AfD: Im Parlament gegen das Parlament

Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik – Ausgabe April 2018 – Autor: Gideon Botsch – Auszug aus dem Artikel 

 AfD: Im Parlament gegen das Parlament

Die Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern diskutieren derzeit kontrovers darüber, ob die Alternative für Deutschland (AfD) oder einzelne Strömungen und Gliederungen der Partei wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen beobachtet werden müssen. Bereits 2017 hätten mehrere Länder den Präsidenten des Bundesamtes, Hans-Georg Maaßen, „mehrfach erfolglos gebeten […], einer Materialsammlung zuzustimmen“.[1]

Zwar gibt es gute Gründe, die Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes grundsätzlich zu kritisieren. Doch bei der gegenwärtigen Praxis ist die Nichtbeobachtung der AfD nicht nur ein Freibrief für deren Funktionäre und Anhänger, sondern bedeutet objektiv auch eine Diskriminierung all jener politischen Kräfte, die beobachtet werden.

Ganz unabhängig davon bedarf es einer Diskussion um die Einschätzung der AfD. Auch Vertreter der demokratischen Parteien, zivilgesellschaftliche Initiativen und weite Teile der Medien haben sich dem bislang nicht hinreichend gestellt. Aus taktischen Rücksichtnahmen soll offenkundig vermieden werden, Wähler zu stigmatisieren – auch aus der Angst heraus, die AfD könne sich als Opfer der „etablierten Parteien“ stilisieren (was sie aber ohnehin tut und tun wird).

Doch die Kampfansage kommt von der AfD: Im Januar erklärte Alexander Gauland vor laufenden Kameras: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“ Diese Bürgerkriegsrhetorik ist zwar Ausdruck der Radikalisierung der Partei. Sie steht aber auch in einer Linie mit Gaulands Eröffnungsrede als Alterspräsident des Brandenburgischen Landtags Anfang Oktober 2014, die seinerzeit als „intelligente demokratietheoretische Abhandlung“ wahrgenommen wurde, tatsächlich aber von pluralismusfeindlichem Gedankengut geprägt war.[2]

Im Bundestag fällt die AfD-Fraktion bislang, wie bereits zuvor in den Landtagen, vor allem mit kalkulierten Provokationen und medienwirksamen Inszenierungen auf.[3] Auf diesen Kurs hat sie sich auf ihrem Bundesparteitag Anfang Dezember 2017 in Hannover verständigt. Bei derselben Gelegenheit machten die Delegierten deutlich, dass Positionen wie die des Berliner Landesvorsitzenden Georg Pazderski, der die AfD mittelfristig koalitionsfähig machen wollte, in der Partei nicht mehr mehrheitsfähig sind.

Für konstruktive parlamentarische Oppositionsarbeit ist die AfD offenkundig nicht zu haben. Sie ist im Kern eine antiparlamentarische Partei, die die Grundlagen der bundesdeutschen Demokratie zerstören will. Daher ist sie auch weder daran interessiert noch dazu geeignet, innerhalb des Rahmens des politischen Systems eine Repräsentationslücke am rechten Rand zu schließen.

Betrachtet man die Entwicklung der AfD in den bald fünf Jahren seit ihrer Gründung, so entsteht der Eindruck, als würde sie sich wie eine Kugel auf einer schiefen Ebene in immer schnellerer Fahrt nach rechts unten bewegen.

Im Jahr 2013 begann sie als eine Rechtsabspaltung der Unionsparteien, die ein bürgerliches und seriöses Erscheinungsbild wahren wollte. Jedoch mobilisierte sie schon zu Beginn die Wähler verschiedener Rechtsaußenparteien und integrierte Kräfte der äußersten Rechten, darunter auch mehr oder weniger offene Rechtsextremisten. Geschickt vermied sie zunächst eine zu starke öffentliche Wahrnehmbarkeit dieser Positionen und Personen.

Kurs auf Fundamentalopposition

Frühe Wahlerfolge in drei ostdeutschen Bundesländern bestärkten den populistischen Rechtsaußenkurs. Die AfD positionierte sich daraufhin verstärkt als parteipolitischer Arm einer radikalnationalistischen und rassistischen Protestbewegung, deren wichtigstes Kampagnenthema die Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten war.

