Verkehrswende konsequent statt Sackgasse Elektro-PKW – online-Veranstaltung

Die ursprünglich in der Stadthalle geplante Veranstaltung mit Dr. Winfried Wolf „Verkehrswende konsequent statt Sackgasse Elektro-PKW“ wurde am 10.12.2020 als Videokonferenz via ZOOM durchgeführt.
Mehr als 20 Teilnehmer*innen verfolgten den Vortrag von Winfried Wolf. Ein Teil brachte sich in die anschließende Diskussion ein.

Eigens für die Veranstaltung in Kirchheim hat Winfried Wolf einen Thesenpapier formuliert:

„ZWÖLF THESEN Winfried Wolf

Die Debatte um Elektroautos ist von Kurzsichtigkeit geprägt. Der Blick ist starr auf einen isolierten E-Pkw gerichtet. Gefragt wird ausschließlich, ob ein E-Pkw im Vergleich zu einem Verbrenner nun 30 oder gar 70 Prozent weniger CO-2-Emissionen aufweist. Die Irritation beginnt bereits bei zwei Begriffen. Da ist zunächst die Terminologie „Elektronobilität“. Dieser Begriff wird inzwischen ausschließlich auf Pkw mit elektrischem Antrieb verwendet. Tatsächlich gibt es mit elektrisch angetriebenen Eisenbahnen, Trams, O-Bussen und S-Bahnen seit rund 100 Jahren Elektromobilität.

Sodann wären die Begriffe „Elektroauto“ – oder „Elektromobilität mit Pkw“ zu klären. Inzwischen fallen darunter längst Pkw-Modelle, die eindeutig mehr CO2 emittieren als herkömmliche Pkw mit Diesel- oder Benzinmotoren. Gemeint sind Plug-in-Hybride oder auch „Mild-Hybride“, also Pkw, bei denen der Antrieb in erster Linie auf Basis einer Benzin- oder Diesel-Motors erfolgt, der jedoch ergänzend einen Elektromotor hat. Die Reichweite des letzteren liegt fast immer wesentlich unter 50 km. Dennoch werden diese Pkw-Modelle steuerlich gefördert und sind auch in anderer Beziehung privilegiert (z.B. in Form von freien Parkplätzen in städtischen Zentren).

Doch der Reihe nach. Beginnen muss die Debatte über E-Pkw auf Weltebene. Bei der Struktur des gesamten Pkw-Bestands. Sie muss die Belastungen, die das E-Auto im globalen Süden verursacht, in den Blick nehmen. Und sie muss die Problematik eines jeden Autoverkehrs, unabhängig von dessen Antriebsart, behandeln. Auf dieser Grundlage gilt es zu prüfen, inwieweit es Alternativen zum Autoverkehr als solchem gibt.

Dazu die folgenden zwölf Thesen.

These 1. Weltweit wächst der Pkw-Bestand weiter rasant. Es gibt niemand, der diesem dramatischen, das Weltklima bedrohenden Wachstum Einhalt gebieten will. 2015 gab es weltweit 1,1 Milliarden Verbrenner-Pkw und 1,263 Millionen E-Pkw. Anfang 2021 sind es weltweit gut 1,5 Milliarden Verbrenner-Pkw und rund 26 Millionen E-Pkw. Der E-Pkw-Anteil liegt aktuell bei 1,7 Prozent.[1] Ergebnis: Im Zeitraum 2015 bis Anfang 2021 wuchs der Welt-Pkw-Bestand um rund 230 Millionen Verbrenner Pkw. Und um rund 25 Millionen E-Pkw. Die damit verbundenen CO-2-Emissionen sind erkennbar erheblich gestiegen – und zwar durch das 20-Prozent-Plus an Verbrennern und ein deutliches Plus an E-Pkw. Beim vorgegebenen Wachstum wird sich der Welt-Pkw-Bestand in 15 bis 20 Jahren verdoppeln. Selbst wenn alle Pkw dann E-Pkw wären und wenn die CO2-Emissionen je Pkw die Hälfte der CO2-Emissionen einen herkömmlichen Pkw betrügen, hätten wir dann die gleiche Summe an CO2-Emissionen, resultierend auf der Welt-Pkw-Flotte. Doch auch in 15 oder 20 Jahren wird nur ein (größerer) Teil der Welt-Pkw-Flotte aus E-Pkw bestehen.

These 2: Ausgerechnet das Beispiel China zeigt, dass die E-Pkw-Strategie scheitert. Dabei gilt China als E-Pkw-Vorbild. Konkret: Die Zahl der Pkw auf Chinas Straßen wächst derzeit jährlich um 5 bis 8 Millionen. 2015 zählte die VR China 135,8 Millionen Pkw. Anfang 2021 sind es gut 200 Millionen. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der E-Pkw in China von 290.000 auf gut 6 Millionen oder um (absolut) knapp 6 Millionen. Auch hier wächst die absolute Zahl der herkömmlichen Verbrenner-Pkw wesentlich schneller als die Zahl der E-Pkw. „Lediglich“ der Anteil der E-Pkw erhöht sich. Das gilt auch für die jüngere Entwicklung. Greifen wir einen Monat heraus. Im August 2020 wurden in China 1,73 Millionen Pkw verkauft. Ein Plus von 9 Prozent gegenüber August 2019. Im selben Monat wurden 82.500 E-Pkw verkauft. Letzteres ist zwar ein Plus von 45 Prozent gegenüber August 2019. Doch auch hier ist das absolute Plus an herkömmlichen Pkw wesentlich größer als das Plus an E-Pkw.[2] Es wächst schlicht alles. Damit wachsen die CO-2-Emissionen, stammend auf Verbrenner-Pkw und aus E-Pkw, weiter deutlich.

