Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde.

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Du gehörst mir! Das Muster der Frauenmorde | Doku HD Reupload | ARTE

ARTEde – 46.168 Aufrufe 25.09.2022 #doku #rollenbilder

Frauen werden regelmäßig und zunehmend zur Zielscheibe männlicher Aggression. Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland und Frankreich von ihrem (Ex)-Partner getötet. „Thema“ widmet sich dieser Problematik und untersucht die Muster von Frauenmorden und vergleicht, wie mit diesen Verbrechen in unterschiedlichen Ländern umgegangen wird.

Chahinez wurde im französischen Merignac bei lebendigem Leib verbrannt. Rebeccah in Berlin erstochen. Vanessa in Hannover mit Säure übergossen; sie überlebte schwer verletzt und entstellt. In Barcelona wurde der fünfjährige Leo von seinem Vater erstickt; seelisch töten wollte der Mann die Mutter.

Die Männer, die den vier Frauen das antaten, standen ihnen einmal sehr nahe, als Ehemänner oder Lebensgefährten. Und die Frauen hatten eines gemeinsam – sie wollten sich von ihren Partnern trennen. „Familientragödie“ heißt es dann meist in der Presse. Aber es sind keine privaten Unglücke, die hier geschehen. Es sind gesellschaftlich tief verwurzelte Rollenbilder, die diese Männer zu Tätern machen, die es nicht aushalten, wenn „ihre“ Frau ein eigenständiges Leben ohne sie führen möchte. Jeden dritten Tag ereignet sich in Frankreich oder Deutschland ein Frauenmord – ein Femizid.

Erst wenn diese Morde nicht mehr als Beziehungstaten privatisiert werden, wird sich daran etwas ändern. In Spanien werden Femizide offensiv als gesellschaftliches Problem erkannt. Auch Kindstötungen durch den Vater werden neuerdings als „erweiterter Femizid“ bewertet. Diese Anerkennung führte zu einem gänzlich anderen Umgang in Behörden mit Frauen, die Anzeige wegen Gewalt erstatten. Die Zahl der Femizide sank in Spanien.

In Deutschland kann selbst vor Gericht die Tatsache, dass die Frau sich trennen wollte, den Mann noch entlasten. Aber sie gehört ihm eben nicht. Davon erzählen eindrucksvoll Freundinnen, Helferinnen und eine Überlebende in der Dokumentation, die gleichzeitig ein Requiem für die getöteten Frauen ist. Dokumentation von Ulrike Bremer (D/F 2022, 55 Min)

Alice Schwarzer: Wir müssen reden!

https://www.emma.de/artikel/wir-muessen-reden-340143

Wir müssen reden!

Das Freund-Feind-Denken führt in die Irre oder in den Abgrund. Alice Schwarzer wendet sich an die Gegner von Verhandlungen: Wir müssen reden!

  1. Februar 2023 von Alice Schwarzer

Er ist einer der rund hundert von mir geschätzten Menschen, denen ich das Manifest geschickt habe. In der Hoffnung, dass sie unterzeichnen. Jede und jeder zweite hat das getan. Doch die Hälfte eben auch nicht. Er gehört dazu, er hat Nein gesagt. Ich nehme ihm das nicht übel. Denn genau zu diesem bitter notwendigen Dialog zwischen Befürwortern und Gegnern von Waffenlieferungen bzw. Friedensverhandlungen möchte ich mit dieser Initiative eben auch beitragen.

Er hat mir gleichzeitig sehr liebenswürdig geschrieben: „Ich schätze und bewundere Sie und Ihre Lebensleistung sehr.“ Mit diesen Worten beginnt sein Brief. Und dann folgt das Aber: „Aber dieser Text macht mich fassungslos. Den Friedensappell mit einem öffentlichen Aufruf zu verbinden, dass man den Gefallenen und Ermordeten nicht helfen soll, ist für mich kaum zu ertragen.“

Ja, es ist schwer zu ertragen, sehr schwer. Dass man diesen über 200.000 toten Soldaten (auf beiden Seiten), den etwa 50.000 ermordeten Zivilisten (in der Ukraine) sowie den vergewaltigten Frauen und traumatisierten Kindern nicht helfen konnte.

