Was soll nach dem 9-Euro-Ticket kommen?

Was soll nach dem 9-Euro-Ticket kommen?

Quelle: Zeit online 25.7.22

Seit knapp zwei Monaten gibt es das 9-Euro-Ticket, rund 21 Millionen Mal wurde es allein im Juni verkauft. Weitere zehn Millionen Menschen, die schon vorher ein Nahverkehrsabo hatten, fahren außerdem zum günstigeren Preis. Verkehrsminister Volker Wissing spricht von einem „Riesenerfolg„. Eine Auswertung des Navigationssoftwareherstellers TomTom deutet darauf hin, dass das neue Angebot auch die Straßen entlastet. Sozialverbände sprechen sich für eine Fortsetzung aus. Und dennoch ist noch nicht sicher, ob es nach dem Ende des 9-Euro-Tickets ein neues, günstiges Ticket für den bundesweiten Nahverkehr geben wird.

Scheitern könnte es am Geld: Für die Monate Juni bis August hatte sich der Bund mit 2,5 Milliarden Euro an den Kosten beteiligt, für eine künftige Finanzierung müssten die Bundesländer selbst aufkommen, so Wissing. Bei neun Euro dürfte es vermutlich nicht bleiben. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte ein 69-Euro-Ticket vorgeschlagen, das ebenfalls bundesweit im Nahverkehr gelten soll. Alternativ ist ein Jahresticket im Gespräch, das 365 Euro kosten könnte. Zunächst soll jedoch der Nutzen des bisherigen Angebots ausgewertet werden.

Die Verkehrsunternehmen warnen zudem vor den Folgen des Erfolgs: Die deutlich gestiegene Nachfrage sei mit Blick auf den Klimaschutz und die Belastungen des Systems „kritisch zu hinterfragen“, sagte der VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Umfragen des Verbandes zeigen, dass zwar viele Menschen durch das Ticket erstmals die Bahn nutzen, dass sie aber häufig auch Reisen unternehmen, die sie sonst eher nicht gemacht hätten.


Quelle Süddeutsche Zeitung  vomJuli 2022 – Markus Balser, Berlin

Nahverkehr: Nachfolger für Neun-Euro-Ticket frühestens Ende des Jahres

Verkehrsminister Volker Wissing hält ein dauerhaftes bundesweites Ticket für möglich. Eilig hat er es dabei nicht. Branchenmanager fürchten, dass der FDP-Politiker auf Zeit spielt.

Seit eineinhalb Monaten können die Deutschen nun schon zum günstigen Festpreis mit dem Nahverkehr durchs Land fahren. Und der Zuspruch ist gewaltig. 31 Millionen Menschen, rechnet die Bundesregierung vor, haben sich inklusive der Abonnenten in den ersten Wochen ein Neun-Euro-Ticket gekauft. Auch Politiker der Ampel-Regierung, die das Ticket im Frühjahr in einer Nacht- und Nebel-Aktion beschlossen hatten, sind überrascht vom Erfolg des Angebots. Schon in den vergangenen Tagen war die Forderung laut geworden, ab September eine Nachfolgelösung anzubieten. 19 bis 69 Euro im Monat oder 365 Euro im Jahr – für eine Anschlussregelung liegen längst verschiedene Modelle auf dem Tisch.


Bundestag: Antrag DIE LINKE zur Verlängerung des Neun-Euro-Tickets am 08.07.22 – 10.584 Aufrufe – 08.07.2022 –phoenix – 

Antrag der Partei DIE LINKE zur Verlängerung des Neun-Euro-Tickets. Mit Reden von: 00:00 Janine Wissler, Die Linke 05:23 Dorothee Martin, SPD 09:55 Michael Donth, CDU 16:05 Nyke Slawik, B’90/GRÜNE 19:35 Mike Moncsek, AfD 24:52 Valentin Abel, FDP 30:29 Martin Kröber, SPD 35:25 Jonas Geissler, CSU 43:15 Swantje Henrike Michaelsen, B’90/GRÜNE 46:32 Mathias Stein, SPD


Quelle: VCD Landesverband BW Pressemitteilung vom 5.7.22


VCD BW für überregionales Abo-Modell – mit dem BaWü-PlusTicket Bus- und Bahnfahren radikal vereinfachen

