden beschlossen haben, rede die Welt schön und sei Ausdruck einer theologischen Verirrung, kritisierte Johannes Fischer kürzlich an dieser Stelle. Auf ihn reagiert nun Christine Busch, Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, die zur Vorbereitungsgruppe der Friedenskundgebung gehörte.

Der ganze Beitrag ist hier nachzulesen:  Warum die Friedenskundgebung der EKD im Ansatz richtig ist Christine Busch

Wir geben den letzten Absatz der Rede von Christine Busch wieder:

„Politischer Kleinmut bei Atomwaffen

Die großen planetarischen Bedrohungen unserer Zeit sind Menschenwerk – der Klimawandel und die Nuklearwaffen. Beide Themen nimmt die Kundgebung auf.

Die Frage atomarer Bewaffnung beschäftigt die EKD seit über 60 Jahren; die Denkschrift von 2007 hatte die Erwartung geweckt, von der Ablehnung der Drohung mit Atomwaffen nun zu einer klaren Forderung nach nuklearer Abrüstung bzw. nach dem Verbot und der Ächtung nuklearer Waffen zu kommen. Die Synode 2019 hält die Einsicht für unausweichlich, „dass nur die völkerrechtliche Ächtung und das Verbot von Atomwaffen den notwendigen Druck aufbaut, diese Waffen gänzlich aus der Welt zu verbannen“.

Sie nennt ausdrücklich den Bruch des Budapester Memorandums, die Kündigung des INF-Vertrages, die steigende Gefahr eines Einsatzes oder Unfalls, die Wirkungslosigkeit atomarer Abschreckung gegen konventionelle Angriffe, die real existierende Bedrohung durch in Büchel lagernde Atomsprengköpfe, und sie hält den Atomwaffenverbotsvertrag von 2017 für überfällig: das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen sei breiter Konsens, doch der Weg dorthin umstritten.
Trotz aller Einsichten vermeidet die Synode jedoch die unumwundene Forderung an die Bundesregierung, den Verbotsvertrag umgehend zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Stattdessen fordert sie – ohne Fristen zu nennen –, konkrete Schritte einzuleiten „mit dem Ziel, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen“ auf der Basis noch zu führender Verhandlungen in NATO, EU und OSZE.

Dass die angemahnten Themen hoch komplex sind und langwierige Prozesse erfordern, spricht nicht gegen sie, doch als gradualistisches Verhandlungskonzept kommt der Vorschlag der Synode faktisch der herrschenden politischen Linie entgegen, die den Verbotsvertrag in Konkurrenz zum geltenden Nichtverbreitungsvertrag sieht und daher nicht verfolgt. Deutschland, das sich an den Beratungen zum Atomwaffenverbotsvertrag nicht beteiligte, vermeidet also die Auseinandersetzung, die die bisherigen 122 Unterzeichnerstaaten eröffnen.

Eine völkerrechtliche Ächtung atomarer Massenvernichtungswaffen zielt auf ihre Delegitimierung, wie sie z.B. mit der Ächtung von chemischen Waffen und Landminen durchgesetzt wurde. Politisch ist es dringend erforderlich, die unterschiedlichen Verträge aufeinander zu beziehen, also die Nichtverbreitung und das Verbot von Atomwaffen als notwendige und gleichberechtigte Strategien zu verfolgen. Global Zero als realpolitischer und moralischer Imperativ (Niels Annen) erfordert die Ächtung aller Nuklearwaffen und den Abbau aller nuklearen Arsenale ohne Verzögerung.

Faktisch belässt es die EKD-Kundgebung jedoch noch und weiterhin bei der atomaren Teilhabe, die Deutschland einen nicht-ständigen Platz im UN-Sicherheitsrat ermöglicht. Die Feststellung, „dass auch vom deutschen Boden (Büchel) atomare Bedrohung ausgeht, kann uns nicht ruhig lassen“ ist vor diesem Hintergrund folgenlose Lyrik.