Aber womit hilft man jetzt den noch Lebenden? Das ist hier die Frage. Mit noch mehr Waffen, mit denen geschossen und zurückgeschossen wird? Oder mit baldigen Verhandlungen und einem Waffenstillstand?

ATOMKRIEG: NUR NOCH 90 SEKUNDEN BIS ZUR KATASTROPHE

Bei Verhandlungen würden vermutlich die Kompromisse herauskommen, die beide Seiten beinahe schon mal am 9. April 2022 gemacht hätten. Beinahe. Doch dann intervenierte der britische Premier Boris Johnson im Namen des „Westens“ und sicherlich auch mit Einverständnis, wenn nicht im Auftrag von US-Präsident Biden. In etwa wäre wohl zu Kriegsbeginn dabei rausgekommen: Eine wie schon im Minsker Abkommen 2015 vereinbarte, relative Autonomie der Ostukraine (in der die Mehrheit Russen sind), sowie der Verzicht auf einen Beitritt der Ukraine zur NATO, dafür politische Neutralität. Die Gegenleistung Russlands: Der Abzug seiner Truppen aus allen besetzten Gebieten, auf den Stand des Tages vor Kriegsausbruch, den 23. Februar 2022. Und die Krim? Status Quo für 15 Jahre und sodann ggf. eine Volksbefragung.

Sollten die letztendlich unausweichlichen Verhandlungen irgendwann in etwa so enden, dann – ja, dann wären all die Toten und die Verwüstung der Ukraine umsonst gewesen. Plus Nebenwirkungen: die schwere ökonomische Krise Europas sowie das Elend der Länder des Globalen Südens. In ihnen leben 90 Prozent der Menschheit. Auch sie sind existenziell von den Folgen dieses Krieges betroffen – obwohl sie in überwältigender Mehrheit dagegen sind.

Nach meiner Beobachtung gibt es heute in Deutschland drei Gruppen Menschen, die im jetzigen Stadium des Konfliktes, in dieser ausweglosen „Pattsituation“ (General Milley, der ranghöchste US-Befehlshaber) noch immer gegen Verhandlungen und für noch mehr  Aufrüstung sind. Die erste Gruppe hat ein Interesse an dem Krieg, welcher Art auch immer. Sie redet in der Regel am lautesten von „Menschenrechten“ und „Freiheit“. Die zweite  Gruppe bezieht in diesem ideologischen Machtkampf die Position des jeweils Stärkeren oder bleibt stumm, um keinen Ärger zu kriegen. Die dritte Gruppe ist überzeugt, dass den Ukrainern auch nach einem Jahr Krieg nur mit weiteren Waffenlieferungen geholfen werden kann.

Mein geschätzter Kollege gehört zweifellos zu dieser dritten Gruppe. Er meint es gut mit den von Russland so brutal überfallenen Menschen. Nur: Gut gemeint ist nicht immer auch gut gemacht …

Ich und die vielen Menschen, die innerhalb weniger Tage (!) dieses  Manifest unterzeichnet haben – und noch unterzeichnen werden – meinen es ebenfalls gut mit den Ukrainern. Nur: Wir ziehen andere Schlüsse aus dem Geschehen. Wir fragen uns, ob es nicht gerade diese wunschgemäß gelieferten Waffen sind, die zu immer mehr Toten führen. Denn: Was ist eigentlich das Ziel dieses Krieges? Sind es die geopolitischen Interessen der beiden Großmächte? Das heißt: Will Amerika immer näher an Russland heranrücken – und Russland diese Annäherung der NATO verhindern und umgekehrt gen Westen rücken? Geht es um die Schwächung Europas, allen voran Deutschlands? Will Russland die Ukraine vereinnahmen? – oder der Westen Russland ausbluten? In einem „Abnutzungskrieg“, der nur den Menschen oben nutzt und die unten tötet?

