Die große Transformation

„In seinem soeben veröffentlichten Sonderbericht zur Erderwärmung fordert der Weltklimarat schnelle und weitreichende Veränderungen bei der Energieerzeugung, der Landnutzung, dem Städtebau, im Verkehrs- und Bausektor sowie der Industrie. Genau darum geht es auch unserem Redner Prof. Dr. Uwe Schneidewind, der mit dem Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie einen der führenden Think Tanks der Nachhaltigkeitsforschung leitet. Mit seinem neuen Buch Die Große Transformation. Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels legt er eine Blaupause für den Weg in eine nachhaltige und gerechte Welt mit Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen vor. Wir haben ihn dazu befragt:

Herr Professor Schneidewind, Ende August ist Ihr Buch „Die Große Transformation“ erschienen. Welche Veränderung ist damit genau gemeint?

Econ Redner Uwe SchneidewindDie „Große Transformation“ meint die Zivilisationschance, die wir im 21. Jahrhundert vor uns haben: Erstmalig in der Menschheitsgeschichte ist es möglich, dass bald 10 Milliarden Menschen auf diesem Planeten in Würde leben können, obwohl er ökologisch begrenzt ist. Die technologischen Möglichkeiten und die ökonomische Kraft dafür haben wir. Aber es braucht noch einen erheblichen politischen, institutionellen und kulturellen Wandel, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen: für eine neue Mobilität, neue Fomen der Welternährung, unserer Energieversorgung oder der Organisation unserer Städte. Das ist mit der Großen Transformation gemeint. Im Buch bezeichnen wir den erfolgreichen Umgang mit dieser Aufgabe als „Zukunftskunst“.

Seit vielen Jahren diskutieren wir über Nachhaltigkeit und doch steigt der Umwelt- und Ressourcenverbrauch immer weiter an. Was macht Sie optimistisch, dass die Große Transformation gelingen kann?

Optimismus und Hoffnung begründen sich nicht in erster Linie daraus, dass wir sicher sind, dass etwas gut ausgeht. Sie sind vielmehr von der Überzeugung getragen, dass da ein Ziel ist, für das es sich in jedem Fall zu kämpfen lohnt. Die „Große Transformation“ ist ein solches Ziel. Und ohne das breite Engagement in Politik, Zivilgesellschaft, Unternehmen und Wissenschaft werden wir es auf gar keinen Fall erreichen. Auch wenn derzeit viele Zeichen eher skeptisch stimmen, scheint der Boden für einen umfassenden Zivilisationssprung bereitet. Wenige Monate vor dem Fall der Mauer im Jahr 1989 hat auch niemand damit gerechnet, dass es zu diesem Schritt kommt.

Wenn Sie nicht Wissenschaftler, sondern Umweltminister wären – welche Aufgabe würden Sie als erstes anpacken?

Was wir brauchen, sind gesellschaftliche „Laborräume“, in denen wir neue Formen der Zukunft ausprobieren: neue Formen der Mobilität, des Zusammenlebens in der Stadt oder der sozialen Sicherung wie die eines Grundeinkommens. Deutschland ist als Techniknation groß geworden, weil wir den Mut zum Tüfteln und Experimentieren hatten. Diesen Mut brauchen wir auch in der Weiterentwicklung unserer Städte, unserer Politik und unserer Wirtschaftsordnung. Als Umweltminisister würde ich mich für eine solche Experimentierkultur einsetzen.“ (Quelle: Econ Referenten Agentur)


Wird die Welt des Jahres 2050 eine bessere und nachhaltigere sein? Wer und was entscheidet eigentlich, in welche Richtung sich Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten entwickeln?  Prof. Dr. Uwe Schneidewind möchte mit seinem Vortrag „Auf dem Weg zur Zukunftskunst. Akzeptanz nachhaltiger Entwicklung in der Gesellschaft“ zur Diskussion über Nachhaltigkeitsbewusstsein, -engagement und -kritik in unserer heutigen Zeit einladen.
 

