Von Anna Hunger und Josef-Otto Freudenreich – 08.04.2020
Die Grenzen verschwimmen
Ist das jetzt ein Skandal, wenn der SWR-Intendant mit der rechten „Jungen Freiheit“ spricht oder ein Moderator bei der „Achse des Guten“ mitmischt? Nein. Da scheint nur etwas normal, was nicht normal sein dürfte.
Vor vier Jahren durfte die AfD noch nicht mit am Tisch sitzen. Nicht mit Kretschmann, Schmid, Dreyer und Klöckner. Sie alle sagten: In unserer Elefantenrunde hat diese Partei nichts zu suchen. Das war vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Und der SWR nickte. Die Rechtspopulisten blieben außen vor.
Linker Staatsfunk hieß es damals bei der AfD. Ihrem Frontmann Alexander Gauland erschien der öffentlich-rechtliche Rundfunk als „Umerziehungs-TV“, dem er gerne die Gebühren entziehen würde. Der Ex-CDU-Mann bevorzugt ein anderes Medium: Die „Junge Freiheit“ (JF), 1986 in Freiburg gegründet, Sprachrohr der Neuen Rechten und Brücke vom Konservatismus zum Rechtsextremismus. „Wer die AfD verstehen will“, sagt Gauland, „muss die JF lesen“. Die Wochenzeitung gilt auch als Ideenlabor seiner Partei.
Vier Jahre später empfängt Kai Gniffke, der neue SWR-Intendant, einen Journalisten der JF in seinem Büro zum eineinhalbstündigen Gespräch. Daraus wird ein langes Interview, erschienen am 27. März und mit der Überschrift versehen: „Ich wünsche mir das Vertrauen der Bevölkerung“. Rechts neben ihm der Kopf von Wolfgang Wodarg, der in Corona-Zeiten eine gewisse Berühmtheit als Querulant erlangt hat.
Gniffke will einfach mit allen ins Gespräch kommen
Das Gespräch beginnt mit der steilen Frage: „Herr Professor Gniffke, die Spaltung unserer Gesellschaft vollzieht sich offensichtlich inzwischen an der Frage nach der AfD“. Das relativiert der promovierte Politikwissenschaftler mit dem Hinweis, dass auch Tradition und Moderne, Stadt und Land, Alt und Jung eine Rolle spielten. Arm und Reich, Kapital und Arbeit erwähnt er nicht. Aber alle sollen miteinander ins Gespräch kommen.
Das muss sich ein ARD-Intendant natürlich immer wünschen, auch wenn, wie Gniffke auf Kontext-Anfrage betont, die politische Ausrichtung dieser Zeitung „nicht dem eigenen Kompass entspricht“. Der 59-Jährige ist SPD-Mitglied. Schwierig ist eher das Organ, das eine andere Vorstellung von jenem Volk hat, das der SWR-Chef gewinnen will. Nach seines Befragers Einschätzung werden AfD-Wähler diskriminiert, ihre Vertreter nicht in ausreichender Zahl in Talkshows eingeladen beziehungsweise viel häufiger Opfer von Gewalttaten als jene von der „etablierten Seite“.
Kein Thema ist der Auftritt der baden-württembergischen AfD-Politiker Stefan Räpple und Dubravko Mandic vor dem Funkhaus in Baden-Baden am 4. Januar dieses Jahres, wo sie die SWR-JournalistInnen „aus den Redaktionsstuben vertreiben“ wollten. Und dies sei „erst der Anfang des Sturms“, ließ der Freiburger Anwalt Mandic wissen. Später sollte er sich dann für seine Rede entschuldigen, die SWR-Verwaltungsratschef Hans-Albert Stechl „von Hass und Hetze“ geprägt sah. Es hätte, so Mandic, der Eindruck entstehen können, er wolle seine Ziele „gewaltsam erreichen“. Ebenfalls unbesprochen bleiben die rechten Demonstranten vor dem Kölner WDR-Funkhaus, die Intendant Tom Buhrow (mit)bewogen haben dürften, die Causa „Oma Umweltsau“ mit einer flinken Distanzierung von seinen eigenen RedakteurInnen zu erledigen.
