Facebook behauptet, die Welt näher zusammenzubringen. Doch immer mehr zeigt sich, dass das Netzwerk Menschen auseinandertreibt – und Populisten stärkt.
Als Facebook 2012 an die Börse ging, erklärte Gründer Mark Zuckerberg in einem Brief an Investoren die Philosophie seines Unternehmens. Die meisten wachsenden Firmen bremsten zu sehr ab, weil sie mehr Angst vor Fehlern hätten, als davor, Chancen durch zu viel Langsamkeit zu versäumen, schrieb er. Facebook sei da anders. „Wir haben ein Sprichwort: ‚Move fast and break things.‘ Die Idee ist, wenn du nie etwas kaputt machst, bist du wahrscheinlich nicht schnell genug.“ Das Firmenmantra „Move fast and break things“ stand groß auf den Wänden des Unternehmenssitzes 50 Kilometer vor San Francisco.
Acht Jahre später lässt sich feststellen: Facebook war schnell und vieles ist kaputtgegangen. Für den Konzern, zu dem inzwischen auch der Messaging-Dienst Whatsapp und das Foto-Netzwerk Instagram gehört, entwickelten sich die Dinge erfreulich. Er verfügt nun mit all seinen Plattformen über mehr als drei Milliarden Nutzer, rund 40 Prozent der Weltbevölkerung. Knapp jeder zweite erwachsene Internetnutzer in Deutschland verwendet Facebook, mehr als zwei Drittel Whatsapp, jeder Vierte ist auf Instagram. Diese Marktmacht hat zu einem gigantischen Börsenwert geführt. Mit rund 650 Milliarden Euro Marktkapitalisierung steht Facebook auf Platz fünf der wertvollsten börsennotierten Firmen der USA.
Doch auch auf der Welt hat sich seit dem Börsengang vieles verschoben. Populistische Politiker sind in vielen Ländern an die Regierung oder ins Parlament gelangt. Autoritäre Regierungsformen haben zugenommen. Gesellschaften sind zutiefst gespalten. Verschwörungstheorien haben an Popularität gewonnen. Antisemitismus ist erstarkt. Falschinformationen können sich rasant verbreiten. Der Tonfall im Netz ist verroht und Empörung zur Grundstimmung vieler politischer Debatten geworden. Und es mehren sich die Anzeichen, dass der Facebook-Konzern zu dieser Verschiebung beigetragen hat, weil ihm Schnelligkeit von jeher wichtiger ist als Sicherheit – und Wachstum wichtiger als Verantwortung.
Disruptive Wirkung auf Diskurse
„Man muss davon ausgehen, dass Facebook einen Anteil an der Zunahme an Polarisierung, Populismus und verschwörungstheoretischem Denken hat“, sagt Ulrike Klinger, Professorin für digitale Demokratie an der Europa-Universität in Frankfurt an der Oder. „Wir haben nicht die Daten, um das zu quantifizieren, aber aufgrund der Studien, die es gibt, und was über interne Studien von Facebook bekannt ist, gehe ich davon aus.“
Das Unternehmen ergreife im Gegensatz zu anderen Netzwerken zwar relativ viele Gegenmaßnahmen. „Aber Facebook unterschätzt noch immer sehr, wie disruptiv es auf öffentliche Diskurse wirkt und wie tief das im Geschäftsmodell und der prinzipiellen Funktionsweise dieser Plattform verankert ist.“
Ein Team im Facebook-Konzern kam zu einem ähnlichen Schluss. Bei interner Forschung fand es 2018 heraus: Die Programmierung des Netzwerks treibt Menschen teilweise auseinander. „Unsere Algorithmen nutzen aus, dass das menschliche Gehirn sich von Spaltung angezogen fühlt“, hieß es in einer Präsentation. Werde dem nicht nachgegangen, würde Facebook seine Nutzer „mit immer mehr entzweienden Inhalten“ versorgen, „um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen“ und ihre „Zeit auf der Plattform zu verlängern“.
Mitarbeiter erarbeiteten Vorschläge für Änderungen. Doch Zuckerberg und andere leitende Angestellte blockten oder schwächten die Bemühungen ab – und stellten die Forschung weitgehend zurück. Die Zeitung Wall Street Journal hatte dies im Mai dieses Jahres enthüllt. Facebook verteidigte sich, mehrere Faktoren, die zu Polarisierung beitragen können, bereits angegangen zu sein.
Schon vor dieser Aufdeckung ging es mit Facebooks Ruf seit Jahren bergab, weil die Verfehlungen des Konzerns immer neue globale Dimensionen erreicht hatten. Besonders drei Fälle haben das Vertrauen der Öffentlichkeit erschüttert.
2017 wurde bekannt, dass vor der US-Wahl 2016 eine koordinierte russische Kampagne Millionen Bürger auf der Plattform erreichte – und für Donald Trump warb. Wenig später stellte sich heraus, dass das Militär im mehrheitlich buddhistischen Myanmar die Plattform nutzen konnte, um systematisch zu Hass und Gewalt gegen die verfolgte muslimische Rohingya-Minderheit anzustiften. 2018 wurde öffentlich, dass die Politikberatungsfirma Cambridge Analytica an Daten von bis zu 87 Millionen Nutzern gelangen konnte.