Eines ist allen voran den Militärs aller Länder klar: Die kleine Ukraine kann selbst mit maximaler Unterstützung des Westens zwar einzelne Schlachten gegen Russland gewinnen, aber nicht den Krieg. Niemand kann die größte Atommacht der Welt in die Knie zwingen – ohne für sich selbst das Äußerste zu riskieren.

WIR MÜSSEN JETZT DER UKRAINE HELFEN, DAS STERBEN ZU STOPPEN

Gerade sendet das Bulletin of the Atomic Scientists einen Alarmruf. Diese internationale Vereinigung von AtomwissenschaftlerInnen hat sich 1947 gegründet, nach dem Abwurf der ersten Atombombe durch die Amerikaner auf Hiroshima. Damals hieß es: Nie wieder die Atombombe! Da stand die Gefahr eines Atomkrieges bei sieben Minuten vor zwölf. In der Kubakrise 1962, am Rand eines Atomkrieges, stand die Atomuhr bei zwei Minuten vor zwölf. Jetzt informieren die AtomwissenschaftlerInnen: Die Gefahr eines Atomkrieges steht bei 90 Sekunden vor zwölf. 90 Sekunden!

Nie in der Geschichte der Menschheit war der Atomkrieg also so nah. Ausgelöst vom Schlachtfeld Ukraine. Ja, das Land hat sich von Anbeginn an in bewundernswerter Weise gegen den brutalen russischen Überfall gewehrt. Und das war richtig so. Doch jetzt herrscht hinter den Kulissen nur noch Grauen und Ratlosigkeit bei allen Beteiligten. Von „Grabenkämpfen“ ist die Rede. Das Wort habe ich zum letzten Mal in den 60er Jahren von meinem geliebten Großvater gehört. Der war im Ersten Weltkrieg als einfacher Soldat in dem Massaker an der Somme, ein berüchtigter „Abnutzungskrieg“. Was er – auf mein Insistieren hin – zu erzählen hatte, war trotz seines nicht kleinzukriegenden Humors einfach das Grauen. „Mann gegen Mann“. Man stelle sich das nur mal vor: Wie sich Menschen Auge in Auge erschießen, erstechen, erwürgen.

Ich sehe bei dem Wort Krieg nicht die neuesten Panzermodelle vor mir, sondern die Menschen. Darum habe ich nach dem von mir initiierten „Offenen Brief der 28“ an Kanzler Scholz – der gerade von 500.000. Menschen unterzeichnet wurde, eine halbe Million! – jetzt dieses Manifest initiiert: Um den vielen Menschen in unserem Land, die gegen diesen Krieg und für Verhandlungen sind, eine öffentliche Stimme zu geben. Eine Stimme für den Frieden.

Ich habe das Manifest nicht alleine geschrieben, sondern zusammen mit Sahra Wagenknecht, die ich zu meiner Freude für diese Aktion gewinnen konnte. Sahra steht seit Beginn des Krieges für eine unerschrockene, fundierte Haltung dagegen.

ERFAHRENE MILITÄRS WARNEN – UNERFAHRENE POLITIKERINNEN HÖREN NICHT AUF SIE

Sehr früh stieß auch General a. D. Erich Vad dazu. Am 25. Februar ist die Auftaktveranstaltung der landesweiten Aktion „Aufstand für Frieden“, in Berlin. Neben mir und Sahra Wagenknecht wird auch Erich Vad reden. Das EMMA-Interview mit dem einstigen „militärischen Berater“ von Kanzlerin Merkel hatte Anfang des Jahres innerhalb weniger Tage über 250.000 Klicks, nur auf EMMAonline. Der erfahrene Militär ist gegen noch mehr Waffen und für Verhandlungen – wie die meisten seiner Kollegen. Auch US-General Milley hatte bereits Ende November 2022 seine Zweifel öffentlich gemacht. Die Ukraine könne Russland nicht militärisch besiegen. Das ginge nur am Verhandlungstisch. Und es ist bekannt, dass das Pentagon jüngst entschieden von weiteren Waffenlieferungen abgeraten hat, die politische Führung in Washington aber trotzdem liefert. Wenn auch zögerlich.

