Mein Freund, der Neonazi: Querdenken-Moderator pflegt seit Jahren Kontakt in die rechtsextreme Szene

Quelle: correctiv  16. Oktober 2020von Matthias Bau

Wie rechtsoffen ist die Querdenken-Bewegung? Eine Recherche von CORRECTIV zeigt: Ein Mitglied des Kernteams nimmt seit Jahren einen Podcast mit einem bekannten Rechtsextremen auf und traf 2019 den Vorsitzenden der NPD. Organisator Michael Ballweg schweigt dazu.

Mit Holocaustleugnern will Michael Ballweg nichts zu tun haben. „Ich möchte dir mitteilen, dass du auf unseren Demonstrationen nicht mehr willkommen bist.“ Mit diesen Worten beendet der Initiator der Querdenken-Bewegung während eines Interviews die Zusammenarbeit mit Nikolai Nerling, der im Internet als „Der Volkslehrer“ bekannt ist und laut Medienberichten in erster Instanz wegen Holocaustleugnung verurteilt wurde.

Nach der Besetzung der Reichstagstreppen durch Rechtsextreme, Reichsbürger und Anhänger der QAnon-Bewegung im Zuge der Querdenken-Demonstration am 29. August musste Ballweg sich in Interviews und Talkrunden dazu positionieren, ob die Bewegung offen für Rechtsextremisten sei. Seine Standardantwort: Bei Demonstrationen gebe es keine Eintrittskarten, jeder könne sich ihnen anschließen. Man könne schließlich keine Eintrittskontrollen durchführen.

Von Nikolai Nerling distanzierte Ballweg sich, weil Nerling in seiner Rede am 29. August Bezug auf die sechs Millionen Opfer des Holocaust genommen hatte. Das habe ihn „schockiert“, erklärt Ballweg in einem Video auf dem Youtube-Kanal von Querdenken 711. Nerling sei ab nun auch im Pressebereich „nicht mehr willkommen“. Auf die Rede hingewiesen hatte Ballweg zuvor das Politmagazin Monitor. Doch Nerlings Gesinnung ist spätestens seit dem Jahr 2018 durch mehrere Medienberichte öffentlich bekannt.

Recherchen von CORRECTIV zeigen, dass der Organisator der Querdenken-Bewegung nicht nur die im Fall Nerling öffentlich leicht zugängliche Informationen offenbar nicht zur Kenntnis genommen hat: Ein Mitglied seines Kernteams, Nana Domena, Moderator und Anheizer bei den Querdenken-Demonstrationen, nimmt seit vier Jahren einen Podcast mit dem Rechtsextremen Frank Kraemer auf, 2019 traf er den Vorsitzenden der NPD. All das ist öffentlich auf Youtube zu finden.

Querdenken-Moderator Nana Domena betreibt Podcast mit einem Rechtsextremen

„Ich sag Frieden, ihr sagt Freiheit“, ruft Nana Domena ins Mikrofon. Bei der Querdenken-Demonstration in München heizt er das Publikum an, überbrückt die Lücken zwischen den Redebeiträgen. Für seinen Auftritt hat er ein klassisches Outfit gewählt: Lederhose, weißes Hemd und knielange Strümpfe. Akzente setzt er mit seiner Brille: rote Gläser, eingefasst von einem goldenen Rahmen; um seine Handgelenke hat er rot-weiße Blumenketten gewickelt. Domena tourt mit der Bewegung seit Mai 2020 durch die Republik: In Stuttgart, Berlin, München, Rostock oder Köln animiert er die Zuschauer, tritt als gut gelauntes Energiebündel auf.

Bevor er zu Querdenken kam, organisierte Domena mit seiner Firma „mediaconnect office“ VIP-Veranstaltungen und traf als Nana „Lifestyler“ Domena Prominente auf dem roten Teppich. Videos dieser Veranstaltungen verbreitete er über seinen Youtube-Kanal und die Homepage „lifestyler.tv“.

Was dem Publikum bei seinen Auftritten verborgen bleibt: Der Mann, der sich als Kämpfer für Frieden und Liebe inszeniert, betreibt seit vier Jahren einen Podcast mit dem bekannten Rechtsextremen Frank Kraemer. Auf der Leipziger Buchmesse 2019 trafen Domena und Kraemer gemeinsam den Vorsitzenden der NPD, Frank Franz.

Wer ist Frank Kraemer?