Die synodale Unruhe reicht noch nicht für die politisch eindeutige Forderung, den Verbotsvertrag umgehend zu zeichnen und zu ratifizieren. Das noch der Heidelberger Thesen von 1959 klingt wieder an. In der Denkschrift 2007 schien das noch überwunden zu sein: „Aus der Sicht evangelischer Friedensethik kann die Drohung mit Nuklearwaffen heute nicht mehr als Mittel legitimer Selbstverteidigung betrachtet werden“ (Zf.162), ebenso mit dem Beschluss der Synode 2010 zur Ächtung von Atomwaffen.  Doch das ist die Crux: nicht drohen, nur haben – und stecken bleiben in der Logik der Gewalt.“

Christine Busch (Christine Busch ist Landeskirchenrätin i.R. und Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, Düsseldorf)


Das „Friedenstheologisches Lesebuch“, hrsg. von der EKD im Rahmen der 6. Tagung der 12. Synode der EKD 2019 kann hier entweder in Papierfassung bestellt oder als pdf kostenlos heruntergeladen werden.

AfD: Im Parlament gegen das Parlament

Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik – Ausgabe April 2018 – Autor: Gideon Botsch – Auszug aus dem Artikel 

 AfD: Im Parlament gegen das Parlament

Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern diskutieren derzeit kontrovers darüber, ob die Alternative für Deutschland (AfD) oder einzelne Strömungen und Gliederungen der Partei wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen beobachtet werden müssen. Bereits 2017 hätten mehrere Länder den Präsidenten des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen, „mehrfach erfolglos gebeten […], einer Materialsammlung zuzustimmen“.[1]

Zwar gibt es gute Gründe, die Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes grundsätzlich zu kritisieren. Doch bei der gegenwärtigen Praxis ist die Nichtbeobachtung der AfD nicht nur ein Freibrief für deren Funktionäre und Anhänger, sondern bedeutet objektiv auch eine Diskriminierung all jener politischen Kräfte, die beobachtet werden.

Ganz unabhängig davon bedarf es einer Diskussion um die Einschätzung der AfD. Auch Vertreter der demokratischen Parteien, zivilgesellschaftliche Initiativen und weite Teile der Medien haben sich dem bislang nicht hinreichend gestellt. Aus taktischen Rücksichtnahmen soll offenkundig vermieden werden, Wähler zu stigmatisieren – auch aus der Angst heraus, die AfD könne sich als Opfer der „etablierten Parteien“ stilisieren (was sie aber ohnehin tut und tun wird).

Doch die Kampfansage kommt von der AfD: Im Januar erklärte Alexander Gauland vor laufenden Kameras: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“ Diese Bürgerkriegsrhetorik ist zwar Ausdruck der Radikalisierung der Partei. Sie steht aber auch in einer Linie mit Gaulands Eröffnungsrede als Alterspräsident des Brandenburgischen Landtags Anfang Oktober 2014, die seinerzeit als „intelligente demokratietheoretische Abhandlung“ wahrgenommen wurde, tatsächlich aber von pluralismusfeindlichem Gedankengut geprägt war.[2]

Im Bundestag fällt die AfD-Fraktion bislang, wie bereits zuvor in den Landtagen, vor allem mit kalkulierten Provokationen und medienwirksamen Inszenierungen auf.[3] Auf diesen Kurs hat sie sich auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember 2017 in Hannover verständigt. Bei derselben Gelegenheit machten die Delegierten deutlich, dass Positionen wie die des Berliner Landesvorsitzenden Georg Pazderski, der die AfD mittelfristig koalitionsfähig machen wollte, in der Partei nicht mehr mehrheitsfähig sind.

Für konstruktive parlamentarische Oppositionsarbeit ist die AfD offenkundig nicht zu haben. Sie ist im Kern eine antiparlamentarische Partei, die die Grundlagen der bundesdeutschen Demokratie zerstören will. Daher ist sie auch weder daran interessiert noch dazu geeignet, innerhalb des Rahmens des politischen Systems eine Repräsentationslücke am rechten Rand zu schließen.