Hier anklicken, um das komplette Thesenpapier von Winfried Wolf zu lesen.

Noch immer interessant ist folgender Text von Winfried Wolf, den er 2017 verfasst hat:

Mobilität ohne Auto Plädoyer für eine umfassende Verkehrswende in: Blätter für deutsche und internationale Politik Ausgabe 12 im Jahr 2017

Das umfangreiche publizistische und politische Wirken von Winfried Wolf ist auf seiner  Homepage dokumentiert.

USA vs. China

Amerikas Angst vor dem Abstieg – die Rivalen: China versus USA, Teil 2 I auslandsjournal127.081 Aufrufe – 02.02.2022

Die China-Politik der USA: Alle Zeichen deuten auf verschärfte Handelskonflikte und zunehmende militärische Drohgebärden hin. USA-Korrespondent Elmar Theveßen und Annette Brieger zeigen, wie die wachsende wirtschaftliche Konkurrenz aus China die politischen Ziele der USA beeinflusst. Künstliche Intelligenz, Computerchip-Produktion und erneuerbare Energien gelten als Zukunftsfelder, auf denen sich der Kampf um die technologische Führung im 21. Jahrhundert entscheidet. Mit China als Feindbild wächst der Druck auf die USA, die eigene Wirtschaft zu modernisieren. Hinzukommt ein drohender Krieg um den Inselstaat Taiwan. Der Rust Belt, der sich seit Jahren im wirtschaftlichen Niedergang befindet, wird mit Hochdruck auf die Entwicklung von Zukunftstechnologien ausgerichtet. Elektromobilität und Halbleiterindustrien werden staatlich gefördert, um Abhängigkeiten von asiatischen Konkurrenten zu reduzieren.

Die ganze Dokumentation des ZDF-auslandsjournals „Die Rivalen: China versus USA“ gibt es in der ZDFmediathek: https://kurz.zdf.de/Otl/


Supermächte im Handelskrieg | Doku | ARTE177.280 Aufrufe –02.12.2020

Ist es der neue Kalte Krieg, nur mit anderen Waffen? Der Handelskonflikt zwischen Amerika und China ist ein noch nie dagewesener wirtschaftlicher Schlagabtausch zweier Großmächte.

Er geht zurück auf das handelspolitische Credo von US-Präsident Donald Trump: „America first!“. Der Streit eskaliert im Jahr 2020 und verursacht ein Beben, das Europa und die ganze Welt erschüttert. Der Handelskonflikt zwischen Amerika und China ist ein noch nie dagewesener wirtschaftlicher Schlagabtausch zweier Großmächte. „Wir haben einen großen Konflikt zwischen zwei Führungsmächten, die beide an die Spitze wollen … und das Ganze kann auf einen neuen Kalten Krieg hinauslaufen“, sagt China-Experte Sebastian Heilmann von der Uni Trier. 2018 verhängen die USA erste Zölle, 2020 sind fast alle chinesischen Produkte mit 25 Prozent Importzöllen besteuert. Trump will damit das amerikanische Handelsdefizit von jährlich 650 Milliarden US-Dollar verringern.

Doch die Reaktion Chinas folgt schnell: Auf die US-Strafzölle antwortet die Volksrepublik mit Gegenzöllen. Ein Handelsvolumen von 800 Milliarden Dollar ist betroffen. „Wir sind in einem handelspolitischen Konflikt, wie es ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat“, so Wirtschaftsexperte Henrik Müller von der TU Dortmund. Auch für Europa wird der Handelskrieg zur Zerreißprobe.

Weil Exportweltmeister Deutschland immer mehr in die Schusslinie der Amerikaner rückt, drohen diese mit Strafzöllen auf deutsche Autoexporte in die USA. Um das abzuwenden, dürfen die USA genmanipuliertes Soja in die EU importieren – zum Ärger der französischen Landwirtschaft und europäischen Verbraucherschützer. Und auch für europäische Firmen mit Tochtergesellschaften in China wird es eng – der Export in die USA stockt aufgrund der Strafzölle. Ein Ende des Handelskrieges ist nicht in Sicht, was auch die Weltwirtschaftsorganisation WTO nicht ändern dürfte.

Dokumentation von Jens Niehuss (D 2020, 52 Min)


Handelskriege im Spiegel der Geschichte | Doku | ARTE – 4.610 Aufrufe – 03.12.2020

System change durch Green New Deal – Bernd Riexinger zur sozial-ökologischen Transformation

Am 2. Dezember referierte Bernd Riexinger in einer ZOOM-Veranstaltung der LINKEN (OV Kirchheim) zum Thema „System change durch einen linken Green New Deal“.

Soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz müssen miteinander verbunden werden, meint Bernd Riexinger – und führt das in seinem neuen Buch breit aus.

Riexinger schreibt in einem Kommentar im „Neuen Deutschland“:

„Ein grüner Kapitalismus wird weder das Klima retten noch das Leben der Mehrheit der Menschen verbessern. Die Grünen wollen sich nicht auf Inhalte festlegen und entscheiden sich mal für Sozialdemokratie light, mal für den Flirt mit Schwarz-Grün(-Gelb) und Klientelpolitik für Besserverdienende.

Es ist die Aufgaben der LINKEN, soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit in einem linken Zukunftsprojekt zusammenzubringen. Das wird zu einer Schicksalsfrage – für die Gesellschaft und für die LINKE.

Gefragt ist ein linker Green New Deal. Die Kernidee ist geeignet, gesellschaftliche Mehrheiten zu erreichen: Kein Beschäftigter soll sich zwischen Job und einer Zukunft für seine Kinder entscheiden müssen. Es geht um sinnvolle Arbeit und um Löhne, die für ein gutes Leben reichen. Nur mit Milliarden-Investitionen schaffen wir eine klimagerechte Wirtschaft und soziale Sicherheit für alle. Höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung und eine neue Qualität sozialer Infrastruktur, in den Städten wie auf dem Land, können die Grundlage eines neuen Wohlstandsmodells sein. Das gelingt nur mit demokratischen Entscheidungen über Investitionen. Wir dürfen die Zukunft nicht den Konzernzentralen überlassen! Profitorientierung und Wettbewerbsfähigkeit haben in Bereichen wie Wohnen, Gesundheitsversorgung, aber auch Mobilität nichts zu suchen.

In den USA hat Bernie Sanders einen Green New Deal vorgeschlagen – mit massiven Investitionen in erneuerbare Energien und einer staatlichen Arbeitsplatzgarantie. Ähnlich ambitioniert ist der Green New Deal von Labour in Großbritannien.

Hierzulande ist die LINKE die einzige Partei, die den Kampf um soziale Gerechtigkeit, konsequenten Klimaschutz, wirkliche Demokratie und Frieden verbinden kann. Die Ideen dafür müssen nicht völlig neu erfunden werden – an umsetzbaren Konzepten mangelt es nicht. Zum Beispiel für eine sozial gerechte Mobilitätswende mit Ausbau von Bus und Bahn, kostenfreiem Nahverkehr und mittelfristigem Umbau der Autoindustrie mit Einkommensgarantien für die Beschäftigten. Auch bundesweiter Mietendeckel und Investitionen in bezahlbares Wohnen und ökologisches Bauen gehören zum Deal.

Solche Einstiege in einen sozialen und ökologischen Systemwandel können nur in gesellschaftlichen Kämpfen und mit neuen, breiten Bündnissen durchgesetzt werden. Als Partei stehen wir nach den jüngsten Wahlen vor großen Herausforderungen. Wir können stärker werden, wenn wir unser Profil schärfen und uns stärker in der Gesellschaft verankern. Wie dies gelingen kann, wollen wir gemeinsam mit vielen Interessierten und Bündnispartnern diskutieren.

Ein linker Green New Deal eignet sich als verbindendes Projekt. Zwischen Gewerkschaften und Klimabewegung, zwischen Stadt und Land, Beschäftigten in Industrie und Dienstleistungen. Statt unterschiedliche Milieus gegeneinander zu stellen oder uns in internen Debatten aufzureiben, sollten wir uns daran machen, Brücken zu bauen und viele Menschen für einen linken Green New Deal zu begeistern.“

Bernd Riexinger referiert zum Thema seines neuen Buches Linker Green Deal.


Systemchange durch Green New Deal? Bernd Riexinger trifft Luisa Neubauer1.182 Aufrufe 16.09.2020

https://www.zeitschrift-luxemburg.de/das-system-umbauen-schritte-in-eine-sozial-oekologische-zukunft/

https://www.zeitschrift-luxemburg.de/ein-linker-green-new-deal/

Aufs Ganze gehen! 10 Jahre Institut für solidarische Moderne – die Perspektive der Mosaik-Linken

26.06.2020 – Andrea Ypsilanti und Thomas Seibert
Andrea Ypsilanti und Thomas Seibert, ISM-Vorstandsprecher

Andrea Ypsilanti und Thomas Seibert, ISM-Vorstand

Dieser Text wurde vor der Corona-Pandemie verfasst, also vor den in ihrem Ausmaß heute noch gar nicht absehbaren Verwerfungen, die mit ihr durchbrechen. Trotzdem sind die diesem Text zugrunde liegenden Annahmen nach wie vor gültig und aktuell. Mehr noch: Die Nötigung zu einer Verständigung der linken Kräfte nicht nur zu gemeinsamem Widerstand, sondern zu einer Durchsetzungsperspektive ist sehr viel stärker geworden. Nach unserer Überzeugung müssen die Akteur*innen des linken Mosaiks nahezu bis zur Schmerzgrenze aufeinander zugehen und sich aufeinander beziehen. Das kann nicht heißen, bestehende und fortwirkende Unterschiede einfach aufzugeben, sondern das Wagnis auf sich zu nehmen, sie in einem gemeinsamen Projekt und für dessen politische Durchsetzung produktiv zu machen. Das neoliberale, konservative und rechtsextreme Lager sammelt sich auf seine Weise. Progressive Parteien, soziale und ökologische Bewegungen, Kulturschaffende, Wissenschaftler*innen und die vielen an ihrer eigenen wie an der Emanzipation aller arbeitenden Einzelnen müssen das auf ihre Weise tun: müssen riskieren, aus ihren Unterschieden das sie Verbindende, das ihnen Gemeinsame zu suchen.

