Michael Lüders: „Keinerlei Transparenz im Hinblick auf die von Deutschland gezahlten Preise für die Ersatzbeschaffung nichtrussischen Erdöls“

Michael Lüders beleuchtet in seinem neuen Buch „Moral über alles?…“ u.a. die ökonomischen Folgen der Sanktionspolitik gegenüber Russland  für Deutschland. Im Kapitel 1 befasst er sich mit der wirtschaftlichen Situation der PCK-Raffinerie in Schwedt. Obwohl die EU russische Erdölimporte über die Pipeline „Druschba“, die Schwedt bis dato beliefert hat, in ihrem sechsten Sanktionspaket nicht verboten hatte, hat sich die Bundesregierung entschieden, kein russisches Erdöl mehr exportieren.

Die Produktion in Schwedt wurde im Januar 2023 deshalb um 30 Prozent reduziert. Lt. Lüders lag die Auslastung aber nur bei 55 Prozent. Sinke sie unter 50 Prozent, schreibt Lüders, müsse die Rafferinerie den Betrieb einstellen. Profitabel sei der Betrieb der PCK bei einer Quote von 75 Prozent. Die Versorgung mit einer ausreichenden Menge nichtrussischen Erdöls sei für das Jahr 2023 nicht gesichert (Lüders, S. 20).

Es gäbe zwei Wege, „den Ausfall russischen Erdöls zu kompensieren“ (S. 21): „Zum einen soll eine bereits bestehende Rohrleitung von Rostock nach Schwedt saniert und ausgebaut werden. Deren Kapazität wird aber bei weiterem nicht ausreichen.“ (S. 21).

Über Danzing solle Schwed künftig überwiegend norwegisches Erdöl erhalten, das in nachfragestarken Zeiten dem Vernehmen nach fünf- bis zehnmal teurer sei als das russische Erdöl. (Lüders, Moral über alles, S. 24). In diesem Kontext äußert Lüders dann:  Es gäbe „keinerlei Transparenz im Hinblick auf die von Deutschland gezahlten Preise für die Ersatzbeschaffung nichtrussischen Erdöls.“ (S. 24)

Interessant in diesem Kontext ist ein aktueller Zeitungsbericht des Nordkuriers vom 11.07.2023 mit der Überschrift: Energieversorgung: Schlittert PCK Schwedt in eine polnische Abhängigkeit?

Berichtet wird:

Das AufatmenEnde Juni war weit über die Uckermark hinaus zu vernehmen – entsprechend präsidial war auch der Rahmen. In Anwesenheit von Bundespräsident Frank–Walther Steinmeier wurde in Kasachstan eine Vereinbarung zwischen der Ölraffinerie in Schwedt und dem zentralasiatischen Staat geschlossen. Demnach erhält PCK bis Ende 2024 jeden Monat 100.000 Tonnen Rohöl aus Kasachstan. Mit der langfristigen Lieferung werde sich die Auslastung der Raffinerie um etwa zehn Prozentpunkte erhöhen, hieß es am Rande der Unterzeichnung.

Das sichere die Zukunft des Standortes Schwedt und damit auch der Treibstoffversorgung in Ostdeutschland. „Das ist eine gute Nachricht für Schwedt und eine gute Nachricht für die Energiesicherheit in Deutschland“, betonte der Bundespräsident. Die Raffinerie PCK versorgt Berlin und große Teile Ostdeutschlands mit Treibstoff. Bis Ende 2022 verarbeitete sie hauptsächlich Rohöl aus Russland. Im Zuge der Sanktionen gegen Russland wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine beschloss die Bundesregierung, auf russisches Öl zu verzichten. Seitdem werden andere Bezugsquellen und neue Lieferwege gesucht. 

Teilweise betrug die Auslastung der Raffinerie in den vergangenen Monaten lediglich 50 bis 60 Prozent – vor wenigen Tagen wurde erstmals gemeldet, dass die Auslastung des Werks auf 70 Prozent gestiegen sei. Doch schon am Dienstagabend dürfte das Aufatmen der Vergangenheit angehören, beim Treffen der „Task Force PCK“ — Mitglieder sind führende Köpfe aus Bundes– und Landespolitik sowie kommunale Vertreter — dürfte erneut die Versorgung der Raffinerie mit Rohstoffen auf der Tagesordnung stehen. Hintergrund: Nach Informationen des Nordkurier plant der polnische Pipeline–Betreiber Pern bis zum Jahr 2027 die Fertigstellung einer zweiten Pipeline von Danzig bis nach Plock. Diese Pomeranian II würde die bisherige dortige Kapazität um weitere 25 Millionen Tonnen Rohöl pro Jahr erweitern. 

