Soziale Spaltung und der Aufstieg des Rechtspopulismus
Zu diesem brisanten Thema hatte die Fachstelle für Demokratie der Landeshauptstadt München im März 2017 zu einer Podiumsdiskussion mit Marcel Fratzscher und Christoph Butterwegge ins Rathaus der Stadt geladen. Marcel Fratzscher ist seit 2013 Leiter des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DWI) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität, Berlin. Christoph Butterwegge ist emeritierter Professor für Politikwissenschaften und Armutsforscher. (am 30.04.2017 veröffentlicht)
Neoliberalismus, soziale Ungleichheit und Stadtentwicklung
Prof. Dr. Christoph Butterwegge referierte im Rahmen der Fachtagung „The Inclusive and Sustainable City – Stadt der Zukunft – offen für Einwanderung und Vielfalt“ in Siegen. (am 10.10.2016 veröffentlicht)
Was spaltet die Gesellschaft? Hans-Jürgen Bieling über Karl Polanyi und Rechtspopulismus
Der Soziologe Karl Polanyi diagnostizierte in den 1930ern eine Spaltung der Gesellschaft in ein liberal-kosmopolitisches und ein ethono-nationalistisches Lager. Prof. Dr. Hans-Jürgen Bieling von der Universität Tübingen erklärt, warum die Theorie wieder aktuell ist (am 24.4.2017 veröffentlicht)
Die rechten Vordenker in und außerhalb der AfD wähnen sich „einem Kampf um die Vorherrschaft im eigenen Raum“, und das ist nun mal keine Debatte im eigentlichen Sinne, sondern ein „geistiger Bürgerkrieg“, der durch Überzeugung auf Gefolgschaft zielt. Dieser Bürgerkrieg findet in den zivilgesellschaftlichen Räumen und Institutionen, im vorpolitischen Raum statt. Hier die Oberhoheit zu gewinnen, d.h. das Denken möglichst vieler Menschen, ihre Lebensweise und Weltanschauung zu prägen, wird als Voraussetzung betrachtet, um die politische Macht zu erringen: entweder auf den Wegen, welche die bestehende Verfassungsordnung bereit stellt, oder wenn die staatliche Ordnung sich auflöst und zerbricht, in einem realen Bürgerkrieg als ultima ratio. Der „Kulturkampf von rechts“ ist also immer schon mehr als ein Kampf um die Werte und Normen, um den geistigen Überbau einer Gesellschaft, er ist immer schon mehr als nur ein Weltanschauungskampf, er zielt auf die Eroberung der politischen Macht und die Umgestaltung der Gesellschaft. Der Referent – Helmut Kellershohn – ist Oberstudienrat i.R. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung. Veröffentlichungen zu Fragen des Rechtsextremismus, Neokonservatismus und völkischen Nationalismus. Zuletzt Mitherausgeber von „Kulturkampf von rechts. AfD, Pegida und die Neue Rechte“ (2016) (am 16.06.2018 veröffentlicht)
Die Wirtschaft in Deutschland wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Trotzdem nimmt die Armut zu.
Die Armutsquote liegt nun bei 15,7 Prozent. 12,9 Millionen Menschen sind hierzulande arm sind. Als arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Arm ist nach dieser Definition z.B. ein Single, der weniger als 917 Euro netto verdient. Bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind unter sechs Jahren liegt die Grenze bei 1.192 Euro. Besonders gefährdet sind kinderreiche Familien, Arbeitslose, Alleinerziehende, Migrant/innen und zunehmend auch Rentner. Dieser Personenkreis macht in Großstädten fast zwei Drittel der Bevölkerung aus, in eher ländlichen Gebieten nur knapp die Hälfte. Bei Rentnern hat sich die Armutsquote besonders drastisch entwickelt: 2014 lag sie mit 15,6 Prozent oder 3,4 Millionen erstmals über dem Durchschnitt – jetzt sind es 15,9 Prozent.
Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander.
Die Haushaltseinkommen der einkommensstärksten zehn Prozent sind von 1991 bis 2014 um 27 Prozent gestiegen. Die mittleren Einkommensgruppen verzeichneten in diesem Zeitraum einen Einkommenszuwachs um 9 Prozent. Die Einkommen der ärmsten zehn Prozent sind um 8 Prozent gesunken. 40 Prozent der Deutschen haben heute ein geringeres Realeinkommen als 1999. Die Anzahl der hoch verschuldeten Haushalte ist in den letzten zehn Jahren von 1,6 auf 2 Millionen gestiegen. 2016 waren mehr als 6,8 Millionen überschuldet (jeder zehnte Deutsche über 18 Jahren).
Sorgen vor einem sozialen Abstieg haben mittlerweile mehr als 40 Prozent der Bevölkerung.
Bei den ungelernten Arbeitern sind es 50 Prozent. Besonders gravierend sind die Abstiegssorgen in Form der Angst vor Altersarmut. In der mittleren Generation der heute 30- bis 59-Jährigen äußern inzwischen 60 Prozent der Deutschen die Befürchtung, im Alter unter deutlichen Einschränkungen leiden zu müssen.
Der Austieg der AfD hat dazu geführt, dass das ausgeprägte Gefühl der Frustration in Teilen der Bevölkerung nun ein deutliches Ventil gefunden hat.