Wir haben das Institut Solidarische Moderne zu einer Zeit gegründet, als eine rot-grün-rote Koalition noch über eine gesellschaftliche Mehrheit verfügte. Ihr Zustandekommen wurde dann aber von den Parteien verfehlt, die sie hätten bilden sollen. Wir haben in einer solchen Koalition, das war und ist unser wichtigster Punkt, ein Ganzes gesehen, das mehr wäre als die Summe seiner Teile, mehr wäre also als die sozialdemokratische, die grüne und die Partei der Linken je nur für sich. Unser Ziel war und ist es, diesem Ganzen einerseits zum Ausdruck und andererseits zu einer Perspektive seiner Durchsetzung zu verhelfen.

Unser Begriff für diese doppelte Aufgabe ist der einer radikaldemokratischen und sozialökologischen Transformation der bestehenden Verhältnisse. Sie muss und soll über den nationalen Rahmen hinausführen, auf ein mit sich und mit der Welt solidarisches Europa, auf eine globale solidarische Moderne. Mit diesem Projekt haben wir uns und unsere doch eher bescheidenen Kräfte nicht etwa überschätzt, sondern uns als offene „Programmwerkstatt“ einer breiten Mosaiklinken verstanden, die weit über uns selbst hinausreicht. Das Mosaik wiederum sollte nicht einfach eines der drei linken Parteien, es sollte vielmehr das Mosaik ganz verschiedener Formen linker Politik sein. Es sollte dabei Partei-, Zivilgesellschafts- und Bewegungspolitiken mit einer Politisierung kritischer Theorie verbinden – und andersherum. Auf den Punkt gebracht: Eine solidarische Moderne kann nur eine Sache der bewussten Selbsttätigkeit der Gesellschaft wie vieler Einzelner sein.

Dabei blieb uns stets bewusst, dass die in Umfragen immer wieder bestätigte rot-grün-rote gesellschaftliche Mehrheit ungesichert war. Wir haben dazu den Begriff des „dissidenten Drittels“ gebildet, mit dem gesagt werden soll, dass die linken, solidarischen oder allgemeiner die progressiven Teile der bundesrepublikanischen Gesellschaft sicher nur ein Drittel ihrer Mitglieder umfassen, gegenüber zwei Dritteln, die zwischen beiden Richtungen schwanken oder gegebenenfalls eher nach rechts orientiert sind. Optimistisch blieben wir, weil wir der Auffassungen waren und sind, dass das „dissidente Drittel“, wenn es denn zusammenfindet, trotzdem mehrheitsfähig sein kann.

Zum rechten Lauf der Dinge

Zwischenzeitlich ist die jahrelang stabile rot-grün-rote Umfragemehrheit verdampft. Das geschah wesentlich infolge des rasanten Zerfalls der SPD, infolge der offenbaren Stagnation der LINKEN – und infolge einer Drift nach rechts, die in der AfD ihre dynamische Kraft gefunden, mittlerweile aber weite Teile der Gesellschaft erfasst und sich in einer manifesten Verschiebung nicht nur des Migrations-, sondern einiger anderer politischer Diskurse auf konservative oder offen reaktionäre Positionen niedergeschlagen hat. Dabei ist diese Drift nach rechts nicht bloß ein bundesrepublikanisches, sondern ein gesamteuropäisches und nicht zuletzt ein globales Phänomen. Zugleich sind die Schranken, die der Rechtsdrift unserer Gesellschaft einerseits durch die Widerständigkeit sozialer Bewegungen und andererseits durch die Wahlerfolge der Grünen gesetzt wurden, in sich brüchig. Zum einen bindet der erzwungene permanente Abwehrkampf Energien, die zivilgesellschaftliche Initiativen wie soziale Bewegungen anderswo dringend brauchen und fördert dabei deren aus Jahrzehnten des Widerstands gegen neoliberale Angriffe stammende Neigung zur Selbstbeschränkung auf die Defensive.

