Von Bodo Ellmers | 17.04.2020
Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise haben die Entwicklungsländer mit voller Härte getroffen. Rohstoffpreise sind kollabiert und damit auch die bedeutendste Quelle ihrer Exporteinnahmen. Seit sich Massenarbeitslosigkeit breitmacht, gehen auch die Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten zurück. Der Tourismus wurde weitgehend eingestellt. Die Kapitalflucht aus Entwicklungsländern seit Beginn der Coronakrise war schneller und größer als während der großen Finanzkrise von 2008. Alleine im März wurden netto gut 100 Milliarden US-Dollar abgezogen.
Der Finanzbedarf von Entwicklungsländern ist also enorm, sowohl zur akuten Bekämpfung der Coronakrise, als auch zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen. Während reiche Länder mit gewaltigen Rettungspaketen in der Krise gegensteuern, stehen viele der klassischen Politikoptionen dieser Pakete den armen Ländern nicht zur Verfügung.
Die fiskalischen Spielräume sind begrenzt, da viele Länder bereits hoch verschuldet sind und auch nur wenig zusätzliche Steuern erheben können. Während die Zentralbanken von reichen Ländern mit starken Währungen die geldpolitische „Bazooka“ eingesetzt haben, würde eine expansive Geldpolitik in Entwicklungsländern mit einer Abwertung ihrer Währungen einhergehen und damit die Finanzierung wichtiger Importe und die Bedienung der Auslandsschulden erschweren.
Die Vereinten Nationen haben daher ein gewaltiges Rettungspaket für den globalen Süden im Volumen von 2,5 Billionen US-Dollar gefordert. Nach Angaben der Konferenz der UN für Handel und Entwicklung (UNCTAD) sollte sich das Paket aus drei Komponenten zusammensetzen:
- 500 Milliarden Dollar sollen einen Marschall-Plan für den Gesundheitssektor armer Länder finanzieren. Die UNCTAD hält die Finanzierung dieses Plans über Zuschüsse reicher Länder für angebracht, da diese in den letzten Jahrzehnten ihren Verpflichtungen zur Leistung von Entwicklungshilfe nicht in vereinbarter Höhe nachgekommen sind. Es handele sich also um eine Nachzahlung.
- Eine Billion Dollar zusätzliche Finanzhilfen sollten durch Sonderziehungsrechte – das internationale Reserveguthaben des IWF – an die Entwicklungsländer fließen. Das ist mit einer Erhöhung der Geldmenge vergleichbar, wie sie die EZB für Europa vorgenommen hat. Der IWF übernimmt quasi die Rolle der Zentralbank des Globalen Südens.
- Eine weitere Billion Dollar könnte indirekt durch Schuldenerlasse freigesetzt werden. Das ist kein Transfer in arme Länder, sondern der Verzicht auf zukünftige Transfers aus armen Ländern. Dies würde fiskalische Spielräume zum Wiederaufbau ihrer Wirtschaft schaffen.
Spektakuläre Staatspleiten wie die von Argentinien letztes Jahr waren bereits Vorzeichen der neuen Krise.
Die Schuldenlast wiegt enorm: In Zeiten billigen Geldes und niedriger Zinsen in Europa und den USA haben zahlreiche Investoren Anlagemöglichkeiten im globalen Süden gesucht. Das hat die Schuldenberge dort auf bislang nie gesehene Höhen getrieben.
Spektakuläre Staatspleiten wie die von Argentinien letztes Jahr waren bereits Vorzeichen der neuen Krise. Fast die Hälfte der Länder niedrigen Einkommens fällt laut Einstufung des Internationalen Währungsfonds in die Kategorie der Länder mit hohem Schuldenkrisenrisiko, und diese Einstufung beruht auf Daten von vor der Coronakrise. Diese hat die Blase jetzt zum Platzen gebracht: In Rekordzeit haben über 80 Länder Notkredite beim IWF beantragt, um Staatspleiten zu vermeiden. Daher der enorme Druck auf die internationale Gemeinschaft und ihre Institutionen, von IWF bis zu G7 und G20, Schuldenerlasse zu beschließen.
Als ice-breaker hat dabei der IWF selbst fungiert: Er beschloss am 13. April, einer Gruppe von 25 Ländern die Ratenzahlungen für den Rest des Jahres zu erlassen. Diese Entscheidung bedeutet, dass 215 Millionen Dollar an Zahlungen eingespart werden, hat also eher symbolischen Charakter.
Netto dürfte dabei allerdings überhaupt kein positiver Effekt für Entwicklungsländer herauskommen. Denn der IWF erwartet, von seinen reicheren Mitgliedsstaaten für entgangene Ratenzahlungen entschädigt zu werden, was diese aus ihren Entwicklungshilfebudgets finanzieren sollen. Es ist also ein Nullsummenspiel, bei dem arme Länder an Entwicklungshilfe verlieren, was sie an Schuldenerlass gewinnen. Eine Alternative wäre, dass der IWF solche Schuldenerlasse selbst finanziert, durch den Verkauf eines Teils seiner nicht unerheblichen Goldreserven.