Ein Großteil der AfD-Wähler ist aber nicht mittellos. Im Gegenteil: Diese Wähler haben etwas zu verlieren. Sie fühlen sich vom Abstieg bedroht und sehen mit Sorgen in die Zukunft. Umfragen zeigen, dass nur ein Teil der AfD-Wähler eindeutig rassistisch motiviert ist. Die meisten Wahlentscheidungen entstammen einem eher diffusen Protest und der Sorge um den sozialen und wirtschaftlichen Abstieg.
Die AfD, einst von Ökonomen gegründet, will sich zunehmend auch als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit präsentieren.
In dem Maße, in dem die Wirtschaftsliberalen in der Partei an Einfluss verlieren, werden diejenigen stärker, die für einen ökonomisch eher linken Kurs plädieren.
Für die AfD ist Sozialpolitik Verteilungskampf.
„Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden“, sagt der Ko-Vorsitzende Jörg Meuthen. Geld, das für Flüchtlinge aufgewendet werde, käme Deutschen nicht zugute. Die Partei lässt es so aussehen, als ob Geld, das nicht für Asylbewerber ausgegeben wird, sofort den Deutschen zur Verfügung gestellt werden könne. Das ist zwar eine populistische Milchmädchenrechnung – aber trotzdem ein kluger Schachzug. Es trifft bei denjenigen einen Nerv, die das Gefühl hätten: Für die Flüchtlinge tut ihr alles und für uns nichts. Keine andere Partei bedient dieses Gefühl so sehr.
Die AfD ist nicht für eine Umverteilung von oben nach unten, von Wohlhabenden zu Ärmeren. Sie ist für eine Umverteilung von außen nach innen.
Bei der AfD lässt sich eine Art Wohlfahrts-Chauvinismus erkennen. Die Kernidee besteht darin, dass Deutsche einen Anspruch auf soziale Zuwendungen haben und andere eben nicht.
Welchen Stellenwert Sozialpolitik in der konkreten Politik der AfD hat, lässt sich z.B. am Wahlprogramm für die Landtagswahl in Bayern im Jahr 2018 illustrieren.
Im den 100-Seiten-Wahrprogramm bleibt für den gesamten Themenbereich „Soziales“ nur ein eineinhalbseitiges Anhängsel am Ende des Programms übrig, in dem die AfD eine „Sozialpolitik für Bayern mit Augenmaß“ verspricht. Der Begriff „Armut“ kommt im gesamten Programm viermal vor, der Begriff „Hartz IV“ ein einziges Mal – und dies im Kontext eines angeblichen Missbrauchs von Hartz IV durch Zweit-, Dritt- und weitere Ehefrauen von muslimischen Erwerbslosen. Der gesamte Themenbereich „Rente“ wird in zwei dürren Absätzen mit der angedachten Einführung einer „BayernRente“ abgehandelt. Die soll nur Bayern zustehen, die mindestens 20 Jahre lang in Bayern steuerpflichtig waren. Aus welchem Topf sie bezahlt werden sollte, bleibt ebenso offen wie alle anderen offenen Fragen.
Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die AfD einfach ein Schlagwort in den Ring wirft, das übertünchen soll, dass sie beim gesamten Themenkomplex „Rente“ gar keine Ideen vorweisen kann.
Dies steht aber im krassen Widerspruch zu den „sozialpolitischen“ Plakaten, mit denen man in Bayern wirbt. Und dieser Widerspruch lässt sich auf die anderen beworbenen Themen 1:1 übertragen.
„Arbeit muss sich lohnen! – Sozial, ohne rot zu werden!“,
so formuliert es die AfD sehr clever. Das ist erstaunlich, kommt das Thema Arbeitspolitik und Löhne im gesamten Wahlprogramm doch nicht einmal vor.
Die AfD verspricht viel, hat aber kein Finanzierungskonzept.
Und es ist nicht so, dass die AfD keine Finanzierungspläne vorschlägt – sie führt ihre eigenen Forderungen sogar komplett ad absurdum, indem sie an zahlreichen Stellen in ihrem Wahlprogramm Ausgabenkürzungen und einen Abbau der Schulden fordert. Dabei will sie sogar die CSU übertreffen und bis 2028 die kompletten Schulden des Freistaats abgebaut haben. Will die AfD dafür etwa Steuern und Abgaben erhöhen? Ganz im Gegenteil. Sie will sogar bestimmte Steuern ganz abschaffen – so beispielsweise die Erbschaftssteuer, die laut AfD „leistungsfeindlich“ und „mittelstandsfeindlich“ sei.
Die AfD fordert auch einen schlankeren Staat, weniger Bürokratie und die Senkung der Staatsquote.
Das heißt nichts anderes als mehr Privatisierungen. Offenbar will man mit den Erlösen aus diesen Privatisierungen die Defizite aus den Steuersenkungen für die Wohlhabenden ausgleichen und darüberhinaus die Staatsschulden abbauen. Wo hier noch Spielraum für die nötigen Zuschüsse für das Gesundheitssystem ist, ohne die man die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum nicht erhalten können wird, bleibt Geheimnis der AfD.
So stehen selbst die mageren sozial-, arbeits- und gesundheitspolitischen Forderungen der AfD in einem Zielkonflikt mit der Finanz- und Steuerpolitik des Wahlprogramms.
Da diese Punkte jedoch im Programm recht detailliert und konsequent ausformuliert sind, werden sie der Partei wohl auch wichtiger sein als die spärlichen, vagen und schwammigen Forderungen aus den anderen Bereichen.