Quelle: Merkur, 10.2.22 Patrick Mayer
Waffenlieferungen an die Ukraine?
Sollte Deutschland der Ukraine Waffen liefern? Umfrage-Ergebnis für Baerbock und Co. überrascht
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Deutschland müssen sich in der Ukraine-Krise Kritik gefallen lassen. Doch: Was sagen die Bürger? Eine Umfrage ging dieser Frage nach.
München – Die diplomatischen Bemühungen um eine Deeskalation des Ukraine-Konflikts laufen in Deutschland, Frankreich und den USA auf Hochtouren. Doch: Nur ein Drittel der Deutschen wünscht sich eine aktivere Unterstützung der Ukraine durch die Bundesregierung. So sprechen sich nach einer aktuellen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Ipsos nur 15 Prozent der Bundesbürger für deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Die Befragten waren aufgefordert, von vier Meinungen diejenige auszuwählen, der sie am stärksten zustimmen.
Ukraine-Konflikt: Umfrage zur Unterstützung durch Deutschland
Weitere 18 Prozent sind der Meinung, die Ampel-Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP solle als Teil der Konfliktlösung die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 verhindern. Demgegenüber steht ein gutes Drittel der Befragten (35 Prozent), das sich von der Bundesregierung wünscht, sich aus dem Konflikt herauszuhalten und weder Russland noch die Ukraine zu unterstützen. Diese Option fand also die größte Zustimmung.
Ebenfalls fast ein Drittel (32 Prozent) der Befragten meint sogar, Deutschland solle darauf hinwirken, dass die russischsprachigen Regionen der Ost-Ukraine in freien Wahlen entscheiden können sollten, ob sie Teil der Ukraine bleiben wollen.
Nord Stream 2 polarisiert indes offenbar stark. Wenn es darum geht, die Verhinderung der Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 im Ukraine-Konflikt als Druckmittel gegen Russland zu verwenden, stimmen vor allem die Anhänger der FDP zu. 29 Prozent halten diesen Schritt für eine richtige Lösung, sogar noch mehr als dafür sind, Neutralität zu wahren.
Auch bei Befürwortern von SPD (24 Prozent) und Grünen (23 Prozent) ist die Zustimmung zu dieser Maßnahme vergleichsweise hoch, wobei jedoch größere Teile dafür sind, ganz von einer Einmischung abzusehen. Unions- (18 Prozent) und AfD-Anhänger (6 Prozent) finden alle anderen Lösungsansätze passender als die Gaspipeline zur Disposition zu stellen. Und auch bei den Linken können sich nur 15 Prozent für diese Maßnahme erwärmen.
Für die repräsentative Erhebung waren am 4. Februar 1.000 Personen in Deutschland im Alter von 16 bis 75 Jahren online befragt worden. (pm)
Pro und Contra zum Rüstungsexport Soll Deutschland Waffen an die Ukraine liefern?
Nicht nur die Politik streitet über die richtige Hilfe für das von Russland bedrohte Land. Auch unsere Redaktion ist sich uneins. Ein Pro und Contra.
Großbritannien hat beschlossen, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Diese Entscheidung setzt die Bundesregierung unter Druck. Sollte Deutschland nachziehen? Ein Pro von Christoph von Marschall und Contra von Malte Lehming.
Pro Waffenlieferungen (Christoph von Marschall)
Die Resistenz bei SPD und Grünen gegen eigene Lernerfahrungen ist erstaunlich. Sie verweigern der Ukraine die Lieferung von Verteidigungswaffen. Sogar Schutzwesten und Helme sind umstritten. Sie hatten sich doch in den Jahrzehnten seit Ende des Kalten Kriegs mehrfach zur Einsicht durchgerungen: Der Grundsatz, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, ist unmoralisch, wenn man damit den Opfern übermächtiger Nachbarn die Chance zur Verteidigung nimmt. In den Balkankriegen mussten Zehntausende sterben, ehe Deutschland den Bedrängten half. Eine rot-grüne Regierung schickte die Bundeswehr in den Kosovokrieg zum Schutz der Albaner vor den Serben.
Als die Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien und im Irak wütete, rüstete Deutschland Kurdenmilizen mit Waffen aus, damit sie religiöse Minderheiten wie die Jesiden vor den Mördern retten. Als Robert Habeck im Mai nach einem Frontbesuch in der Ostukraine sagte, man könne den Angegriffenen Abwehrwaffen nicht verweigern, durfte man hoffen: Der innerparteiliche Streit ist geklärt. Die Grünen sind endgültig in der Realmoral angekommen.
Und nun wieder zurück auf Start, unter Rückgriff auf Argumente, die empirisch widerlegt sind? Das Exportrecht ist kein Hindernis, wenn man es nicht zu einem machen will. Das zeigt die Bewaffnung der Kurden. Zur Behauptung, die Lieferung von Abwehrwaffen führe zur Eskalation, sagen Amerikaner und Ukrainer: Die Aufständischen hätten ihre russischen Panzer zurückgezogen, als publik wurde, dass die Ukraine panzerbrechende Waffen aus den USA erhalten hat.