Welche Wirtschaftswissenschaft brauchen Politik und Gesellschaft? (am 1.2.18 veröffentlicht)

Energiewende, Mobilitätswende, der digitale Wandel, die soziale Desintegration, die Prozesse der Globalisierung: Die großen Transformationen dieser Tage haben in ihrem Kern immer ökonomische Ursachen und Wirkungen. Geben die heutigen Wirtschaftswissenschaften für diese Debatten eine ausreichende Orientierung? Oder braucht es eine neue und erweiterte Wirtschaftswissenschaft?

In einem Aufruf haben über 30 namhafte Wirtschaftswissenschaftler/innen eine „transformative Wirtschaftswissenschaft“ gefordert. Sie setzt sich mit der Rolle der Wirtschaftswissenschaften in Transformationsprozessen auseinander und fordert, dass die Wirtschaftswissenschaften diese Rolle aktiver und verantwortungsvoller sowie mit neuen Methoden und konzeptionellen Ansätzen wahrnehmen. Brauchen wir eine andere Wirtschaftswissenschaft für die Politik- und Gesellschaftsberatung?

Diese Frage diskutierten:  Uwe Schneidewind, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie; Katharina Dröge, MdB Bündnis 90/Die Grünen; Peter Bofinger, Universität Würzburg. Moderation: Barbara Unmüßig,Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Der Präsident des Wuppertal Instituts, Prof. Dr. Uwe Schneidewind auf der „goldenen Couch“ (Talk 10/12)

Making Utopie possible – Prof. Dr. Uwe Schneidewind

Vortrag von Prof. Dr. Uwe Schneidewind: „Zukunftskunst – Engagement für eine nachhaltige Zukunft  08.03.2020

Uwe Schneidewind über die sozialökologische Transformation | 06.02.2020

Ökoroutine – Damit wir das tun, was wir für richtig halten. Michael Kopatz ist Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. 2016 erschien sein Buch „Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten“, in dem er zeigt, wie sich durch einfache Standards und Limits der Energieverbrauch drastisch reduzieren lässt – z. B. für Verpackungen, Lampen und Häuser.

Rüstungsexporte – 2019 neuer Rekord

Die Zahl der Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegsgerät ist bis Ende September 2019  bereits erheblich gestiegen. Die meisten Exporte gingen nach Ungarn, gefolgt von Ägypten.

Die deutschen Rüstungsexporte steuern im Jahr 2019 auf einen Spitzenwert zu. Bereits bis Ende September stiegen die Exportgenehmigungen um 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf ein Volumen von 6,35 Milliarden Euro. Dieser Betrag könnte bis zum Jahresende die Rekordwerte aus den Jahren 2015 und 2016 von 7,86 beziehungsweise 6,85 Milliarden Euro übertreffen. Die Zahlen für dieses Jahr gehen aus einer Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Omid Nouripour hervor.

Scheinbare Überraschung

Bereits zur Jahreshälfte hatten die Exportgenehmigungen mit 5,3 Milliarden Euro die des gesamten Vorjahres (4,8 Milliarden) übertroffen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte das mit der langen Hängepartie bei der Regierungsbildung nach der Wahl 2017 erklärt. Dadurch sei ein Entscheidungsstau entstanden und der sprunghafte Anstieg daher „nur scheinbar überraschend“.

Die mit Abstand meisten Exporte wurden mit 1,77 Milliarden Euro für den EU- und NATO-Partner Ungarn genehmigt. Die dortige rechtsnationale Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban rüstet massiv auf und will die Verteidigungsausgaben verdoppeln. Dahinter folgt das an der von Saudi-Arabien geführten Kriegsallianz im Jemen beteiligte Ägypten mit 802 Millionen Euro.

Mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) ist ein weiteres Land aus dieser sunnitischen Allianz, die gegen die vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen kämpft, unter den Top Ten der Empfängerländer. Der ölreiche Golfstaat steht mit 206 Millionen Euro auf Platz neun. Inzwischen haben sich die VAE aber mit Saudi-Arabien überworfen und den Abzug ihrer Truppen aus dem Jemen angekündigt.

Ausnahmen von der Regel

Union und SPD hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag im März 2018 vorgenommen, Exporten an die „unmittelbar“ am Jemen-Krieg beteiligten Staaten einen Riegel vorzuschieben. Es wurden aber Ausnahmen zugelassen. Ein kompletter Exportstopp wurde nach der Ermordung des regierungskritischen Journalisten Jamal Khashoggi allerdings gegen Saudi-Arabien verhängt.