Frank Kraemer ist seit 1995 Mitglied verschiedener Rechts-Rock-Bands, betreibt eine eigene Webseite, den Youtube-Kanal Der dritte Blickwinkel und den Sonnenkreuz-Versandhandel. Als Gitarrist der Gruppe „Stahlgewitter“ trat er im Jahr 2017 bei der Veranstaltung „Rock gegen Überfremdung“ in Themar auf. Teilnehmer der Veranstaltung trugen T-Shirts mit der Aufschrift „I love HK [Hakenkreuz, Anm. d. R.]“, auch das Motto der Waffen-SS „Meine Ehre heißt Treue“, war zu sehen. Ein Foto zeigt Kraemer neben einem Teilnehmer, der den Hitlergruß zeigt. In ihrem Lied „Schwarze Division“ träumen Stahlgewitter davon, den Berliner Stadtteil Kreuzberg „dem Erdboden gleich zu machen“, zusammen mit den „Millionen Fremden, die sich hier austoben“.

Als Redner trat Kraemer bereits mehrfach (hier und hier) bei der rechtsextremen Kleinstpartei „Der III. Weg“ auf, die vom Verfassungsschutz als antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch eingestuft wird. Im Interview mit der Partei spricht er von der „schleichenden Verausländerung“ Deutschlands; als eine „Säule seiner Weltanschauung“ nennt er „gnadenlose Härte gegen alle inneren und äußeren Feinde“.

Frank Kraemer (links) und Nana Domena (rechts) produzieren gemeinsam den Podcast „Multikulti trifft Nationalismus“. (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV)

Kraemer und Domena trafen sich erstmals auf einer Pegida-Demo

Gemeinsam mit Kraemer betreibt Nana Domena seit 2016 das Projekt „Multikulti trifft Nationalismus“. Damit erzielt er auf Youtube teils hohe Reichweiten. Bis zu 250.000 Mal wurden die Videos bisher angesehen. Entstanden ist das Projekt durch ein Zusammentreffen von Domena und Kraemer auf einer Pegida-Demonstration in Köln.

Der Austausch zwischen den beiden begann am 9. Januar 2016. Damals demonstrierten zahlreiche Hooligans, Rechtsextremisten und Pegida-Anhänger auf dem Breslauer Platz in Köln, Anlass waren die Ereignisse der Kölner Silvesternacht. Auch eine Gegendemonstration fand statt. Domena suchte den Kontakt zu beiden Seiten, „weil ich kein Faker bin, zeige ich euch, dass ich in die Mitte gehe“, beginnt er sein Video. Nach den Statements zweier Gegendemonstranten sieht man Domena zur Pegida-Demo gehen. „Schon ein bisschen ein mulmiges Gefühl, aber ich guck’ mal, ich guck’ mal, ob ich da heil rauskomme“, sagt er.

„Darf ich was fragen?“, ruft er einer Gruppe von Pegida-Demonstranten zu, „nein“ schallt es einstimmig zurück. Domena lässt nicht locker, „ich sprech’ die Sprache, ich zahl’ meine Steuern, ich brauch das für mich als Feedback, seid ihr wirklich gegen alles oder wenn man angepasst ist, ist das okay?“ Während ihm aus der Gruppe noch einer zuruft: „Du solltest keine fremden Frauen ficken!“, beginnt Frank Kraemer auf Domena zuzuschlendern.

„Ich zahl’ meine Steuern“, wiederholt Domena an Kraemer gerichtet, „ich liebe das Land ohne Ende und ich hab sogar selbst gesagt: Das was hier passiert ist, zack und weg!“ „Hasse recht“, geht Kraemer auf Domena ein, „aber gibt es mehr Leute von dir oder mehr von den Tausenden, die hier Frauen vergewaltigen?“, hält er ihm entgegen. Anschließend bezeichnet Kraemer Migranten als „invasive Arten“, die durch hohe Geburtenraten Deutsche in ihrem eigenen Land zur Minderheit machen würden. Domena widerspricht Kraemer kein einziges Mal, bestärkt ihn vielmehr, indem er sagt: „Starke Argumente, die du bringst.“

Der Podcast „Multikulti trifft Nationalismus“

Nach dieser Begegnung bleiben die beiden online in Kontakt und gründen das Videoprojekt „Multikulti trifft Nationalismus“, so die Erzählung auf der Webseite des Projekts. Beworben wird das Format als „Videoprojekt für Meinungsfreiheit“. Ziel sei es, die eigene Meinung nachvollziehbar darzulegen und sich auszutauschen.

