Neue Aufrüstungsspirale – gegen 100 Milliarden für neue Waffen regt sich Widerstand

Sondersitzung des Bundestags am Sonntag, 27. Februar 2022

Regierungserklärung Bundeskanzler Olaf Scholz mit anschließender Aussprache.


Quelle: Stuttgarter Zeitung – 01.03.2022

Jessica Rosenthal Juso-Chefin warnt vor „schwarzen Loch“ bei Aufrüstung

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Doch selbst in der Regierungspartei SPD gibt es Zweifel an dem Vorhaben.

Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal will die Pläne von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht unterstützen, die Bundeswehr mit einem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro auszustatten. „Ich trage mit, dass wir eine wehrhafte Bundeswehr brauchen. Ich erkenne aber nicht, dass an dieser Stelle mehr Geld allein das Problem löst“, sagte Rosenthal der „Süddeutschen Zeitung“ (Dienstag). „Es bringt nichts, weitere Milliarden Euro in einem schwarzen Loch zu versenken“. Sie glaube, dass Gelder für die Bundeswehr bisher ineffektiv eingesetzt wurden.

Angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine will Deutschland die Bundeswehr massiv aufrüsten. Die 100 Milliarden Euro werden mit dem Bundeshaushalt 2022 bereitgestellt, hatte Scholz angekündigt. Regierungserklärung Bundeskanzler Scholz 27.2.22

Außerdem solle Deutschland künftig jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Scholz forderte alle Fraktionen des Bundestags auf, das Sondervermögen im Grundgesetz abzusichern. Rosenthal kündigte an, gegen die Regierungspläne stimmen zu wollen. Das Grundgesetz sei ihrer Ansicht nach nicht der Ort, an dem auf alle Zeiten Militärausgaben festgeschrieben werden sollten.

Derweil geht SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert davon aus, dass seine Fraktion den Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Aufrüstung der Bundeswehr geschlossen unterstützt. Er sei zwar selbst überzeugt, dass es zu viele Waffen auf der Welt gebe und in vielen Konflikten nicht alles auf diplomatischem Weg versucht werde, sagte Kühnert am Dienstag im ARD-„Morgenmagazin“. Aber ausgerechnet den Menschen im schwer umkämpften Charkiw zu sagen: „Bei euch fangen wir mit der Abrüstung an“, das sei falsch. Es gebe Situationen, in denen „die Logik des Militärischen“ als letzte Instanz genutzt werden müsse.


Quelle: der Freitag, 1.3.2022 – Sebastian Puschner 69

Der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit (gekürzte Fassung)

Ukraine Hunderttausende demonstrieren für den Frieden, während Olaf Scholz eine neue Aufrüstungsspirale in Gang setzt. Gegen die 100 Milliarden Euro für neue Waffen und mehr Soldaten regt sich Widerstand – gut so.

Für den Frieden machen sich am Sonntag in Berlin viele Menschen stark, eine halbe Million laut Angaben der Veranstalter, das wäre auf dem Niveau der bislang größten friedenspolitischen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg 2003; doch auch die „mindestens 100.000“, von denen andernorts die Rede ist, wären eindrucksvoller Ausdruck großer Sorge und Entschlossenheit.

Doch die Entschlossenheit nur wenige Meter weiter ist anderer Gestalt an diesem Sonntag: Während die Demonstrantinnen zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule den russischen Präsidenten Wladimir Putin wie seinen Überfall auf die Ukraine verdammen, laut Aufruf „für ein Europa der Abrüstung, der Entspannung und der Verständigung“ eintreten und sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine verwahren, kündigt nur wenige Meter weiter, im Deutschen Bundestag, Kanzler Olaf Scholz (SPD) neben Waffenlieferungen an die Ukraine 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr an, 100 Milliarden Euro für „bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal“. Es ist der Startschuss für eine gewaltige Aufrüstung Deutschlands.