Was für verrückte Zeiten. Erfahrene Militärs warnen vor Waffenlieferungen – und unerfahrene PolitikerInnen hören nicht auf sie. Allen voran in Deutschland die einstige „Friedenspartei“, Die Grünen. Und an deren Spitze eine Frau: die oberste Diplomatin des Landes, Außenministerin Baerbock. Zum Entsetzen nicht nur des Kanzlers erklärte die jüngst öffentlich: „Wir führen Krieg gegen Russland“.

Nein, Russland führt Krieg gegen die Ukraine. Und wir helfen dem Land, sich zu verteidigen. Und nichts hilft meiner Meinung nach jetzt der Ukraine mehr, das Sterben in ihrem Land zu stoppen, als einen Waffenstillstand anzubieten und in Friedensverhandlungen einzusteigen. Genau dabei sollten wir der Ukraine mit allen Kräften beistehen! Allen voran die DiplomatInnen.

Übrigens: Mit meinem geschätzten Kollegen, der nicht unterschrieben hat, bin ich weiter im Gespräch. Denn das scheint mir jetzt das Wichtigste: Sich nicht gegenseitig zu dämonisieren, sondern endlich miteinander zu reden!

Alice Schwarzer

Israels Ex-Premier befeuert Vorwürfe: Wie nah kamen Kiew und Moskau einer Friedenslösung?

Der Tagesspiegel – Von Christopher Stolz – 10.02.2023, 21:18 Uhr

 Israels Ex-Premier befeuert Vorwürfe: Wie nah kamen Kiew und Moskau einer Friedenslösung?

Naftali Bennett ist überzeugt davon, dass beide Parteien zu Kriegsbeginn gesprächsbereit waren. Doch soll es bei wichtigen Punkten gehakt haben – und an westlichen Partnern.

War ein Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland in der Anfangsphase des Krieges im Bereich des Möglichen? Das behauptet zumindest der damalige israelische Ministerpräsident Naftali Bennett. Er berichtet in einem fast fünfstündigen Interview über seine Verhandlungsversuche zwischen den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin.

Bennett zufolge soll es „eine 50-prozentige Chance“ gegeben haben, einen Waffenstillstand zu erreichen. „Leider ist das Vorhaben gescheitert“, zitiert ihn der israelische Journalist Anshel Pfeffer in einem Gastbeitrag bei CNN. Allerdings habe sein Engagement dafür gesorgt, dass es kurze Feuerpausen gab, die es ermöglichten, Zivilisten aus den umkämpften Gebieten zu retten.

Im Interview mit dem israelischen Journalisten Hanoch Daum, das Bennett auf seinem Youtube-Kanal veröffentlicht hat, berichtet er von erheblichen ukrainischen und russischen Zugeständnissen. Aus seiner Sicht haben vor allem Großbritannien und die USA den Waffenstillstand verhindert. Die Behauptung, dass der damalige britische Premier Boris Johnson einer der Wortführer war, gibt es schon seit Monaten.

Begonnen haben soll sein Bemühen um eine friedliche Lösung mit Gesprächen mit Selenskyj. Der ukrainische Präsident soll Bennett beauftragt haben, herauszufinden, ob es die russischen Truppen auf ihn persönlich abgesehen hätten. „Ich wusste, dass Selenskyj in Gefahr ist, er war in einem Bunker, dessen Standort unbekannt war.“

Bennett betont, dass er jeden seiner Schritte eng mit den westlichen Verbündeten – allen voran Großbritannien, USA, Frankreich und Deutschland – abgestimmt habe. Wortwörtlich sagte er im Interview mit Daum, dass er US-Präsident Joe Biden vorgeschlagen habe, eine „Pipeline“ in den Kreml aufzubauen.