Zum anderen gibt es starke Tendenzen in der grünen Partei und unter ihren Wähler*innen, die eher auf eine schwarz-grüne Wende zugunsten einer ökologischen Modernisierung des Kapitals als auf eine sozialökologische Transformation setzen. Das grundsätzliche Ungenügen einer schwarz-grünen Wende liegt nun aber darin, dass ihr möglicher Erfolg an den Fortbestand und darüber hinaus an die Stärkung der Vormachtsposition der Bundesrepublik und der Europäischen Union in den globalen Machtverhältnissen und auf dem kapitalistischen Weltmarkt gebunden bleibt. Was das heißt, kann an der letztlich doch wankelmütigen Haltung der Grünen in der Frage der Migrationsabwehr und Migrationskontrolle abgelesen werden. Der entschlossenen Solidarität vieler Amtsträger*innen, Mitglieder und Unterstützer*innen der Grünen mit den Geflüchteten widerspricht die willentliche Teilhabe schwarz-grüner Länderregierungen an der herrschenden Anti-Migrations-Politik. Es kann auch, um aus gegebenem Anlass einen Blick über die Landesgrenze zu werfen, an der ÖVP und den österreichischen Grünen abgelesen werden, die gerade eine schwarz-grüne Koalition eingegangen sind.

Bedauerlicherweise sieht es bei den Sozialdemokrat*innen in dieser Frage nicht besser, sondern wenigstens ebenso düster aus: Immerhin ist die SPD Teil der Großen Koalition, deren Außenpolitik im Verbund mit EU und NATO dem türkischen Präsidenten Erdoğan freie Hand bei all seinen Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen gewährt. Und: Auch wenn die LINKE bei diesem wortwörtlich mörderischen Spiel mehrheitlich nicht mitspielt, sondern sich eindeutig an die Seite der Geflüchteten stellt, gibt es doch Kräfte in der Partei und wohl mehr noch in ihrer Wähler*innenbasis, die in dieser wie auch einigen anderen Fragen ebenfalls nach rechts tendieren.

Solidarische oder regressive Moderne

Die politische Lektion der Migrations- und der mit ihnen verbundenen Willkommensbewegungen liegt im Nachweis der Notwendigkeit, die unumgänglich globale Dimension heutiger Gerechtigkeitspolitiken in den Blick zu nehmen. Wir können in dieser Hinsicht ebenso gut von der Klimakrise sprechen, wir können und müssen aber auch vom dramatischen Armutsgefälle nicht bloß in der eigenen Gesellschaft, sondern im Weltmaßstab sprechen. Wir könnten schließlich auch von der globalen Krise überhaupt der Politik sprechen, einer Krise, die sich dramatisch im gewaltsamen Zerfall der überkommenen Weltordnung zeigt, in der Ausweitung der durch Krieg und Gewalt verheerten Weltregionen sowie in der Militarisierung der internationalen Politik und der fortlaufenden Aufrüstung Europas. Wohin man auch sieht, immer geht es darum, dass Gerechtigkeitspolitiken als der Kern linker Projekte stets in globalisierter Dimension gedacht werden müssen – oder aber gar keine Gerechtigkeitspolitiken und damit auch gar nicht mehr „links“ sein können.

Es ist dieser Grund, der die Frage der Migrant*innen zu einer vordringlichen macht – nicht, wie immer wieder unterstellt, irgendeine auf Kosten der „sozialen Frage“ verfolgte „bloß“ linksliberale Multikulti-Versessenheit. Sichtbar wird das, um noch einmal darauf zurückzukommen, in der auch migrationspolitisch begründeten schamlosen Kooperation der EU und der NATO mit dem Kriegsverbrecher Erdoğan.Das alles stellt, davon sind wir überzeugt, nur den Anfang eines möglichen totalen Ausverkaufs aller Errungenschaften der europäischen wie der selbst wieder globalen Demokratisierungsgeschichte dar: den Beginn des Wegs nicht in eine solidarische, sondern in eine regressive und deshalb konsequent autoritäre Moderne. Demonstriert wurde das zuletzt im nicht mehr nur traurigen, sondern erbärmlichen Scheitern der Klimakonferenz von Madrid. Um es auf den Punkt zu bringen: Wer die soziale Frage in der Bundesrepublik vordringlich im nationalen Rahmen stellt, entwirft seine Politik, ob gewollt oder nicht, als Politik für die im Weltmaßstab privilegierten Bewohner*innen des globalen Nordens und in Verteidigung ihrer Privilegien – und verfällt deshalb nicht zufällig, sondern zwingend auf eine Politik der Grenzsicherung um jeden Preis. Die geht dann wiederum nicht zufällig, sondern zwingend über Leichen.

Rot-rot-grün, Grün-rot-rot

Für uns aber bleibt es auch und gerade deshalb bei dem Farbenspiel, dem wir uns von Anfang an verpflichtet haben. Das mag nach der oben stehenden Bilanz überraschen und irritieren. Doch haben wir sowohl hier als auch an vielen anderen Stellen zuvor klargestellt, dass Rot-rot-grün für uns nicht nur eine partei- und koalitionspolitische Angelegenheit, sondern die Sache des Ganzen eines progressiven Politikentwurfs ist, der auf Bewegungen der Straße oder auf zivilgesellschaftliche Initiativen oder Alternativen ebenso angewiesen ist wie auf Parteien. Die sozialökologische und radikaldemokratische Transformation, die wir mit diesem Farbenspiel ansprechen, verweist auf einen langen und mehrdimensionalen Prozess der Gesellschaftsveränderung, der über alles hinausgehen wird, was eine Regierung leisten kann. Doch wollen wir mit dem Bezug auf Rot-rot-grün und damit auf Partei- und Regierungspolitiken auch festhalten, dass wir unter global ausgespannten Gerechtigkeitspolitiken auf der Höhe unserer zunehmend dramatischen Zeit nach wie vor eine ganz realpolitische Sache verstehen.