Die meisten Folgen laufen nach dem gleichen Schema ab: Domena stellt Fragen, Kraemer antwortet. Sind Gäste zu einer Diskussion eingeladen, gibt Domena den Moderator. Zuletzt traf man sich im Mai, um über das Thema Corona zu sprechen. In dem Gespräch tauschen sich Domena und Kraemer über bekannte Falschbehauptungen aus: Bill Gates kontrolliere die WHO, behauptet Kraemer und Domena ergänzt, Gates wolle den Menschen Mikrochips implantieren, Corona sei nicht schlimmer als die Grippe, sind sich beide einig. „Wow, Frank, du hast wieder einiges an Input mitgebracht, was ich liebe“, kommentiert Domena die Einlassungen seines Gesprächspartners.

An dem Projekt hielt Domena über die Jahre hinweg auch gegen Widerstände fest. Top-Kunden hätten ihn angerufen und ihm vorgeworfen, er würde Nazi-Events machen, schildert er seine Erfahrungen. Dennoch habe er weitergemacht, weil ihm das Projekt nach den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht persönlich wichtig sei. Domena bezeichnet die Beziehung zu Kraemer als „ganz besondere Freundschaft“, gegenseitige Geburtstagsbesuche inklusive; Kraemer nennt Domena einen „Leuchtturm-Migranten“.

Wir fragten Domena, ob er auch weiterhin an dem Podcast-Projekt festhalten wird und wie das zu seinem Engagement bei der Querdenken-Bewegung passt, die von sich behauptet  „rechtsextremes, linksextremes, faschistisches, menschenverachtendes Gedankengut“ abzulehnen. Bis zum Erscheinen dieses Textes erhielten wir keine Antwort.

Lob vom NPD-Chef 

Mittlerweile hat das Projekt Anerkennung bei prominenten Vertretern der rechtsextremen Szene gefunden. Frank Franz, seit 2014 Vorsitzender der NPD, widmete dem Projekt im Juli zwei Videos mit insgesamt zwei Stunden Laufzeit: „Ich finde das ganze Projekt so interessant und auch beispielgebend, dass ich schon denke, dass es ne gute Sache ist, wenn wir uns das hier mal zur Brust nehmen“, sagt er und kommentiert die gesamte erste Folge von Multikulti trifft Nationalismus. Die Verbindung zwischen Domena, Kraemer und Franz besteht nicht nur virtuell, bereits 2019 trafen sich die drei auf der Leipziger Buchmesse. In seinem Video nennt Franz Domena einen „sehr sympathischen Typen“.

Ein Foto zeigt Frank Kraemer (links), Frank Franz (Mitte) und Nana Domena (rechts) gemeinsam auf der Buchmesse in Leipzig 2019. (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV)

Neben dem Podcast mit Kraemer betreibt Domena aktuell ein weiteres Gesprächsformat mit Marvin König. König, selbst Youtuber, gibt an, den Kölner Ableger der Partei der Vernunft des bekannten Verschwörungsideologen Oliver Janich gegründet zu haben. Janich, mit der prominenteste Vertreter der QAnon-Bewegung im deutschsprachigen Raum, war einer der ersten Interview-Gäste des Youtube-Kanals.

Darüber hinaus pflegt König Kontakte zur Alternativen für Deutschland. Als seinen Mentor bezeichnet er den Mitarbeiter des AfD-Sprechers Jörg Meuthen, Dietmar-Dominik Hennig. Laut Medienberichten blickt Hennig auf eine rechtsextremistische Vergangenheit im sogenannten Cannstatter-Kreis und der Deutschland-Bewegung zurück. Im Gespräch mit König nennt Hennig Olaf Scholz einen „widerlichen Finanzminister“ und bezeichnet „globale Eliten“ als „Abschaum der Menschheit“.

Samuel Eckert: Reichsflaggen haben nichts mit Rechtsextremismus zu tun 

Gesprächsgast von König und Domena war Anfang September Samuel Eckert. Eckert ist ein IT-Unternehmer in der Schweiz, der selbst seit Wochen Youtube-Videos mit irreführenden oder falschen Behauptungen zum Coronavirus produziert. Mit König und Domena tauscht er sich im Interview über die Geschehnisse vor dem Reichstag aus.

