„(01. April 2020) Die Bundesregierung muss den Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt durch verschiedenste Maßnahmen ankurbeln – anstatt ihn sogar noch weiter auszubremsen. Sonst könnte die Energiewende bald sogar rückwärts laufen.
Genau vor 20 Jahren, am 1. April 2000, trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft und läutete eine energiepolitische Zeitenwende ein. Die Vorarbeit zahlreicher Bürgerenergie-Bewegter seit den 1980er Jahren fand ihren vorläufigen Höhepunkt in diesem gesetzlichen Ausbaubeschleuniger. Das EEG förderte das Engagement von Privatpersonen, kleinen Betrieben und Bürgerenergiegenossenschaften und begründete damit die „Energiewende von unten“. Als wohl effektivste Klimaschutzmaßnahme der deutschen Bundesregierung wurde es außerdem zum Exportschlager: Über 100 weitere Länder weltweit übernahmen das Modell der Einspeisevergütung für erneuerbar erzeugten Strom. Mit 46 Prozent netto erzeugten die erneuerbaren Energien im vergangenen Jahr fast die Hälfte des in Deutschland verbrauchten Stroms.
Doch die Reformen des Gesetzes 2014 und 2017 haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz zur Ausbaubremse verkommen lassen. Im Jahr 2014 bekamen sie den „atmenden“ Ausbaudeckel verpasst, der die Einspeisevergütung senkt, sobald eine von der Regierung festgelegte maximale jährliche Ausbaumenge erreicht ist. Würde eine ähnliche Maßnahme den Vormarsch der fossilen Energie eindämmen, wäre sie sicherlich sofort als „Planwirtschaft“ verschrien. Ab 2017 galt die Umstellung von einer festen Einspeisevergütung für Erneuerbare auf Ausschreibungen. Dabei schreibt die Regierung eine feste Menge an erneuerbarer Leistung aus, auf deren Realisierung sich AkteurInnen mit möglichst niedrigen Angeboten bewerben müssen. Risiko und Planungskosten stiegen dadurch – und drängten die AkteurInnen der Bürgerenergiewende aus dem Markt.
Bereits zwischen 2010 und 2012 wurden die Fördersätze für Solarenergie so drastisch gekürzt, dass in den folgenden Jahren 100.000 Arbeitsplätze in der Branche verloren gingen – die Produktion verlagerte sich nach China. Inzwischen ist auch die Windkraft abgewürgt worden. Im ersten Halbjahr 2019 wurden 82 Prozent weniger Windräder aufgestellt als im gleichen Zeitraum im Jahr davor. So wenig Windkraft ist seit Einführung des EEG nicht mehr ans Netz gegangen. Diese Entwicklung ist nicht folgenlos: In den letzten drei Jahren sind um die 40.000 Jobs abgebaut worden. Die Einführung von bundesweiten pauschalen Mindestabständen würde diese Entwicklung weiter verschärfen.
Nun droht Deutschland eine gewaltige Ökostromlücke. Ohne entschlossene Gegenmaßnahmen erreichen wir nach Berechnungen der Agora Energiewende höchstens einen Anteil von 55 Prozent erneuerbaren Energien am Strommix. Im Koalitionsvertrag vereinbart sind 65 Prozent – und für das Pariser Klimaabkommen notwendig sind mindestens 75 Prozent. Das Problem verschärft sich, je mehr Wärmeversorgung und Mobilität künftig auf strombasierte Technologien umgestellt werden, Stichwort: Sektorkopplung. Sogar traditionell in der fossilen Industrie verankerte Akteure wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Bergbaugewerkschaft IGBCE und der Verband der Chemischen Industrie (VCI) drängen inzwischen auf einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien. Doch die Bundesregierung steht auf der Bremse – und gefährdet damit im schlimmsten Fall den Ausstieg aus Atomkraft oder Kohle.