Das Wort „Sondervermögen“ schwingt dabei nur im Subtext mit. Als Sondervermögen des Bundes wollen Olaf Scholz, Finanzminister Christian Lindner und die Koalition die 100 Milliarden Euro aufnehmen, über ein Vehikel also, dessen Machart für die hiesige Finanzpolitik zuletzt immer bedeutender geworden ist: Schön außerhalb des Haushalts verbucht, verbürgt sich der Staat für eine immense Summe, ohne dass die Regierung von ihrer Rhetorik der Bewahrung der Schuldenbremse in eben diesem Haushalt abweichen muss und setzt sich dabei nur einer vermindert starken Kontrollfunktion des Parlaments aus.

Wenn sich der Schießpulvergeruch der Unausweichlichkeit infolge des russischen Angriffskrieges eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages gelegt haben wird, welche Rolle wird dabei dann Olaf Scholz‘ „Zeitenwende“ vom 27. Februar 2022 gespielt haben? Sind Kreditermächtigungen für den auf Jahre und Jahrzehnte angelegten Bau von Kampfflugzeugen, den Kauf von bewaffneten Drohnen und die Rekrutierung heranwachsender Generationen als Soldatinnen und Soldaten eine Lösung für akute Kriegshandlungen? „Nicht noch mehr fürs Militär!“ – ist jene friedenspolitisch motivierte Postkarte in diesen Tagen wirklich nur noch ein Fall für den Altpapier-Container?

Mehr Kampfflugzeuge und Soldaten

Zweifel sind angebracht. Der Journalist Holger Stark hat darauf hingewiesen, dass Deutschlands Ausgaben für Militärisches schon in den vergangenen Jahren rapide gestiegen sind: „Die Erzählung, die Bundeswehr sei zu Tode gehungert worden, ist eine schöne Geschichte – aber schon seit Jahren falsch. In welchen Taschen sind all die Milliarden versickert? Welche Rüstungskonzerne haben davon profitiert?“

Und während am Sonntag bei der Friedensdemo Luisa Neubauer von Fridays for Future verantwortliche Politiker für die fossile Abhängigkeit Deutschlands von Russland geißelt, verkündet Olaf Scholz im Bundestag den schnellen Bau zweier Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven, verbunden mit ausdrücklichem Dank an den Grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck für seine konstruktive Rolle bei der Entscheidung, sich nun in fossile Abhängigkeit von unter anderem den USA zu begeben.

„Wir brauchen dringend eine europäische Friedensordnung, in der Grenzen nicht gewaltsam verschoben werden und die Sicherheit von allen geachtet wird“, mit diesen Worten hatten der BUND, der NABU, Campact, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Verdi, IPPNW, die Evangelische Kirche, das Netzwerk Friedenskooperative, Pax Christi und viele weitere Organisationen zur Demonstration am Sonntag aufgerufen. Doch für den Blick auf die jahrzehntelang von Russland empfundene Missachtung seiner Sicherheit durch die NATO bleibt im Moment der nackten Gewalt Wladimir Putins gegen die Ukraine kaum mehr Raum. Überflüssig wird dieser Blick aber nur werden, sollte es zu einer Niederlage Russlands kommen, zu einem Regime Change in Moskau, zum Scheitern Wladimir Putins. So sehr wir uns das wünschen, wahrscheinlich erscheint dies im Augenblick nicht.


Wettrüsten hilft der Ukraine nicht – Interview mit Gesine Lötzsch

(Bundestagsfraktion Die LINKE – Phoenix)

150 Aufrufe – 01.03.2022 – Gesine Lötzsch: „Die große Frage ist, ist die Ankurblung des Wettrüstens ein wirklicher Beitrag, der Ukraine zu helfen, oder wäre nicht unsere Aufgabe als Bundesrepublik Deutschland vor allen Dingen dafür zu sorgen, dass es friedlich wird. Der Etat der Bundeswehr hat sich in den letzten 16 Jahren verdoppelt, er beträgt schon zehn Prozent des Bundeshaushaltes und da muss man sich doch mal die Frage stellen, wo ist das viele Geld geblieben? Warum konnten es sich die Rüstungskonzerne leisten, die Bundeswehr mit Material zu beliefern, was nicht funktioniert? Es kann jetzt nicht nur darum gehen, mehr Geld bereitzustellen, sondern man muss schauen, was ist mit dem Geld passiert, wer hat daran verdient und wer hat es verbraten.“