Energie-Grundversorgung sichern und Luxusverbrauch beschränken

Quelle: Website attac Deutschland

Energie-Grundversorgung sichern und Luxusverbrauch beschränken

Attac unterstützt Dossier des Konzeptwerks Neue Ökonomie

Statt eines fossilen Rollbacks mit Laufzeitverlängerung für Atomkraft und Investitionen in LNG braucht es soziale und klimagerechte Maßnahmen für einen fairen Umgang mit der Energiekrise. Wie diese aussehen können, präsentiert das Konzeptwerk Neue Ökonomie (KNOE) in ihrem aktuellen Dossier „Energiepreise: Transformative Wege aus der Krise “, das von Attac und anderen Organisationen unterstützt wird.

Kernelement des Dossiers ist ein Recht auf eine Energie-Grundversorgung. Diese soll mittels Preisdeckel für den Grundbedarf und progressiver Energietarife für höhere Verbrauche umgesetzt werden. Damit wird die Energiewende gefördert, Sicherheit für alle geschaffen und gleichzeitig Luxusverbrauch beschränkt.

„Verteilung und Bepreisung von Energie ist ungerecht und wenig nachhaltig. Energieintensive Industrien erhalten Vergünstigungen, Haushalte mit höherem Verbrauch werden durch Tarifmodelle mit Grundpreis bevorzugt. Wir brauchen einen Fixpreis für die Grundversorgung von privaten Haushalten mit Strom und Gas. Im Gegenzug muss verschwenderisch hoher Verbrauch höher bepreist werden.  Das entlastet unmittelbar, belastet Luxusverbrauch und ist gelebte Umverteilung“ sagt dazu Carmen Junge, Mitglied in Koordinierungskreis von Attac Deutschland.

Die Bundesregierung setzt in der aktuellen Krise auf falsche Lösungen wie neue Erdgasimporte und Ölbohrungen, statt den konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien voranzutreiben. Gleichzeitig schlagen fossile Energiebranchen aus der angespannten Marktlage Riesenprofite“ ergänzt Thomas Eberhardt-Köster, ebenfalls Mitglied im Koordinierungskreis.

Wir fordern zusammen mit dem Konzeptwerk Neue Ökonomie und anderen Organisationen die Abschöpfung von Gewinnen und ausreichende Transferleistungen für Menschen mit geringem Einkommen. Strom- und Gasabschaltungen müssen untersagt werden. Stattdessen ist die gezielte Drosselung von nicht lebensnotwendiger Industrieproduktion notwendig. Über allem steht jedoch das schnelle Ende jeglicher fossiler Energien, um den Klimakollaps noch zu verhindern. Dafür wird sich Attac zusammen mit Betroffenen, Sozialverbänden, Gewerkschaften, sozialen und der Klimagerechtigkeitsbewegung einsetzen.“
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Experten über Entlastungsmaßnahmen: Was den Ärmsten wirklich helfen würde

Experten über Entlastungsmaßnahmen: Was den Ärmsten wirklich helfen würde

Von Marie Illner – Aktualisiert am 05.09.2022 – Quelle: 1 & 1

Die Energiepreise steigen weiter, die Inflation liegt inzwischen bei knapp acht Prozent. Immer mehr Stimmen aus Politik und Wirtschaft schlagen Alarm. Die „Tafel Deutschland“ twitterte: „Essen ist kein Luxus! #Armut steigt, Andrang bei den Tafeln und trotzdem keine nennenswerten Hilfen von der Ampel.“

„Ein Teil der Bevölkerung wird im Winter die Strom- und Heizrechnungen nicht mehr bezahlen können“, warnt ein User bei Twitter. Ein anderer schreibt: „Menschen in diesem Land können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen & die Regierung verteilt Dusch-Tipps. Die Preise müssen sinken“.

Ein drittes Mal Prinzip „Gießkanne“?

Die Bundesregierung hat nun ein drittes Entlastungspaket beschlossen. Inhalt sind unter anderem Einmalzahlungen für Studierende, Auszubildende sowie Rentner, außerdem die Einführung einer Strompreisbremse, mehr Kindergeld und ein Heizkostenzuschuss für Bezieher von Wohngeld. Zu den Maßnahmen aus den vorherigen Entlastungspaketen zählte beispielsweise eine Energiepreispauschale, der Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket.