Am 15. April haben die G20 nachgezogen – nach hitzigen Verhandlungen zwischen den beiden geopolitischen Antagonisten USA und China.
Der Beschluss der G20 sieht vor, einer Gruppe von 77 der ärmsten Entwicklungsländer die Ratenzahlungen für den Rest des Jahres zu stunden, wenn diese das jeweils beantragen. Damit würden etwa 14 Milliarden Dollar an Liquidität freigesetzt, die ansonsten dieses Jahr in den Schuldendienst geflossen wären. Der G20-Beschluss verschafft den armen Ländern also etwas Luft, ein echter Schuldenerlass ist es jedoch nicht, denn die Länder müssen die nicht geleisteten Raten über die folgenden drei Jahre nachzahlen. Wenn sie das denn können: Es ist davon auszugehen, dass die Coronakrise viele hoch verschuldete arme Länder in die tatsächliche Staateninsolvenz treibt. Aus dieser kommen sie jedoch nur mit einer echten Schuldenstreichung wieder heraus.
Zudem ist das Paket nicht völlig frei von Konditionen. Länder, die davon profitieren, müssen ein laufendes IWF-Programm haben. Diese Programme sind höchst umstritten, denn sie enthalten in aller Regel Konditionen zur „fiskalischen Konsolidierung“, wie Austeritätspolitik beim IWF euphemistisch heißt. Diese vom IWF aufgezwungenen Konditionen haben in vielen Ländern zum kaputt sparen der Gesundheitssysteme geführt, und sie daher verletzlicher für die Coronapandemie gemacht. Den IWF und seine Programme hier ins Spiel zu bringen, heißt also den Bock zum Gärtner zu machen.
Es ist davon auszugehen, dass die Coronakrise viele hoch verschuldete arme Länder in die tatsächliche Staateninsolvenz treibt.
Außerdem müssen sich Länder verpflichten, während des Zahlungsaufschubs keine neuen Kredite zu Marktzinsen aufzunehmen. Das ergibt in Anbetracht ihrer hohen Schuldenlast einerseits Sinn, heißt aber auch, dass ihre Möglichkeiten zur kontrazyklischen Fiskalpolitik eingeschränkt werden. Natürlich sind auch die Rettungspakete in Deutschland und anderswo im globalen Norden erstmal durch neue Schulden finanziert.
Letztlich beschränkt sich der G20-Deal auf die bilateralen Schulden. Hier haben sich die USA durchgesetzt, denn der mit Abstand größte bilaterale Gläubiger gegenüber dem globalen Süden ist China.
Um effektiv Mittel frei zu setzen, müssten sich kurzfristige Schuldenmoratorien und langfristige Schuldenerlasse aber auch auf die multilateralen Kredite – wie zum Beispiel der US-dominierten Weltbank – und ganz besonders auf Kredite bei privaten Banken und auf Staatsanleihen armer Länder erstrecken. Letztere werden ganz überwiegend von großen Investmentfonds in den USA und Europa gehalten. Fremdwährungsanleihen von Entwicklungsländern sind extrem hoch verzinst, mit Sätzen von bis zu zehn Prozent jährlich. Diese wiegen also am Schwersten auf den Budgets der armen Länder und müssten prioritär angegangen werden.
Die derzeitigen Maßnahmen von IWF und G20 sind erste Schritte, aber noch meilenweit entfernt vom Schuldenerlassvolumen, das die UN in der Coronakrise für nötig hält. Entscheidend sind in den nächsten Wochen vor allem zwei Dinge. Erstens, dass vom Zahlungsaufschub zum tatsächlichen Schuldenerlass übergegangen wird, denn die Probleme lassen sich nicht lösen, wenn sie lediglich in die Zukunft verlagert werden. Zweitens, dass auch die privaten Gläubiger durch Schuldenumstrukturierungen mit eingebunden werden. Spekulanten haben in den letzten Jahren viel verdient, wenn sie sich gegen den Kauf von Bundesanleihen und stattdessen für Hochzins- und Hochrisikoanleihen armer Länder entschieden haben. Jetzt müssen sie auch Abschreibungen hinnehmen.
Die Umstrukturierung privater Schulden können die G20 allerdings nicht dekretieren. Ihre Rolle wäre, armen Ländern, die die Bedienung privater Schulden in der Coronakrise einstellen, rechtliche und politische Rückendeckung zu geben. Gerechtfertigt ist das in dieser Krise allemal. In seinen Leitprinzipien zu Schulden und Menschenrechten hat der UN-Menschenrechtsrat festgestellt, dass Staaten menschenrechtsrelevante Ausgaben – wie etwa für Bildung und Gesundheitsdienste – über den Schuldendienst priorisieren müssen, wenn die Mittel knapp werden. Kein Staat hat das Recht, die Menschenrechte seiner Bürgerinnen und Bürger mit Füßen zu treten, um die finanziellen Ansprüche von Gläubigern zu erfüllen, selbst wenn das die Einstellung des Schuldendienstes erfordert. In der Coronakrise werden viele Staaten vor diese Wahl gestellt werden.