Aktuell kommt ein weiteres Argument hinzu: Ein Energiewende-Boom kann ein Ausweg aus der aktuellen Rezession sein. Ein Corona-Konjunkturpaket kann aus der Not eine Tugend machen und Weichen für die strukturelle Veränderung der Energiewirtschaft stellen.
Für den beschleunigten Ausbau von Wind- und Sonnenenergie sind aktuell vor allem zwei Stellschrauben in der politischen Diskussion: Die Aufhebung des „Solardeckels“ soll verhindern, dass künftig installierte Solaranlagen keine Förderung mehr erhalten. Denn die aktuelle Regelung besagt, dass ab einer deutschlandweit installierten Leistung von 52 Gigawatt Solaranlagen die Einspeisevergütung für neue Anlagen abgeschafft wird – diese sind dann aber nicht mehr rentabel. Der sowieso schon gebeutelten Windkraft will die Bundesregierung wiederum mit Mindestabständen von 1000 Metern zum nächsten Wohnhaus weiter zusetzen – eine Regelung, die eventuell auch schon für kleinste Siedlungen gelten soll. Setzen sich am Ende die restriktiven Regelungen durch, können auch alte Windräder nicht durch neue, leistungsfähigere ersetzt werden. Dann liefe die Energiewende rückwärts und es käme zu einer Reduktion der aktiven erneuerbaren Kraftwerke. Fatal ist, dass die Union sich weigert, den Solardeckel abzuschaffen, solange keine Einigung über die Rahmenbedingungen für die Windkraft erzielt wurde.
Schon im September hatte eine Studie von EuPD Research gezeigt, dass die drohende Ökostromlücke nur durch einen massiven Ausbau der Solarenergie geschlossen werden kann. Um die Solar-Gesamtkapazität bis 2030 zu verdreifachen, müssen jährlich zehn Gigawatt Photovoltaik-Anlagen gebaut werden – mehr als doppelt so viel wie aktuell. Die Studienautoren legen den Fokus auf den Solarausbau, da die Windkraft durch die langjährigen Genehmigungsverfahren mit größeren Hürden zu kämpfen hat. Auch Agora Energiewende geht von unterschiedlichen Szenarien aus – mit Schwerpunkt auf der Wind- oder der Solarenergie.
Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, das immense Potenzial an Dachflächen für den Ausbau der Solarenergie zu nutzen. So kommt die Energiewende voran ohne in Konkurrenz mit anderen Nutzungen oder Naturschutzbelangen zu treten. Die Bundesregierung kann hierfür den Solardeckel abschaffen und eine Reihe weiterer Maßnahmen ergreifen. So muss auch der „atmende Deckel“ mit seiner niedrigen jährlich zugelassenen Ausbaumenge mit voller Förderung abgeschafft oder alternativ auf einen jährlichen Zubau von zehn Gigawatt angehoben werden. Eine bundesweite Solaranlagenpflicht für Neubauten würde garantieren, dass künftig keine Dachfläche mehr ungenutzt bleibt. Die Zahlung der vollen EEG-Umlage für die Nutzung von Solarenergie auf Mietshäusern muss ebenso abgeschafft werden wie zahlreiche andere bürokratische Hürden, welche die Nutzung von „Mieterstrom“ aktuell kompliziert und unrentabel machen. Und schließlich muss die Bundesregierung eine Anschlussregelung für die 195.000 Solaranlagen schaffen, die ab 2021 aus der Förderung durch das EEG fallen. So könnte die Energiewende von unten einen neuen Aufschwung erleben!“
Der Beitrag von Franziska Buch entstammt dem aktuellen Newsletter des Umweltinstituts München (1. April 2020).
Franziska Buch ist Referentin für Energie- und Klimapolitik und Mitglied des Vorstands. Sie beschäftigt sich mit den ökologischen und sozialen Folgen energiepolitischer Entscheidungen. Mit der Kampagne „Klimawende von unten“ unterstützt sie lokale Initiativen dabei, mit direkter Demokratie die Klimapolitik in die Hand zu nehmen.