Ulrich Schneider, Geschäftsführer vom Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“, hatte im Vorfeld des neuen Paketes bereits gefordert: „Die Regierung darf den Fehler des ersten #Entlastungspakets nicht wiederholen: Kein Geld mit der #Gießkanne ausschütten. #Gaspreisdeckel oder Steuersenkungen sind der komplett falsche Weg. Stattdessen muss Solidarität eingefordert werden mit denen, die es allein nicht schaffen.“

Immer wieder wird gefordert, „nicht mit der Gießkanne“ vorzugehen, sondern „zielgenau“ zu entlasten. Was aber heißt das? Wirtschaftswissenschaftler Sebastian Dullien sagt: „Wenn man tatsächlich nur die Ärmsten unterstützen möchte, sind Einmalzahlungen an Transferempfänger und Empfängerinnen – wie man sie auch im Sommer schon genutzt hat – das beste Instrument“. Davon sind im neuen Entlastungspaket mehrere enthalten: Studierende und Azubis bekommen 200 Euro, Rentner 300.

Welche Instrumente zielgenau sind

Auch Heizkostenzuschüsse an Haushalte mit Wohngeld seien sehr zielgenau, ebenso wie der Kinderbonus, meint Dullien. Zwar bekommen dabei auch reiche Eltern mehr Geld, der Bonus wird aber mit dem Kinderfreibetrag verrechnet. „Deshalb kann man ihn zielgenau nur bestimmten Einkommensgruppen zukommen lassen“, erklärt der Experte.

Forschungsergebnisse haben bereits jetzt gezeigt, dass die Ärmsten in der Bevölkerung im Verhältnis besonders hart von den Preissteigerungen getroffen werden. Dullien sagt aber auch: „Derzeit zeichnet sich ab, dass die Belastungen insbesondere bei Haushalten mit Gasheizung bis in obere Einkommensgruppen so groß sein dürften, dass eine Entlastung auch der ‚Normalverdiener‘ sinnvoll ist.“

Entlastungspaket

„Fatales Signal“, „Licht und Schatten“: Die Reaktionen auf das Entlastungspaket

Experte: Rezession droht

Viele Haushalte auch in der Mitte der Einkommensverteilung hätten nicht ausreichend Ersparnisse, um den Gaspreisschock zu verkraften, ohne ihre Konsumausgaben an anderer Stelle deutlich zurückzufahren.

„Ein solches Zurückfahren der Konsumausgaben von der breiten Mitte aber droht, Deutschland in die Rezession zu stoßen“, warnt Dullien. Bei einer Rezession, auch Abschwung genannt, kommt es zu einem Rückgang der Wirtschaftstätigkeit.

„Es wird schwierig, wenn man Menschen mit eher niedrigen Einkommen, aber jenseits der Transfergrenzen erreichen möchte“, gibt Dullien zu. Hier fehle in Deutschland eine zentrale Datenbank der Haushalte mit ihren Einkommen oder auch nur die Infrastruktur, diese Menschen zu erreichen. „Bislang bleibt die einzige Möglichkeit, zunächst ‚mit der Gießkanne‘ die Mittel auszuschütten und sie dann über das Steuersystem bei den Reicheren wieder einzusammeln“, erklärt der Experte.

Rentner nicht aus dem Blick verlieren

Das habe man so auch bei der Energiepreispauschale gemacht, die zunächst an alle Erwerbstätigen ausgezahlt und dann der Besteuerung unterworfen wurde. „Dabei gab es allerdings hochproblematische Lücken: Rentnerinnen und Rentner sowie Studierende sind weitgehend leer ausgegangen“, erinnert er. Nun hat die Bundesregierung nachgesteuert – ein Punkt, den auch die Sozialverbände lautstark eingefordert hatten.