Bennett habe an diesem Punkt begonnen, regelmäßigen Kontakt zu Selenskyj und Putin zu halten und spricht von beiderseitigem Vertrauen in den Gesprächen ihm gegenüber. Diese diplomatischen Versuche geschahen seinen Ausführungen nach zeitgleich mit den Friedensverhandlungen der ukrainischen und russischen Delegationen im belarussischen Gomel und später im türkischen Istanbul.

„Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten.“     Israels Ex-Premier Natfali Bennett

Am 5. März 2022 sei er nach Moskau geflogen, um Putin zu treffen, berichtet Bennett. Er war der erste westliche Spitzenpolitiker, der dies nach Beginn des Kriegs tat. Dieser habe im Gespräch zugesichert, Selenskyj nicht töten zu wollen – und auf sein ursprüngliches Kriegsziel, die Demilitarisierung der Ukraine, zu verzichten. Das will Bennett anschließend dem ukrainischen Präsidenten mitgeteilt haben, der seinerzeit dazu bereit gewesen sein soll, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten.

Der Weg zu einem Waffenstillstand schien aus Bennetts Sicht geebnet. „Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten“, sagt er im Interview mit dem israelischen Journalisten.

Dabei hatte er auch Zweifel: So schildert Bennett, dass Putin die ukrainische Regierung bereits bei seinem Besuch in Sotschi im Oktober 2021 als „Nazis“ beschimpft habe. Er sei sich sicher gewesen, dass ein russisches Ziel zu Kriegsbeginn neben der Demilitarisierung der Ukraine auch die Ermordung Selenskyjs gewesen sei.

Bennett schätzte die Möglichkeit eines Waffenstillstandes auf rund 50 Prozent. Allerdings standen da die besonders heiklen Themen noch aus: Die Frage, was mit den besetzten Gebieten passieren sollte und eventuelle Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Solche Garantien lehnte Russland aber strikt ab. Ohne diese hätte sich Kiew allerdings nicht auf einen Waffenstillstand einlassen können. Dass Selenskyj laut Bennett einen Nato-Beitrittsverzicht zusicherte, zeigte seine Kompromissbereitschaft – allerdings ist ein Beitritt derzeit ohnehin unrealistisch.

Die Reaktionen der westlichen Verbündeten seien gemischt gewesen, so Bennett. Während Bundeskanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und teils auch die US-Regierung die Erkenntnisse als Fortschritte sahen, soll der britische Premier Johnson nicht viel davon gehalten haben. Bennett zufolge sei Johnson im Wissen der Zugeständnisse beider Seiten der Meinung gewesen, dass „Putin weiter bekämpft werden müsse“.

Kurz darauf endete sein initiierter Verhandlungsprozess, berichtet Bennett, weil die westlichen Verbündeten diesen nicht weiter unterstützt haben sollen.

„Sie haben ihn blockiert – und ich dachte, sie hätten Unrecht“, sagt der israelische Ex-Premier. „Es gab eine gute Chance auf einen Waffenstillstand, wenn sie ihn nicht verhindert hätten.“ Einen Vorwurf wollte er daraus allerdings nicht abgeleitet wissen. Er hält es für möglich, dass die Entscheidung des Westens langfristig die richtige gewesen sein könnte.

Bennett nennt zwei mögliche Gründe für Blockade

Als mögliche Hintergründe dafür, dass der Westen den Verhandlungsprozess nicht weiter unterstützte, nennt Bennett zwei: Zum Ersten das Ausmaß der Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha, das nach dem russischen Rückzug Anfang April publik wurde und das auch offiziell seitens der ukrainischen Regierung als Grund des Stopps der Verhandlungen angeführt wurde. Nach den Bildern, die um die Welt gingen, sei eine gemeinsame Lösung nicht mehr möglich gewesen, so Bennett.

