Quelle: „Auf der Seite der Diplomatie“ (III) – GERMAN-FOREIGN-POLICY.com
14.3.2023
Grünen-Außenpolitiker Trittin sagt für den Herbst Druck des Westens auf Kiew voraus, den Krieg mit Verhandlungen zu beenden
BERLIN/BEIJING/BRASÍLIA/RIAD (Eigener Bericht) – Der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin sagt für den Herbst starken Druck des Westens auf die Ukraine voraus, den Krieg mit Russland in Verhandlungen zu beenden. Entsprechende „Signale“ habe es unlängst aus der US-Administration gegeben, berichtet Trittin. Ursache sei ein Stimmungsumschwung in der US-Bevölkerung, der die weitere Unterstützung für die Ukraine im bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlkampf nicht ratsam erscheinen lasse. Während sich damit abzeichnet, dass Kiew einen Kurswechsel vollziehen muss, intensivieren mehrere Staaten außerhalb des transatlantischen Westens den Einsatz für einen Waffenstillstand. So setzt Brasilien seine Bemühungen um Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine fort. Wie der Außenminister Saudi-Arabiens, Prinz Faisal bin Farhan al Saud, nach Besuchen in Kiew und in Moskau mitteilt, treibt auch Riad entsprechende Aktivitäten voran. Laut Berichten wird in Kürze Chinas Präsident Xi Jinping zu Gesprächen in Russland erwartet; demnach will er anschließend mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sprechen. Anders als der Westen begrüßt Selenskyj die Verhandlungsinitiativen schon jetzt.
„Frieden bringen“
Brasiliens Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva treibt ihre Bemühungen um eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg gezielt voran. Der brasilianische Außenminister Mauro Vieira etwa traf am 1. März am Rande des Treffens mit seinen G20-Amtskollegen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammen; dabei besprachen beide nicht nur Schritte zum Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit [1], sondern auch die Lage im Ukraine-Konflikt. Brasilien dringe auf einen Waffenstillstand, spreche sich aber gleichzeitig weiter gegen die westlichen Russland-Sanktionen aus, hieß es anschließend.[2] Einen Tag später, am 2. März, führten Lula und sein ukrainischer Amtskollege Wolodymyr Selenskyj ein Onlinegespräch, in dem Lula explizit feststellte, Brasilien wünsche „mit anderen Ländern zu sprechen und an jeglicher Initiative teilzunehmen, um Frieden und Dialog zu schaffen“.[3] Selenskyj wiederum erklärte, man habe „die Bedeutung der Verteidigung des Prinzips der Souveränität und der territorialen Integrität von Staaten hervorgehoben“, aber auch über „diplomatische Anstrengungen“ gesprochen, „der Ukraine und der Welt wieder Frieden zu bringen“. Selenskyj bestätigte seine Einladung an Lula, nach Kiew zu fahren und persönlich die Verhandlungen weiterzuführen.
In den Wiederaufbau investieren
Berichten zufolge nahmen Lula und Selenskyj bei ihrem Onlinegespräch auch schon erste weiter reichende Schritte in den Blick. Wie der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidentenbüros, Igor Schowka, erklärt, sei die „sehr wichtige Rolle“, die Lateinamerika spielen könne, in Kiew lange unterschätzt worden. Jetzt sei man gewillt, dem Subkontinent mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die Beziehungen zwischen der Ukraine und Brasilien etwa, heißt es mit Bezug auf das Videotelefonat der beiden Präsidenten, könnten „nicht nur auf politischer, sondern auch auf ökonomischer Ebene erneuert werden“.[4] So sei etwa denkbar, dass Brasilien nach dem Krieg in den Wiederaufbau der Ukraine investiere. Auch könnten die rund eine halbe Million Brasilianer, deren Vorfahren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus der heutigen Ukraine eingewandert seien, womöglich eingebunden werden.[5] Kiew und Brasília hatten bereits vor dem russischen Überfall über die Stärkung ihrer Wirtschaftsbeziehungen verhandelt, so nicht zuletzt über etwaige Investitionen brasilianischer Unternehmer in der Ukraine.[6] Freilich führten ihre damaligen Gespräche nicht zu einem wirklichen Erfolg.
„Ein vernünftiges Land“
Konkrete Schritte im Hinblick auf eine Verhandlungslösung leitet nun offenkundig auch China ein. Beijing hatte bereits am 24. Februar, am Jahrestag des russischen Überfalls, einen Zwölf-Punkte-Plan „zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise“ vorgelegt.[7] Jetzt wird berichtet, Präsident Xi Jinping werde sehr bald nach Moskau reisen, um dort Verhandlungen zu führen – womöglich schon in der kommenden Woche. Die russische Regierung hat den chinesischen Zwölf-Punkte-Plan im Kern klar begrüßt. Xi habe vor, so wird weiter berichtet, nach seinem Besuch in der russischen Hauptstadt auch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sprechen.[8] Im Unterschied zu Xis persönlichem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei freilich von einem Onlinegespräch auszugehen, heißt es. Wie im Fall Brasiliens ist auch für die Volksrepublik eine substanzielle Beteiligung am Wiederaufbau der Ukraine grundsätzlich denkbar. China war vor dem Krieg der größte Handelspartner der Ukraine und hatte außerdem – insbesondere im Rahmen der Neuen Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) – in die ukrainische Infrastruktur investiert.[9] Präsidentenberater Schowka bestätigt, in Kiew gelte die Volksrepublik im Hinblick auf künftige Verhandlungen als „ein vernünftiges Land“.[10]
Saudi-Arabien als Vermittler
In die Vermittlungsbemühungen schaltet sich zunehmend auch Saudi-Arabien ein. Riad, das – wie Brasilien und China – bereits vor dem Krieg prinzipiell gute Beziehungen zu Russland wie auch zur Ukraine unterhielt, konnte schon im Herbst dazu beitragen, den Austausch von Gefangenen zwischen beiden Seiten zu ermöglichen. Am 26. Februar reiste Außenminister Prinz Faisal bin Farhan al Saud zu Gesprächen mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba nach Kiew. Anschließend sagte er der Ukraine ein Hilfspaket im Wert von 400 Millionen US-Dollar zu. Zudem hieß es, man wolle die Geschäftsbeziehungen auf lange Sicht intensivieren.[11] Am 9. März traf Prinz Faisal dann zu Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau ein. Dort bekräftigte er, er wolle sich im Namen seines Landes an den Versuchen beteiligen, eine politische Lösung zur Beendigung des Krieges zu finden.[12] Saudi-Arabien hat sich von Anfang an trotz massiven Drucks aus dem Westen geweigert, sich im Ukraine-Krieg auf eine Seite zu schlagen. Insbesondere hat Riad es strikt vermieden, seine Erdölförderung auszuweiten, um den weltweiten Boykott russischen Öls zumindest theoretisch zu ermöglichen.
