„Was wir jetzt erleben, ist der Zusammenbruch der Diplomatie“
- September 2022 Harald Neuber
Christian Hacke über einen Ausweg aus dem Ukraine-Krieg, die Reaktionen der Menschen in Ost und West sowie das fehlende historische Gedächtnis in Berlin.
Herr Hacke, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor wenigen Tagen mehrere Dekrete über die Bildung einer seit 2014 bestehenden Trilateralen Kontaktgruppe aus der Ukraine, Russland und der OSZE für nichtig erklärt und die Delegation aufgelöst. Welche Kanäle bleiben noch für eine politische Lösung?
Christian Hacke: Unabhängig von der Bedeutung dieser Kontaktgruppe erleben wir derzeit, dass Diplomatie wohl nicht stattfindet, auch keine Geheimdiplomatie. Auf der Beerdigung von Michail Gorbatschow vor wenigen Tagen war der einzige Vertreter des Westens der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Das ist ein abstoßendes Bild: Orbán als Repräsentant des Westens, der Europäischen Union. Denn dort ging es um die Würdigung von Gorbatschow und nicht um die der aktuellen russischen Führung.
Dass Deutschland es versäumt hat, dort einen hohen Repräsentanten, ja vielleicht sogar den Bundespräsidenten oder einen Minister oder den Bundeskanzler hinzuschicken, das halte ich für einen fatalen Fehler.
Zur Zeit von Helmut Kohl oder Helmut Schmidt hätte man in so einer angespannten Situation eine Art Beerdigungsdiplomatie angestrebt. Man hätte zumindest einen Horst Teltschik hinschicken können. Aber das, was wir jetzt erleben, ist der Zusammenbruch der Diplomatie. Man könnte sagen: Es gibt keine Chance, aber wir müssen sie nutzen.
Aber es nicht zu versuchen – das fiel mir ein, als ich die Feierlichkeiten im Fernsehen gesehen habe – das war das Enttäuschende. Es war auch würdelos.
Welches Gremium wäre denn für eine diplomatische Offensive geeignet?
Christian Hacke: Das könnte bei den Unterzeichnern des Budapester Memorandum von 1994 angesiedelt sein: Amerika, Russland, Großbritannien und Ukraine. Das wäre eine konfrontative Angelegenheit, aber diese Verhandlungspartner von damals waren verantwortlich für die Abschaffung der Nuklearwaffen und übernahmen deshalb die Garantien für die Sicherheit der Ukraine. Daran muss man sie erinnern.
Natürlich müsste es auch die UNO versuchen oder auch ausgewählte Staaten mit neutralen Ambitionen. Aber das Entscheidende ist, dass alles geheim versucht wird, – geheim und noch mal geheim.
Leider beobachten wir derzeit das Gegenteil, eine Art Sucht, sich in der Öffentlichkeit selbstherrlich und selbstgerecht darzustellen; das verhindert natürlich jede Möglichkeit des Kompromisses. Der Einzige, der im eigenen Interesse die Klaviatur der Diplomatie zu spielen versteht, ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan.
In der Tat hat die Politzeitschrift Foreign Affairs berichtet, dass in Istanbul Ende März schon eine erste Einigung auf dem Tisch lag. Trotzdem scheinen die Konfliktparteien von einer politischen Einigung weiter denn je entfernt zu sein. Woran liegt das?
Christian Hacke und Daniela Schwarzer über den Krieg in der Ukraine | maischberger –tagesschau – 109.558 Aufrufe 29.06.2022 #Russland #maischberger #Ukraine
Wollen die USA den Krieg in der Ukraine wirklich beenden? Was bringen Waffenlieferungen? Und wie ist die Situation in Amerika, bröckelt die transatlantische Verbindung? Darüber im Gespräch mit Sandra Maischberger: Der Politikwissenschaftler und USA-Experte Christian Hacke und die Politikwissenschaftlerin Daniela Schwarzer.
Schwarzer zieht zum vergangenen G7-Gipfel ein gemischtes Fazit – Deutschland hätte „so viel herausgeholt, wie herauszuholen war“. Dennoch habe der Gipfel gezeigt, dass die internationale Haltung zu Russland längst keine eindeutige sei. Die westlichen Staaten und ihre Verbündeten müssten insgesamt wieder mehr tun – auch, um sich gegenüber China zu behaupten und unabhängiger von den USA zu werden.
Christian Hacke sieht in der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine auch eigenes Kalkül. Den USA gehe es laut Hacke nicht darum, den Krieg zu beenden. Vielmehr wolle Präsident Biden den Konflikt nutzen, um Russland und Präsident Putin zurückzudrängen und das Land zu schwächen. In der Lieferung von Waffen sieht er keine Lösung – dies könne dazu führen, dass Putin eskaliere und taktische Nuklearwaffen einsetze.
Schwarzer hingegen glaubt nicht, dass der Westen mit Waffenlieferungen Fehler mache.
Diese müssten sein, um die Ukraine zu unterstützen. Pessimistisch zeigen sich beide im Hinblick auf die USA. Europa müsse sich spätestens zur nächsten US-Wahl damit befassen, dass ein dann möglicher Präsident erneut Trump heiße. Dieser würde wie in seiner letzten Amtszeit nicht für eine verlässliche Partnerschaft stehen, deshalb müsse Europa unabhängiger von den USA werden. Zur ganzen Sendung vom 28.06.2022 geht es hier: https://www.ardmediathek.de/video/mai…
Alle Sendungen in der ARD-Mediathek: https://www.ardmediathek.de/sendung/m… Außerdem zu Gast waren: Sven Plöger (ARD-Wetterexperte und Meteorolge) Dagmar Rosenfeld („WELT“) Friedrich Küppersbusch (TV-Produzent und Journalist) Joachim Llambi (TV-Moderator