Zweitens habe der Präzedenzfall einer möglichen chinesischen Invasion in Taiwan eine Rolle gespielt. Zugeständnisse hätten den chinesischen Aggressor dort ermutigen können.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow schob im Mai nachträglich der Ukraine die Schuld für den geplatzten Waffenstillstand in die Schuhe. Kiew habe Vorschläge für eine Verhandlungslösung ändern wollen. Aus seiner Sicht habe die Ukraine ihre Neutralität zugesichert und versprochen, dass das Land weder in die Nato eintrete noch Nuklearwaffen auf seinem Territorium lagere. Erst dann sollte über Sicherheitsgarantien gesprochen werden. Später habe die Ukraine zuerst Garantien von westlichen Staaten haben wollen.

Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak bestätigte kürzlich in einem Interview mit der „Bild“, dass der wichtigste Punkt in den Verhandlungen Sicherheitsgarantien gewesen seien. „Das hätten klare und verständliche Garantien sein müssen, dass niemand unser Territorium einnehmen darf“, sagte Podoljak. Allerdings dementierte er, dass die Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft als Gegenleistung für einen Rückzug der russischen Truppen verzichtet hätte.

Zur „Welt“ sagte Podoljak außerdem, dass nie Teil einer Verhandlungslösung hätte sein können, Staatsgebiet gegen Frieden einzutauschen. „Das wäre auch absoluter Nonsens“, sagte Podoljak. Der Krieg würde dann einfach weitergehen, „aber in einer anderen Dimension, auf eine andere Art“.

Bereits 2014 habe sich Russland mit der Krim einen Teil der Ukraine geholt und es sei kein Frieden eingekehrt. „So eine Abmachung würde die Kapitulation der Ukraine bedeuten“, sagte Podoljak. „Das würde bedeuten, dass es keine Bestrafung für die durch Russland verübte Verletzung internationalen Rechts erfolgt.“

Mitarbeit: Yulia Valova

https://www.tagesspiegel.de/internationales/israels-ex-premier-befeuert-vorwurfe-wie-nah-kamen-kiew-und-moskau-einer-friedenslosung-9326102.html

Jürgen Habermas im Kreuzfeuer der Kritik

Quelle: Zeit online – 16. Februar 2023  – Ein Gastbeitrag von Jan C. Behrends  – Auf einer Seite lesen 

Jan C. Behrends hat die Professur „Diktatur und Demokratie – Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder inne. Er forscht zudem am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam.

Jürgen Habermas: Lauter blinde Flecken

Jürgen Habermas plädiert in einem Essay für Verhandlungen mit Russland. Seine Argumentation beruht jedoch auf einer Unkenntnis Osteuropas. n einem jüngst veröffentlichen Essay forderte der Philosoph Jürgen Habermas Verhandlungen mit

Um es gleich zu Anfang zu sagen: Jürgen Habermas gehört nicht in die Liga deutscher Nationalpazifisten, die mit irritierender Regelmäßigkeit peinliche Manifeste und offene Briefe veröffentlichen. Er gehört auch nicht in das Lager derjenigen, die aus vermeintlicher Friedensliebe das Geschäft des Kremls besorgen. In seinen Ausführungen in der Süddeutschen Zeitung erkenne ich vielmehr genuine Besorgnis und das aufrichtige Bemühen, sich der schwierigen Situation in Europa zu stellen und intellektuell zu intervenieren. Damit bleibt der engagierte Sozialphilosoph seiner Linie treu. Habermas war zu keiner Zeit verlegen, sich zu Wort zu melden und seine Einwürfe haben die Republik oft bereichert.