Bald kein Interesse mehr an Öl aus Kasachstan?

Was das für die Ölraffinerie in Schwedt bedeuten könnte, erläutert Christian Görke, Ex–Finanzminister im Land Brandenburg und heute Bundestagsabgeordneter der Linken: „Pern und damit der polnische Staat investieren nicht aus Nächstenliebe in eine Kapazitätssteigerung. Gepaart mit dem indirekten Angebot des Bundes, die seit Beginn des Krieges in der Ukraine unter Treuhand stehenden früheren russischen Rosneft–Anteile an der PCK Orlen anzudienen, entwickelt sich eine neue Abhängigkeitssituation.“ Orlen gehört zu 49,9 Prozent dem polnischen Staat, die übrigen Anteile teilen sich ein niederländischer Fonds und weitere Eigentümer“. Görkes Befürchtung: „Wenn Orlen Mehrheitsgesellschafter bei PCK wird und die Pommeranian II gebaut wird, wird kein Interesse mehr an Öl aus Kasachstan bestehen.“ PCK würde „von einer Abhängigkeit in die Nächste schlittern“. Der Linkspolitiker weiter: „Um das zu verhindern, brauchen wir dringend die große Lösung — eine bundeseigene, moderne und wasserstofftaugliche Pipeline von Rostock nach Schwedt.“

Ertüchtigung steht auf der Kippe

Außerdem liefere das Pipeline–Vorhaben auf polnischer Seite ein weiteres Argument für die Europäische Union, um der Ertüchtigung der Pipeline Rostock Schwedt einen Riegel vorzuschieben. Schließlich sei mit den zusätzlichen 25 Millionen Tonnen Rohöl, die durch die Pommeranian II fließen würden, die Versorgungssicherheit nicht mehr in Gefahr. Görke wörtlich: „Jetzt rächt sich das Verschlafen des Bundeswirtschaftsministeriums bei der Antragseinbringung zur EU–Beihilfe.“

Zur Erinnerung: Aktuell ist offenbar noch nicht geklärt, ob die Ertüchtigung der aus dem Jahr 1969 stammenden Pipeline Rostock–Schwedt überhaupt genehmigt werde. „Aus beihilferechtlichen Gründen steht die Finanzierung der Ertüchtigung auf der Kippe“, sagt Görke. Die Verhandlungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit der EU hinsichtlich des EU–Vergaberechts bei der Ertüchtigung der alten Pipeline sind nach Nordkurier–Recherchen noch nicht abgeschlossen. Die entscheidende Frage: Ist es rechtlich möglich, die private Pipeline, die Eigentum der Anteilseigner des PCK Schwedt ist, mit 400 Millionen Euro staatlicher Hilfe aufzurüsten? Diese Summe hatte das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen eines Zukunftspakets zur Transformation der Ölraffinerie zugesagt.“

Ungarn, die Slowakei und Tschechien beziehen weiterhin russisches Erdöl

Ungarn, die Slowakei und Tschechien beziehen weiterhin russisches Erdöl über den Südstrang der Erdölpipeline „Druschba“ (Freundschaft).

Diese paradox klingende Information erfährt man u.a. durch die Lektüre des neuen Buches von Michael Lüders „Moral über alles? Warum sich Werte und nationale Interessen selten vertragen“. Lüders schreibt im ersten Kapitel seines Buches u.a. über die PCK-Raffinerie in Schwedt an der Oder, in der direkt und indirekt 3.200 Menschen von der Sanktionspolitik – genauer: dem Importverbot für russisches Erdöl – betroffen sind. 2020 wurden in Schwedt 11,5 Mio. t Rohöl raffiniert, 2021 waren es 10,6 Mio. Tonnen.

Der EU-Beschluss vom Juni 2022 sieht vor, dass die russischen Tankerexporte – die zwei Drittel der exportierten Erdölmenge ausmachten – bis Dezember 2022 endgültig eingestellt werden. Nicht betroffen sind aber die Erdölimporte via Druschba.

