China ist in vielerlei Hinsicht das führende Land des 21. Jahrhunderts, nicht nur, aber vor allem auch bei technologischen Innovationen
„In der chinesischen Innovationsdynamik gibt es technologisch Bemerkenswertes, wie die Quantentechnologie und die sogenannten Quantencomputer, den Vorsprung bei Fluggeschwindigkeiten in der (defensiven) Militärtechnologie, bei E-Mobilität, alternativen Antrieben und intelligenter Infrastruktur, bei Bezahlsystemen und in anderen Bereichen.
Der ehemalige US-Militäringenieur und heutige selbstständige Blogger Fred Reed liefert hierzu erstaunliche Aussagen. Er schreibt etwa über das solarbetriebene Flugzeug, das in 20 Kilometern Höhe fliegt und monatelang in der Luft bleiben kann, über die Hochgeschwindigkeitszüge, die zentral sind für die künftige (gegenüber Flugzeugen und Hochseeschiffen ökologischere) schnelle Landverbindung zwischen Europa und Asien, oder über Investitionen in Solarenergie, um die Abhängigkeit vom Öl zu mindern, vor allem aus dem Persischen Golf und den entsprechenden Meerestransportwegen, die anfällig für Blockaden durch die US-Marine sind.
Das sogenannte Nationale Innovationssystem Chinas etwa im Bereich der Fotovoltaik ist intensiv beforscht worden. Diese Studien haben bekannte, typische Merkmale des Innovationssystems bestätigt, etwa die kombinierten „Treiber“ von Regierungsplänen und Marktdynamiken („Staat und Markt“), von lokalen Vernetzungen und internationalem Wettbewerb oder nationalen öffentlichen Forschungs- und Entwicklungs-(FUE-)Investitionen und lokaler Wirtschaftsförderung.
Und nur durch öffentliche Orientierung, Förderung und Koordination der zahlreichen privaten innovativen Aktivitäten konnte China der lang anhaltende Nach- und Aufholprozess gelingen, der ja insgesamt in der jüngeren Geschichte einmalig ist.1
Chinas Innovationsdynamik ist intensiv auch unter dem Aspekt vorliegender Patentstatistiken analysiert worden. Bereits 2014 wurde China die mit wachsendem Abstand führende Innovationsnation, was die Zahl der Patentanmeldungen betrifft: Inzwischen verzeichnet das Land mehr als die Hälfte aller Patentanmeldungen weltweit.
Dieser Aufschwung hängt historisch anscheinend zusammen mit einer Klärung der Eigentumsrechte an Erfindungen (IPR) in China seit Mitte der 2000er-Jahre, wobei wir schon gezeigt haben, dass der Schutz die kollektive Weiternutzung der enthaltenen Informationen gegen Lizenzgebühren nicht ausschließt.
Chinas Patent- und IPR-Recht ist daher weit weniger restriktiv als etwa das der USA. Längerfristige Datenreihen der World Intellectual Property Organization zeigen, dass China in Sachen Patentanmeldungen die USA, vor allem seit 2009/10, hinter sich gelassen hat und 2017 bereits 1,4 Millionen Patente angemeldet hat (USA gut 600.000, Europa unter 400.000).2
Der ehemalige US-Militäringenieur und Technologieblogger Fred Reed schreib:
„Was mir auffällt an Chinas Innovationsprozessen […] Erstens das irre Tempo. Zweitens ihre Menge, die darauf abzuzielen scheint, […] Amerika von seinem Buckel abzuschütteln. Drittens, der offenbar berechnete Fokus. Das sieht nach einem klugen Muster aus, als das Gegenteil von Amerikas wetteiferndem Grabschen nach Profit für seine Sonderinteressen. […] Während Beijing zum Wohle Chinas arbeitet, sehr schnell seine techno-industrielle Schlagkraft vermehrt, gibt Washington irrsinnig viel Geld für Waffen aus. Es versucht, eine militärische Lösung für ein Handelsproblem zu suchen.“
Künstliche Intelligenz „Made in China“: Big Data, Big Analysis, Big Governance
KI gilt heute gemeinhin als die Schlüsseltechnologie für die absehbare Zukunft, also für die nächsten Jahrzehnte. Sie ist eine „Querschnittstechnologie“, die gleichermaßen für wissenschaftliche Forschung wie für industrielle Produktion oder die Fernkontrolle, -diagnose und -steuerung (das sogenannte „Internet of Things – IoT“) zentral ist. KI basiert auf der Verarbeitung bisher ungekannter Datenmengen („Big Data“) und deren automatisierter Analyse, Simulation und Prognose („Machine Learning“) mit neuartigen nicht-deterministischen (nicht-analytischen) mathematisch-statistischen Methoden.