Sein Anliegen ist es nun, für Verhandlungen mit dem russischen Machthaber und ein rasches Ende des Krieges in der Ukraine einzutreten. Das scheint berechtigt: Wer hätte sich vor einem Jahr vorstellen können, dass dieser grausame Krieg zwölf Monate wüten würde? Gilt es nicht, nach einem Ende des Gemetzels zu suchen? Habermas rät den westlichen Mächten inklusive Deutschland deshalb dazu, nicht aufzurüsten, bei Waffenlieferungen vorsichtig zu bleiben und vor allem mit Putin zu verhandeln.

Er erwähnt eher en passant, dass Russland einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen sein Nachbarland führt. Doch Putins Aggression ist nicht der Kern seines Argumentes. Letztlich interessieren ihn die Details im Osten wenig. Vielmehr geht es ihm darum, das Handeln der westlichen Mächte zu kritisieren, um, so seine Hoffnung, den Krieg im Sinne der Humanität zeitnah zu beenden. Verhandlungen böten dazu die Möglichkeit, es gehe darum, einen „gesichtswahrenden Kompromiss“ für Moskau zu finden. So weit, so verlockend. Wer in Deutschland würde Habermas hier grundsätzlich nicht zustimmen wollen?

Doch die Probleme beginnen bereits bei seiner Begriffswahl. In Anlehnung an Christopher Clarks populäres Buch zum Beginn des Ersten Weltkriegs wirft Habermas dem Westen „Schlafwandeln am Rande des Abgrundes vor“. Damit legt er nahe, die politischen Akteure in den Demokratien verhielten sich gegenwärtig ähnlich kriegslüstern wie die Autokraten Wilhelm II., Nikolaus II. und Franz-Joseph I. im Sommer 1914.

Doch dieser Vergleich entbehrt jeder Substanz. Bis zuletzt haben die westlichen Staatsführer – von Joe Biden über Emmanuel Macron bis zu Olaf Scholz – mit Wladimir Putin verhandelt. Selbst als sie sich im Angesicht Moskauer Lügen und Drohungen bereits lächerlich gemacht haben. Von einer Kriegseuphorie wie 1914 ist in Europa nichts zu spüren. Auch nicht in der Ukraine, die in diesen Krieg gezwungen wurde.

Aus Rücksicht auf Moskau hat der Westen sogar über Jahre auf eine militärische Unterstützung der bedrohten Ukraine weitgehend verzichtet. Die Eindämmung des Konfliktes stand stets im Vordergrund.

Jürgen Habermas beklagt nun die „Aufrüstung“, die angeblich auf Drängen der Ukraine geschehe. Doch ist es nicht eher so, dass insbesondere Deutschland – zum Glück nicht die Vereinigten Staaten – in den vergangenen Jahrzehnten bis zur Wehrlosigkeit gegenüber den Feinden der Demokratie abgerüstet hat? Der Stellenwert des Militärs war jedenfalls unter der Kanzlerschaft Angela Merkels gering. Und was sollen wir von einem Satz halten, der bei Habermas lautet: „Der Krieg zieht sich hin, die Zahl der Opfer und der Umfang der Zerstörungen schwellen an.“ Müsste es nicht heißen: „Der russische Vernichtungskrieg setzt sich fort, ukrainische Zivilisten sterben zu Tausenden, ihre Kinder werden verschleppt, die Städte und die Infrastruktur des Landes werden erbarmungslos zerstört.“ Hier fehlt der Mut zum klaren Urteil.

Ergänzend gibt es im Text zahlreiche Verweise auf die verheerende Lage an der Front, in denen jedoch der Angreifer nicht benannt wird. Krieg ist aber kein Schicksal, sondern ein konkretes Geschehen. Es geht eben nicht um ein Abstraktum, nein, wir reden über einen offen erklärten, imperialen und genozidalen Vernichtungsfeldzug Russlands, der bereits 2014 mit der Annexion der Krim sowie der Ausrufung der Pseudovolksrepubliken Lugansk und Donezk im Osten der Ukraine begann. Aber für solche Details hat Habermas keine Zeit, er hat andere Ratschläge.

