Ein Kommentar von Ingo Malcher – März 2021
Corona-Impfstoff: Genug gedroht!
Einige Nationen führen einen Handelskrieg um Impfstoffe – und gefährden dadurch die Produktion. Es ist höchste Zeit für Zusammenarbeit. Sonst verlieren alle.
Die Lage ist derart skandalös, dass es ausreicht, die Fakten aneinanderzuhängen. Die USA sind der zweitgrößte Hersteller von Covid-19-Impfstoff weltweit. Doch Amerika gibt nichts ab. Praktisch alles, was im Land hergestellt wird, bleibt im Land. Und Großbritannien, ebenfalls einer der großen Produzenten, ist kaum besser. Wie ein zweites Virus verbreitet sich diese Haltung des „Ich zuerst“. Nun hat auch Indien die Exporte eingestellt. Zunächst soll – die Begründung hat man von den Angelsachsen übernommen – die eigene Bevölkerung immunisiert werden. Kein Wunder, dass es der Europäischen Union reicht. Jetzt will man bei der Brüsseler Kommission die Ausfuhr von Impfstoff genauer prüfen, Länder, die nichts liefern, sollten auch nichts bekommen, heißt es.
Impfungen: Impfverteilung in Deutschland
Die Maßnahme ist angesichts des weltweiten Impf-Nationalismus nachvollziehbar. Man ist im ersten Moment geneigt zu applaudieren. Wenn die USA, Großbritannien und Indien nichts ausliefern, dann hängt es letztlich an Deutschland, China und Russland, den Rest der Welt zu versorgen. Mehr als 35 Millionen Impfdosen wurden seit Februar aus der EU in alle Welt exportiert, während der Stoff hier knapp ist. Sogar nach Großbritannien wurden etwa 10 Millionen Dosen verschickt, auch die USA erhielten eine Lieferung.
Einzusehen ist das nicht. Trotzdem sollte Europa nicht mit einem eigenen Embargo reagieren. Denn das würde zwar kurzfristig für Genugtuung sorgen, doch die weltweite Lage würde es nur noch verschlimmern. Ein weiter eskalierender Handelskrieg um lebensrettende Impfstoffe muss unbedingt verhindert werden. Schon deshalb, weil er am Ende keine Gewinner kennen würde.
Zuerst verlieren die Hersteller. Sie haben in Rekordzeit die Produktion hochgefahren und füllen so viel Stoff ab, wie es ihnen nur irgendwie möglich ist. Allerdings sind ihre Lieferketten äußerst fragil. Würde Europa Exporte in andere Länder blockieren, drohen Gegenmaßnahmen bei den Vorprodukten.
Ein Beispiel: Unternehmen in der EU beziehen aus Großbritannien Lipide, ohne die beim Hersteller BioNTech kein mRNA-Impfstoff produziert werden kann. Würde Brüssel nun die Ausfuhr von Impfstoff nach Großbritannien verbieten, könnte London umgekehrt die Ausfuhr der Fettkügelchen stoppen. Gerade die Lipide sind so knapp, dass alles, was geliefert wird, sofort im Bio-Reaktor landet. Keine Fabrik kann es sich leisten, dass die Beschaffung von Vorprodukten noch schwieriger wird. Wenn dringend benötigte Ware im Zoll hängen bleibt, dann droht der Stopp der Produktion. Geholfen wäre damit keinem.
Zu den Verlierern von Exportbeschränkungen gehören dann auch die ärmeren Länder. 36 Staaten der Erde haben noch keine einzige Impfstoffdosis erhalten. Um sie zu beliefern, wurde die von den Vereinten Nationen geleitete Covax-Initiative gegründet. Doch der fehlt das Geld, um genügend Stoff einzukaufen. So wirkt das eher bescheidene Ziel, in den ärmeren Ländern wenigstens die Mitarbeiter des Gesundheitssystems zu impfen, in diesem Jahr unerreichbar.
Der Exportstopp Indiens verschärft das Problem. Das Serum Institute of India sollte bis April eigentlich 90 Millionen Dosen an Covax liefern. Daraus wird nun zunächst nichts werden, wodurch sich die weltweite Impfkampagne weiter verzögert. Die USA könnten eigentlich helfen. Sie haben Stoff von AstraZeneca eingelagert. Er ist dort noch nicht zugelassen. Aber sie horten die Dosen lieber.
In diese Versorgungslücke stoßen China und Russland vor, die eine besondere Form der politischen Virologie betreiben. Sie liefern ihre Impfstoffe nach Lateinamerika, Asien, Afrika, Osteuropa – und sichern sich in den Regionen Einfluss. Gönnerhaft treten sie als Retter in der Not auf, weil die westlichen Länder den Rest der Welt angeblich im Stich lassen. Letzteres trifft ja durchaus zu. Es ist ein zynisches Rette-sich-wer-kann, das die Welt gerade aufführt. Gut versorgte Staaten versichern, man sei gerne bereit zu teilen – vorausgesetzt, die eigene Bevölkerung ist schon immunisiert.
Es braucht daher dringend einen weltweiten Impfgipfel, an dem zumindest die Regierungen der Großproduzenten teilnehmen. Das wären die G-6 USA, Großbritannien, Deutschland, Indien, Russland und China, zusammen mit der EU wären es die neuen G-7 der Impfstoffhersteller. Bei einem solchen Treffen müssten klare Regeln vereinbart werden. Als Erstes sollte die Rohstoffversorgung gesichert werden. Kein teilnehmender Staat darf die Ausfuhr von Abfüllgebinden, Fläschchen oder Lipiden stoppen. Damit die Produktionen laufen, hilft ein Technologie-Register: Wer braucht was? Und wer hat etwas auf Lager, das er gerade nicht braucht?
Und dann müsste es auch um die Verteilung der Impfstoffe gehen. Es wird in diesem Jahr – sofern alle Hersteller produzieren, die eine Zulassung haben oder mit einer rechnen können – genug Impfstoff für 60 Prozent der Weltbevölkerung geben. Aber es hakt bei der Verteilung. Kanada könnte von den Bestellungen her die eigene Bevölkerung dreimal durchimpfen, die USA fast zweimal, die EU ebenfalls. Zehn Länder haben sich nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation 76 Prozent der Impfdosen bestellt.
Die Corona-G-7 müssen also nicht nur Frieden untereinander schließen, sondern auch den Rest der Welt bedenken. Schon aus Egoismus, schließlich ist ein Land erst dann wirklich sicher vor der Seuche, wenn überall geimpft worden ist.
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