„Schwierige Entscheidungen“
Unterdessen mehren sich die Anzeichen, der Westen könne sich im Ukraine-Krieg zum Einlenken genötigt sehen. Kürzlich hieß es etwa mit Blick auf einen Stimmungsumschwung in der US-Bevölkerung – die Zustimmung für Waffenlieferungen und für die Finanzierung der Ukraine sinkt –, die Biden-Administration bereite mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf eine Verringerung ihrer Unterstützungsleistungen für Kiew vor und orientiere daher perspektivisch auf Friedensverhandlungen. Auch in Westeuropa, hieß es weiter, deute sich ein Kurswechsel an; so hätten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Kanzler Olaf Scholz dem ukrainischen Präsidenten bei dessen Besuch in Paris am Abend des 8. Februar erklärt, er müsse „beginnen, Friedensgespräche mit Moskau in Betracht zu ziehen“. Es gelte, „schwierige Entscheidungen“ zu treffen.[13]
„Bestenfalls die halbe Wahrheit“
Ende vergangener Woche hat der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Jürgen Trittin, öffentlich nachgelegt. Die auch in Berlin populäre „Versicherung …, allein Kiew werde über den Zeitpunkt von Verhandlungen mit Moskau entscheiden“, sei „bestenfalls die halbe Wahrheit“, konstatiert Trittin in einem Zeitungsbeitrag; schließlich sei die Ukraine abhängig von westlicher Unterstützung und müsse sich westlichen Forderungen daher im Zweifelsfall beugen. Die USA hätten bereits klare „Signale“ gegeben, sie würden im Herbst „den Druck erhöhen, die Kampfhandlungen zu beenden“. Darauf müsse sich auch Deutschland einstellen. Das werde aber nicht „das Ende der Hilfe für die Ukraine bedeuten“. Trittin konstatiert: „Die Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien. Solche Garantien und das Heranführen der Ukraine an die EU werden die Europäer und vor allem die Deutschen bezahlen müssen.“ Das sei, urteilt Trittin mit Blick auf die US-Präsidentenwahl Ende 2024, völlig unabhängig davon, „wer demnächst im Weißen Haus sitzt“.[14]
Mehr zum Thema: „Auf der Seite der Diplomatie“ und „Auf der Seite der Diplomatie“ (II).
[1] Lavrov, Brazilian FM reaffirm countries’ intention to strengthen relations – statement. tass.com 01.03.2023.
[2] Igor Gielow: Rússia diz entender condenação do Brasil à guerra e enviará chanceler. folha.uol.com.br 01.03.2023.
[3] Guilherme Mazui, Pedro Henrique Gomes, Ricardo Abreu: Em conversa por video, Lula reafirma proposta do ‘clube da paz’, e Zelensky convida o brasileiro para visitor a Ucrânia. g1.globo.com 02.03.2023.
[4] José Pedro Frazão: Ucrânia disposta a negociar com Rússia após retirada de Moscovo. rfi.fr 10.03.2023.
[5] Bibiana Dionísio: Comunidade ucraniana comemora 120 anos de imigração para o Brasil. g1.globo.com 22.05.2011.
[6] President of Ukraine discussed the possibility of increasing trade between the countries with the President of Brazil. president.gov.ua 22.10.2019.
[7] S. dazu Auf der Seite des Krieges.
[8] Keith Zhai: China’s Xi to Speak to Zelensky, Meet Next Week With Putin. wsj.com 13.03.2023.
[9] Valbona Zeneli, Nataliia Haluhan: Why China is Setting its Sights on Ukraine. thediplomat.com 04.10.2019.
[10] José Pedro Frazão: Ucrânia disposta a negociar com Rússia após retirada de Moscovo. rfi.fr 10.03.2023.
[11] Saudi Arabia’s Prince Faisal meets Ukraine’s President Zelenskyy in Kyiv. thenationalnews.com 26.02.2023.
[12] Ismaeel Naar: Saudi Arabia pledges to mediate in Russia-Ukraine war during Moscow visit. thenationalnews.com 09.03.2023.
[13] S. dazu „Untragbare Opfer”.
[14] Jürgen Trittin: Die Ukraine braucht belastbare Sicherheitsgarantien – und die werden vor allem die Deutschen bezahlen müssen. handelsblatt.com 10.03.2023. https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-global-challenges-die-ukraine-braucht-belastbare-sicherheitsgarantien-und-die-werden-vor-allem-die-deutschen-bezahlen-muessen/29024850.html