Dabei zeigte sich, dass ihre Wähler wenig Wert auf die Formulierung konkreter politischer Alternativen legen. Zumindest hat es der AfD bislang nicht geschadet, dass ihren Abgeordneten in den Landesparlamenten weithin Indifferenz und Inkompetenz in Sachfragen und Zurückhaltung in der Ausschussarbeit nachgewiesen wurde – was mit der lautstarken Nutzung der Plenardebatten als propagandistische Plattform deutlich kontrastiert.[4]

Im Sommer 2015 wurden dann die bekanntesten Repräsentanten eines „nationalliberalen“ Flügels um den Parteigründer Bernd Lucke aus der Partei gedrängt. Jörg Meuthen, der einflussreiche Landeschef von Baden-Württemberg, ging bald darauf ein strategisches Bündnis mit dem offen rechtsextremen „Flügel“ um den thüringischen Landeschef Björn Höcke ein. Für die Wahl Meuthens als einem von zwei Bundesvorsitzenden im Dezember 2017 ist seine enge Kooperation mit dem Ko-Vorsitzenden Alexander Gauland vermutlich noch bedeutender.

Gauland, die wichtigste Integrationsfigur für die Gesamtpartei, wurde in der Öffentlichkeit lange als persönlich integrer, konservativer Intellektueller wahrgenommen, obwohl er von Anfang an für den Rechtsaußenflügel stand. Seit seiner Eröffnungsrede im Brandenburgischen Landtag versäumte er kaum eine Möglichkeit, eine „fundamentaloppositionelle“ Strategie der AfD einzufordern.[5] In eine Regierungskoalition würde die Partei unter Gauland allenfalls als stärkste Kraft eintreten, damit sie selbst die Bedingungen diktieren kann.

Gerade an Gaulands öffentlichen Auftritten lässt sich verdeutlichen, wie rasch sich die AfD seit dem Spätsommer 2015 radikalisierte und welchen Anteil die mit ihr verbundene Straßenbewegung an dieser Radikalisierung hat. Bezeichnend dafür ist eine Episode, die sich im Juni 2016 bei einer Kundgebung im brandenburgischen Elsterwerda ereignete: Hier übernahm Gauland eine neonazistische Parole, die er auf einem mitgeführten Plakat eines Kundgebungsteilnehmers las.[6] Bei ihrer Hetzkampagne gegen die demokratisch legitimierte Regierung Merkel übernahmen auch viele andere AfD-Spitzenpolitiker offen rechtsextreme Rhetorik und propagierten den „Widerstand“.

Getragen von dieser Straßendynamik setzte der formierte rechtsextreme Teil der Partei im Januar 2017 zur Offensive an. Eine wesentliche Funktion der „Dresdner Rede“ von Björn Höcke war es, seine Partei auf den Weg einer „fundamentaloppositionellen Bewegungspartei“ und ihre Fraktionen auf den Weg „fundamentaloppositioneller Bewegungsfraktionen“ einzuschwören. Daher diffamierte er innerparteiliche Repräsentanten einer Professionalisierung der parlamentarischen Praxis und Befürworter einer verantwortlichen Politik auf Landesebene als Karrieristen und „Luckisten“.[7] Spätestens zu diesem Zeitpunkt zeigte sich, dass die rechtsextreme Strömung um Gauland und Höcke formiert und handlungsfähig war, während gegenläufige Tendenzen zwar noch existierten, aber nicht einmal mehr über starke und öffentlich wahrnehmbare Repräsentanten verfügten.

Der verfassungsfeindliche Charakter der AfD erschließt sich aber auch aus ihrer Programmatik. Das zentrale Dokument bleibt bis auf weiteres ihr Grundsatzprogramm von 2016. Um seine Aussagen einordnen zu können, muss die radikalisierte Rhetorik in der Parteipublizistik und bei öffentlichen Auftritten von Spitzenfunktionären ebenso berücksichtigt werden wie die parlamentarische – genauer: antiparlamentarische – Praxis.

[1] Vgl. Jörg Köpke, Geheimdienstchefs halten AfD für gefährlich, www.rnd-news.de, 7.3.2018; Markus Decker, Die AfD im Visier, in: „Berliner Zeitung“, 8.3.2018.

[2] Vgl. Alexander Fröhlich, Gaulands Volonté générale, in: „Potsdamer Neueste Nachrichten“, 9.10.2014.

[3] Vgl. Evelyn Roll, Aufgepasst, in: „Süddeutsche Zeitung“, 16.1.2017.

[4] Vgl. Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels, Christian Neusser und Alexander Berzel, Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten. Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) 2017.

[5] Vgl. „Wir dürfen nicht mitregieren, nirgends!“ Interview mit Alexander Gauland, in: „Compact“, 3/2016, S. 16-18.

[6] Vgl. Mitteilungen der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Nr. 1, Januar 2017, S. 7.

[7] Vgl. Björn Höcke, Rede am 17.1.2017 im Ballhaus Watzke im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Dresdner Gespräche“, organisiert von der „Jungen Alternative“, Compact TV, www.youtube.com/watch?v=sti51c8abaw.

Vollständiger Text hier: Im Parlament gegen das Parlmat Blätter für deutsche und internationale Politik April 2018