Großbritannien und die USA liefern weitere Verteidigungswaffen, darunter zur Luftabwehr, um Russlands militärische Vorteile zu kontern. Es geht nicht darum, die Ukraine so auszurüsten, dass sie einen Krieg gegen Russland gewinnen kann; sondern dass der Preis an gefallenen Soldaten, Kriegs- und Besatzungskosten für Putin abschreckend hoch wird. Die Ukraine ist heute nicht mehr eine so leichte und billige Beute wie die Krim 2014. Viele Ukrainer sind zur Gegenwehr entschlossen – und im Fall einer russischen Besatzung zu Widerstand. Ihr Land solle für Putin so schwer verdaulich werden wie ein Stachelschwein für Raubtiere, heißt es.
Reicht das aus, um Putin vom Angriff abzuhalten? Das weiß nur er selbst. Er hat seine Truppen schon einmal aufmarschieren lassen und sie wieder abgezogen, offenbar weil ihm der Preis für einen Angriff zu hoch war. Warum nicht wieder?
Dennoch, da liegt ein ernster Einwand: Falls Putin fest entschlossen ist, anzugreifen, könnten Waffenlieferungen einen Krieg verlängern, den die Ukraine mit umso mehr Toten bezahlt. Aber: Sollten die Ukrainer diese Abwägung nicht besser selbst treffen? Es klingt nach einem weiteren Beispiel für überhebliche Sondermoral, wenn Deutschland die Haltung einnimmt, es wisse besser als die Betroffenen, was gut für sie ist.
Waffenlieferungen an die Ukraine erhöhen die Chance, dass Putin nicht angreift. Wie erbittert sich die Ukrainer wehren, falls er es doch tut, entscheiden die Ukrainer. Die Ampelparteien sollten auch diesen Teil des Selbstbestimmungsrechts achten.
Contra Waffenlieferungen (Malte Lehming)
Der Westen ist entschlossen, Wladimir Putin als Bluffer zu entlarven. Dessen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine ist der größte in Europa seit Ende des Kalten Krieges. Der Autokrat droht mit einem erneuten Einmarsch in das souveräne Land. Zu seinen Forderungen zählen die Verpflichtung der Nato, Georgien und die Ukraine nicht als Mitglieder aufzunehmen sowie der Verzicht auf Raketenabwehrsysteme im östlichen Teil Europas.
Die Nato will keine dieser Bedingungen erfüllen. Sie betont das Recht jedes Landes auf nationale Selbstbestimmung und setzt auf Abschreckung. Putin müsse einsehen, dass eine militärische Aggression mehr Kosten verursacht als Nutzen bringt. Gedroht wird mit scharfen Sanktionen, einem Ausschluss aus dem Dollar-Verrechnungssystem Swift, einem Ende von Nord Stream 2.
Das klingt so richtig wie rational. Das Problem ist nur, Putin ist seinerseits entschlossen, den Westen als Bluffer zu entlarven. Die USA hält er für dekadent, die Europäische Union für zahnlos. Er weiß, dass die Nato der Ukraine militärisch nicht helfen wird. Er glaubt, dass die Angst des Westens vor Chaos auf den Weltmärkten und – im Falle ausbleibender russischer Erdgas-Exporte – vor eisigen Wohnungen und explodierenden Energiepreisen größer ist als der Wille, das Völkerrecht zu verteidigen.
Wie sinnvoll ist es in dieser extrem labilen Situation, in der Fehlinterpretationen nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich sind, an die Ukraine Waffen zu liefern? Die USA tun es, Großbritannien tut es, Deutschland tut es nicht. Das hat allerdings wenig mit Appeasement, sondern viel mit Realpolitik zu tun.
Darauf zu hoffen, dass Putin ohne irgendein vorzeigbares Resultat seine Truppen unverrichteter Dinge wieder abziehen lässt, ist naiv. Sein Land ist Atommacht, er will im Konzert der Mächtigen mitspielen und respektiert werden. Waffenlieferungen an die Ukraine wird er als weiteren Demütigungsversuch empfinden. Ist es das wert?
Zu fragen ist auch, ob solche Waffen in einem Krieg das Leiden vergrößern. Die Ukraine kann Russland militärisch nicht Paroli bieten. Sollte sie es mit Hilfe westlicher Waffen versuchen, könnte Putin das als Vorwand nehmen, noch härter zuzuschlagen. Die Ukraine hat, wie jedes souveräne Land, das Recht auf Selbstverteidigung. In welchem Umfang sie davon Gebrauch macht, muss sich auch an den Erfolgsaussichten messen lassen.
Über Putin darf sich keiner Illusionen machen. Er hat Georgien und die Ukraine überfallen, unterstützt Syriens Assad, lässt Dissidenten ermorden, höhlt die Demokratie aus, wo immer es geht. Die Bedingungen, die er der Nato stellt, sind inakzeptabel.