Diese Methoden sollen komplexen Prozessen und bisher exklusiven Fähigkeiten des menschlichen Gehirns nahekommen (wie Relevanzselektion von Wahrnehmungen und Erinnerungen, Mustererkennungen, interaktive Adaptionen), aber zugleich spezifische Schwächen des menschlichen Gehirns im Bereich logisch-analytischer und statistischer Analyse großer Zahlenmengen ausgleichen.3
Die tatsächliche Tragweite und die möglichen Anwendungsbereiche dieser Technologien sind noch unscharf, aber „erstmals seit der industriellen Revolution könnte der Westen die Vorherrschaft bei einer globalen Schlüsseltechnologie verlieren“.4
Wie schon angesprochen, sind öffentliche Bildungsausgaben, Startups und deren angemessene Kapital- und Kreditausstattung zentrale Indikatoren künftiger Innovationsfähigkeit einer Nation, aber auch einer Region, eines Sektors, einer Industrie – und eben auch einer Schlüsseltechnologie.
Im Bereich der KI stellte China bereits 2017 7,3 Milliarden US-Dollar für Startups bereit, nahezu ebenso viel wie der Rest der Welt zusammen (USA 5,8 Milliarden US-Dollar, der „Rest“ 2,0 Mrd. US-Dollar).5 Für China wurden für 2016 knapp 600 Forschungsarbeiten im Bereich KI gelistet, verglichen mit circa 440 in den USA (2013: USA circa 50, China circa 30). Deutschland erscheint auch hier mit weit unter 100 Arbeiten (2016) bereits abgehängt.6
Kein Wunder, dass deutsche Unternehmer KI stets als Erstes erwähnen, wenn sie die Systembeziehungen zwischen Deutschland und China ansprechen. Der ehemalige Vorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft (OAOEV), Wolfgang Büchele, schreibt etwa, dass China heute ein Industrie- und Technologiepartner „auf Augenhöhe“ sei und dass dazu auch die milliardenschweren staatlichen Forschungsprogramme für KI beigetragen hätten. Zum anderen die „einzigartigen Finanzierungsmittel“, die chinesischen Firmen zur Verfügung stünden. Hinzu käme ein „gigantischer Schatz an Daten“ und „jede Menge hervorragend ausgebildeter Wissenschaftler“.7
Stichwort „Big Data“: Tatsächlich gibt es in China kaum eine Konferenz, auf der nicht Dutzende von Wissenschaftlern aus großen Fachinstituten offen, entspannt und transparent über ihre national und international vernetzten Analysen von Big-Data für die Steuerung der Alltagsprozesse, für die Verkehrsplanung und das Management der Megacitys, die Festlegung der besten Stellplätze für Hunderttausende von Leih-E-Bikes, die Fahrtrouten der Uber-Taxis, die Wege- und Kaufentscheidungen von Millionen Konsumenten in einer Stadt pro Tag und über vieles mehr berichten.
Auch die Produktionsaktivität Chinas wird heute schon mit Big Data und Big Analysis prognostiziert, zum Beispiel auf georäumlicher Basis mit Aufnahmen aus dem Weltall – in Echtzeit.
Dass in westlichen Medien beim Stichwort Big Data (für China) sofort die Obsession „Überwachung/Diktatur“ getriggert wird, erscheint vor dem Hintergrund der Beobachtung der komplexen chinesischen Realitäten ausgesprochen platt.