Für den „VdK“ hatte Verena Bentele vorab gefordert: „Die Regierung muss jetzt schnell liefern, denn ab Oktober steigen die Gasabschläge. Entlastungen müssen gezielt erfolgen und nicht nach dem Gießkannenprinzip. Wer keine Rücklagen bilden kann, dessen Geld reicht heute kaum noch für das Lebensnotwendige.“

Viele Menschen hätten große Angst, künftig Lebensmittel, Strom, Gas und Öl nicht mehr bezahlen zu können. „Strom- und Gaskonzerne dürfen nicht länger Profiteure der aktuellen Energiekrise sein“, so Bentele. Eine Übergewinnsteuer dürfe nicht länger ausgeschlossen werden.

„Kommen müssen eine 300-Euro-Energiepauschale für Rentnerinnen und Rentner sowie höhere, armutsfeste Regelsätze beim geplanten Bürgergeld und in der Grundsicherung sowie eine Kindergrundsicherung“, sagt sie. Das Wohngeld müsse so reformiert werden, dass es einen dauerhaften Heizkostenzuschuss für alle einkommensschwachen Haushalte umfasse. Die ersten beiden Punkte wurden nun von der Regierung umgesetzt.

Anschlusslösung für das Neun-Euro-Ticket

Ins Spiel bringt Bentele aber auch ein Kündigungsmoratorium für Mieterinnen und Mieter. „Sie dürfen nicht auf der Straße landen, wenn sie ihre Miete wegen der immensen Energiepreise nicht zahlen können“, sagt Bentele.

Zudem müsse die Mehrwertsteuer von sieben Prozent auf Grundnahrungsmittel wie Hülsenfrüchte, Obst und Gemüse abgeschafft werden. „Das wäre eine spürbare Entlastung, die sofort wirkt“, ist sich Bentele sicher.

Zu den Forderungen zählt auch eine Nachfolgelösung für das Neun-Euro-Ticket. „Menschen mit wenig Geld müssen weiterhin mobil sein können, das muss auch im neuen Bürgergeld berücksichtigt werden. Auch für Kinder aus einkommensschwachen Familien muss es eine Anschluss-Regelung geben“, so Bentele. Eine Anschlusslösung ist noch nicht konkret, im Gespräch sind aber Modelle für Monatstickets zwischen 49 und 69 Euro.

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Gaspreisdeckel bis Erhöhung der Grundsicherung

Ähnliche Forderungen kamen zuvor vom Sozialverband Deutschland (SovD). Präsidentin Michaela Engelmeier sagte: „Wir können die Krise nur bewältigen, wenn die Lasten gerecht verteilt werden“. Es sei Aufgabe der Politik, den Menschen die Angst zu nehmen.

„Sie brauchen mehr Geld in der Tasche und die Sicherheit, gut über den Winter zu kommen“, so Engelmeier. Zu ihren Forderungen zählte eine Heiz- und Stromkostenkomponente im Wohngeld und eine deutliche Ausweitung des Berechtigtenkreises.

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Ein Vorschlag von Dullien hat bei der Regierung scheinbar kein Gehör gefunden: Ein Gaspreisdeckel für einen Grundverbrauch sowie eine neue Energiepreispauschale für alle. „Mit beiden Maßnahmen würden die Ärmsten auch – und stärker als der Rest der Bevölkerung – entlastet, aber eben auch die breite Masse der Bevölkerung“, hatte der Experte erklärt.

Über die Experten:

  • Prof. Dr. Sebastian Dullien ist Volkswirt und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
  • Verena Bentele ist Präsidentin des Sozialverbandes VdK.
  • Michaela Engelmeier ist Präsidentin des Sozialverbandes Deutschland SovD

Die (Un)bezahlbarkeit des Lebens

Quelle: Institut Soziale Moderne

Inflation, horrende Energiekosten, explodierende Lebensmittelpreise: Wir steuern unverkennbar auf eine Krise zu, die für Millionen Menschen zur Existenzfrage wird. Wir müssen uns aus linker Perspektive die Frage stellen, wie eine sozial gerechte Antwort auf diese Krise lautet und politisch umgesetzt werden kann. Das Schlagwort heißt: Umverteilung. Die Maßnahmen der Ampel-Regierung sind jedoch weit davon entfernt und kommende soziale Proteste drohen von rechts vereinnahmt zu werden.

In der neuen Folge des Transit Talk spricht Corinna Genschel (ISM) mit Sarah-Lee Heinrich (Grüne Jugend/ ISM), Ulrich Schneider (Paritätischer Wohlfahrtsverband) und Axel Troost (Die Linke/ ISM) über die Krise, politische Alternativen und mögliche Allianzen.