Im Intendantenbüro scheint Kreide versteckt
Auch Gniffke sind diese Vorgänge nicht verborgen geblieben. Aber er greift sie nicht auf. Schwierig eben, wenn man alle und alles verstehen will. „Das Opfernarrativ einer Partei zu betreiben ist falsch“, merkt er an, und das ist schon das Höchstmaß an Angriffslust. Der frühere Tagesschau-Chef, einst als Rauhbein wahrgenommen, hat in seinem neuen Büro offenbar eine Kiste Kreide versteckt, die er bei Bedarf auspackt. Meinungen „respektvoll austauschen“, allen Seiten „Raum geben“, „fair und unvoreingenommen“ berichten – das ist der neue Sprech. Spätestens hier dürfte der JF-Leser weggenickt sein.
Für das „Zentralorgan am rechten Rand“ (Die Zeit) ist letzteres nicht existenziell. Zum einen wächst die Auflage, entgegen dem Branchentrend, auf den Höchststand von 30.000, zum anderen hat sie mit Gniffke wieder gezeigt, wie es geht: mit Namen aus dem anderen Lager Liberalität vorgaukeln. Das verbessert das Image, Beatrix von Storch, Götz Kubitschek und Alice Weidel sind dann leichter zu ertragen. Auch für den Verfassungsschutz (VS), der die „Junge Freiheit“ über Jahre beobachtet und 2006 das Beobachten eingestellt hat. Bestand hat, so weit bekannt, nur der Beschluss des SPD-Bundesvorstands von 2005. Er besagt , dass es für die „Junge Freiheit“ keine Beiträge oder Interviews geben soll.
Auf die Kontext-Frage, ob das Interview wirklich sein musste, antwortet Gniffke mit einem eindeutigen Ja. Sein Ziel sei es, „in Dialog mit der ganzen Gesellschaft zu gehen“, der Intendant einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt könne ein solches Gesprächsangebot „nicht verweigern“. Warum eigentlich nicht?
Ein schießwütiger Moderator mit breiter Streuung
Ein weiterer bemerkenswerter Vorgang spielt ein paar Etagen tiefer im Radio. Dort gehört Burkhard Müller-Ullrich zum Moderatoren-Team des SWR2 Forum, das in einem 45-Minutenformat „Orientierungswissen“ bieten möchte. Alle wichtigen Themen würden hier verhandelt, verspricht der Sender – „so war es im antiken Rom, so praktiziert es das Kulturprogramm SWR2“.
Der freie Kulturjournalist und Medienkritiker Müller-Ullrich, 63, ist ein vielseitiger Mann, der mit seinen Beiträgen von der linksliberalen „Frankfurter Rundschau“ bis zur „Welt“ bereits zahlreiche deutschsprachige Titel und Rundfunkanstalten abgedeckt hat. Neben dem SWR arbeitet er auch für den „Deutschlandfunk“. Beim Autorenclub PEN ist er ausgetreten, weil der Schriftstellerverband beim bundesweiten Vorlesetag der Stiftung Lesen in Schulen und Kindergärten partout keine AfD-Politiker mitmachen lassen wollte. „PEN wollte die Erlaubnis für das Lesen und Vorlesen von Büchern vom Parteibuch der Lesenden und Vorlesenden abhängig machen. Und für AfD-Mitglieder sollte es keine Lese-Lizenz geben“, beklagte sich Müller-Ullrich auf Henryk M. Broders Populistenblog „Achse des Guten“ und zog die Konsequenz: „Ich bin dann mal weg.“
Mitglied im „Action Shooting Club“, einer Schießgesellschaft, die „Geselligkeit und die Kameradschaft“ pflegt, ist er geblieben. Schießen scheint eine besonders wichtige Konstante in Müller-Ullrichs Leben zu sein. Sein Twitterprofil ziert die Selbstbeschreibung „Dieselfahrer. Waffenbesitzer. Lufthansa-Senator“. Letzteres wird man erst, wenn man jährlich mindestens 100 000 Statusmeilen sammelt, der Zusatz „I wanna be banned from Twitter“ beschreibt schon mal die Richtung, in die er sich bewegt. Seit Neuem macht er täglich mit „Indubio“ (Im Zweifel) für Broders „Achse des Guten“ einen Podcast. „Wenn er mal mit Worten nicht trifft, dann nimmt er seine Walther PPQ Kaliber .45s+w“, steht dort in seinem Autorenprofil.