Er selbst habe jetzt gelernt, dass die schwarz-weiß-roten Reichsflaggen gar nichts mit Rechtsextremismus zu tun hätten, sagt Eckert: „Viele Leute, die diese Fahnen tragen, haben mit Rechtsextremismus gar nicht zu tun; sind teilweise sogar mit Ausländern verheiratet und so weiter“. Bremen und Niedersachsen haben das Zeigen der Flagge nach den Vorfällen vor dem Reichstag kürzlich verboten: In Bremen gilt sie als „Symbol nationalsozialistischer Anschauungen“. Laut Niedersachsens Innenminister zeige sie eine „verfassungsfeindliche Haltung“.

Samuel Eckert (links), Marvin König (Mitte) und Nana Domena (rechts) tauschen sich über die Geschehnisse vor dem Reichtag aus. (Quelle: Youtube / Screenshot: CORRECTIV)

Nach der Querdenken-Demonstration am 29. August in Berlin suchte Eckert den Kontakt zu Akteuren der rechten Szene. So traf er sich mit Oliver Janich und Jürgen Elsässer zum Gespräch und zeigte sich auf Instagram mit der rechten Influencerin Naomi Seibt.

Elsässers Magazin Compact wird seit März vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt, auf Facebook sind die Accounts des Magazins gesperrt worden. Eckert jedoch findet an dem Magazin nichts Problematisches, es sei ein Magazin „das sich kritisch mit der aktuellen Situation“ auseinandersetze. In seiner aktuellen Ausgabe widmete Compact der Querdenken-Bewegung fast 20 Seiten.

Die öffentliche Hinwendung zu rechten Akteuren hat neben Eckert auch der Sinsheimer HNO-Arzt Bodo Schiffmann vollzogen. Man müsse nun zusammenhalten, um die Grundrechte wiederherzustellen, egal welcher Gruppe man angehöre, so Schiffmann in einem Video vom 22. September. Ob Attila Hildmann oder Reichsbürger, alle müssten nun gemeinsam in den Widerstand gehen.

Der Verfassungsschutz beschreibt die Reichsbürger-Szene als gewaltbereit und waffenaffin. Bei einer Durchsuchung im Oktober 2016 eröffnete ein Anhänger der Szene das Feuer auf Polizeibeamte, einer der Beamten erlag im Anschluss seinen Verletzungen im Krankenhaus.

Schiffmann hatte bereits Anfang Mai die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit dem Ermächtigungsgesetz („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“) verglichen, auf das Adolf Hitler 1933 seine Diktatur aufbaute. Die Situation scheint sich für ihn noch einmal verschärft zu haben, er sagt nun Dinge wie: „Die Nazis sitzen in der Regierung, was wir erleben ist eine neue Form des Nationalsozialismus“ und „es gibt Quarantänelager, Quarantänelager hat man früher als KZ bezeichnet“.

Wie reagiert Michael Ballweg?

Den Brückenschlag zur radikalen Reichsbürger-Szene hatte bereits der Pressesprecher der Querdenken-Bewegung, Stephan Bergmann, gewagt. Das Grundgesetz bezeichnete er in einem Interview als „Besatzungsrecht“ und bediente so das Narrativ, dass es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um einen nicht-souveränen Staat handele, der immer noch unter dem Besatzungsrecht der Alliierten des Zweiten Weltkrieges stehe. Laut Medienberichten soll Bergmann Gründungsmitglied des Reichsbürgervereins „Primus inter Pares“ gewesen sein.

Wie passen diese Entwicklungen zu den Grundwerten der Querdenken-Bewegung, die ihre Mitglieder als Demokraten bezeichnet und sich angeblich gegen „rechtsextremes, linksextremes, faschistisches, menschenverachtendes Gedankengut“ wendet? Sind Domena, Eckert und Schiffmann für die Bewegung weiterhin tragbar?

Eine entsprechende Anfrage von CORRECTIV ließ Organisator Michael Ballweg unbeantwortet. Gegenüber dem Politmagazin Monitor hatte er noch im September klar zu verstehen gegeben, von wem seiner Meinung nach die größte Gefahr für die Grundfreiheiten ausgehe: „Also, im Moment eindeutig von den Regierenden.“ Dass die von ihm initiierte Bewegung auch von der Öffnung für rechtsextremes Gedankengut lebt, scheint ihn nicht wirklich zu kümmern.

Redigatur: Bianca Hoffmann, Till Eckert, Uschi Jonas