Doch die Strategie, wie er von einer weiteren Invasion in die Ukraine abgehalten werden kann, erfordert neben Brustgetrommel vor allem Klugheit. Die Kriegsgefahr ist immer dann am größten, wenn ein Aggressor nichts zu befürchten oder nichts mehr zu verlieren hat. Da eine Nato-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine ohnehin nicht akut ist, könnte sie etwa, befristet auf zehn Jahre, auf Eis gelegt werden. Vielleicht gibt sich Putin mit einem solchen Mini-Triumph zufrieden. Es käme auf einen Versuch an.
Ein Gastbeitrag von Herfried Münkler 29. Januar 2022
Ukraine-Krise: Deutsche Sonderwege
Bei ihrem Umgang mit der Ukraine-Krise beruft sich die Bundesregierung auf Moral und Geschichte. Das soll vor allem verdecken, dass man strategisches Denken verlernt hat.
Auszug aus dem Text von H. Münkler*: „Aber auch in den Kreisen, die sich professionell mit strategischen Fragen befassen, dreht sich fast alles um das so bezeichnete „Sicherheitsdilemma“, wonach eine Anstrengung zur Verbesserung der eigenen Sicherheit, etwa durch die Erhöhung der Verteidigungsausgaben oder die Anschaffung von Abwehrwaffen, zu einem wachsenden Bedrohungsempfinden auf der anderen Seite führte, auf das diese dann ihrerseits mit der Erhöhung der Verteidigungsausgaben reagiere, wodurch sich Erstere noch mehr bedroht fühle und so weiter. So kommt eine Spirale in Gang, bei der jede Anstrengung zur Verbesserung der eigenen Sicherheit tatsächlich zu erhöhter Unsicherheit führt, weil die Rüstungspotenziale beider Seiten in der wechselseitigen Wahrnehmung immer bedrohlicher werden.
Dieses Dilemma der sich gegenseitig konterkarierenden Sicherheitsanstrengungen ist gut beobachtbar und die naheliegende Konsequenz daraus lautet, die Rüstung in gegenseitigem Einvernehmen auf möglichst niedrigem Niveau festzuschreiben und so die Spirale des Hochrüstens anzuhalten. Auf diese Weise ist es einst gelungen, eine mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Katastrophe führende Eskalation des Ost-West-Konflikts zu vermeiden. Das Problem bei dieser Lösung besteht allein darin, dass sich beide Seiten nicht nur über Gleichartigkeit und gleichen Umfang ihrer Waffensysteme verständigen, sondern auch auf ein Regime der gegenseitigen Kontrolle einlassen müssen.
Als man das Sicherheitsdilemma und den Ausweg aus ihm zum Passepartout der Konfliktbearbeitung erklärte, hat man jedoch eine seiner wesentlichen Voraussetzungen übersehen, nämlich die, dass beide Seiten gleich stark und gleichartig aufgestellt sein, kurzum: dass sie sich symmetrisch zueinander verhalten müssen.
Nur unter diesen Umständen ist der Verzicht auf weitere eigene Rüstungsanstrengungen mit dem Ausstieg aus dem Einstieg in die als Sicherheitsdilemma bezeichnete Aufrüstungsspirale gleichbedeutend. Dann, aber auch nur dann, ist der Verzicht auf Waffenlieferungen an einen sich durch die Rüstung eines anderen bedroht fühlenden politischen Akteur ein Vermeiden eskalierender Aufrüstung. Ist dagegen die sich bedroht fühlende Seite strukturell unterlegen, läuft der Verzicht auf ihre Aufrüstung – oder die Verweigerung von Waffenlieferungen – auf die Festschreibung dieser Unterlegenheit hinaus.
Die ist womöglich hinzunehmen, wenn der unterlegene Akteur in Allianzen eingebettet ist, die diese Unterlegenheit ausgleichen. Ist das nicht der Fall, wird die strukturell unterlegene Seite zum Einflussgebiet ihres überlegenen Nachbarn. Auf die Ukraine bezogen heißt das: Da die Bundesregierung sich mehrfach gegen den Nato-Beitritt der Ukraine positioniert hat, läuft die Verweigerung von Waffenlieferungen auf die Billigung ihres Status als Einflussgebiet Russlands hinaus. Man kann das politisch wollen, weil man das Sicherheitsbedürfnis Russlands für höherrangig hält als das der Ukraine, aber dann sollte man das auch sagen und vor allem begründen, warum man dieser Auffassung ist, und nicht mit schiefen historischen Vergleichen und durchsichtigen moralischen Behauptungen daherkommen, wie es jetzt der Fall ist. Das aber würde auf eine Debatte über Strategie und Geopolitik hinauslaufen, zu der keine der im Bundestag vertretenen Parteien derzeit bereit und in der Lage ist.“
*Herfried Münkler lehrte bis zu seiner Emeritierung 2018 als Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und ist Autor zahlreicher Bücher.