Tatsächlich verlangen wir von einer rot-rot-grünen oder jetzt wohl eher grün-rot-roten Koalition auf Bundesebene „nur“ den Einstieg in eine radikal-demokratische und sozialökologische Transformation der Bundesrepublik und der EU, mit der zivilgesellschaftliche Initiativen und soziale Bewegungen auf ihrem Terrain schon begonnen haben. Wie mindestens einem Drittel, vermutlich aber noch deutlich mehr Menschen der Bundesrepublik, geht es uns dabei um Dinge, die in den Programmen der Grünen, der SPD und der LINKEN, auch in denen vieler Gewerkschaften längst ihren Platz gefunden haben – vom Mindestlohn über die Bürger*innenversicherung, das sanktionsfreie Grundeinkommen, die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit bis zu einer Bildungsoffensive und einer entschlossenen Beschleunigung, Vertiefung und Ausweitung der Energie- und Mobilitätswende. Dazu bedarf es auch einer neuen Finanzarchitektur für Deutschland und Europa. Es bedarf der Revision der Schuldenbremse, um ein sozial-ökologisch-kulturelles Investitionsprogramm in Europa zu ermöglichen. Es bedarf schließlich einer Finanztransaktionssteuer, die ihren Namen verdient, weil sie nicht den Aktienkauf, sondern die „Vernichtungswaffen“ des Derivate- und Hochfrequenzhandels besteuert.

Über den Horizont hinaus

Und: Wir wünschen uns darüber hinaus zwei, drei, vier Projekte, die es wagen, zumindest ein paar Schritte über den damit gezeichneten Horizont hinauszugehen. Solche Projekte könnten sich vielleicht in einer neuen Politik der Stadt und zugleich der Bürger*innenschaft verdichten, die deren im Wohnen, im Verkehr, in der allgemeinen sozialen Sicherung wie in der Ermöglichung der kulturellen und politischen Teilhabe aller ihrer Bewohner*innen geankerte Infrastruktur ebenso radikal demokratisiert wie ihre politische Verfassung und ihre Rolle im Gefüge des Politischen. So könnte Städten, wie von Gesine Schwan in der Initiative „Europa von unten neu beleben“ vorgeschlagen, eine sehr viel stärkere und zugleich progressive Rolle in der Migrationspolitik und im ganzen Prozess der europäischen Einigung zufallen. Zugleich könnte eine in die Verfassungen Europas einzuschreibende „Städtebürger* innenschaft“ die offenbaren Grenzen nationaler Staatsbürger*innenschaft substanziell überschreiten. Damit wäre bei weitem nicht „alles“ anders, wohl aber einiges besser – und davon wiederum „etwas“ mehr. Dieses „etwas mehr“, das ist unsere Hoffnung und unser Einsatz, würde einer Mehrheit in diesem Land das grün-rot-rote Ganze sichtbar machen, das über die Summe seiner Teile hinausgeht. Es würde auf jede einzelne der drei Parteien zurückwirken und in ihnen die Tendenzen befördern, die über den jeweiligen Status quo hinausweisen. Vor allem die SPD, aber auch die LINKE würden davon enorm profitieren: die eine im Blick auf ihren ansonsten wohl unumkehrbaren Zerfall, die andere im Blick auf ihre auf Dauer nur lähmende Stagnation. Die Grünen wiederum würden ihre deutlich gestiegene Bedeutung verstetigen und verstärken können.

Doch mehr noch: Das in Frage stehende „etwas mehr“ würde nicht nur den beteiligten Parteien, es würde über sie hinaus dem progressiven Drittel, wenn nicht gleich der zumindest möglichen progressiven Mehrheit dieser Gesellschaft einen enormen politischen Auftrieb geben. Es würde die Herausbildung einer gesellschaftlichen Linken ermöglichen, die in sich das Ganze wäre, das über die Summe der Parteien hinausreicht, die diese Linke repräsentieren wollen. Es würde damit auch die oben schon notierte Neigung sozialer Bewegungen zur Beschränkung auf Abwehrkämpfe aufbrechen. Damit könnte die oft unverbundene Vielzahl progressiver gesellschaftlicher Anliegen einen Rahmen des Gemeinsamen und den Ansporn zur Entwicklung nicht mehr nur von Alternativen in Teilbereichen finden, sondern von Alternativen „ums Ganze“.