Die Analyse und Rahmensteuerung (neudeutsch: „Governance“) der täglichen Bewegungsströme von Millionen von Menschen auf Basis von KI und Big Data, ohne die die chinesischen Megacitys faktisch ebenso kollabieren würden wie die anderen „Dritte-Welt“-Albträume, ist heute unverzichtbar für das „Megacity-Management“.8 Dazu aber später natürlich noch mehr.
„Governance“ meint dabei nicht eine Detailsteuerung Einzelner, die praktisch ohnehin nicht durchführbar wäre, sondern die Etablierung von Steuerungs- und Regelungssystemen, die systemische Rahmenbedingungen setzen, auf die sich die Akteure flexibel und mit bestimmten Freiheitsgraden einstellen können.
Somit sollen in einer Einheit wie Staat, Gemeinde, privater oder öffentlicher Organisation einheitliche Rahmenbedingungen und Strukturen für die Ermöglichung nachhaltiger Dynamiken gesetzt werden. Smart Citys auch in Nordamerika und Europa nutzen heutzutage bereits Unmengen an Steuerungselementen etwa für den Verkehrsfluss.
„China ist nicht innovativ“
China hat sich, auf der Basis eines Schwellenlandes mit erst unterem mittlerem Einkommen, zu einem technologisch führenden Land entwickelt, mit einer einzigartigen Hebelwirkung zwischen durchschnittlichem Einkommensniveau und technologisch-organisatorischer Innovationsleistung.
Wir rufen nur kurz folgende Stichworte auf für Bereiche, in denen China trotz umfassender Technologieembargos aus dem Westen führend in Forschung, Entwicklung und Anwendung geworden ist.
Einige davon wurden oben im Einzelnen beschrieben, andere hier nur als Stichworte: Elektromobilität und andere alternative Antriebe, Solartechnologie, Quantentechnologie und Supercomputer, Hochgeschwindigkeitszüge und Magnetschwebe-Technologie, Gehirn-Maschine-Steuerungssysteme, Überschall-Raketen-Technologie, IT-Telekommunikation (5G, 6G), biologische Batterien, AI-Chip-Technologien, Medizin- und Gen-Forschung, Kernforschung und Teilchenbeschleuniger-Technologie, Weltraumforschung und Radioteleskoptechnologie, Materialforschung in Naturmaterialien, 3D-Druck-Hausbau und vieles andere mehr.
Die offiziellen Narrative im Westen aber sollen der eigenen Bevölkerung ein anderes, feindseliges Bild von „den Chinesen“ generieren: China hätte ein Bildungssystem, das nur zu Anpassung, Imitation, guten Testergebnissen, aber geringer Kreativität erziehen würde.
Carly Fiorina, frühere Chefin von Hewlett-Packard, verkündete noch 2015, dass Chinesen nicht kreativ sein könnten: „Sie sind nicht sehr einfallsreich. Sie sind nicht unternehmerisch veranlagt. Sie innovieren nicht.“
Ebenfalls noch 2015 haute auch McKinsey in diese Kerbe: China könne nur die „leichten“ Innovationen9 machen, nur Produkte billiger machen und sie nur graduell verbessern; in wissenschaftlichen oder ingenieurtechnischen Durchbrüchen seien sie nur begrenzt erfolgreich.
Ein Kommentator schrieb dazu: „Die Behauptung ist völliger Quatsch, und zwar aus mehr Gründen, als ich hier zu erklären vermag.“ Dies dürfte bisher auch schon deutlich geworden sein, aber dazu im Weiteren auch noch mehr. Die westlichen Bevölkerungen auf diese Weise in einer Traumwelt zu halten, kann nicht lange gutgehen. (Wolfram Elsner)“
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Das chinesische Jahrhundert. Die neue Nummer eins ist anders“ von Wolfram Elsner, das gerade im Westend Verlag erschienen ist.
Besprechung des Buches in einem Blog der Freitags-Community (Wochenzeitung: Freitag)