Lüders schreibt auf Seite 18 seines Buches: „Das ermöglicht vor allem Ungarn, Tschechien und der Slowakei, auch weiterhin preisgünstiges russisches Erdöl über den Südstrang der Pipeline zu beziehen.“ 

Zum Nordstrang der Pipeline, der über Schwedt Deutschland und Polen beliefert hat, schreibt er: „Nichts und niemand hat folglich die Bundesrepublik gezwungen, zumal kein Beschluss aus Brüssel, die russischen Erdölimporte über Schwedt zu beenden. Sie hat es dennoch getan, als Ausdruck ihrer Entschlossenheit, mit dem Reich des Bösen ein für alle Mal zu brechen.. „

Lüders fasst zusammen: „Einerseits sucht der Wirtschaftsminister im Konsens mit westlicher Politik Russland zu schwächen. Andererseits verhängen die maßgeblichen Akteure Sanktionen, die ihrerseits `dazu führen, dass die Erdölpriese steigen´. Mit entsprechenden Mehrkosten für Deutschland. Indem Russland zusätzliche Einnahmen erzieht, konterkoriert Habeck sein propagiertes Ziel, dem `Regime Putin´die ökonomischen Grundlagen zu entziehen.´(S. 19)

Interessant in diesem Zusammenhang ist, was Dana Schülbe  am 24.05.2023 im Tagesspiegel über die Durchleitungsgebühren schreibt, welche die Ukraine seit dem 24.2.22 aus dem Betrieb des Südstranges der Druschba erhält:

Als Moskau im Februar vergangenen Jahres die Ukraine angriff, war in Europa das Thema russisches Öl und Gas sehr schnell auf der Agenda. Deutschland stoppte das Nord-Stream-2-Projekt, und viele europäische Länder versuchen, in Bezug auf Energie unabhängig von Russland zu werden. Die „Washington Post“ zeigt nun einen anderen Strang der einstigen Abhängigkeiten auf – und wie schwierig es ist, sich trotz Krieges von ihnen zu lösen.

Es geht darum, dass nach wie vor russisches Öl und Gas durch die Ukraine geleitet wird – durch die Druschba-Pipeline. Vor allem aber versucht die Washington Post zu erläutern, warum Kiew dies noch immer zulässt (Quelle hier).

So zitiert die Zeitung den Chef des staatlichen ukrainischen Energieunternehmens, Oleksij Tschernyschow, der einräumt, dass dies ein wenig bizarr anmute. Ukrainische Beamte sagten demnach, sie befänden sich diesbezüglich in einer Zwickmühle: Denn einerseits würde der Durchfluss von russischem Öl und Gas Russland Millionen in die Kriegskasse spülen. Auf der anderen Seite brauche aber auch die Ukraine das Geld, dass sie für den Transit aus Moskau erhält. Und es möchte zudem die europäischen Partner, die noch auf dieses Gas und Öl angewiesen sind, nicht verprellen. Es ist also ein zweischneidiges Schwert für das kriegsgebeutelte Land. 

Ein Wirtschaftsexperte, der an den Beratungen zu Sanktionen gegen Russland beteiligt war, erklärt die Aufrechterhaltung des Transits so: Das Öl und Gas würde so oder so auf den europäischen Markt gelangen, da die EU Ausnahmen von ihrem Embargo für Länder wie etwa Ungarn vorgesehen habe. Und Russland habe sich zur Zahlung von Geld verpflichtet. „Warum also nicht das Geld bekommen?“, fragt der Experte. Denn das Ziel der Sanktionen sei nicht, ein generelles Verbot des Handels mit Russland zu erreichen, sondern Russland lediglich insoweit wirtschaftlich zu schaden, ohne der Ukraine mehr Schaden zuzufügen als nötig.! 

Wie der Staat den Markt lenken kann

Rosalux History, Folge 23: Die extreme Rechte nach 1945

Die AfD als kommunalpolitische Herausausforderung

Die Debatte über den Umgang mit der AfD in Kommunalvertretungen muss mit Blick auf die 2024 anstehenden Kommunalwahlen an Kontrast gewinnen. Die Situationen vor Ort sind komplexer, als es der Verlauf der derzeitigen medialen Wortmeldungen nahelegt. Zur Schärfung des Diskurses hierzu einige Thesen zur Auseinandersetzung mit der AfD in der Kommunalpolitik.

Demokratisch handlungsfähig bleiben.