21 Millionen 9-Euro-Tickets wurden allein im Juni 2022 gekauft, weitere 10 Mio. Menschen nutzten es im Rahmen ihres Nahverkehrs-Abos – ein überwältigender Erfolg, der deutlich macht: Es muss eine Nachfolge geben, dann kann die Verkehrswende gelingen. Auch die Bundesregierung denkt inzwischen über ein klimafreundliches Ticketmodell nach. Wie ein solches Modell konkret aussehen kann, zeigt der VCD mit seinem neuen, bundesländer-übergreifenden Abo-Konzept: Dem Länder-PlusTicket.

Der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD) Landesverband Baden-Württemberg sieht in der Debatte um ein klimafreundliches Ticketmodell eine Chance, die nicht verpasst werden darf. Bus und Bahn sind Dank 9€-Ticket so gut nachgefragt wie lange nicht mehr. Klar ist allerdings auch: Mit 9€ im Monat können die Kosten der Verkehrsunternehmen nicht gedeckt werden. Als langfristige Lösung schlägt der VCD deshalb ein neues Tarifkonzept vor: Das Länder-PlusTicket – eine Zeitkarte, die auch weite Fahrten im Regionalverkehr bundesländerübergreifend ermöglicht und den Übergang in angrenzende Tarifzonen erleichtert. Das Ticket soll bundesweit für insgesamt acht Großräume angeboten werden und auch für den jeweils ersten Halt im angrenzenden Geltungsbereich gültig sein. Für Baden-Württemberg soll das BaWü-Plus-Ticket gelten.

VCD-Landesvorsitzender Matthias Lieb erklärt: „Die Fahrgäste möchten ohne Kenntnis von Tarifzonen und Verbundgrenzen Bus und Bahn nutzen. Mit dem BaWü-PlusTicket, das nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch den angrenzenden Verbundräumen in der Pfalz, im südlichen Hessen und in Bayern rund um Würzburg, Neu-Ulm und Lindau gelten soll, gibt es auch eine Lösung für die Randzonen des Landes“.

Die Preise für das Ticket sollen für alle bezahlbar und dauerhaft finanzierbar sein, ohne den notwendigen weiteren Ausbau des Bus- und Bahn-Angebotes auszubremsen. So soll der Standardpreis 75 Euro im Monat betragen. Als Sozialticket sowie für Schüler*innen, Azubis und Studierende soll es für 30 Euro im Monat erhältlich sein. Das wäre auch der Preis für die Erweiterung um einen weiteren der acht Großräume. Für 135 Euro könnte ein Ticket für den Nah- und Regionalverkehr in ganz Deutschland erworben werden.

Zum Hintergrund: Nähere Informationen zum Länder-PlusTicket, dessen Geltungsbereichen und weiteren Vorschlägen zum Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs finden Sie in folgendem Papier: VCD-Tarifkonzept

Warum Neoliberale Verbote hassen – Gespräch mit Prof. Dr. Philipp Lepenies

Warum Neoliberale Verbote hassen | mit Philipp Lepenies (Jacobin Talks)1.375 Aufrufe – 19.06.2022 –Jacobin Magazin – 

Die größtmögliche Freiheit besteht für viele Liberale darin, mit 250 kmh über die Autobahn zu brettern. Verbote und Regeln wie ein Tempolimit lehnen sie mit erstaunlicher Vehemenz ab, obwohl die Maßnahme ein wichtiger Baustein gegen den Klimawandel wäre. Woher kommt diese Haltung? Philipp Lepenies ist in seinem Buch der Frage nachgegangen, warum Verbote heute kein politisches Instrument mehr sein sollen.

Er taucht in seinem Buch „Verbot und Verzicht – Politik aus dem Geiste des Unterlassens“ tief in die Geschichte des Neoliberalismus ein und zeigt, wie das neoliberale Paradigma unsere Konsumvorstellungen entscheidend beeinflusst hat. Denn das Konsum und Freiheit in der vorherrschenden Ideologie fest zusammengehören, ist kein Zufall.