Natürlich würde das auch zu Spannungen zwischen einer möglichen progressiven Koalition, ihren Minister*innen wie ihren Parteien und ihrer gesellschaftlichen „Basis“ führen. Diese Spannungen aber wären, da sind wir sicher, der nicht-fossile Brennstoff weiterer Fortschritte in einer zuerst allmählich, schließlich aber immer schneller Fahrt aufnehmenden radikaldemokratischen und sozialökologischen Transformation. Die aber wäre ebenso sehr eine Sache des Regierungs- wie des Alltagshandelns, eine Sache von Partei- und von Bewegungspolitiken. Sie wäre übrigens immer auch eine Sache der Straße: Wo steht denn geschrieben, dass der Sinn von großen und kleinen Demonstrationen immer nur im Protest gegen eine Regierung liegt? Es sind schließlich auch große wie kleine Demonstrationen denkbar, die eine zögerliche oder aber eine von institutionellen, auch von ökonomischen Blockaden bedrängte Regierung dazu treiben, in weitere Horizonte auf- und auszubrechen! Begonnen im mächtigsten Land der Europäischen Union hätte eine solche Wende, ein solcher Aufbruch nicht zu unterschätzende Dynamiken auch in anderen Ländern der Europäischen Union zur absehbaren Folge: Dynamiken, die der Drift nach rechts einen Riegel vorschieben könnten, mit der die Entwicklungen in Großbritannien, in Italien, in Österreich, Polen und Ungarn Europa in den Abgrund treiben.

2021 – wann denn sonst?

Tatsächlich könnten die nächsten Bundestagswahlen dem aktuellen Anschein entgegen von entscheidender Bedeutung sein. Es werden die ersten Bundestagswahlen überhaupt sein, in denen es keine „Volksparteien“ mehr gibt, deren Mit- und Gegeneinander nur drei Möglichkeiten zulassen: ein von der CDU oder ein von der SPD dominiertes Bündnis oder ein Bündnis von CDU und SPD. Die kommenden Bundestagswahlen sind deshalb in einem ganz neuen Sinn Wahlen offenen Ausgangs: Wahlen, mit denen zunächst „etwas“, und dann sehr viel mehr anders werden könnte. Sie könnten allerdings auch zu Wahlen werden, mit denen alles noch einmal, vielleicht sogar sehr viel schlimmer wird: eine Erfahrung, die in den letzten Jahren gleich in mehreren Ländern gemacht wurde. Ihr Ausgang wird in jedem Fall knapp sein, wird gegebenenfalls an wenigen Stimmen hängen. Stimmen, die im Moment, das liegt auf der Hand, am dringendsten von der SPD und von den LINKEN benötigt werde. Stimmen, die aber auch von den Grünen benötigt werden, wenn sie wirklich das Gewicht erhalten und bewahren wollen, das ihnen zuletzt zugefallen ist. Grund genug, sich am Riemen zu reißen. Spielraum aber auch für das über die drei Parteien hinausreichende Mosaik: Auch die zivilgesellschaftliche und die Bewegungslinke können nur gewinnen, wenn „ihre“ drei Parteien gewinnen. Dasselbe gilt für die Vielzahl lokaler oder sektoraler Transformationsprojekte, in denen heute schon praktisch an zuletzt sogar „ganz anderen“ Verhältnissen gearbeitet wird.

Damit sind wir bei unserem letzten, dem für das ISM immer schon leitenden Gedanken. Sichtbar wird dieser Punkt im Blick auf das Desaster von Labour in Großbritannien. Die Zeit, die diese alte, sehr alte linke Partei hatte, um zu lernen, eine neue linke Partei zu werden, war sehr knapp, sie war tatsächlich zu knapp bemessen. Das galt nicht nur für ihre Partei, es galt auch für das im Grunde zu bunt und zu vielgestaltig angelegte gesellschaftliche Mosaik, das eine solche Erneuerung hätte tragen sollen. Das ist in der Bundesrepublik anders, das ist hier im Prinzip schon seit Jahrzehnten anders. Rot-Rot-Grün oder Grün-Rot-Rot hat hier, anders als in nahezu allen europäischen Ländern, eine weit zurückreichende Tradition. Von noch älteren Einstellungen her gesehen ist dies eine ungeliebte Tradition: Sozialdemokrat*innen wollten sich ihr einst mit Dachlatten in den Weg stellen. Es ist zugleich eine Tradition, die in der Zeit, in der sie auf der Bundesebene schon einmal zum Zug kam, kein Versprechen, sondern nur Enttäuschungen zurückgelassen hat.

Es kommt auf das Ganze eines rot-rot-grünen Aufbruchs an

Trotzdem gibt es diese Tradition, und genau besehen war sie nie so angesagt wie in diesen gleich mehrfach erschreckenden, aktuell sogar furchterregenden Zeiten. Es käme schlicht und einfach drauf an – ja, es käme, es kommt verdammt auf das Ganze eines grünen und roten Aufbruchs an, auf das Ganze, das nicht nur mehr als seine Parteien, sondern auch mehr als seine Gewerkschaften, seine zivilgesellschaftlichen Verbände, seine sozialen Bewegungen ist. Ohne die sozialen Bewegungen, die den Parteien und Regierung „von unten“ und von der Straße her immer wieder neu die Richtung vorgeben und sie an ihre Verantwortung für die Transformation erinnern und binden, wird ein rot-grüner Aufbruch nicht real. Allerdings gilt dieser Verweis auf das unumgängliche Über-sich-hinausgehen-Müssen auch für die sozialen Bewegungen: Auch sie müssen sich ihrer Grenzen bewusst werden und selbst noch ihre Bereitschaft verstärken, ums Ganze zu kämpfen.