Betrachtet man die Entwicklung der AfD in den bald fünf Jahren seit ihrer Gründung, so entsteht der Eindruck, als würde sie sich wie eine Kugel auf einer schiefen Ebene in immer schnellerer Fahrt nach rechts unten bewegen.

Im Jahr 2013 begann sie als eine Rechtsabspaltung der Unionsparteien, die ein bürgerliches und seriöses Erscheinungsbild wahren wollte. Jedoch mobilisierte sie schon zu Beginn die Wähler verschiedener Rechtsaußenparteien und integrierte Kräfte der äußersten Rechten, darunter auch mehr oder weniger offene Rechtsextremisten. Geschickt vermied sie zunächst eine zu starke öffentliche Wahrnehmbarkeit dieser Positionen und Personen.

Kurs auf Fundamentalopposition

Frühe Wahlerfolge in drei ostdeutschen Bundesländern bestärkten den populistischen Rechtsaußenkurs. Die AfD positionierte sich daraufhin verstärkt als parteipolitischer Arm einer radikalnationalistischen und rassistischen Protestbewegung, deren wichtigstes Kampagnenthema die Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten war.

Dabei zeigte sich, dass ihre Wähler wenig Wert auf die Formulierung konkreter politischer Alternativen legen. Zumindest hat es der AfD bislang nicht geschadet, dass ihren Abgeordneten in den Landesparlamenten weithin Indifferenz und Inkompetenz in Sachfragen und Zurückhaltung in der Ausschussarbeit nachgewiesen wurde – was mit der lautstarken Nutzung der Plenardebatten als propagandistische Plattform deutlich kontrastiert.[4]

Im Sommer 2015 wurden dann die bekanntesten Repräsentanten eines „nationalliberalen“ Flügels um den Parteigründer Bernd Lucke aus der Partei gedrängt. Jörg Meuthen, der einflussreiche Landeschef von Baden-Württemberg, ging bald darauf ein strategisches Bündnis mit dem offen rechtsextremen „Flügel“ um den thüringischen Landeschef Björn Höcke ein. Für die Wahl Meuthens als einem von zwei Bundesvorsitzenden im Dezember 2017 ist seine enge Kooperation mit dem Ko-Vorsitzenden Alexander Gauland vermutlich noch bedeutender.

Gauland, die wichtigste Integrationsfigur für die Gesamtpartei, wurde in der Öffentlichkeit lange als persönlich integrer, konservativer Intellektueller wahrgenommen, obwohl er von Anfang an für den Rechtsaußenflügel stand. Seit seiner Eröffnungsrede im Brandenburgischen Landtag versäumte er kaum eine Möglichkeit, eine „fundamentaloppositionelle“ Strategie der AfD einzufordern.[5] In eine Regierungskoalition würde die Partei unter Gauland allenfalls als stärkste Kraft eintreten, damit sie selbst die Bedingungen diktieren kann.

Gerade an Gaulands öffentlichen Auftritten lässt sich verdeutlichen, wie rasch sich die AfD seit dem Spätsommer 2015 radikalisierte und welchen Anteil die mit ihr verbundene Straßenbewegung an dieser Radikalisierung hat. Bezeichnend dafür ist eine Episode, die sich im Juni 2016 bei einer Kundgebung im brandenburgischen Elsterwerda ereignete: Hier übernahm Gauland eine neonazistische Parole, die er auf einem mitgeführten Plakat eines Kundgebungsteilnehmers las.[6] Bei ihrer Hetzkampagne gegen die demokratisch legitimierte Regierung Merkel übernahmen auch viele andere AfD-Spitzenpolitiker offen rechtsextreme Rhetorik und propagierten den „Widerstand“.