Inflationsursachen bekämpfen und soziale Belastungen ausgleichen

Quelle: Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitiik e.V. (Artikel Prof. Dr. Rudolf Hickel)

Inflationsursachen bekämpfen und soziale Belastungen ausgleichen
Der anhaltende Inflationssprung seit dem vergangenen Jahr hat viele Ursachen. Einfluss haben nicht nur die steuerpolitischen und ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie. Die Inflation wird durch längerfristig angelegte Krisenherde der Globalisierung wie die Lieferkettenprobleme sowie durch die monopolistische Preissetzung durch Megakonzerne und Spekulationsgeschäfte mit lebensnotwendigen Gütern vorangetrieben. Aber auch die notwendige Anpassung bisheriger Billigpreise an ökologische und soziale Standards in der internationalen Wertschöpfungskette kommen hinzu. Schließlich werden die Preise für fossile Energie und wichtige Nahrungsmittel durch Putins Krieg gegen die Ukraine zu Treibern der Gesamtinflation.

Mit der hier vorgelegten Erklärung der wichtigsten Ursachen lassen sich Ansatzpunkte zum Abbau dieser Inflationskräfte spezifizieren. Deutlich wird dabei auch, dass gegenüber dieser importierten Angebotsinflation die Europäische Zentralbank mit ihrer makroökonomischen Geldmengenpolitik keinen ausreichenden Einfluss hat. Ihre wichtigste Aufgabe ist die Stabilisierung des Währungssystems gegen Fragmentierungen zwischen finanzstarken und -schwachen Mitgliedsländern infolge der Zinswende.
Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass sich der aktuelle Inflationsschub mit schnell wirksamen Gegenmaßnahmen nicht stoppen lässt. Eher ist mit der weiteren Bewegung der inflationstreibenden Preise für fossile Energie, andere Rohstoffe und wichtige Nahrungsmittel auf dem derzeit hohen Niveau zu rechnen. Allerdings sind erneut deutlich steigende Inflationsraten nicht zu erwarten. Selbst wenn die Inflationsraten in den kommenden Monaten gegenüber derzeit mehr als 7 Prozent zurückgehen sollten, bewegen sich die systemisch relevanten Energiepreise deutlich über dem Vor-Corona-Niveau.

Die Bekämpfung der Inflation ist die eine Aufgabe. Die andere Aufgabe konzentriert sich auf dieSicherung des sozialen Ausgleichs für die von der Inflation besonders hart Betroffenen. Denn die Geldentwertung wirkt zutiefst sozial ungerecht. Private Haushalte mit geringem Nettoeinkommen und damit einem hohen Konsumanteil an den von der Inflation besonders betroffenen Waren des Grundbedarfs sind die Verlierer. Der Preis für deren Warenkorb ist gegenüber dem Durchschnitt am teuersten. Gegen die sozialen Folgen der Inflation, die die Armut nach oben treibt und die unteren Mittelschichten am härtesten trifft, muss der Staat mit Ausgleichszahlungen gegensteuern.

Erste Antworten auf die durch die Inflation dramatisch zugespitzte soziale Frage hat die Bundesregierung bereits gegeben. Bis zur Jahresmitte 2022 wurden zwei Entlastungspakete mit einem Gesamtvolumen von etwa 30 Mrd. Euro vorgelegt.
Die Pakete beinhalten unter anderem eine Erhöhung der Steuerfreibeträge, die Auszahlung einer einmaligen Energiepreispauschale für Erwerbstätige sowie einen Familienzuschuss für Eltern mit Kindern, eine vorübergehende Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe („Tankrabatt“) sowie das „9 Euro-Ticket“.

Um den danach weiterhin gestiegenen Preisen entgegenzuwirken, ist im August 2022 ein drittes Entlastungspaket unter dem Titel „Inflationsausgleichsgesetz“ mit 10 Mrd. Euro auf den Weg gebracht worden. Kernpunkte sind ein steigender Grundfreibetrag im Einkommensteuertarif sowie die Erhöhung des Kindergeldes. Der angehobene Grundfreibetrag dient dem Ziel, die sogenannte kalte Progression abzubauen. Der Begriff beschreibt den Effekt, dass jemand durch eine Lohnerhöhung, die höchstens die Inflation ausgleicht, in einen höheren Steuertarif rutscht und somit letztlich bezogen auf die Kaufkraft weniger Geld als zuvor in der Tasche hat.

