Die EU-Mitgliedsstaaten verschenken mehr als die Hälfte der Einkünfte aus dem Emissionshandel (ETS) durch die kostenlose Zuteilung von CO2-Zertifikaten an die Industrie. Dies zeigt die neue WWF-Analyse „Where did all the money go?“. Diese untersucht die Zahlungen im ETS zwischen 2013 und 2021. „Die EU führt das Verursacherprinzip des Emissionshandels ad absurdum, solange die Schlupflöcher größer sind als das ganze System“, kritisiert Juliette de Grandpré, EU-Klimaschutzexpertin beim WWF Deutschland. Bei der jetzigen Reform des Emissionshandels muss die EU endlich einen klaren Pfad für das frühestmögliche Ende der kostenlosen Zuteilung beschließen.
In dem untersuchten Zeitraum haben die EU-Staaten 88,5 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Emissionszertifikaten eingenommen. Dagegen stehen Emissionszertifikate im Wert von 98,5 Milliarden Euro, die sie an die Industrie verschenkt haben – ohne diese an CO2-senkende Maßnahmen zu knüpfen. Im Trilog verhandeln Kommission, Parlament und Rat wieder am Dienstagabend im Rahmen des Fit-for-55-Pakets über die Überarbeitung des ETS.
„In der aktuellen Krise wird sichtbar, wie stark die Industrie noch immer von fossilen Energien abhängig ist”, sagt de Grandpré. „Durch die kostenlose Zuteilung hatte sie zu wenig Anreiz, auf dekarbonisierte Prozesse umzusteigen, und muss nun mit Milliarden Euros unterstützt werden. Und das Geld, das durch die Versteigerung der Zertifikate hätte eingenommen werden können, fehlt nun, um die industrielle Transformation voranzubringen. Die schnelle Abkehr von der kostenlosen Zuteilung ist notwendig, wenn vom Emissionshandel endlich eine Lenkungswirkung in Richtung einer sauberen, dekarbonisierten Industrie ausgehen soll.“
Die WWF-Analyse zeigt darüber hinaus, dass 25 der 88,5 Milliarden Euro von den Mitgliedsstaaten nicht für Klimaschutzmaßnahmen ausgegeben wurden. Weitere 12 Milliarden Euro flossen sogar in fragwürdige Projekte, etwa in Subventionen für Kohle und Gas. Dies ist sogar kontraproduktiv für das Reduzieren der Emissionen, dem Sinn des Emissionshandels. Damit sind nicht weniger als 136 Milliarden Euro für den Klimaschutz und den nachhaltigen Umbau in Europa in den vergangenen knapp zehn Jahren verloren gegangen.
Der WWF fordert deshalb zum EU-Trilog über die Reform des Emissionshandels:
- Kostenlose Zertifikate so schnell wie möglich abschaffen – und in der Zwischenzeit nur an Unternehmen vergeben, die Verbesserungen bei der Energieeffizienz nachweisen und Dekarbonisierungspläne vorlegen.
- Mitgliedstaaten müssen verpflichtet sein, 100 Prozent ihrer ETS-Einnahmen für Klimaschutzmaßnahmen zu verwenden.
- Eine strenge Definition des Begriffs „Klimamaßnahmen“, die alles ausschließt, was in fossile Brennstoffe oder in Strompreiskompensation für die Industrie fließt.
Quelle: Tagesspiegel, Dr. Jörg Lange – veröffentlicht am 24.09.2018 – aktualisiert am 14.11.2018
Warum der europäische Emissionshandel wirksamen Klimaschutz nicht garantiert
Die stark gestiegenen CO2-Preise im europäischen Emissionshandel erwecken den Eindruck, das System funktioniere. Keineswegs, argumentiert Jörg Lange, Vorstand des Vereins für eine nationale CO2-Abgabe. Er fordert verursachergerechte, sozialverträgliche und technologieoffene „Deponiegebühren“ für Treibhausgase – ohne Ausnahmen.