Getragen von dieser Straßendynamik setzte der formierte rechtsextreme Teil der Partei im Januar 2017 zur Offensive an. Eine wesentliche Funktion der „Dresdner Rede“ von Björn Höcke war es, seine Partei auf den Weg einer „fundamentaloppositionellen Bewegungspartei“ und ihre Fraktionen auf den Weg „fundamentaloppositioneller Bewegungsfraktionen“ einzuschwören. Daher diffamierte er innerparteiliche Repräsentanten einer Professionalisierung der parlamentarischen Praxis und Befürworter einer verantwortlichen Politik auf Landesebene als Karrieristen und „Luckisten“.[7] Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, dass die rechtsextreme Strömung um Gauland und Höcke formiert und handlungsfähig war, während gegenläufige Tendenzen zwar noch existierten, aber nicht einmal mehr über starke und öffentlich wahrnehmbare Repräsentanten verfügten.

Der verfassungsfeindliche Charakter der AfD erschließt sich aber auch aus ihrer Programmatik. Das zentrale Dokument bleibt bis auf weiteres ihr Grundsatzprogramm von 2016. Um seine Aussagen einordnen zu können, muss die radikalisierte Rhetorik in der Parteipublizistik und bei öffentlichen Auftritten von Spitzenfunktionären ebenso berücksichtigt werden wie die parlamentarische – genauer: antiparlamentarische – Praxis.

[1] Vgl. Jörg Köpke, Geheimdienstchefs halten AfD für gefährlich, www.rnd-news.de, 7.3.2018; Markus Decker, Die AfD im Visier, in: „Berliner Zeitung“, 8.3.2018.

[2] Vgl. Alexander Fröhlich, Gaulands Volonté générale, in: „Potsdamer Neueste Nachrichten“, 9.10.2014.

[3] Vgl. Evelyn Roll, Aufgepasst, in: „Süddeutsche Zeitung“, 16.1.2017.

[4] Vgl. Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels, Christian Neusser und Alexander Berzel, Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten. Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) 2017.

[5] Vgl. „Wir dürfen nicht mitregieren, nirgends!“ Interview mit Alexander Gauland, in: „Compact“, 3/2016, S. 16-18.

[6] Vgl. Mitteilungen der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Nr. 1, Januar 2017, S. 7.

[7] Vgl. Björn Höcke, Rede am 17.1.2017 im Ballhaus Watzke im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dresdner Gespräche“, organisiert von der „Jungen Alternative“, Compact TV, www.youtube.com/watch?v=sti51c8abaw.

Vollständiger Text hier: Im Parlament gegen das Parlmat Blätter für deutsche und internationale Politik April 2018

(Kurze) Filme: Rassismus – Was tun?

Schwarzfahrer | Oscar-prämierter Kurzfilm von Pepe Danquart — 06.12.2016

In der Straßenbahn. Eine ältere Dame sitzt einem Schwarzen gegenüber. Er wird für sie zur Zielscheibe ihrer Hasstiraden auf Ausländer und Asylanten. „Schwarzfahrer“ schöpft stilsicher und pointiert die Möglichkeiten des Kurzfilms aus. Auf humorvolle und unterhaltsame Weise behandelt er ein aktuelles Thema: Rassismus. Der Film erhielt 1994 den Oscar in der Kategorie Kurzfilm.

Wie man auf Rassismus reagieren kann | „Ausstieg Rechts“ – mit Cornelius Obonya & Thomas Maurer 27.07.2018

Als ein schwarzer Mann in einem überfüllten Bus Opfer eines unbegründeten Missbrauchs wird, gibt es nur einen Fahrgast, der die Situation nicht wie alle anderen ignorieren wird.

Offensiv gegen Rassismus: Eine Frage der Haltung | Sportclub | NDR –  27.04.2020

Die Sportclub Story hat drei Menschen begleitet, die offensiv gegen Rassismus und Diskriminierung vorgehen: Basketball-Profi Konstantin Konga, Eintracht-Frankfurt-Präsident Peter Fischer und Schiedsrichter Jamaine Arhin.