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Quelle: nd – Journalismus von links  –https://www.nd-aktuell.de/artikel/1171087.ukraine-und-russland-ukrainekrieg-wer-antwortet-juergen-habermas.html

Ukrainekrieg: Wer antwortet Jürgen Habermas?  Verhandeln verboten: Es zählt nur die bessere Beschimpfung  Christof Meueler -17.02.2023, 18:21 Uhr

Vor dem Ukraine-Krieg war der Philosoph Jürgen Habermas, Jahrgang 1929, die moralische Instanz des bundesdeutschen Linksliberalismus. Er galt als alter, weiser Mann, der sich bedächtig und seriös um den Frieden und die Freiheit sorgte, als einer der wenigen Wissenschaftler, die in der Lage sind, sich in politische Debatten einzumischen, ohne peinlich zu sein.

Meistens versuchte er den Beweis zu führen, dass sich gesellschaftliche Konflikte entschärfen lassen, wenn man sie zum allgemeinen Wohlgefallen verrechtlicht. Zuhören, entspannen, nachdenken – so lautete ungefähr seine Idealvorstellung, damit sich das bessere Argument durchsetzen könne. Als wäre das politische Leben eine große Talkshow, in der es aber rational und gerecht zugeht. Davon handelt auch sein Hauptwerk, die »Theorie des kommunikativen Handelns«, das er vor über 40 Jahren veröffentlichte.

Und nun muss Habermas erfahren, dass gegen ihn kommunikativ gehandelt wird. Am vergangenen Mittwoch erschien von ihm ein langer Aufsatz in der »Süddeutschen Zeitung«, in dem er sich für Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland aussprach.

Das kam in der sogenannten Qualitätspresse gar nicht gut an. Er habe wohl keine Ahnung und schon gar nicht vom Osten, hieß es, so, als sei Habermas zwar sehr alt, aber nicht mehr länger weise. Im Prinzip ein Mann des Feindes. Allen voran twitterte der notorisch stimmungsvolle ukrainische Ex-Botschafter und Vize-Außenminister Andrij Melnyk: »Dass auch Jürgen Habermas so unverschämt in Putins Diensten steht, macht mich sprachlos. Eine Schande für die deutsche Philosophie. Immanuel Kant und Georg Friedrich Hegel würden sich aus Scham im Grabe umdrehen.«

Was Habermas nicht bedacht hatte: Bei bestimmten Fragen, wie zum Beispiel denen des Eigentums oder der Aufrüstung, zählt nicht das bessere Argument, sondern die bessere Beschimpfung. Zwar hatte Habermas in seinem Aufsatz dem Ansatz zugestimmt, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren dürfte, sich aber der beschwörenden Worte verweigert, wie sie der litauische Außenminister geäußert hatte: »Wir müssen die Angst davor überwinden, Russland besiegen zu wollen.« Wie soll das auch gehen, fragt sich Habermas. Er ist sich sicher, »dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordert und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den ersten Weltkrieg unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen«. Beides lehnt er ab und schlägt die »Wiederherstellung des status quo ante vom 23. Februar 2022« vor, was ihm in den Qualitätsmedien als naive bis zynische Idee ausgelegt wird.

1968 erschien ein Sammelband »Die Linke antwortet Jürgen Habermas«. Davon kann heute keine Rede mehr sein, weil es diese Linke mit ihren revolutionären statt reformistischen Forderungen nicht mehr gibt. Die meisten haben sich freiwillig zur Front gemeldet, rein ideell natürlich, vor dem Rechner im Wohnzimmer. Habermas aber ist sich sicher, dass der Krieg zunehmend »als zermalmende Gewalt« erfahren werden wird und »umso deutlicher drängt sich dieses Nichtseinsollen des Krieges auf«.

Waffenexporte nach Saudi-Arabien