Die gegenwärtige Debatte vermittelt den Eindruck, ohne Zustimmung oder Beteiligung der AfD sei die Kommunalpolitik in einigen Regionen nicht mehr handlungsfähig. Dies trifft nicht zu. Mehrheiten gegen die AfD sind möglich – wenn sie gewollt und politisch klug umgesetzt werden. Hierzu zählt, dass andere Fraktionen oder Zählgemeinschaften eigenständige Anträge einbringen und Allianzen gegen die AfD bilden können.

Sozialräumliche Nähe schafft Loyalität.

Je kleiner der Sozialraum ist, in dem Kommunalpolitik handelt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit persönlich-biografischer, beruflicher, sozialer und habitueller Schnittmengen zwischen Mandatsträger*innen der AfD und denen anderer Parteien. Sozialräumliche Nähe schafft Loyalitätsverhältnisse. Wer in einem Ortschaftsrat sitzt, ist mit dessen Mitgliedern auch andernorts soziokulturell verbunden. Umso wichtiger ist das Rüstzeug, welches Mandatsträger*innen in die Lage versetzt, verantwortungsvolle demokratische Entscheidungen zu treffen, deren Ergebnisse sich nicht allein die AfD gutschreiben kann. Dabei können ein überregionaler kommunalpolitischer Austausch sowie die Hinzuziehung externer Expertise behilflich sein.

Eigene Themen setzen.

Der vermeintliche oder tatsächliche Erfolg der AfD bemisst sich zumeist an ihrer Fähigkeit zur Kommunikation ihrer inhaltlichen Agenda auf direktem Wege an ihre Wähler*innen, etwa über eine ausgefeilte und kontinuierlich betriebene Arbeit in Social-Media-Formaten. Doch gerade im kommunalen Nahraum ist es von Gewicht, der AfD nicht das Agenda-Setting im politischen Sinne sowie im sozialräumlichen Stadt- oder Ortsgespräch zu überlassen. Vielmehr gilt es, eigene Themen zu setzen, die einen inhaltlichen Kontrast zu den Inhalten und zur politischen Kommunikation der AfD deutlich und kontinuierlich zu Tage treten lassen.

Der Einzelfall und der Kontext zählen.

Pauschal für alle Fälle und Situationen gültige Aussagen zum Umgang mit der AfD in einem kommunalpolitischen Kontext jenseits grundsätzlicher Überzeugungen zu treffen, ist nicht arbeitstauglich. Was zählt, ist der Einzelfall und sein unmittelbarer Zusammenhang mit der Gestaltung des Gemeinwesens vor Ort. Das bedeutet, die Kunst der Unterscheidung zu üben, ob eine Entscheidung in jedem Falle der AfD nützt oder ob ein übergeordnetes Interesse stärker zu Buche schlägt. Dabei sollte berücksichtigt werden, nichts zu tun, was die AfD und ihre politisch-ideologische Agenda stützt oder gar stärkt. Dies gilt sowohl auf der Ebene der Entscheidung als auch auf jener der lokalpolitischen Kommunikation gegenüber der Bürger*innenschaft.

Die Kommune als politische Ressource.

Zweifelsohne betrachtet die AfD die Kommunen im Lichte der anstehenden Kommunalwahlen als politische Ressource. Hier will die Partei wachsen und arbeitet an einer langfristigen Verankerung. Es trifft jedoch ebenso zu, dass der Erwerb von Kommunalmandaten durch die AfD nicht gleichbedeutend ist mit kommunalpolitischer Kompetenz und Integrität. Es zeigt sich, dass die AfD-Mandatsträger*innen oftmals die kleinteilige Gremien- und Ausschussarbeit scheuen, wenn sie kein öffentliches Echo findet oder sich mit deren Themen nicht mobilisieren lässt. Ein systematischer kommunalpolitischer Aufbau der AfD ist derzeit nicht erkennbar.

Kommunen stärken, Selbstwirksamkeit ermöglichen.

Um langfristig rechtsextreme Akteure in der Kommunalpolitik zurückzudrängen, bedarf es einer Stärkung der Kommunen in dem Sinne, dass sich die Bürgerschaft vor Ort als politisch wirkungsmächtig und gestaltungsfähig erfährt. Dafür braucht es Kommunen mit ausreichenden Handlungsspielräumen und politischen Entscheidungskompetenzen, eine revitalisierte lokale Öffentlichkeit sowie der Stärkung der demokratischen Teilhabe vor Ort.