Unter den zehn wichtigsten Empfängerländern sind neben den VAE und Ägypten mit Algerien auf Platz 7 (238 Millionen Euro) und Katar auf Platz 8 (212 Millionen Euro) zwei weitere arabische Staaten. Daneben finden sich in den Top Ten vier NATO-Staaten. Neben Ungarn sind das die USA, Großbritannien und Norwegen. Dazu kommen Australien und Südkorea, die bei Waffenexporten ähnlich wie NATO-Länder behandelt werden.

Quelle: DW

Den Kapitalismus gibt es nicht – Alternativen zum Neoliberalismus und seinen die Welt zerstörenden Auswirkungen

Seit über dreißig Jahren nimmt das Wohlstandgefälle stetig zu – und zwar weltweit. Für immer mehr Menschen in allen Teilen der Welt bedeutet dies heftigste Einschränkungen in sämtlichen Lebensbereichen – von Bildungs- und Gesundheitsfragen, bis hin zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe. Gleichzeitig lassen sich die bekannten Auswirkungen eines vom sogenannten Westen maßgeblich verursachten hemmungslosen Ressourceneinsatzes kaum anders deuten, als dass es gerade in den industrialisierten Ländern zwingend und rasch zu einem Umdenken kommen muss.

Wir dürfen Ökosysteme, Kreisläufe, Flora und Fauna nicht vollkommen dem grassierenden billigen und kurzfristigen Konsumismus preisgeben und so nachfolgende Generationen in ihren Möglichkeiten die Welt zu Gestalten vollkommen einschränken. Mit beiden Komplexen eng verwoben sind kriegerische Auseinandersetzungen, die mittlerweile nur noch mühsam unter der Tarnkappe der Menschenrechte geführt werden können, tatsächlich aber den Zugang zu Ressourcen und Bodenschätzen sichern sollen – beschönigend „Geopolitik“ genannt.

Am 20. September 2019 veranstaltete der Westend Verlag in der Evangelischen Akademie in Frankfurt eine Podiums-Diskussion zum ThemaDen Kapitalismus gibt es nicht – Alternativen zum Neoliberalismus und seinen die Welt zerstörenden Auswirkungen“. Der Veranstaltungsmitschnitt wurde in zwei Teile aufgeteilt – Die Zuschauerfragen werden am 26.09.2019 auf diesem Kanal separat in einem zweiten Teil ergänzt.

Moderiert von Edith Lange (ARD-Fernsehjournalistin), diskutierten die Westend-Autor*en Ulrike Herrmann (Autorin u.a. von „Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen“ und Wirtschaftsredakteurin der taz), Heiner Flassbeck (Autor u.a. von „Preise, Zins und Wechselkurse“ und Herausgeber von Makroskop und ehemaliger Chefvolkswirt der UNCTAD in Genf) und Moshe Zuckermann (Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv) über das Problem und die Unfähigkeit nicht nur der Linken, Alternativen zum neoliberalen Weltbild zu entwickeln oder auch nur die alternativen Konzepte aufzugreifen, die es längst gibt.

Auch interessant:

Prof. Dr. Elmar Altvater (attac) zum Thema „Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen“ (2007) im Theater Freiburg, veranstaltet von der Tele-Akademie (SWR)   (am 03.09.2019 veröffentlicht).
Prof. Dr. Elmar Altvater (attac) (* 24. August 1938 in Kamen; † 1. Mai 2018 in Berlin) war Politikwissenschaftler, Autor und Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin.Nach der Emeritierung am 30. September 2004 war Altvater in Forschung und Lehre am Institut weiterhin aktiv. Außerdem war er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat von attac.

Betriebsrente: Und plötzlich hält die Krankenkasse noch mal die Hand auf

Millionen Betriebsrentner müssen zweimal Sozialbeiträge zahlen. Viele Betroffene fühlen sich betrogen – weil sie gar keine betriebliche Altersvorsorge vereinbart hatten.

Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten schätzt, dass mindestens 6,3 Millionen Menschen unter die sogenannte Doppelverbeitragung fallen. In dem 2015 gegründeten Verein haben sich mehr als 2.000 Betroffene organisiert, die zwischen 1974 und 2004 eine Direktversicherung abgeschlossen hatten und dafür nach heutiger Rechtsprechung von den Krankenkassen zur Kasse gebeten werden, obwohl sie aus ihrem Nettogehalt in diese Anlageverträge einzahlten.

Das Problem an diesen Verträgen ist: Sie wurden über die Arbeitgeber abgeschlossen – oft weil es technisch gar nicht anders möglich war. Also war der Arbeitgeber der Versicherungsnehmer. Allein dieser Umstand reicht aus, um ein Anlageprodukt als Betriebsrente zu deklarieren. Für Betriebsrenten werden seit der Einführung des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) im Jahr 2004 Sozialabgaben fällig – und zwar in vollem Umfang, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil zusammen. So entschied es das Bundessozialgericht (BSG) in einem 2004 gefällten und 2008 bestätigten Urteil (Az.: B 12 KR 6/08 R).

Viele Betroffene fühlen sich ungerecht behandelt: Sie hätten ihre Versicherungen unter anderen rechtlichen Voraussetzungen abgeschlossen:  „Wir gingen davon aus, dass wir keine Sozialbeiträge zahlen müssen. Genau aus diesem Grund haben wir ja Direktversicherungen und keine Betriebsrenten abgeschlossen“, sagt Gerhard Kieseheuer, der Vorsitzende des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten. Der Verein fordert, dass die Beitragspflicht abgeschafft werden soll – und die bereits gezahlten Beiträge erstattet werden müssen.

Für ihre Forderungen finden die Ruheständler derzeit jedoch wenig Verständnis. Gerade erst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel  den Plänen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) zur Abschaffung der Doppelverbeitragung eine klare Absage erteilt. Spahn hatte einen Gesetzentwurf vorgelegt, der vom 1. Januar 2020 an die Krankenkassenbeiträge auf Betriebsrenten halbieren würde. Ein Großteil der Finanzierungslücke in den gesetzlichen Kassen, immerhin drei Milliarden Euro, sollte nach Spahns Vorschlag vor allem aus Steuermitteln finanziert werden. Doch nicht nur Finanzminister Olaf Scholz (SPD) lehnte das ab, auch die Kanzlerin findet das viel zu teuer und verweist auf den Koalitionsvertrag: Dort ist von einer Beitragsentlastung für Betriebsrentnerinnen und -rentner nichts vereinbart.

Kieseheuer und seine Mitstreiter sind darüber wütend. Könnte sich Spahn doch noch durchsetzen, würden auch die mehr als sechs Millionen echten Betriebsrentner profitieren. Die meisten von ihnen aber wussten, dass sie Beiträge, auch doppelte, bei Renteneintritt entrichten müssten. Und die meisten von ihnen haben in ihre Betriebsrenten gerade eben nicht aus Nettolöhnen eingezahlt. Die Sache ist aber noch etwas komplexer, denn es gibt auch Betriebsrentnerinnen und angehende Betriebsrentner (denn viele Verträge laufen noch), die von der vollen Beitragslast kalt erwischt wurden.

Vom halben Beitrag würden viele echte Betriebsrentner profitieren

Zwar waren Betriebsrenten schon seit 1982 beitragspflichtig – lange Zeit gab es aber nur Modelle, an denen sich die Arbeitgeber finanziell beteiligten. Das änderte sich im Jahr 2002: Mit dem Altersvermögensgesetz (AVmG) wurde eine vermeintlich steuerbegünstigte und angeblich beitragsfreie Form der betrieblichen Altersvorsorge eingeführt, nämlich die Umwandlung eines Teils des Bruttogehalts vor Steuern und Sozialabgaben. So wollte die Politik eine betriebliche Altersvorsorge auch für jene ermöglichen, die in Unternehmen arbeiteten, in denen es keine Betriebsrente und finanzielle Beteiligung durch den Arbeitgeber gab.