Die Kritik an den bisherigen sozialen Maßnahmen zum Inflationsausgleich ist groß. Während einige Entlastungen bei den Betroffenen kaum spürbar werden, profitieren die Konzerne in der Energiewirtschaft (etwa Mineralölkonzerne durch den Tankrabatt). Auch ist der Anreiz zur Energieeinsparung zu wenig berücksichtigt. Dagegen sollten Ausgleichsprogramme für die sozialen Belastungen durch die inflationstreibenden Energiepreise gezielt bei der eingrenzbaren Gruppe der Betroffenen ansetzen. Bei den gezielten Maßnahmen zum Ausgleich der Belastungen durch die Energiepreise sind Mitnahmeeffekte für Einkommensstarke zu vermeiden.

Gemessen an dieser Zielsetzung eignen sich vor allem einige steuerpolitische Maßnahmen im dritten Entlastungspaket nicht. Dazu gehört der Vorschlag, durch die Erhöhung des (steuerfreien) Grundfreibetrags und weitere Verschiebungen im Einkommensteuertarif die „kalte Progression“ zu reduzieren. Zwar ist es grundsätzlich richtig, den Anstieg der Steuerbelastung vor allem ab dem Eingangssteuersatz mit 14%, der durch den inflationären Anstieg der Löhne erzeugt wird, abzubauen. Aber als Entlastungsmaßnahme gegenüber den gestiegenen Energiekosten ist der Vorschlag mangels Zielgenauigkeit und aus verteilungspolitischer Sicht untauglich. Während die Gruppe der nicht Steuerpflichtigen, die sich vor allem auf den Bereich der Sozialeinkommen konzentriert, keine Vorteile hätten, würden die Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdiener durch den höheren Grundfreibetrag entlastet.

Das weitere, zeitlich befristete Instrument einer Gaspreisumlage ist auch verteilungspolitisch umstritten. Gasimporteure, die die früheren Erdgaslieferungen aus Russland jetzt teuer am Weltmarkt einkaufen müssen, erhalten einen Ausgleich für ihre Verluste. Die geschätzte Summe von 35 Mrd. Euro wird durch eine Umlage auf alle Gasnachfrager finanziert. Der für die Umlage eingesetzte Beitrag beläuft sich auf 2,419 Eurocent pro Kilowattstunde (kWh). Zusammen
mit der Mehrwertsteuer von derzeit 19% sind es 2,879 Eurocent. Ein Reihenhaus mit 100 m 2 , für das im Durchschnitt 15.000 kWh Gas pro Jahr zum Heizen und für Warmwasser verbraucht wird, löst über das gesamte Jahr 484 Euro (mit Mehrwertsteuer 576 Euro) an Mehrkosten aus. Bei einer Single-Wohnung mit 50 m 2 sind es brutto 144 Euro. Auf die Frage, wie dieser Sozialausgleich finanziert werden soll, hat die Bundesregierung eine klare Antwort: Dazu dient die Senkung des Mehrwertsteuersatzes für Gas (einschließlich der Gasumlage) von 19% auf 7% Da die Einkommensstarken und Vermögenden ebenfalls davon profitieren, taugt dieses Finanzierungsinstrument nicht.

Ein alternativer Vorschlag lautet: Die sozialen Belastungen infolge der übrigens auch ohne die Gaspreisumlage steigenden Preise für diese Energiequelle werden durch einen Gaspreisdeckel zusammen mit einer Energiepreispauschale über mehrere Monate vom Staat ausgeglichen. Um die Profiteure der Energiekrise in die Finanzierung des sozialen Ausgleichs einzubeziehen, wird vorgeschlagen: Dazu werden die Extraprofite, die bei vielen Energieunternehmen anfallen, durch eine Sondersteuer abgeschöpft.