Broder ist bekanntlich der Meinung, Öffentlich-Rechtliche seien Staatsfunk und würden zu größten Teilen nur Schrott und Propaganda senden. Die GEZ hat er einmal als „Gestapo light“ bezeichnet. Die Frage an Müller-Ullrich, wie man sich denn persönlich durch diesen Schlamassel bewegt, also zwischen über Zwangsgebühren honorierte Aufträge für gleich zwei öffentlich-rechtliche Anstalten und Broder, möchte er nicht beantworten.
Dabei ist das für Müller-Ullrich eine echte Win-Win-Situation, sozusagen Cross-Promotion für Verächter der Anstalten: In der Sendung „Hilflose Helfer – Wird unser Medizinsystem zum Notfall?“ im SWR2-Forum vom 23.3.2020 war der Allgemeinmediziner Gunter Frank zu Gast. Seit 2013 schreibt er immer mal wieder für die „Achse des Guten“. Zur Zeit veröffentlicht er dort den regelmäßigen „Bericht zur Coronalage“ – und weiß natürlich viel besser als alle anderen, wie man politisch, wirtschaftlich und medial mit Corona umgehen müsste.
200 Meter unterm Flughafen steht das Militär
Auch der ehemalige Medien-Professor Norbert Bolz ist immer wieder zu Gast in Müller-Ullrichs SWR2-Forum. In der Sendung „Das Ende der Vernunft: Wie das Corona-Virus uns entmündigt“ vom 6.4.2020 beispielsweise. Bei der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung sprach Bolz vergangenes Jahr über die überall herrschende Meinungsdiktatur. Bemerkenswert auch sein Auftritt bei der Wissensmanufaktur in Walsrode, die mit der Ex-Tagesschau-Ex-Kopp-Nachrichten-Moderatorin Eva Herman ein in Verschwörungskreise prominentes Gesicht präsentiert.
Anmoderiert wird sein Vortrag von Robert Stein, einem „Urgestein in der alternativen Medienszene“ und Moderator von NuoVisoTV, einem Kanal, der auch den skurrilsten Theorien Raum gibt. Besonders hübsch ist eine Folge mit dem Verschwörungstheoretiker Peter Denk. Von einem guten Freund, der einen Bekannten hat, der am Flughafen Stuttgart für Aufzüge zuständig ist, weiß er das Folgende: Während einer Wartungsarbeit an einem Aufzug kam es zu einer Fehlfunktion und plötzlich befand sich der Kumpel vom Freund von Denk 200 Stockwerke unterm Stuttgarter Flughafen. „Tür ist aufgegangen: Militär.“ Das nur als kurzer Schwenk durch die Blase, in der sich Norbert Bolz hier bewegt.
Auch in Müller-Ullrichs Podcast bei der „Achse des Guten“ ist er präsent. In der Folge „Systemvertrauen unterm Angstregime“ philosophiert Bolz über die „hypersensible Weltgesellschaft“ heutzutage, „in der jeder Kranke, jeder alte Mann, der da keine Luft mehr bekommt und nicht beatmet werden kann, zum Weltereignis aufgeblasen wird von den Massenmedien“.
Auf Anfrage, wie man mit einem schießwütigen „Achgut“-Autor wie Burkhardt Müller-Ullrich umzugehen gedenke, der seine „medienkritischen“ Kumpels aus dem Broder-Umfeld zu Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Hause einlädt, mag der SWR keine Stellung nehmen.