Eine solche Bruttoentgeltumwandlung gibt es bis heute in vielen Firmen. Dabei steckt der Arbeitgeber einen Teil des Bruttolohns in eine Direktversicherung oder einen Fonds und spart sich auf diese Weise Sozialabgaben. Weil diese Form der Altersvorsorge besonders gefördert ist, sparen auch die Beschäftigten zunächst Steuern und Sozialabgaben, müssen aber mit Renteneintritt sowohl den vollen Kranken- und Pflegekassenbeitrag bezahlen als auch Steuern, sofern die Rente höher als 155 Euro im Monat ist. Wird das Geld auf einen Schlag als Kapitalabfindung ausgezahlt, werden die Beiträge für zehn Jahre monatlich fällig.

Bis 2004 aber gab es eine Umgehungsmöglichkeit: Wurde die Kapitalabfindung noch vor Rentenbeginn als Einmalzahlung vereinbart, blieb sie beitragsfrei. Bei vielen Produkten konnten Versicherte daher wählen, ob sie sich die ganze Summe kurz vor Rentenbeginn auf einen Schlag auszahlen lassen wollten. Das GMG sollte diese Umgehungsmöglichkeit schließen.

Der Verein der Direktversicherungsgeschädigten findet das grundsätzlich richtig. „Wer durch eine Bruttoentgeltumwandlung einzahlt, führt keine Sozialbeiträge ab. Es ist völlig klar, dass diese bezahlt werden müssen“, sagt Kieseheuer. „Wer aber von seinem Nettolohn eingezahlt hat – oder das noch tut, denn viele Verträge dürften unserer Einschätzung nach noch bis zum Jahr 2038 laufen –, der wird im Alter doppelt zur Kasse gebeten. Das muss enden, sofort“, fordert der Vereinsvorsitzende.

Rückabwicklung gilt als unwahrscheinlich

Eine komplette Rückabwicklung der Regelung – also auch eine Rückzahlung aller seit 2004 gezahlten Arbeitgeberbeiträge – würde bis zu 40 Milliarden Euro kosten, hat das Bundesgesundheitsministerium ausgerechnet. Die Direktversicherungsgeschädigten halten die Summe für viel zu hoch. „Um auf diese Höhe zu kommen, muss man auch die Beiträge der echten Betriebsrentnerinnen und -rentner heranziehen. Das ist aber falsch, denn ihre Beiträge sind aus unserer Sicht gar nicht strittig“, sagt Kieseheuer. Der Verein hat daher ein eigenes Gutachten erstellen lassen und kommt auf zehn Milliarden Euro.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hält es für unwahrscheinlich, dass so eine Rückabwicklung kommen könnte. Im Moment sei diese Forderung wenig anschlussfähig. „Die sogenannte Doppelverbeitragung ist im Gegensatz zur Doppelbesteuerung verfassungsrechtlich nicht beanstandet worden, weil diesbezügliche Verfassungsbeschwerden vom Bundesverfassungsgericht wiederholt nicht zur Entscheidung angenommen wurden“, erklärt Markus Hofmann, Abteilungsleiter Sozialpolitik.

Die Gewerkschaften setzen sich dennoch für die Senkung der Abgabenlast für Betriebsrentnerinnen und Betriebsrentner ein. Sie wollen so die betriebliche Altersvorsorge insgesamt stärken. „Für viele Menschen, insbesondere mit niedrigen Löhnen, ist diese Säule der Altersvorsorge sonst wenig attraktiv, weil die hohe Beitragslast die Rendite ihrer Betriebsrente erheblich schmälert“, sagt Hofmann. Problematisch sei in der Regel auch, dass durch die Bruttoentgeltumwandlung die Ansprüche in der gesetzlichen Rentenversicherung sinken. Zuletzt war 2018 das Betriebsrentenstärkungsgesetz in Kraft getreten, wonach der Arbeitgeber bei der neu eingeführten Zielrente einen Zuschuss in Höhe von 15 Prozent gewähren muss, wenn er durch eine Bruttoentgeltumwandlung des Arbeitnehmers Sozialabgaben spart. Diese Regelung war eine Forderung der Gewerkschaften, die so auch erreichen wollten, dass die Beschäftigten nicht allein auf den Kosten für ihre Betriebsrente sitzen bleiben.

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