Verbot und Verzicht

Futuring the Liberal Script #5 – Verbot und Verzicht | 01. Juni 2022 –3.918 Aufrufe – Live übertragen am 01.06.2022 –

Prof. Philipp Lepenies (SCRIPTS Professor “Sustainable Development”) und Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann (taz die Tageszeitung). Moderation: Silke Burmester (freie Journalistin).

Grußwort von Prof. Thomas Risse (Senior Professor bei SCRIPTS).

Verzicht und Verbot spielen eine zentrale Rolle bei einer nachhaltigen sozialen und ökologischen Transformation. Doch was kann uns der Staat vorschreiben, welche Eingriffe in individuelle Freiheiten sind erlaubt/akzeptabel, wenn es etwa um Klimaschutz oder die Bewältigung sozialer Krisen und das Gemeinwohl geht? In den letzten Jahren hat sich eine grundsätzliche, emotional aufgeheizte Abwehrhaltung entwickelt, sobald es um staatliche Regelungen geht, stellt der Politikwissenschaftler Philipp Lepenies in seinem jüngst erschienenen Buch „Verbot und Verzicht. Politik aus dem Geist des Unterlassens. (Suhrkamp 2022).

Für Lepenies ist dies auch eine Folge eines „Alltagsneoliberalismus“, der die Konsumentensouveränität zu einem unveräußerlichen Freiheitsrecht und den Staat zu einem prinzipiellen Gegner verklärt. Wie aber lässt sich ein Freiheitsbegriff etablieren, der mehr ist als die Freiheit individueller Konsumentscheidungen? Wie viel Affektkontrolle braucht eine stabile Demokratie angesichts aktueller Verwerfungen und Krisen? Kann ein umfassender ökologischer und sozialer Umbau ohne Verbote und Verzicht gelingen?

Die fünfte Veranstaltung der SCRIPTS-Gesprächsreihe „Futuring the Liberal Script“ live am 01. Juni 2022 im silent green Berlin, in Kooperation mit dem Suhrkamp Verlag.

 

Wir konnten auch anders – eine kurze Geschichte der Nachhaltigkei

Prof. Dr.  Annette Kehnel: Wir konnten auch anders827 Aufrufe -7.12.2021

I Die Historikerin Professorin Annette Kehnel macht in ihrem Buch „Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit“ den instruktiven Vorschlag, auch einmal ohne Nostalgie in die Zeit vor der Industrialisierung zu schauen.

Wie haben die Menschen etwa im Mittelalter gelebt und über Jahrhunderte eine mehr oder minder nachhaltige Kultur gelebt? Mit ihren Untersuchungen fördert sie Erstaunliches zu Tage. Viele soziale Arrangements des Mittelalters können auch heute vorbildlich sein. So vergaben schon im Mittelalter kommerzielle Banken Mikrokredite gerade auch an die ärmere Bevölkerung. Komplexe soziale Absprachen haben dazu geführt, dass Seen über Jahrhunderte hinweg nicht überfischt, dass gemeinsamer Weidegrund nicht einfach abgegrast, dass Wälder nicht einfach abgeholzt wurden. Laienbewegungen wie die Beginen haben neue, innovative Stadtgemeinschaften ins Leben gerufen, die auch im städtischen Raum auf Subsistenz setzten.

Durch eine ausgeprägte Reparaturkultur wurden Gebrauchsgegenstände immer wieder erneuert und nicht als kurzzeitige Konsumgegenstände angesehen. Die Leichtigkeit, mit der in Neuzeit und Moderne oft über das Mittelalter negativ geurteilt wurde, verbietet sich dann. Für die Gestaltung der Zukunft lohnt gerade auch eine genauere Untersuchung der ferneren Vergangenheit! Heute geht es natürlich nicht darum, die Lösungen des Mittelalters einfach zu kopieren. Die Zeiten sind andere, die Herausforderungen sind auch andere, es wird andere Lösungen geben müssen. Jedoch kann man auf der Suche nach einer neuen Kultur jenseits des fossilen Industriezeitalters durch die mittelalterliche Kultur Anregungen empfangen, wie der Umgang mit den Gebrauchsdingen, wie die Gestaltung von Gemeinschaften, wie soziale Regelwerke und Fürsorge nachhaltig gestaltet werden können. Professor Kehnel plädiert für eine neue Lust „an dem, was man hat.“ Dabei streitet sie die Notwendigkeit von technologischen Neuerungen nicht ab: „Wir brauchen technologischen Fortschritt, aber dieser technologische Fortschritt muss eben in die richtige Richtung gedacht und gemacht werden.“