Dabei leben Parteien, zivilgesellschaftliche Verbände, Bewegungen und das unübersehbare Geflecht widerständigen und zugleich alternativen Alltagshandelns von all den Einzelnen, die im Grunde lange schon gelernt haben, sich selbst ganz von sich aus, zur Not auch ganz allein auf sich gestellt auf dieses Ganze zu beziehen. Und diese Einzelnen sind viele: sie sind die Vielen, und sie sind ihr Mosaik. Zu ihren Gemeinsamkeiten gehört, dass sie von der begrenzten Kraft und der begrenzten Reichweite wissen, die Parteien und sogar Regierungen zukommt, wenn‘s ums Ganze geht. Gerade deshalb teilen sie aber auch die Einsicht in die Unumgänglichkeit der Parteien und Regierungen immer noch in die Hand gegebenen Möglichkeiten. Heute hängt an ihnen der Einstieg in den Ausstieg aus fast 
50 Jahren neoliberaler Verödung der Politik und der Gesellschaft. „Heute“ ist 2021. Der Ausgang ist offen, und er hängt, sagen wir das noch einmal, an wenigen Stimmen. Unsere gehören dazu: im weitesten Sinn des hier gemeinten „Wir“.

Dieser Artikel ist in der ISM-Broschüre „Die Politik der Vielen“ erschienen.

Arbeitsgruppe „Alternative Wirtschaftspolitik“ legt Sondermemorandum zur Corona-Krise vor

Quelle: AG Alternative Wirtschaftspolitik

MEMORANDUM 2020: „Gegen Markt- und Politikversagen – aktiv in eine soziale und ökologische Zukunft“ und SONDERMEMORANDUM zur Corona-Krise „Solidaritätspakt zur Krisenbewältigung“

Die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik legt zum 1. Mai nicht nur ihr alljährliches MEMORANDUM, sondern auch mit Blick auf die aktuelle Corona-Krise ein SONDERMEMORANDUM vor. Der solidarische sozial-ökologische Umbau der Gesellschaft muss angesichts der Corona-Krise forciert vorangetrieben werden.

Das MEMORANDUM 2020 stellt nicht nur den Gesundheitssektor, sondern auch den Klimawandel in den Mittelpunkt. Der Verkehrssektor verursacht steigende Emissionen und ist maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich. Eine echte Verkehrswende muss auf nachhaltige Mobilitätsalternativen setzen und den Autoverkehr begrenzen. „Eine solche Verkehrswende ist nicht nur wichtig für den Klimaschutz, sondern verbessert auch die Lebens- und Stadtqualität. Verkehrsvermeidung und -verlagerung auf den Umweltverbund sowie Abschied von der ‚autogerechten Stadt‘ sind die Leitbilder“, so Prof. Peter Hennicke für die Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik.

Wie beim Verkehr muss auch der Umbau in anderen gesellschaftlichen Bereichen von den Bedarfen her gedacht werden. Allein in der Krankenhaus- und Altenpflege fehlen mehrere hunderttausend Beschäftigte. Wie es zu den Fehlentwicklungen im Gesundheitssektor gekommen ist, wird im MEMORANDUM 2020 ebenfalls ausführlich dargestellt. „Die vielen ungedeckten Bedarfe und der Vergleich mit Personalstärken in anderen Staaten zeigt, dass in Deutschland bei öffentlichen und gemeinwohlorientierten Dienstleistungen ein erheblicher Nachholbedarf besteht. In den nächsten zehn Jahren ist ein Beschäftigungsaufbau von ein bis zwei Millionen Personen nicht nur notwendig, sondern auch möglich“, so Prof. Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen.

Der sozial-ökologische Umbau erfordert hohe öffentliche Ausgaben über Jahrzehnte. Dem steht die Schuldenbremse entgegen. „Das Beste wäre es, die Schuldenbremse durch eine neue ‚goldene Regel‘ zu ersetzen“, so Prof. Mechthild Schrooten von der Hochschule Bremen. „Wie wir zeigen, gibt es aber auch unter der Schuldenbremse gesetzliche Möglichkeiten, langfristig neue Spielräume für Investitionen zu schaffen.“

Folgerichtig ist ein „Solidaritätspakt zur Krisenbewältigung“ die zentrale Forderung des SONDERMEMORANDUM. Darin enthalten ist ein Lastenausgleichsfonds, der aus einer Vermögensabgabe gespeist wird und die Kosten der Stabilisierung sowie den Erhalt und die Aufwertung von Arbeitsplätzen finanziert. Ein „Zukunftsinvestitionsprogramm für Innovation, Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung“ soll dem gesamtwirtschaftlichen Einbruch entgegengestellt werden. Dabei darf die europäische und internationale Dimension nicht zu kurz kommen. Gemeinschaftliche Anleihen der Eurostaaten wie auch eine internationale Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen vollständig dem Gesundheitsschutz und der Armutsbekämpfung in den ärmeren Staaten der Erde zufließen sollen, stellen hier Kernpunkte dar.

Auf der Seite www.alternative-wirtschaftspolitik.de finden Sie:

  • Sondermemorandum
  • Kurzfassung Memo 2020
  • Inhaltsverzeichnis
  • Zusammenfassung der Kapitel