Keine Frage der Moral
Es geht nicht um Gesinnung, sondern ums Geschäftsmodell: Um Rassismus zu bekämpfen, muss man die Macht der Konzerne bekämpfen.
Von Paul Heideman | 28.07.2020
Seit Beginn der Aufstände gegen Polizeibrutalität und ethnische Ungerechtigkeiten Ende Mai überschlagen sich die Konzerne, um Stein und Bein zu schwören, dass sie gegen Rassismus seien. Der internationale Wirtschaftsprüfungsriese KPMG veröffentlichte den Blogeintrag eines Seniorpartners, in dem dieser erklärt, warum er Juneteenth feiert, den Gedenktag zur Erinnerung an die Befreiung der Sklaven. Die Firma Gushers, ein Fruchtsnackhersteller im Besitz von General Mills, twitterte: „Gushers wäre nicht Gushers ohne die Schwarze Gemeinschaft und eure Stimmen.“ Selbst der Business Roundtable wollte nicht außen vor bleiben und erklärte sich „tief besorgt über die rassistische Voreingenommenheit, die nach wie vor ein Übel in unserer Gesellschaft ist“.
Sehr zum Bedauern der hinter diesen Aktionen steckenden Marketingberater kaufen immer weniger Menschen den Konzernen diese Aussagen ab. Wenn die Unternehmen Rassismus wirklich ernst nähmen, argumentierte kürzlich ein Autor in der Washington Post, würden sie andere Dinge tun: „strategische Maßnahmen ergreifen und mehr schwarze Fachkräfte einstellen“, „erheblich mehr Gelder in die Netzwerkgruppen schwarzer Angestellter investieren“, und „die Schwarzen um Rückmeldung und Anregungen bitten, wie der Betrieb weniger rassistisch gestaltet werden könnte“.
Diese Art von Skepsis ist absolut gerechtfertigt. Wir sollten die Aussagen der Konzerne oder ihre Tweets zu anti-rassistischen Maßnahmen nicht falsch verstehen. Gleichwohl ist das Bemerkenswerteste an der Aussage der Washington Post – die typisch für den Tenor der aus linksliberalen Kreisen kommenden Kritik ist –, dass sie den Anti-Rassismus von Konzernen allein als eine Frage des Willens betrachtet. Konzerne wollen anti-rassistisch sein oder auch nicht; und wenn nicht, ist das das moralische Versagen der Unternehmensführung.
Aber Unternehmen sind von dem Anspruch getrieben, ihre Profite zu maximieren. Es ist dieser Antrieb – nicht das Fehlen anti-rassistischer Überzeugungen –, der letztlich ethnische Hierarchien immer weiter verfestigt (und häufig vertieft). Vom Umweltrassismus bis hin zur „raffgierigen Vereinnahmung“ des Wohnungsmarktes ist es der Daseinsgrund der Konzerne an sich, der sie dazu bringt, die Lebensperspektive der Schwarzen in der US-Bevölkerung zu schmälern. Um gegen Rassismus vorzugehen, muss man gegen die Macht der Konzerne vorgehen.
Der Eintritt von Beteiligungsfonds in den Immobilienmarkt ist einer der Gründe, warum die Hauseigentumsrate in den USA noch immer nicht annähernd an die Höchstraten vor der Krise herankommt; und bei der Schwarzen Bevölkerung liegt diese Rate bei unter 45 Prozent.
Die jüngste Vergangenheit einer einzelnen Firma – der Blackstone Group – ist ein anschauliches Beispiel für diese Dynamik.
Blackstone ist eine riesige Investmentgesellschaft, die einige der weltweit größten Kapitalbeteiligungsfonds unter ihrer Kontrolle hat. Gleich nach dem Tod von George Floyd veröffentlichte Blackstone eine Erklärung, in der das Unternehmen seine Sympathie mit der Bewegung für ethnische Gerechtigkeit zum Ausdruck brachte und John Lewis‘ Worte über den „endlosen Kampf“ für Gleichheit zitierte. Die Handlungsweise des Unternehmens im letzten Jahrzehnt erzählt eine ganz andere Geschichte.
In den Jahren vor der Immobilienkrise mit den zahlreichen Zwangsversteigerungen hatten Hypothekengesellschaften vor allem die Bevölkerungsschicht der Schwarzen als Zielgruppe für Subprime-Kredite anvisiert. Als die Immobilienblase platzte, hatte das die größte Zerstörung von Vermögen schwarzer Haushalte in der US-Geschichte zur Folge. Die mit Millionen von leerstehenden Häusern konfrontierte Obama-Regierung wandte sich an amerikanische Konzerne, um eine Lösung zu finden. Im Jahr 2010 legte sie ein Programm auf, das es den Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac erlaubte, die zwangsversteigerten Häuser reihenweise an Investitionsgesellschaften zu verkaufen, die daraus Mietobjekte machten.
Die Kapitalbeteiligungsfonds von Blackstone gehörten zu den großen Nutznießern dieses Programms. Mit Investitionen von über 60 Milliarden US-Dollar in Mietmärkte verwandelte der Konzern Hunderttausende von Einfamilienhäusern in Mieteinheiten. Während Schwarze Familien in Rekordzahlen ihre Häuser verloren, war Blackstone bereit, sich die früheren Eigenheime von Schwarzen Familien, mit denen diese etwas Vermögen aufbauen wollten, unter den Nagel zu reißen und in eine weitere Quelle passiven Einkommens für ihre Anleger zu konvertieren.
Der Eintritt von Beteiligungsfonds in den Immobilienmarkt ist einer der Gründe, warum die Hauseigentumsrate in den USA noch immer nicht annähernd an die Höchstraten vor der Krise herankommt; und bei der Schwarzen Bevölkerung liegt diese Rate bei unter 45 Prozent.
Weil die Zwangsversteigerungskrise die Schwarzen Wohnviertel unverhältnismäßig härter traf, konzentrieren sich die Häuser, die jetzt von den Kapitalbeteiligungsgesellschaften vermietet werden, in genau diesen Gegenden.