Die Historikerin plädiert dafür, eingeführte Denkpfade zu verlassen: „Alternativen werden dann erst denkbar, wenn wir herauskommen aus diesem Käfig der Alternativlosigkeit und vor allem, wenn wir die Angst ablegen davor, dass alles anders werden könnte. Natürlich ist es schon deutlich, dass wir Angst vor Veränderung haben, weil wir auch viel zu verlieren haben. Wir sind ja die Gewinner dieser ganzen Entwicklungen. Wir leben auf Kosten nicht nur des Planeten, sondern auch auf Kosten anderer Menschen, die in anderen Kontinenten leben und auf Kosten künftiger Generationen. Deswegen haben wir natürlich Angst, dass wir etwas verlieren. Diese Verlustangst wird, glaube ich, unnötigerweise geschürt und wir sollten sie abbauen. Das genau versuche mit meinem Buch zu sagen: ‚Okay Leute, es wird anders werden, egal ob wir das wollen oder nicht. Es wird anders werden, aber hört doch mal auf, immer davor Angst zu haben, dass es anders wird. Es kann doch anders sein und trotzdem gut.'“

Dabei sieht sie insbesondere die heutigen „Babyboomer“ in der Pflicht: „Wir dürfen die Probleme der Zukunft und der Gegenwart nicht der nächsten Generation überlassen. Das ist mir ein großes Anliegen.“ Dabei ist sie optimistisch: „Ich bin eigentlich zuversichtlich, dass wir das Rad noch rumreißen können, aber wir müssen es wollen.“

Zur Person Annette Kehnel studierte von 1984 bis 1990 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Somerville College Oxford und an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Fächer Geschichte und Biologie. Sie wurde im Mai 1995 am Trinity College Dublin promoviert. Ihre Habilitation erfolgte 2004 an der Technischen Universität Dresden mit einer Arbeit über die Franziskaner auf den Britischen Inseln in der Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Seit Oktober 2005 ist sie Professorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Mannheim. Ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind die Historische Anthropologie, Politik-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte sowie die Vergleichende Ordensforschung. Mit ihrer Dissertation legte sie die erste Darstellung eines irischen Klosters im Mittelalter überhaupt vor.

Ihr Werk Wir konnten auch anders. Eine kurze Geschichte der Nachhaltigkeit wurde 2021 mit dem NDR Sachbuchpreis ausgezeichnet.

Christian Felber über die Gemeinwohl-Ökonomie – Jung & Naiv: Folge 459

Christian Felber über die Gemeinwohl-Ökonomie – Jung & Naiv: Folge 459161.060 Aufrufe  – 15.03.2020  –Jung & Naiv – 

Wir treffen den österreichischen Autor, politischen Aktivisten, Ökonomen und Tanzperformer Christian Felber, der seit etwa zehn Jahren für die Gemeinwohlökonomie (GWÖ) kämpft.

Christian ist Mitbegründer von „attac Österreich“ und gründete 2010 den „Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie“ für ein Wirtschaften, das auf Kooperation statt Konkurrenz setzt. Mit Christian geht’s zunächst um seinen Werdegang: Wieso tanzt er so gerne? Was hat das Tanzen mit unserem Zusammenleben zu tun? Was hat er studiert bzw. was konnte er nicht studieren? Wie hat er sich seine ökonomischen Grundlagen angeeignet?

Warum will Christian den Kapitalismus überwinden? Was hat die GWÖ noch mit Marktwirtschaft zu tun? Warum sollten wir auf Kooperation statt Konkurrenz setzen? Kann es in einer GWÖ noch weiterhin Wachstum geben? Wie ist er überhaupt auf die Idee einer GWÖ gekommen? Und was ist davon in unseren Verfassungen zu finden? Könnten wir damit einfach in Deutschland anfangen oder muss das global passieren? Außerdem geht’s um privates Eigentum, Waffenhersteller, Nachhaltigkeit, eine „Obergrenze“ für Unternehmen und ein Spekulationsverbot.