Es bleibt dabei: Die zum Ausgleich der Energiekostensprünge subjektiv zurechenbaren öffentlichen Hilfen stehen im Zentrum. Hierfür steht beispielhaft der Vorschlag eines Gaspreisdeckels, den Sebastian Dullien und Isabella Weber unterbreitet haben. Denn der Gaspreis treibt zusammen mit der Gaspreisumlage die Inflation nach oben.

Der Vorschlag zur Deckelung des Gaspreises lautet: Ausgegangen wird mit dem Sockel 8.000 kWh pro Jahr von der Hälfte des Gasverbrauchs für eine 100- m 2 -Wohnung. Für diesen Sockel gilt der Höchstpreis von 7,5 Cent/kWh (entspricht etwa dem Preis Ende des Jahres 2021). Für größere Haushalte könnte der Sockelbetrag auch variieren. Im Vergleich zum vorgeschlagenen Basispreis wurden im Januar 2022 für Neuverträge bereits über 12 Cent/kWh bezahlt. Der Bund subventioniert die Differenz zwischen dem Großhandelspreis und einer Pauschale für die Verteilung gegenüber dem Sockelpreis.

Die mehrfachen Vorteile liegen auf der Hand: Vorübergehend entlastet werden private Haushalte mit kleineren Wohnungen bei geringem Verbrauch. Insgesamt wird die Inflationsrate reduziert. Der Preisdeckel für den Sockelbetrag schafft Anreize, den Gasverbrauch insgesamt zu reduzieren. Ein weiterer Vorteil sollte auch bei allen anderen Maßnahmen berücksichtigt werden: Dieser Gaspreisdeckel entlastet die Tarifparteien bei der Lohnfindung. Grundsätzlich reduzieren gezielte politische Maßnahmen zum sozialen Ausgleich für die Inflation den bei Tarifverhandlungen erforderlichen Ausgleich für die Kerninflation zur Reallohnsicherung. Wenn dann noch die staatlichen Ausgleichsbeiträge mit der Sondersteuer aus den krisenbedingten Übergewinnen der Energiekonzerne finanziert werden, ist die soziale Antwort auf die Inflation auch in der Arbeitswelt perfekt.

Sebastian Dullien / Isabella M. Weber: Mit einem Gaspreisdeckel die Inflation bremsen, in: Wirtschaftsdienst, 102. Jahrgang, Nr. 3/2022.

Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik e. V.
memorandum@t-online.de – www.alternative-wirtschaftspolitik.de
attac
info@attac.de – www.attac.de

Angst vor Armut – wie schultern wir den teuren Herbst? | Inflation | Steigende Preise | FAKT IST

#finanzen #diskussion #politik – Angst vor Armut – wie schultern wir den teuren Herbst? | Inflation | Steigende Preise | FAKT IST!14.279 Aufrufe – Live übertragen am 29.08.2022

Höhere Preise für Lebensmittel und Kraftstoffe, für Strom, die Gasumlage, höhere Krankenkassenbeiträge – vielen graust es vor den kommenden Monaten. Im Juli lag die Inflation in Deutschland bei 7,5 Prozent. Lebensmittel hatten sich im Vergleich zum Vorjahr um 14,8 Prozent verteuert, Energie sogar um 35,7 Prozent. Nicht nur Rentner, Studentinnen und Hartz IV-Empfänger wissen nicht mehr, wie sie über die Runden kommen sollen, auch Normalverdiener sind auf einmal von Armut bedroht.

Welche Sorgen sind berechtigt? Welche möglicherweise übertrieben? Zu wieviel Verzicht sind wir bereit? Und wie kann die Politik wirkungsvoll die Menschen entlasten, die wirklich bedürftig sind?

Über diese und andere Fragen diskutieren Anja Heyde und Stefan Bernschein mit Bürgern und Experten – unter anderem: Hermann Josef Tenhagen, Finanz-Experte Andreas Audretsch, stellvetretender Fraktionschef B90/Die Grünen im Bundestag Karl Krökel, Innungsmeister im Handwerk aus Dessau Birgit Schotte, Rentnerin #mdrfragt-Gemeinschaft Marcel Felgner, alleinerziehender Vater aus Eisleben Sven Henning, Geschäftsführer Tafel Eisleben Helge Sommerwerk, Bäckermeister und Konditor aus Mücheln